Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


ët, frai und hou

Kurz und bündig im Dialekt

Es gibt Wörter im Dialekt, die es im Standard nicht gibt oder die dort eine ganz andere Bedeutung haben, anders gebraucht werden und oft auch schwer übersetzbar sind. Es geht hier nicht um Wörter wie Feachn (Sommersprossen) oder Hëitsche (Kröte), für die andere Dialekte andere Bezeichnungen haben und deren Gebrauch keine Besonderheiten aufweist, sondern um so Wörtchen wie ët oder frai oder hou. Außerdem gibt es Äußerungen, die man nicht als Wörter bezeichnen kann, die jedoch genauso wie Wörter eine feste Bedeutung haben, obwohl sie mit normalen Schriftzeichen nicht wiedergegeben werden können.

Das einfachste von diesen ist noch hou, mit dem die Passeirer als Erstes in Verbindung gebracht werden. Wir haben es mit den Ötztalern gemeinsam, aber man hört es immer seltener, wohl weil wir damit abgestempelt worden sind. Es steht für das süddeutsche gelt oder gell und für das standarddeutsche ‘nicht wahr’. Man erwartet damit eine Bestätigung dessen, was man gerade gesagt hat. Hou, sell såggsch duu aa oder hou, duu håsch selber ggseechn. Das heißt so viel wie: ‘Stimmt es etwa nicht, dass du das selber gesehen hast?’ Manchmal liefert es auch eine Erklärung für etwas, was vorgefallen ist: hou, zem håt eer gimuënt, iëz kannt dës asou giën (gelt, da hat er gemeint, jetzt könnte das so gehen). Das wäre dann die Erklärung, warum einer etwas so gemacht hat und nicht anders. Entscheidend für die Bedeutung der Äußerung ist immer auch der Tonfall, in dem sie erfolgt. Auch nachgestellt kann es werden Kimmsch’ins helfn, hou? (du kommst doch uns zu helfen, nicht wahr?).

Die Herkunft des Wortes ist leicht erklärbar, wenn man bedenkt, dass wir statt sell oft hell sagen und auch statt zem manchmal hem. Es ist also naheliegend, dass dieses hou von sou kommt, denn wir sagen tatsächlich manchmal sou, miër hoobms iimile geebm! (gelt, wir habens ihnen gegeben!).

Etwas komplizierter ist es bei ët. Es hat nichts mit der pusterischen Verneinung et oder ette (nicht) zu tun, sonderen es kommt im mhd. ëtewer, ëteswa (irgend jemand, irgend etwas) vor und ist auch im standardsprachlichen “etwas” erhalten wie in unserem ëppis, und die Schweizer sagen auch noch epper für ‘irgendeiner’.

Auch dieses ët haben wir mit mit den Ötztalern gemeinsam. Es bedeutet ‘gewöhnlich, häufig, immer wieder’. Zem håt der Footer ët giprottlt (da hat Vater gewöhnlich/immer geschimpft). Dieses “immer” meint nicht allgemein immer, sondern bezieht sich auf die beschriebene Situation: Noochn Mittoog leggers’ët a pissl niider (nach dem Mittagessen ruht er sich gewöhnlich ein Weilchen aus). Wenn jemand sagt Når håts’ët a sou kluëgl gilachilit (dann hat sie gewöhnlich so verschmitzt gelächelt), hat er/sie vorher die Gelegenheiten geschildert, bei denen das passiert ist. So auch Wenns’ëppis prauchn, kemmins’ët zi miër (wenn sie etwas brauchen, dann kommen sie immer zu mir). Gaalign isch der Schnea når ët schun wider aweckgångin (irgendwann ist der Schnee dann doch immer geschmolzen) bezieht sich auf vergangene Winter, die sehr lange gedauert haben. Matthias Insam Insam, Matthias (1936): Der Lautstand des Burggrafenamtes von Meran. Mit einer dialektgeographischen Studie. Leipzig: Hirzel, S. 92. , der in den 30er Jahren einen Rabensteiner die Geschichte vom meineidigen Schenner erzählen lässt, legt ihm bei der Beschreibung des Steines, auf dem der Teufel rastet, den Satz in den Mund: wië deer Stuën hoaßt, woaßi ët nit Das Original ist in Lautschrift; ich geb es wieder in der Schreibung unseres Wörterbuches. . Hier liegt ein Missverständnis vor, denn ët würde nur Sinn machen, wenn der Erzähler häufig nach dem Stein gefragt würde und ihm der Name dann nicht einfiele. Eher hat der Rabensteiner wohl ëtz oder iëz gesagt; das könnte passen.

Manchmal kann dieses ët auch durch gearn ersetzt werden, wie in Äußerungen Wenns asou reasch zuëtuët, kimmp når gearn a Wascher (wenn es so schnell bewölkt wird, kommt gewöhnlich ein Platzregen). Dieses gearn ist im gesamten bairischen Raum in dieser Bedeutung verbreitet. Karl Kraus schildert, wie sich um 1900 ein Reisender auf einem kleinen oberösterreichischen Bahnhof nach dem Zug nach Wien erkundigt und die Auskunft erhält: “So um aran elfe kummt er gern” (so gegen 11 Uhr kommt er normalerweise). Anders als bei ët wird mit gearn gelegentlich die logische Folge von vorher genannten Bedingungen wiedergegeben (siehe: tian als Vollverb .): Wennse pang weern, tiënse når gearn hiinschwingin (wenn sie Brucellose bekommen, haben sie häufig Fehlgeburten).

Ein anderes Wörtchen, das eine eigene Beschreibung verdient, ist frai. Natürlich gibt es frai in der Bedeutung von ‘frei’ auch im Dialekt, aber es gibt eben auch ein ganz anderes frai. Når hoobmsise frai derlåcht heißt ‘dann haben sie herzhaft gelacht’. Und eer håt frai gitaiflt bedeutet ‘er hat wüst geschimpft’. Oft hat dieses frai nicht nur die Bedeutung, dass etwas sehr intensiv oder mehrmals hintereinander geschieht, sondern auch, dass es in der Situation nicht hätte geschehen sollen: Ii pin lëtz giweesn, und d’uën hoobm frai ggspëttlt (mir war schlecht, und die andern haben dauernd gespottet); ståtts dasser stille giweesn waar, håter frai gipoldert (anstatt sich still zu verhalten, hat er sich noch gebrüstet). Mit Vorliebe steht das Wörtchen bei emotional geprägten Äußerungen wie låchn, rearn, schimpfn usw.

Das in ganz Tirol und in Salzburg und Kärnten verbreitete lai brauchen wir nicht weiter zu beschreiben. Es hat die gleiche Herkunft wie “gleich”, hat aber eben die Bedeutung von ‘nur, doch’ usw. angenommen, so in: Lai nit noochgeebm! (nur nicht klein beigeben!).

Eine etwas stärkere Verneinung als naa ist nuë(n) (auszusprechen nuë̃ ). Es wird allerdings nicht für Absagen oder Zurückweisungen benutzt, sondern nur für die Verneinung von Aussagen oder Anfragen: Ischer schun kemmin? – nuë̃.

Ein besonderes Wort ist auch dou. Es ist sicher eine Sonderform von ‘doch’, das bei uns jetzt dëcht oder dëchter lautet, aber dieses dou besagt ganz etwas anderes. Sehr häufig wird es zusammen mit wenn verwendet: wenn dou, når geasche frisch! (wenn schon, dann geh doch gleich!). Das verkürzt die Aussage sehr stark, denn gemeint ist: ‘Wenn du schon gehen willst, dann geh doch gleich!’ Noch stärker verkürzt ist die Aussage bei tiën wië dou di Lait, was so viel bedeutet, wie ‘sich so benehmen wie die Leute, die wissen, wie man sich zu verhalten hat’, oder ‘wie die ordentlichen Leute’. Aussagen wie wenns pa der Årbit dou fuxt (wenn es bei er Arbeit wirklich Probleme gibt), oder wenn uënder dou will, når geats aa (wenn einer wirklich will, dann geht es auch) zeigen an, dass es sich dabei um intensive und ernsthafte Vorgänge handelt.

Es gibt viele alte Formeln mit dem Namen Gottes, die mit der Zeit sich stark verändert haben, wie Helfgott, in Gottsnåmmin, Fergellsgott usw. Dass dazu auch ggoggee gehört, mag sonderbar wirken, ist aber so: es kommt von ‘Gott gebe’, hat aber eine ganz andere Bedeutung bekommen: eer tuët, wiëer will, ggoggee, ob du schwårz såggsch oder waiß (er tut, wie es ihm passt, gleichgültig, ob du “schwarz” sagst oder “weiß”). Vielleicht ist es so herzuleiten: “Gott gebe, was er mag, doch der oder jener tut doch, was er will.”

Neben iëz gibt es für ‘jetzt’ auch ëtz. Beide dienen nicht nur der Angabe der Jetztzeit, also des gegenwärtigen Moments, sondern werden auch dazu benutzt auf bestimmte Situationen in einer Erzählung zu verweisen. So würde iëz håt eer gimuënt, eer kånn doo ålls liign låssn (da hat er gemeint, er könne einfach alles liegen lassen) andeuten, dass jemand aus dem, was vorher war, den Schluss gezogen hat, dass er alles liegen lassen kann. Am Beginn einer Äußerung wirkt ëtz oft als Einführung einer scharfen Mahnung oder Warnung: ëtz, hear amåll au! (ach, hör doch endlich auf!).

Zu unserer Alltagssprache gehören eine Reihe von “Wörtern”, die keine sind. Es handelt sich um einzelne Laute oder Lautgruppen, die eine präzise Bedeutung haben, aber in keinem Wörterbuch zu finden sind, weil sie auch mit den üblichen Schriftzeichen nicht leicht wiederzugeben sind.

Nehmen wir nur das Wörtchen hã' ' Dieses Zeichen bedeutet, dass die folgende Silbe stark betont gesprochen wird oder die vorhergehende sehr kurz und abgehackt. . Das a ist in diesem Fall ein kurzer durch die Nase gesprochener Laut Das Zeichen ˜ über einem Laut bedeutet, dass dieser nasaliert ist, d.h. stark durch die Nase ausgesprochen. . Gelegentlich kann man die witzige Bemerkung hören oder lesen, dass der Dialekt viel weniger umständlich ist als die Standardsprache, weil man in ihm die Rückfrage “Wie bitte?” oder “Was haben Sie gerade gesagt?” mit hã'?, also mit einer Silbe wiedergeben kann. Allerdings wird man es nur mit guten Bekannten verwenden; mit Fremden oder Vorgesetzten wäre es unhöflich.

Eine andere Äußerung dieser Art ist ãã-sou?, das so viel besagt wie ‘tatsächlich?, ist das so?, wirklich?’. Man sagt es, wenn man leicht erstaunt ist oder etwas hört, das einem ganz neu ist, z.B. ãã-sou, hoobmse sell in deer Zait dertoon? (ach, tatsächlich, haben sie das in dieser Zeit geschafft?).

Ein vieldeutiges Wörtchen ist auch hoi, bei den Jungen ist es oft auch hoila. Abgesehen davon, dass es von dieser Altersgruppe auch als Grußformel benutzt wird, drückt es ebenfalls oft Überraschung oder Erstaunen aus: hoi, pischtuu aa schun doo?! (ach, bist du auch schon da?!).

Ähnlich, aber doch etwas anders wird ãã-'hã verwendet. Man sagt es, wenn etwas bestätigt wird, was man sich eigentlich schon gedacht hatte: ãã-'hã, iëz hånis woll ggseechn (ach ja, jetzt hab ichs gesehen).

Staunen wird auch durch jëiggis ausgedrückt, manchmal wird es auch durch naa verstärkt, also jëiggis naa!, aber auch jëigerle kommt vor. Dass es sich dabei um ein verhüllendes Wort für Jesus handelt, wie bei Jëssislummin oubm (Jesu Namen oben) ist nicht von der Hand zu weisen. Ähnlich ist es auch bei jëi taigl, wo sicher der Teufel abgeschwächt erscheint. Bei uns in der Familie kursierte der Ausspruch eines Knechtes, der sehr gern Süßes aß und den man deswegen auch s siëße Seppile genannt hat. Als man beim Kournschnaiden zum Mittagessen ging, soll er ausgerufen Haben: Jëi taigl, haint schmëckt min schun di Krapfler! (Holla, heute riecht man schon die guten Krapfen!).

Eine Bestätigung oder Bejahung wird mit 'ũ'hñ ausgedrückt, allerdings kaum als Antwort auf eine Entscheidungsfrage, sondern als Zuspruch auf eine Äußerung, mit der man sich einverstanden erklärt. Wenns auheart zi reegnin, når kanntmer haint nou a Prëckl maan. – 'ũ'hñ. (Wenn es aufhört zu regnen, könnten wir heute noch ein Stück Wiese mähen. – Ja doch). Die Verneinung wäre dann 'hñ'ñ, wobei die beiden mit einem stärkeren Luftstoß durch die Nase artikuliert werden.

Für die Bejahung gibt es natürlich auch joa, und normalerweise wird es auch dazu verwendet. Aber es gibt auch zwei verkürzte Formen des Wortes, die für etwas anderes stehen. Ein kurzes ja' drückt Staunen oder Verärgerung aus, vor allem kombiniert mit iëz: ja' iëz, wos isch denn doo lous! (was soll das hier!). Und ein kurzes jå' kann für ‘freilich, allerdings’ stehen: er isch jå' schun doo giweesn (er war doch schon da).

Von der Führung der Pferde kommen hii und ee oder eeha. Ersteres soll die Pferde in Gang bringen und das Zweite ist das Kommando zum Halt. Während hii wirklich nur dafür verwendet wird die Pferde anzutreiben, spielt eeha auch in der Rede mit Menschen eine Rolle. Es drückt aus, dass man sich eher das Gegenteil von dem erwartet hätte, was eingetreten ist oder was man da hört. Eeha, sell werter dëcht nit dee schiëne Huëmit heegeebm! (Ach nein, er wird doch nicht diesen schönen Hof verkaufen!). Oft wird es auch als Warnung ausgesprochen: Eeha, Pirschl! (halt, Bürschchen, so geht das nicht!). Auch als Entschuldigung kann es dienen; dann lautet es manchmal auch ooha und bedeutet ‘Entschuldigung, so hab ich das nicht gemeint’.

Um Tiere, vor allem Federvieh zu verscheuchen, verwendet man ggschsch-ggschsch.

Für “ja” und “nein” gibt es zwei besondere Laute, die schwer wiederzugeben sind. Ersteres ist ein schsch, bei dem die Luft zwischen den Zähnen eingezogen wird, oft begleitet mit einer bejahenden Kopfbewegung. Und das Nein ist ein Schnalzlaut, der wie tz klingt, bei dem die Zunge sich jedoch sehr schnell vom Gaumen und den Vorderzähnen löst.

Wenn man jemandem etwas überreicht, sagt man dazu oft sä'. Das ist weit verbreitet und man hat seine Herkunft von “sehen” erklärt. Die Bedeutung ist auf jeden Fall ‘da, nimm es! ich geb es dir’, sä', doo håsch’an Preezn! (Nimm, da ist ein Brezel für dich!).

Eine Bejahung mit einem gewissen Nachdruck wird mit hoo! ausgedrückt. Sagt einer: Haint isch wider amåll kålt (heute ist es wieder einmal kalt) – Antwort: hoo! (und wie!).

Zwar ist hoaß (heiß) ein ganz normales Eigenschaftswort, aber als Ausruf bei einem plötzlich auftretenden, stechenden Schmerz hat es eine ähnliche Bedeutung wie au oder aua, während och eher für anhaltende Schmerzen steht und, da häufig wiederholt, auch als Verb erscheinen kann, indem erzählt wird, dass jemand fort gocht håt (dauernd vor Schmerzen gestöhnt hat).

Hau-ruck, das es auch im Hochdeutschen gibt, dient der Koordinierung eines gemeinsamen Versuches, eine schwere Last zu bewegen, wobei hau die Beteiligten vorwarnt und ruck zum schnellen Krafteinsatz aufruft.

Dass Kinder auch ekelhaft miteinander sein können, wird durch einen Ausdruck intensiv erlebter Schadenfreude bestätigt, denn eenggiluss putziggeenggiluss heißt nichts anderes als ‘geschieht dir recht, ich gönn dirs!’, wenn es ausgerufen wird, sobald jemandem etwas Unangenehmes zustößt. Dieses -iluss, auch -iliss wird sonst nur für Spielerisches verwendet (siehe tëi-tëi, Kindersprache); hier drückt es Belustigung aus, wenns jemand anderem schlecht geht. Meistens ist jedoch fünf Minuten später wieder alles vergessen.