Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


auchn/audn, afoure und durch

Orts- und Richtungsangaben im Passeier

Der Raum im Dialekt

Es gibt heute eine umfangreiche Literatur darüber, wie in verschiedenen Kulturen und Sprachen Raum und Landschaft gesehen und beschrieben werden. Früher war man der Meinung, dass die Raumvorstellung allen Menschen angeboren sei und dass man die sprachlichen Unterschiede übersetzen könne. Wir wissen jetzt, dass das nicht stimmt, denn es gibt Sprachen, die rechts und links und vorne und hinten nicht so unterscheiden wie wir Mitteleuropäer. Dass es auch bei uns Unterschiede gibt, ist mir aufgefallen, als ich in der Zeitung las: “Da war Feuer am Dach”. Denn die Übersetzung bei uns würde lauten når isch Fuir afn Dåch giweesn. Zwar haben wir das trennbare Präfix oon- in oonfångin, oonhëibm, oontiën, oonzintn, oonhoobm, aber eine entsprechende Präposition “an” gibt es in unserem wie in vielen anderen Dialekten nicht, sie muss ersetzt werden: durch af, wie im obigen Beispiel, durch in bei Datumsangaben in Ërchtig (am Dienstag), in Peaterstoog (am 29. Juni), oder durch pi/pa (bei) bei Angaben wie “nahe an, angelehnt an”: dee Kåndl pan Heert entn (der Eimer drüben am Herd), s Prett, dës pa der Maure zuëchn luënt (das Brett, das an die Mauer gelehnt ist). Mit pa wird oft auch eine Gegend oder ein Gelände bezeichnet: pa di Seabler oubm (bei den kleinen Seen) in der Seeber Alm, pan åltn Koat oubm (wörtlich: beim alten Ungeziefer = ein bemooster Stein) in den Rossgruben neben dem Schneeberg.

Wegweiser Foto: Florian Lanthaler Wegweiser

Sicher hat noch niemand von euch einen Ausdruck gelesen, der unserem hintn entn untn entspricht. Das bedeutet, dass es in der Raumbeschreibung nicht nur Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen gibt, sondern auch zwischen der schriftlich bis ins Feinste ausgebauten Hochsprache und dem für das Mündliche bestimmten Dialekt, in welchem man zwar auch Ort, Richtung und Ziel sehr genau angeben kann, wo man dazu jedoch mehr hinweisende Pronomen und Adverbien braucht als in der Schriftsprache.

Eindeutig ist die Richtungsangabe, wenn jemand einem droht ii rennder uën’auchn (ich geb dir einen Fußtritt in den Hintern), auch wenn er nicht hinzufügt zwischen Frick und Stroubl (zwei Gasthäuser in St.Leonhard, die nur von einer schmalen Gasse getrennt sind).

Die Entwicklung der Ortsangaben drin und dinnin zeigen allerdings, dass sich auch der Dialekt hier in Richtung Standardsprache bewegt. Im Hinterpasseier waren früher diese beiden Bezeichnungen für das hochsprachliche “drinnen” mit unterschiedlicher Bedeutung im Gebrauch. Für die Angabe, dass jemand oder etwas sich an einem Ort oder in einem größeren Raum befand, gab es dinnin: in Timbls dinnin, in Tinell dinnin, in der Kåmmer dinnin (im Timmels, im Tunnel, in der Kammer drinnen). Wenn sich jedoch etwas in einem kleinen Gefäß oder in einer Flüssigkeit befand oder mit körnigem Material vermischt war, dann verwendete man drin: in der Flåsch’isch lai mear a Lackl drin (in der Flasche ist nur mehr eine kleine Menge Flüssigkeit), in di Glaan håtse haufn fåltsche drin khåp (unter den Preiselbeeren hatte sie viele Beeren der Bärentraube). Auch in Kleidern war man schon damals drin: in dee Tåttlin pine zi pfent drin (in diesen Hausschuhen bin ich zu eng drin). Das erinnert ein bisschen an die Verhältnisse bei bestimmtenen Maiastämmen, die für “in” verschiedene Ausdrücke hatten, je nach der Beschaffenheit der Gefäße (Levinson 363). Dass heute außer einigen sehr alten Leuten fast alle in Moos sagen in Pfelders drin, und die Pfelderer sagen in Låzins drin, zeigt, dass diese alte Unterscheidung bald nicht mehr gegeben sein wird. Das lautlich standardnäher wirkende drin setzt sich gegenüber dem dialektaler wirkenden dinnin also durch.

Es gibt drei Systeme, den genauen Standort eines Gegenstandes zu beschreiben Levinson, Stephen C. (1996): Language and Space. In: Annu. Rev. Anthropol. 25:353–382. https://pure.mpg.de/rest/items/item_66627_3/component/file_66628/content (2022) . Wenn wir das in solchen Beschreibungen gern bemühte Beispiel nehmen und sagen: “Die Katze ist hinter dem Auto”, so ist das zweideutig. Wenn wir “vorne” und “hinten” vom Auto nehmen, ist die Katze am hinteren Ende des Autos zu suchen.

Wenn wir jedoch unseren Standort (des Sprechenden) nehmen, gehen wir davon aus, dass das Auto zwischen uns und der Katze steht, auch wenn wir uns seitlich vom Auto befinden. Im Dialekt schaffen wir in diesem Fall Klarheit, weil wir sagen würden: di Kåtz’isch hintern Aut’entn (die Katze ist auf der anderen Seite vom Auto – drüben), egal, wie das Auto steht.

Das dritte Koordinatensystem ist Norden-Süden usw., das wir heute im Dialekt genauso nutzen wie im Standard, das eigentlich ein papierenes System ist und das früher sogar für geografische Angaben im Dialekt viel weniger verwendet wurde. Wir sagten eher wait in Taitschlånt oubm statt in Norttaitschlånt. Während Norden und Süden meist mit oubm und untn gleichgesetzt wurden – und auch heute noch werden: in Norweegn oubm, in Siziliën oder in Afrika untn –, war das bei anderen Ländern nicht so einfach: Ëischteraich und Taitschlånt waren afoure, aber wir sagten in der Schwaiz oubm und in Russlånt dinnin. Mein Vater erzählte noch, dass mein Großvater in Ungern untn Schafe geholt hat. Und für ein sehr stumpfes Messer gab es den Spruch af den kanntsche mitn pleckitn Oorsch af Wiën oochnraitn (darauf könntest du mit bloßem Arsch nach Wien hinunter reiten). Der Spruch muss noch vor dem 1. Weltkrieg entstanden sein. Neueren Datums ist die Aussage di Kinder sain afn Mëir oochnggfoorn (die Kinder sind ans Meer gefahren).

Die übrigen Länder westlich oder östlich von uns, von Amerika bis China, waren alle entn. Diese Unterschiede in der Orientierung erklären sich nicht von selbst. Einen Hinweis auf ihre Herkunft gibt uns Österreich, denn dafür kann afoure erst nach dem 1. Weltkrieg gebraucht worden sein. Nach der Annexion und vor allem in der Optionszeit waren viele über die Grenze hinausgezogen, sie sind in Ëischteraich und Taitschlånt außn und afoure gipliibm, und geblieben sind auch diese geografischen Angaben. Auch für in Russlånt dinnin könnte sich eine geopolitische Erklärung anbieten: Propaganda und Kriegsberichterstattung beschrieben wie “tief” man in das Land eingedrungen war, und Heimkehrer kamen aus Russland außer – ein Überlebender aus Stalingrad war Anfang der 50er Jahre als Knecht bei uns auf dem Hof. Ob die Schweiz oubm war, weil der Teil von ihr, der uns nahe war, nämlich die Deutschschweiz, schon nördlich von uns lag, oder weil man von Passeier den Vinschgau “hinauf” in dieses Land kam, ist nicht klar.

Jedenfalls nutzten wir die ersten beiden Systeme ausgiebig, und nicht immer in eindeutiger Weise. Da unser Stadel neben dem Haus stand und dessen obere Seite etwas höher als das Haus, konnten wir sagen der Tenglstock steat fourn Stoodl oubm, wobei fourn Stoodl bedeutete ‘vor dem Scheunentor’. Wenn wir jedoch sagten der Eertëpflåcker hintern Stoodl, dann meinten wir den kleinen Acker, der vom Haus (und von uns) aus gesehen auf der entfernteren Seite des Stadels lag. So wie wir meistens fourn Stoodl oubm sagten, so sagten wir auch fast immer hintern Stoodl entn, wodurch einmal noch die Hanglage und einmal die Horizontale einbezogen wurde und die beiden ersten oben erklärten Systeme eindeutige Angaben lieferten. Und hintern Stoodl hieß es, weil es in Richtung taleinwärts war, sonst wäre es endern Stoodl gewesen.

Im Haus selbst hatten wir ein sicheres System der Orientierung: Wir gingen in der Stuub’inhn, und wenn wir dort waren, gingen wir in der Kuchl außn, in Kelder oochn und in der Kåmmer und in Unterdåch auchn. Das bedeutet, dass der Standort, von dem aus alles gesehen wurde, die Stube war. Wenn man dort war, sagte man di Moid’isch in der Kuchl afoure, und wenn man in der Küche war, sagte man der Luis isch ind der Stuube dinnin. Wenn man jedoch in der Laabe (Flur) war, sagte man natürlich auch sii isch in der Kuchl dinnin.

Auch four war für sich nicht immer eindeutig. So hieß four der Kirche ‘vor der Kirchentür’ oder ‘auf dem kleinen Platz zwischen Kirchentür und Friedhof’; nicht zu verwechseln mit four Kirchn, das nur zeitlich zu verstehen war, nämlich ‘vor der Messe’. Aber fourn Haus war nur als Gegensatz zu in Haus dinnin (im Haus) gedacht, konnte also irgendwo auf irgend einer Seite des Hauses sein, aber immer noch in der Nähe desselben, denn ‘außer Haus’ hieß außern Haus und allgemein ‘im Freien, in er freien Natur’ a der Waite. Di Wasche hångg auswendig oubm hieß, dass die Wäsche auf einem Balkon aufgehängt war.

Die Präposition four beschreibt zwei Situationen: fourn Ander kann heißen, dass jemand in der Reihe vor dem Ander steht oder dass er dem Ander gegenüber steht.

Wo und wohin

Die Richtungsangaben haben in allen bairischen Dialekten eines gemeinsam: ihre beiden Bestandteile sind in umgekehrter Reihenfolge zusammengesetzt wie die hochsprachlichen Richtungsadverbien. Während Letztere “her-auf, hin-aus, hin-unter” usw. lauten, werden sie im Dialekt aus “auf-her, aus-hin, ab-hin” gebildet Scheutz, Hannes (Hrsg.) (2016): Insre Sproch. Deutsche Dialekte in Südtirol: mit dem ersten “sprechenden Dialektatlas” auf CD-ROM. Bozen: Athesia. . Das “her” und “hin” gibt die Richtung in Bezug auf den Sprecher an. Diese Formen gibt es alle schon im Mittelhochdeutschen, als: ûf-her, ûs-hin, ab-hin. Im Passeier lauten die Richtungsadverbien dann eben auer – auchn/audn (herauf – hinauf), ooër – oochn/oodn (herunter – hinunter), außer – außn (heraus – hinaus), inner – inhn/innin (herein – hinein), hee(r) – ånhn/ånnin (herüber – hinüber). Die Zweiteilung wie bei auchn/audn, oochn/oodn, haben wir in vielen Fällen, weil im Hinterpasseier die (wahrscheinlich) ältere Form mit ch vorherrscht, also: oochn, während im Außerpasseier statt des ch ein d eingeschoben wird.

Die Richtungsadverbien können allerdings noch ergänzt werden, um den genauen Abschnitt des infrage kommenden Weges in eine Richtung anzugeben. So kann jemand erzählen: afour’inhn isch nou guët gångin, ober dinnin inhn ischer når miëde giwortn. (Im vorderen Teil des Weges taleinwärts ging es noch gut, aber weiter drinnen ist er dann müde geworden). So auch oubm auchn (im oberen Teil des Weges hinauf), untn oochn, entn ånhn, afour’außn usw.

Für diese Richtungsangaben gibt es auch noch andere Wörtchen, nämlich derhau, derhoo, derhin, derhaus, derhån welche eine Intensivierung der einfachen Richtungadverbien auchn, oochn usw. darstellen, mit dem Bedeutungszusatz ‘schnell’ oder ‘weit’ oder ‘steil’ in die angegebene Richtung. Når isch des Ding derhoo gångin bedeutet demnach entweder ‘dann sind wir sehr schnell abwärts gelaufen’ oder ‘danach ging es steil oder weit hinunter’. Dieses der- ist ein verkürztes durch. Diese Form kommt vor, wenn beschrieben wird, dass jemand oder etwas durch einen Raum oder durch etwas hindurch geht: duu kånnsch der der Kuchl durch giën (du kannst durch die Küche (durch) gehen), der Noogl geat dern Prett durch (der Nagel geht durchs Brett hindurch), auch dern Långin Tinell außn (durch den lagen Tunnel hinaus), der Raach geat dern Keem auchn (der Rauch zieht durch den Kamin hinauf). Es gibt die Redewendung når isch dern Aschn aus gångin (dann ist es rasant abgelaufen).

Für die Richtung ‘hinüber’ haben wir gelegentlich neben den für Hinter- und Vorderpasseier üblichen Lautungen ånhn und ånin auch noch ånggn zu hören bekommen. Bei diesem Letzten könnte es sich allerdings um eine Besonderheit einzelner Personen handeln, so zu sagen eine Familienvariante; auch das gibt es gelegentlich. Für ‘hinüber’ gibt es im hinteren Passeier neben ånhn aber auch noch ein anderes Wort, nämlich durch, das hier zwar wie in vielen anderen Dialekten neben ‘durch’ auch ‘auf und davon’ bedeuten kann: måchdi durch! (verschwinde!), aber in erster Linie für ‘hinüber’ steht. Im Außerpasseier heißt es oft auch derhån. Der Rabensteiner foort in Ëtztool durch oder er geat a(f) der uën Saite durch (fährt ins Ötztal hinübert; geht auf die andere Seite hinüber), und der Mooser foort af Plåtte durch (fährt nach Platt hinüber). Nur für ‘herüber’ gibt es kein zusammengesetztes Wort, sondern kimm hee(r)! kann sowohl heißen ‘komm herüber!’ (von der anderen Seite) als auch ‘komm hier her!’, also ‘komm näher!’. Für ‘weg’ gibt es aweck oder fuuder, welch Letzteres meist für ‘weiter weg’ oder auch für ‘vorwärts, weiter’ verwendet wird; so sagt man, wenn man gar nicht vom Fleck kommt miër sain amiigl nit fuuder kemmin.

Bei den Ortsangaben teilt der Passeirer Dialekt mit den östlichen Südtiroler Dialekten das a- bei ahinnin (herinnen), ahoubm (heroben), aniidn (hier unten, hernieden), afoure (heraußen oder draußen), ahië (diesseits, herüben). Dieses a- kann nur eine Verkürzung von ursprünglich “hier” oder “her-” sein. Vom allgemeinen Schema, nach welchem das a- bedeutet, dass etwas oder jemand sich im selben Raum oder in derselben Umgebung befindet wie die Person, die spricht, weicht afoure ab, weil es nicht nur bedeuten kann ‘hier draußen’, also da, wo der Sprecher steht, sondern auch ‘dort draußen’, nämlich außerhalb des Raumes, in welchem sich dieser befindet. Andere Dialekte haben für diese Angaben ein der-: pa ins derhië (bei uns herüben) oder ein her-: pa ins heroubm (bei uns heroben); manche haben auch gar nichts dafür, z.B. im oberen Vinschgau sagt man: i pin aa pa enk oubm (ich bin auch bei euch heroben).

Wörter, die es in der Hochsprache nicht mehr gibt, die aber im Dialekt für die Ortsbestimmung wichtig sind, sind entn und ender. Schon zu althochdeutscher Zeit gab es das Wörtchen ënton, mittelhochdeutsch ënent, jënent oder ënent-halp. Immer bedeutete es ‘drüben, auf der anderen Seite, jenseits’. Die Bedeutung von ender ist also ‘jenseits’ von etwas Trennendem, einem Bach, Zaun oder Berg und ‘weiter weg, weiter drüben’ als der Ort oder der Gegenstand, der gerade angesprochen wird. So sind die Ridnauner für die Passeirer die Enderjocher und für die Leute auf Saltnuss in Rabenstein sind die vom Weiler Hütt auf der gegenüber liegenden Bergseite die Endersaitner und umgekehrt. Ortsnamen wie Enneberg im Gadertal und Namen von Weilern wie Ennetal und Ennewasser im Martell gehen auf dasselbe Wort zurück.

Das Gegenteil von entn ist ahië, und das Gegenteil von ender ist hiëger. Es kommt von einem alten verkürzten “hier”, das es in der Form hia seit dem 9. Jahrhundert gibt und das später als hie (sprich hië wie im Dialekt) erscheint. Es bedeutet ‘hier herüben’ und hiëger bedeutet demnach nichts anderes als ‘näher herüben’ oder ‘diesseits’, also hiëgern Påch (diesseits des Baches). Und wenn etwas, das man ansprechen will, näher beim Sprecher liegt als etwas anderes, dann heißt es s Schlatterle ligg hiëger den Stuën doo entn (die Kinderrassel liegt näher (bei mir) als jener Stein dort).

Wenn etwas sich ganz vorne an einer Kante, über einem Abhang oder Absturz befindet, dann ist es firchn, firchn entn oder firchn afoure. Hier wird sichtbar, wie umständlich man im Hochdeutschen oft ein ganz einfaches Dialektwörtchen umschreiben muss. Dieses firchn ist so gebildet wie die oben beschriebenen Richtungsadverbien, nämlich aus “für-hin”, das schon im Mittelalter als vür-hin belegt ist und ‘vorwärts’ oder ‘von da ab’ bedeutet. Da für und vor auf dieselbe Wurzel zurückgehen, ist es leicht zu verstehen, dass das für in diesem Wort die Bedeutung ‘vorne’ behalten hat.

Zum selben Wort gehört auch fircher mit der Bedeutung ‘hervor, heraus’. Wenn jemand erzählt: når gaalign håter dëcht in Speck fircher gitoon (schließlich hat er doch den Speck herausgerückt), dann klingt da ein Vorwurf mit, dass einer den Speck eben nicht gerne angeboten hat, denn was man fircher tuët, holt man aus einer sicheren Verwahrung. Ähnlich ist es mit fircher kemmin, welches bedeutet, dass jemand oder etwas aus dem Verborgenen ans Licht kommt, zum Vorschein kommt.

Die Wendungen fircher tiën und fircher kemmin zeigen, dass es im Dialekt Redensarten gibt, die über die erste, vordergründige Bedeutung der Wörter hinaus etwas aussagen. So pflegte man bei uns zu sagen: wenn sell isch, når pische hintn entn untn, was so viel bedeutete wie: ‘wenn das so ist, dann bist du erledigt, dann geht es dir ganz schlecht’. Das Gegenteil wäre, wenn jemand oubmau isch (obenauf, auf der Oberseite).

Die Wiederholung einer solchen Richtungsangabe wie: inhn und inhn, auchn und auchn usw. bedeutet, dass etwas für die ganze Strecke eines Weges gilt: er håt auchn und auchn nië s Maul zuëgitoon (Er hat den ganzen Weg hinauf ununterbrochen geredet). Di Leaslpuabm haben am Tag der Musterung immer geschrien au und au tauglich! (von unten bis oben tauglich), und ummer und ummer bedeutet ‘rund herum, im Kreis herum’. Entsprechend bedeutet ummer … ummer ‘rund herum, ganz um etwas herum’, ummer deer Plais’ummer stiën ålls junge Larchn (rund um jene Lichtung herum stehen lauter junge Lärchen) und wenns ummer und ummer geat, dann ist jemand schwindelig geworden.

Das Wörtchen zem (dort, damals, dann) hat unterschiedliche Bedeutungen: einmal zeigt es den Ort an: zem entn ischmer nit zi guët gångin (dort drüben ist es mir gar nicht gut ergangen); dann legt es die Zeit fest: zem håt uëns aa lai Hårts khåp (zur damaligen Zeit hatte mans ziemlich schwer); und schließlich nennt es eine Bedingung: derstechtis den ëpper niëmer? zem mëggis lai zåmpåckn (schafft ihr diesen Stich nicht mehr? in dem Fall müsst ihr aufgeben).

Das bereits genannte heer, hee kann in Zusammensetzungen in beiden Formen auftreten: heergiën, heegiën ‘herübergehen’. Allerdings kann hee(r) auch ‘weg’ bedeuten in heegeebm (verkaufen), heelåssn (vermieten) und hee(r)giën kann auch bedeuten, dass etwas sich von einem Gegenstand, an dem es haftet, ablösen lässt. Hee(r)wert steht normalerweise für ‘auf dem Weg herüber’, aber heerwert schaugn bedeutet ‘konziliant sein, eine friedliche Lösung suchen’. Mit -wert(s) können z.T. verkürzte Formen der Richtungsadverbien kombiniert werden: auwert, oowert, inwert, auswert (aufwärts, abwärts, taleinwärts,talauswärts), die einfach die Richtung angeben. Aber es gibt auch Zusammensetzungen mit der Vollformen der Adverbiern: auchnwert, inhnwert, ånninwerts usw. Diese beschreiben meist eine konkrete Situation: auchnwert håter derzëilt … (während wir hinaufgingen, hat er erzählt …), innerwerts ischmer inggfålln … (auf dem Weg herein ist mir eingefallen …). Im Hinterpasseier wird auswerts und außnwerts nicht nur als Richtungsangabe benutzt, sondern auch, um die Gegenden talauswärts zu beschreiben: außnwerts tiënse schun Gruëmit maan (im Außerpasseier sind sie schon beim zweiten Grasschnitt).

Wie im Standard gibt es im Dialekt Angaben wie zuhinterst, zuoberst usw., zëibert in Åcker oubm (am oberen Rand des Ackers); und es gibt auch Formen wie zendert in Feld (am entfernten Ende des Feldes), zihiëgert in Ruën oubm (am diesseitigen Ende des Abhanges oben), zihintert in Taalile dinnin (ganz hinten in dem kleinen Tal) und der ëiberigschte Stander (der oberste Ständer) usw.

Zwar gibt es im Dialekt nindert für ‘nirgends, nirgendwo’, aber es gibt kein “irgendwo”, sondern diese Angabe muss mit af an Ourt, afinourt und ‘von irgendwo her’ mit fin an Ourt oder afinourt hee(r) umschrieben werden.

Viele Orts- und Richtungsangaben sind im Dialekt gleich konstruiert wie in der Standardsprache, z.B. fourn Haus (vor dem Haus), afn Tisch (auf dem Tisch). Da jedoch alle Präpositionen im Dialekt mit dem Dativ gebraucht werden, auch jene, die im Standard den Akkusativ verlangen, wenn sie die Richtung, und nicht den Standort angeben, werden sie im Dialekt durch die Richtungsangabe ergänzt, wo es notwendig erscheint. Wir sagen also: af der Ålb’auchn (auf die Alm), in Kelder oochn (in den Keller), af Pfelders inhn (nach Pfelders). Das ‘hinauf’, ‘hinunter’ und ‘hinein’ können wir uns in der Hochsprache ersparen, im Dialekt jedoch brauchen wir es, denn jemand kann auch af der Ålb’oubm (auf der Alm), in Kelder untn (im Keller) usw. sein. Deswegen sagen wir s Pëlschterle ligg a der Oufnprugg’oubm (der Kleine Polster liegt auf der Ofenbrücke) oder lëigs afn Wålkn auchn! (leg es aufs Fensterbrett!), luën di Låtte zi der Maure zuëchn! (lehn die Latte an die Mauer!). In einer wissenschaftlichen Beschreibung werden diese zusätzlichen Angaben bei Schweizer Dialekten als überflüssig oder übergenau bewertet. Ich kann das für das Schweizerische nicht beurteilen: für unsere Dialekte ist das jedenfalls nicht zutreffend, denn man kann in der Kåmmer auchngiën (in die Kammer hinaufgehen) oder in der Kåmmer oubm zin Fenschter durch giën (in der Kammer ans Fenster gehen). Zwar stimmt es, dass in diesem Fall das oubm nicht notwendig wäre, aber da wir in unserem Dialekt bei all diesen Richtungs- und Ortsangaben den Standort des oder der Sprechenden mit einbeziehen (weil wir das in vielen Fällen aus Gründen der Klarheit auch müssen), sagen wir eben in der Kåmmer oubm, in der Kuchl afoure, in Ståll entn.

Fragt man jemanden, wohin er fahren will, kann er sagen ii foor iëz Plåtte zuë (ich fahre jetzt gegen oder nach Platt) oder er sagt, dass er huëmzuë (heimwärts) geat. Das ist nicht viel anders als in der Schriftsprache. Aber zuëchn hat ganz verschiedene Bedeutungen. Zunächst einmal bedeutet es ‘hin zu etwas’: zuëchn zin Poorn!, sagte man zu den Kühen, und dann auch scherzhaft als Aufforderung an die Leute, sich zu Tisch zu setzen. Aber auch ‘nahe bei, an etwas dran’ bedeutet es, di Goaße schaatnen entn pan Goodn zuëchn (die Ziegen halten sich drüben eng am Heuschuppen im Schatten auf). Und da unsere Welt eine Welt in Hanglage war, waren für uns die Angaben von oben und unten mindestens so wichtig wie die über Lage und Richtung in der Ebene. So hatte zuëchn auch die Bedeutung ‘zum Berg hin, nach oben’, in Kloubm måggsch’a Prëckl waiter zuëchn ruckn (die Umlaufrolle solltest du etwas weiter nach oben rücken), pa Guëtwetter giën di Schoof’ålbm zuëchnwerts (bei Hochwetterlage gehen die Schafe immer in die Höhe).

Zu beachten ist, dass iiber nicht wie in der Hochsprache die Bedeutung von ‘über, höher als’ hat, sondern nur für ‘die Bewegung über etwas drüber’ steht. Man sagt ii gea iiber der Prugge (ich gehe über die Brücke), di Goaße sain iibern Zaun khupft (die Ziegen sind über den Zaun gesprungen), aber der Moon’isch grod oubern Kolbmer (der Mond steht gerade über dem Kolmer) und oubern Holz ist ‘über der Waldgrenze’. Das Gegenteil von ouber ist unter, das wir also gleich verwenden wie in der Standardsprache. Für das Stockwerk oder die Etagen über uns sagen wir ouber ins oder oubmau oubm, entsprechend für die unter uns untnau untn sowie d’Oubmauign (die über uns wohnen) usw. Die Zimmerdecke heißt Ouberpoudn, und was sich auf der Oberseite von einem Objekt befindet, ist oubmpfiir oubm.

Eine Besonderheit vieler süddeutscher Dialekte ist es, dass Richtungsangaben auch mit Modalverben wie wëlln, låssn, solln, miëßn, tërfn oder sogar mit sain eine Bewegung in die entsprechende Richtung beschreiben. So kann man z.B. sagen Wail sii entn auchn isch, sain d’uën ahië ooër (während sie drüben hinaufgegangen ist, sind die anderen auf dieser Seite heruntergekommen), wennd’er ggschwind nooch waarsch, haschise nou derwuschn (wenn du ihr schnell gefolgt wärest, hättest du sie noch erwischt). Das kann sich natürlich nur auf Vergangenes beziehen. Anders bei den Modalverben: Wenns di Goaß’amåll derglicknt hoobm, wëllns’ålbm in di Felder inhn (wenn die Ziegen es einmal erfasst haben, wollen sie immer in die Wiesen hineingehen); eer wollt schun zin ins außer, ober di Muëter låtn nit aweck (er möchte schon zu uns herauskommen, aber die Mutter lässt ihn nicht weggehen), doo tërftis nit inner (hier dürft ihr nicht hereinkommen). Und man kann in Mittoog mitn Paandl in di Maader auchnlåssn (das Mittagessen mit der Seilbahn in die Mähder hinaufschicken).

Dass Orts-, Ziel- und Richtungsangaben im Dialekt gerade so genau, aber auf etwas andere Art beschrieben werden als in der Hochsprache, verdeutlicht die Angabe drau inhn. Uënder isch außnggflougn und der åndere drau inhn (einer ist hingefallen und der Nächste auf ihn drauf). Während bei “drauf” im Standard die Vorstellung, dass jemand von oben herab auf den fällt, der schon da liegt, ist im Dialekt die Vortstellung vorherrschend, dass der andere von der Seite oder von hinten kommend auf den Liegenden fällt. Es gibt auch drau auchn, aber das verwendet man nur, wenn etwas von unten kommend auf etwas anderes drauf gelegt, geworfen etc. wird. Doo entn steat a Truuche; stëll in Korb lai drau auchn (da drüben steht eine Truhe; stell den Korb einfach drauf). Entsprechend drau oubm: Siggsche dës Kaschtl doo entn? Der Håmmer miëßit drau oubm liign (siehst du das Kästchen da drüben? Der Hammer sollte oben drauf liegen).

Auch für allgemeinere Angaben werden die Ortsadverbien verwendet. Es gibt Sommer, in denen es oubm ummer truckn geat (auf den Höhen zu trocken ist) und im Frühling sagen die Hinterpasseirer afour’außn werts schun oonhëibm griën (in Außerpasseier beginnt es schon zu grünen).

Und schließlich werden sie auch im übertragenen Sinn genutzt. Når ischer wider oubmau giweesn bedeutet so viel wie ‘dann hatte er wieder Oberwasser’. Wenn einer kurz vor dem Bankrott steht, når ischer zwischen Melchn und Ausaichn, und wenn er dann wirklich pleite geht, dann heißt es oft deer håtn schun a Woltis neebmum gitoon (der hat sich allerdings ziemlich etwas auf die Seite geschafft). Manchmal haben sie in der Familie ein Kind neebmaus, das heißt, dass es ‘stiefmütterlich behandelt’ wird, und manchmal geat ållerhånt neebmaus (wird ziemlich einiges unrechtmäßig abgezweigt). Was nicht ins Ziel kommt, ist neebmfiir gångin (vorbei gegangen). Froh ist einer, wenn er neebmhee ëppis derzuëferdiënt (nebenbei etwas dazuverdient). Aber neebmpai (nebenbei) heißt es auch im Passeier wie überall, dass der Taifl zin groaßn Haufn zuëchnschaißt.