Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Råfaine, Ploon und Griëne (Teil 1)

Gelände- und Ortsnamen

Vor Jahren, als Harald Haller das Gasthaus in Moos umbaute, hat er mir einen dort im Keller gelagerten Wegweiser mit der Aufschrift PLAN gezeigt, unter die jemand hingeschrieben hatte: “Wir brauchen keine welschen Namen”. Das hat mich, obwohl ich kein Namensforscher bin, dazu bewogen, über die Orts- und Geländenamen unseres Tales mehr in Erfahrung zu bringen. Ich finde es nämlich schade, dass sich die ganze Diskussion auf die faschistischen Übersetzungen und Fälschungen konzentriert, die alles Romanische einfach als “italienisch” erklärt haben.

Pfelderertal Foto: Florian Lanthaler Pfelderertal

Als die Baiern ins Land kamen und nach und nach auch die kleineren Alpentäler besetzten, haben sie sich mit den Romanisch sprechenden Alpenbewohnern vermischt, die uns neben ihren Genen auch viele geografische Namen hinterlassen haben. “Welsch” kommt vom Namen eines keltischen Volksstammes. Ahd. walahisk heißt ursprünglich “nicht germanisch” und steht in England für “walisisch”, in der Westschweiz und bei uns für “romanisch”, weil die nicht-germanischen Nachbarn der Engländer Gälen waren und die unseren eben Romanen. So gesehen haben bei uns viele Gegenden und Orte welsche Namen. Wer den Kommentar auf den Wegweiser geschrieben hat, ist dem faschistischen Denkmuster erlegen und hat “romanisch” mit “italienisch” gleichgesetzt. Außerdem hat er nicht gewusst, dass die Zeppichler früher gesagt haben giëmer af Ploon oochn a Glaasl trinkn!, denn das Dorf hieß früher Plan, nur das Tal hieß Pfelders, und dieser Name, wird behauptet, ist vorromanischen Ursprungs, aber auch er ist über die Romanisch sprechenden Alpenbewohner zu uns gekommen. Und oben schaut noch der Planferner herunter – noch. Und sein Name ist keine faschistische Erfindung.

Da die Orts-, Gelände- und Hofnamen von Passeier zwar zu einem guten Teil beschrieben sind, aber eben in verstreut erschienener Fachliteratur, die nicht jedem zugänglich ist, wollte ich hier einfach einmal einen kleinen Überblick versuchen, der für alle lesbar ist. Diese Namen sagen etwas darüber aus, woher wir kommen und wie unsere Vorfahren in diesem Tal gelebt haben.

Die Namen sind Teil unseres sprachlichen Erbes und ihre Lautung im Dialekt ist die lebendig gewordene, von der die “offizielle” nur eine Anpassung an die jeweilige Schreibkonvention darstellt. Nehmen wir Ggåmioon. Wenn es, wie die Namensforscher versichern, ein Prädienname ist, also der Name eines Gutes, das nach dem Besitzer desselben, Camiu, benannt wurde, daher der Name des Gutes Camianu, dann ist die Aussprache, die wir mit gg wiedergeben, genau die richtige, denn das c wurde von den Romanen – außer vor e und i – nicht wie unser verschobenes k (als kh oder kch) ausgesprochen, sondern so wie wir Ggigger oder Ggugguu sagen. Die Schreibung Gomion mit nur einem g ist also eine Anpassung an die Standardschreibung, in der nur g oder k möglich ist, wobei k eben zu einer falschen Aussprache führen würde.

Ggåmioon Foto: Florian Lanthaler Ggåmioon

Im Folgenden geht es nicht darum, alle Geländenamen im Passeier aufzuzählen und zu erläutern, sondern einige Teile dieser Landschaft zum Sprechen zu bringen, sie etwas von ihrer Geschichte erzählen zu lassen. Da dies nur beispielhaft und nicht systematisch geschehen soll, erlaube ich mir, wo es um kleinräumige Beschreibungen geht, mich auf die Gegenden zu beschränken, die ich am besten kenne.

Die Namengebung

Die Geschichte einer Gegend, die Orts- und Geländenamen erzählen, ist aus ihnen nicht immer leicht herauszulesen, denn gelegentlich haben die Jahrhunderte sie abgeschliffen, so wie Gletscher und Bäche unsere Berge und Täler abgerieben und durchfurcht haben. Man denke nur, welche Menschen es waren, die dem Gelände und den Orten die ersten Namen gegeben haben, welche Sprachen das waren und wie diese später von anderen Sprachen überlagert wurden. Allein seit der deutschen Besiedlung im Mittelalter haben sich manche Namen mehrfach verändert, wie man an den z.T. urkundlich gut belegten Hofnamen ablesen kann. Wenn man etwa den Namen Zeppichl in Pfelders zurückverfolgt, so stößt man 1712 auf den heutigen Namen, 1575 heißt es noch “am Zeepüchl”, 1531 “Zetpuchlhof”, 1526 ist von einem “Stofl Zepuhler” (auch das u in diesen Namen ist als ü oder i zu lesen) die Rede, 1493 “Zeppuchlhof”, 1394 heißt es “Zetpühel” oder “Zettpühel”, und die erste Erwähnung 1369 spricht von einem “Zetpuhler”. (Tarneller 1017). Das sind noch vergleichsweise geringe Veränderungen.

Zeppiichl Foto: Florian Lanthaler Zeppiichl

Dennoch ist in den Namen, wenn man genauer hinschaut, ein System zu erkennen. Denn die Menschen haben dem Gelände nicht beliebige Namen gegeben, sondern “bezeichnende”, das heißt, sie haben passende Namen gesucht. Dass der Zeppichl ein Piichl (Hügel) war, auf dem es Zeetn (Beerensträcher) gab, dass dort also Glaan (Preiselbeeren), Schwårzper (Heidelbeeren) und vielleicht auch Schwingglpëir (Rauschbeeren) wuchsen, war für die Namengebung entscheidend.

Zeetn Foto: Franz Lanthaler Zeetn

Dieser Name ist ein Beispiel dafür, dass es das Gelände und die Vegetation waren, nach denen man sich bei der Benennung oft gerichtet hat. In Rabenstein heißt ein bewaldetes Almgebiet Larche, es hat also vom Baum den Namen erhalten. Dieses Larche ist wie Pirche, Puëche usw. ein Beispiel dafür, dass die Endung vieler alter Kollektivnamen auf -ach im Passeier zu -e abgeschwächt worden ist, denn in alten Dokumenten steht noch Pirchach, in einem späteren Dokument Pirchá, und heute heißt es eben Pirche. So wie wir auch Winde sagen, zu dem Tal, das die Ötztaler noch Windach nennen. Anderswo ist diese Silbe zu ‑ich abgeschwächt worden, wie eben bei Pråntich. Dieses alte -ach nennt man ein Kollektivsuffix, denn es bezeichnet ursprünglich eine Gegend, in der mehrere Larchn, Pirchn, Puëchn usw. standen.

Allerdings sind nicht nur die Beschaffenheit des Geländes und die Vegetation entscheidend für die Namengebung, sondern es gibt auch andere Motive, wie wir noch sehen werden.

Die Geländeformen

Vielfach waren es, wie gesagt, die Geländeformen, die die Namengebung beeinflussten. So gibt es im Dialekt eine ganze Reihe von Bezeichnungen für Geländeformen, die dann oft im Einzelnen mit besonderen Namen gekennzeichnet wurden, sodass jedes kleine Tälchen und jede Erhebung ihren Namen bekam. Solche das Gelände beschreibenden Bezeichnungen sind: Laite, Saite, Ruën für steile Hänge. Laaner heißen steile Hanglagen, wenn es sich dabei um Lawinenstriche oder ein Erdrutschgelände handelt.

Kleinere, mehr oder weniger ebene Flächen heißen Poudn oder Pëidile, und Ëibmt dann, wenn es sich um eine ausgedehntere Ebene handelt. Loch oder Hëlle heißt oft ein Gelände mit Einbuchtung; doch Hëlle als Geländename kommt nicht von Hölle, sondern hat mit hohl zu tun – man denke an die Kåmproodhëlle bei der Mühle und die Oufnhëlle für den freien Raum hinter dem Ofen in der Stube. Såck, Sëige oder Wiëge heißen Mulden, auch Këssl kann man zu diesen rechnen. Flussniederungen heißen Aue oder Sånt. Sowohl bei der Aue in Moos als auch bei Schiënau hinter Rabenstein haben auch die angrenzenden Hänge den Namen mit angenommen. Von geschichtlichem Interesse sind zwei Sante in Passeier: da ist einmal der Sånthouf und dann der Seasånt in Rabenstein, nämlich der Boden des ehemaligen Kummersees. Knottn, Schroufn und Giriëp stehen für steiniges, felsiges Gelände. Schroufn, Schroufe hat mit schroff zu tun und beschreibt schwer zugängliches, meist brüchiges Gelände. Einen Berg, der so heißt, wie die Schnalser ihn haben, di Schrëif (Schröfwand), gibt es bei uns allerdings nicht.Und natürlich Koufl und Gguufl, die für viele Familiennamen in Südtirol verantwortlich sind. Ersteres bezeichnet eine Felswand oder felsiges Gelände, das nicht ganz senkrecht, aber schwer zugänglich ist, und Letzteres steht für einen überhängenden Felsen. Muëre sagt man zu einem Erdrutschgelände oder zu den dadurch aufgehäuften Erdmassen, aber es kann auch als Geländename für sich stehen, wie bei der Muëre hinter Hahnebaum, wo der ganze Berg in Bewegung war und wo man erst in letzter Zeit durch Entwässerung eine gewisse Stabilisierung erreicht hat.

Gguufl Foto: Franz Lanthaler Gguufl

Neader ist an sich die Nordflanke von Bergen; in Rabenstein heißt das gesamte Almgebiet der Hitter, Ruëner und Ilbmer am Nordhang des Pfausis so. Das Ëgge erklärt sich von selbst. Der Hofname Ggoschter und die Ggoschtwånt sowie die beiden Ggoschtålbmin in Rabenstein gehen auf roman. costa zurück, das für Laite stand. Joch steht nicht nur für einen Einschnitt im Bergkamm, der als Pass oder Übergang dient, wie das Timbls-, das Gloatner-, das Wånserjoch oder das Aisjëchl, sondern es kann auch wie Schnaide für einen Grat stehen.

Ggoschtwånt und Waißspitz Foto: Franz Lanthaler Ggoschtwånt und Waißspitz

Gipfel heißen häufig Spitz oder Kougl. Das stimmt meist mit ihrer Form überein: bei Ersteren, weil sie aus der Sicht von unten eine Spitze bilden, und bei Kougl, das von rom. cucullu kommt, ist die ursprüngliche Bedeutung ‘Kapuze’ und dann ‘abgerundeter Gipfel’.

Hoachfirscht und Granootkougl Foto: Franz Lanthaler Hoachfirscht und Granootkougl

Tool unterscheidet sich nur lautlich von der hochdeutschen Bezeichnung und bedeutet auch dasselbe; allerdings hieß so manchmal auch eine kleinere Einbuchtung in einer Wiese, obwohl man nicht auf den ersten Blick an ein Tal gedacht hätte. Ein Loos ist meist ein abschüssiges Tälchen, und wenn es – was oft der Fall war – für den Holztrieb verwendet wurde, ist es ein Holzloos. Obwohl man bei Prunnin und Prindl nicht eigentlich von Geländeformen sprechen kann, haben oft Quellgebiete einen entsprechenden Namen.

Pånk, Stëile oder Pånt nennt sich ein meist schmales flaches Band im steilen Gelände oder in einer Felswand. Plaise ist eine steile Grasfläche im Wald. Es ist wahrscheinlich vorrömischen Ursprungs und kommt über das Romanische zu uns.

Piichl haben wir bereits gesehen; solche gibt es im ganzen Land, und der Name Pichler, sowohl als Familien- wie als Hofname, ist weit verbreitet. Das Wort gehört zum hochdeutschen Bühel, wofür man heute fast immer Hügel sagt. Auch Puggl, als Gegenteil von Sëige, kommt oft vor. Es ist sprachlich mit Piichl verwandt, denn beide kommen von “biegen”. Ein Porzn ist eine kleine Erhebung oder Unebenheit im Gelände, vor allem im Feld.

Pinggl, Hourn und Kopf sind ebenfalls “sprechende” Namen für rundlich aufragende Geländeformen, von denen die ersten beiden auch Höfen in Rabenstein den Namen gegeben haben.

Schaib- bezeichnet etwas Rundes, manchmal für einen rundlichen Grasfleck und wir finden es auch bei Gewässernamen. Schaibkopf gibt es zweimal: einmal auf dem Kamm zwischen Seebertal und Pfelders und einmal da, wo die Timmelsjochstraße über der Stuënignwoade die nordöstlichste Kehre macht.

Weil man oft im Gelände eine genaue Orientierung haben wollte, hat man auch ganz unscheinbaren Formen einen Namen gegeben. So gab es ganz in der Nähe von unserem Haus in Saltnuss auf dem Schul- und Kirchweg einen ganz kleinen Porzn, der Partls Piichl hieß.

Saltnuss Foto: Florian Lanthaler Saltnuss

Ggfëll und Stickl stehen für das Gefälle und die Steilheit im Gelände, aber sie können auch einer Flur oder einer ganzen Gegend den Namen geben, wie Ggfëll hinter Hahnebaum und die Stickl hinter St. Leonhard beweisen.

Ein Feld auf Fëss, auf halbem Weg zum Schneeberg, das uns und unserem Nachbarn gehörte, hieß di Tiëfe. So werden in ganz Tirol öfter Einbuchtungen im Gelände genannt. Ein kleiner Streifen Wiese östlich davon, jenseits des kleinen Baches, der vom Karlstollen herunterkommt, hieß der Kroogn; vielleicht, weil sie die Form des Halses von einem Rind aufwies. Auch dass eine Wiese in Pill di Schoaß heißt, nach einer längst vergessenen Bezeichnung für die ‘Schürze’, hat wohl mit der Geländeform zu tun.

Zu Tiëfe gibt es auch das Gegenteil, nämlich Heache; das ist eine Anhöhe, meist eine flache Stelle über einem Absturz.

Gaawinte ist im Passeier ein Schneebrett oder eine Wechte. Wenn nun ein Gipfel hinter dem Waißspitz über Pill so heißt, dann muss hier oben häufig eine Wechte sichtbar gewesen sein, die die Form des Gipfels geprägt hat.Warum der Grooslaaner zwischen Girtlwånt und Schennerkëifl im Kluën Albl, das zur oberen Schenneralm gehört, so heißt, ist leicht zu erklären. Wenn ich mit meinem Vater auf dem Seemoos und in den Rossgruben bei den Kühen war, hat dieser Laaner immer grün herübergeleuchtet, auch wenn rundum schon alles braun war. Und einen Grooslaaner gibt es auch oben im Timmelstal.

Waißspitz Foto: Franz Lanthaler Waißspitz

Dass das Moor in unserem Dialekt Mous heißt und das Moos Miës, könnte für Auswärtige zu Verwechslungen führen. In unserem Tal gibt es ein paar schöne Mëiser, wie wir noch sehen werden. Für die Beschreibung des Geländes gibt es eine Reihe von Eigenschaftswörtern. Eine Gegend kann sein: ëibm (eben), oonlaage (leicht geneigt), stickl (steil), pugglt (bucklig, gewölbt), ggroppit (rau, mit kleinen Unebenheiten), santig (versandet), gåntig (mit Geröll übersät), mëisig (morastig), wiache (fett), mooger (mager), truckn (trocken, arid), hinterschaatig oder hinterschainig (mit wenig Sonneneinstrahlung); und die Jäger sprechen auch von einer schusslin Gëignt, also von einer, die gute Gelegenheiten zum Schuss bietet.

Zwar stimmt es, dass der Sattel in unserem Dialekt Såttl heißt, trotzdem heißt der Weiler auf dem ehemaligen Weg von Moos nach Stuls Sootl Hier hat ein bekannter Namensforscher leider nicht richtig zugehört. . Wer von Platt herüberschaut, versteht, warum das Gebiet so benannt wurde. Vielleicht ist die frühere gedehnte Aussprache der ersten Silbe (manche Linguisten sprechen von einer “bairischen Dehnung”) durch äußere Einflüsse bei der Bezeichnung des Gegenstandes rückgängig gemacht worden, beim Geländenamen jedoch geblieben.

Dass wir in unserem Dialekt keine eigene Bezeichnung für Moränen haben, hat damit zu tun, dass dies für die Bergbevölkerung einfach Geröllhalden waren und dass das Interesse für den Perg so wie so ein anderes war als heute. Allerdings habe ich selbst eine Namengebung erfahren, als meine Brüder im Jahr 1959 gut 250 Höhenmeter über dem Timmels Schwarzsee einen gangbaren Weg für das Muli herstellten, mit welchem wir das Material für die Becherhütte bis unter die Schwarzwandscharte brachten. Als dort ein steiler Rücken mit festgepresstem Material ausaperte, nannten sie ihn Såntruggn und gruben dort einen Weg und allen Bergsteigern, die dort hinauf wollten, sagten wir, sie sollten nicht den alten Weg durch das Geröll in der Mulde gehen, sondern über diesen Såntruggn. Nun, da der Weg nur mehr wenig begangen ist, wird die Bezeichnung wieder in Vergessenheit geraten, aber wäre zu der Zeit ein Namensforscher vorbeigekommen, hätte er wahrscheinlich den neu geprägten Namen erfahren.

Gletscher heißen im westlichen Tirol Feerner und im östlichen Kees, und eine Gletscherspalte ist bei uns eine Feernerkluft. Nun, wo das Passeier fast keinen Gletscher mehr hat, wird auch das in Vergessenheit geraten.

Feerner am Hochfirst Foto: Florian Lanthaler Feerner am Hochfirst

Vegetation

Bereits in der obigen Einführung mit Zeppiichl und Larche und Puëche usw. ist klar geworden, dass das Gelände oft nach dem Bewuchs, z.B. dem Baumbestand benannt wurde.

Die Sefiarspitze verdanken wir wohl einer Falschschreibung, denn die hat den Namen sicher vom Hof – so wie der Ortler und viele andere Berge auch – und das ist der Sefnaarer, mit n, nicht mit i . Der Name geht auf den Seben- oder Sevienstrauch (iuniperus sabina) zurück. Übrigens gibt es ein Sefnar auch in Vent. Und die Tischlwånt, auch als Cima Tavola ins Italienische übersetzt, sollte Dischtlwånt heißen, so wie es unter dem Schneeberg auch einen Dischtlpoudn gibt. Die vielen Disteln, oder vom Volk so genannten Gewächse, wie die Kratzdistel, gaben der Gegend den Namen. Schade, dass solch peinliche Verschreibungen dann einfach stehen bleiben.

Dischtl Foto: Florian Lanthaler Dischtl

Auch was auf den Karten “Draunsberg” heißt, nennen die Rabensteiner lieber Trausperg, mit der Betonung auf der zweiten Silbe, und die sollten es eigentlich wissen. Wenn man bedenkt, dass es im Bündnerland eine Reihe von Namen mit drossa oder draussa gibt, welch Erstere bis in den oberen Vinschgau reichen, könnte dieser Berg durchaus auch von daher den Namen haben. Das Wort wird auf ein vorromanisches drausa für ‘Grünerle’ zurückgeführt. Damit wäre Trausperg ein Berg mit Lutterhëggn (Grünerlen), was gar nicht so abwegig wäre.

Der höchst gelegene Hof im Passeier, nicht weit von der Seeber Alm gelegen, heißt Glaanëgge. Der Name wird auf der zweiten Silbe betont und ist als Clenekke bereits 1288 erwähnt. Die Preiselbeeren heißen Glaan(en) in einem Gürtel vom Vinschgau übers Passeier- und Wipptal bis ins Hintertux. Der große Namenskundler Karl Finsterwalder meint, es handle sich um einen Sprachrest aus früher rätischer Besiedlung.

Es gibt ein Glaanëgge unter der oberen Schenneralm, das auf der ersten Silbe betont ist. Die unterschiedliche Betonung weist wahrscheinlich auf das unterschiedliche Alter der beiden hin. Nicht weit vom ersten gibt es den Sålcher; so wird das Gelände auf der orografisch rechten Seite des Timmelsbaches hinter dem Pånkeralbl bis zum Lången Tool im Timbls genannt. Den Namen hat es wohl von der Salweide, die hier im wärmeren Klima des Mittelalters sicher wachsen konnte.

Den Geländenamen Porscht gibt es an mehreren Orten im Tal; es ist dies die Bezeichnung des steifen Borstgrases (nardus stricta), das häufig auf trockenen, steilen Hängen wächst. Wir hatten einen Finknporscht auf Föss, ein steiler Geländestreifen, der sich den Namen Porscht verdiente, weil man dort nur mit einer frisch gedengelten Sense eine Chance hatte, sodass mein Bruder einmal sagte: Liign hånidn, ober nit oo.

Unter unserem Haus hieß eine kleine Felsnase zum Bach hin Arbiskoufl; Arbisse ist bei uns die ‘Erbse’. Vielleicht kommt der Name von einer Art der weit verbreiteten wild wachsenden Platterbsen.

Landgewinnung und Nutzung

Auch die Art der Kulturlandgewinnung, meist durch Rodung, hat dem Gelände oft den Namen gegeben. Daher kommen Raut, Grait, Riëd und Prånt. Die ersten drei hängen mit dem Stamm von “roden” zusammen, das Letzte natürlich mit “Brand”, also Brandrodung. Wir und unser Nachbar hatten einen schmalen Streifen Wiese von der Straße zum Bach hinunter, der Nuifeld hieß. Der Name deutet für mich auf ein später gerodetes Gelände.

Nachdem man das Land gerodet und kultiviert hatte, hat man auch Namen aus der Kultur und der Bebauung genommen. Hierher gehören Pfarrer, Koog, Infång, Puite, die alle für eingezäunte, der besonderen Nutzung zugeführte Grundstücke stehen: das Erste ist mit ‘Pferch’ verwandt, Koog kommt von ‘Gehag, Gehege’, meist ein mit einer Mauer umgebener Platz auf der Alm für das Vieh in der Nacht oder auch für die Viehscheide. In Infång ist natürlich ‘einfangen, einzäunen’ enthalten, und Puite kommt von mhd. biunt, beunte (Grundstück, das man eingefriedet oder uneingefriedet nutzen darf). Oft gab es eine Hennin- oder Fåcknpuite beim Haus.

Wichtige Kulturgründe sind Woade und Ëtze, wie die Weidegebiete genannt werden. Das Erste steht auch für das Gras, das auf dem Weidegelände wächst, wozu man auch Woadnai sagen kann. Die Ëtze ist oft ein eingezäuntes Gebiet in Hofnähe. Auf der Alm oder in der Ëtze gibt es oft einen Leeger, wo das Vieh lagert, wenn es nicht im Stall oder in einem Koog untergebracht ist.

Neben den Feldern, die im Hinterpasseier auch so heißen – im Außerpasseier gibt es öfter auch Wiisn – sind die Maader im Berg sehr wichtige Kulturgründe; bei dem Wort ist interessant, dass die Einzahl davon Mått heißt. Die Breite in einem Mått, die man jeweils auf einmal hinaufmäht, heißt Stuël, und sogar ein solcher Streifen kann einen eigenen Namen haben. Wir hatten auf Föss ein Stück melchs Feld, das Haagernstuël hieß, wobei ich mit dem ersten Teil des Namens nichts anfangen kann, es sei denn, er hängt mit Haber zusammen, einem alten Wort für Gemeindeweide, das in den Stubaiern öfter vorkommt und im Volksmund dort auch Hager heißen kann.

Der Rand des Kornackers, der in den Kreuzworträtseln “Rain” heißt, heißt bei uns Oonewånt. Das Wort hat nichts mit Wånt zu tun, sondern mit “wenden”, denn es kommt von mhd. anwende, das ist der Streifen, wo der Pflug gewendet wird. Der obere Ackerrand hingegen, da wo beim Eeregrattlin die heraufgekarrte Erde abgelegt wird, ist s Aafer. Es könnte mit althochdeutsch afarôn (wiederholen, erneuern) zusammenhängen, denn es ist ja der Teil des Ackers, der durch Zufuhr von Erde immer wieder erneuert werden muss.

Dass es eine Koulstått an vielen Orten gibt, ist nicht weiter verwunderlich: Da es fast in jedem Dorf eine Schmitte (Schmiedewerkstatt) gab, in der man Kohle brauchte, musste diese auch hergestellt werden, und der Ort, wo der Kohlenmeiler aufgestellt wurde, wurde dann di Koulstått genannt.

Auch Wege oder Wegabschnitte haben oft dem Gelände den Namen gegeben, nicht zuletzt Troote, von der wir später noch sehen werden, aber auch Ziehwege wie Riise, die für den Heutransport auf Schlitten diente. Oft wurde steiles oder schwieriges Gelände für die spätere Spur im Schnee vorbereitet, und diese Spuren auf den Hängen wurden dann als Orientierung benannt, wie auch aus alten Dokumenten (z.B. in der Waldteilung in Prantach 1862) ersichtlich wird. Ein sehr steiler Abschnitt eines solchen Weges war ein Stich. Manchmal diente auch ein Goaßweegile (schmaler Bergsteig), das durch felsiges Gelände ausgetreten war, der Benennung der Umgebung; man sagte dann untern Goaßweegile’oubm (droben unter dem schmalen Steig).

Als Grenze zwischen den Mähdern der einzelnen Bauern wurde oft ein 20 cm breiter Grasstreifen stehen gelassen. Diese Bänder waren die weithin sichtbaren Uëlmoodn. Da der heilige Bischof Ulrich als Grenzpatron verehrt wurde, ist anzunehmen, dass sein Name der Ursprung dieser Bezeichnung ist.

Von selbst erklärt sich die Lente in St. Martin. Die Holztrift auf der Passer war nicht nur im und für das Tal ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, sondern auch für die Stadt Meran, die aus dem Passeier nicht nur große Mengen Brennholz, sondern auch das Bauholz bezog. Deshalb war auch dort unter der heutigen Post eine große Lände.

Personen, Geister, Tiere

Nicht zuletzt haben auch Personen dem Gelände oft den Namen überlassen. So heißt ein Weidegebiet, das man auf dem Weg zum Schneeberg durchquert, Partlkaaser. An seinem oberen Ende sind noch die Grundmauern alter Almgebäude zu sehen, die wohl einmal einem Partl gehört haben müssen. Viele Höfe sind nach ihren Besitzern benannt worden, seis ihrem Personennamen oder ihrem Beruf: Micheler, Prechtl (zum alten Namen Perchthold), Frick (zu Fricco), Schmiid. Auch Frauennamen sind nicht selten: Geadiler (zu Geadl, Gertraud), der frühere Hof Vronig in Moos (zu Veronika), Steckiler (zu Thekla).

Manchmal hat man die Gegend auch mit Geistern und Unholden bevölkert und ihr deren Namen gegeben. Ein besonderes Beispiel dafür ist die häufige Bezeichnung Norgge, Norggn für Felsköpfe. Es kommt vom lateinischen orcus (Unterwelt) und verweist bei uns auf einen Unhold oder bösen Geist, während die Nörggiler in den Sagen meist gute und hilfreiche kleine Gestalten sind – außer wenn man sie erzürnt.

Norggn Foto: Franz Lanthaler Norggn

Auch Tiere haben manchmal bei der Namengebung Pate gestanden. Hier fällt einem natürlich gleich der Gampsperg ober Moos ein. Die Gämsen, die ihm den Namen gegeben haben, müssen allerdings Laapgampsn (im Wald lebende Gämsen) gewesen sein. Das gleich darüber liegende Hoonepaam dürfte den Namen wohl dem Oarhoone (Auerhahn) verdanken. Allerdings sagen die Einheimischen öfter Hårrpaam. Und der Felsstreifen zwischen dem Hahnebaumer Wald und den Stuller Mähdern heißt Hiërschkoufl.

Ein Peernpood gibt es öfter in Tirol, wir haben nur eine Peerngriëbl-Ålbe in Fåschtroot. In Fåtlais gibt es ein Hoosntool.

Auf Partlkaaser gab es eine Abkürzung zu dem in den 20er Jahren vom Militär gebauten Saumweg auf den Schneeberg, die übers Goaßëgge führte. Und östlich vom Puchertool unter dem Himblraich, wo jetzt der Knappensteig hinaufführt, ist die Pocklaite. Ein steiles Geländestück unter unserem Haus am Bach, das man nur unter Lebensgefahr bearbeiten konnte, heißt Oxnloch. Da man in früherer Zeit oft Ochsen zum Pflügen verwendet hat und da drüber ein kleiner Acker war, könnte da auch einmal ein solches Tier abgestürzt sein.

Saltnuss und Himblraich Foto: Franz Lanthaler Saltnuss und Himblraich

Die Rossgruëbm neben dem Schneeberg heißen wohl so, weil es das Weidegebiet für die vielen Saum- und Zugpferde war, die man am Bergwerk gebraucht hat. Dort heißt das Gelände um einen moosbewachsenen Felsblock pan åltn Koat. Koat ist ein hässliches Tier, auch ein Insekt kann es sein; das Wort hängt mit hochdeutsch “Kot” zusammen.

Die vielen Geländenamen mit Wildtieren gehen wohl auf eine alte Jagdtradition zurück, wie auch der Name Pail, den wir noch sehen werden, und so auch Hoachwårt, das es nicht nur bei uns mehrfach gibt und das für einen Jägerhochsitz oder Beobachtungsposten stand.

Bauwerke

Gelegentlich waren es Bauwerke, die dem Gelände ihren Namen abtraten. Das Puchertool unterm Schneeberg ist nach dem Pochwerk benannt, das im “Unteren Berg” – wie es früher hieß –, also auf dem Seamous stand. Und als es nach Stuls noch keine Straße gab, blieben die Wanderer pan Schintlkåschtn, einer Kapelle, stehen, um ein Vaterunser zu beten. Pa der åltn Kaaser oder pa di Kaaserler kann ein Gelände heißen, wo es schon seit einer Generation keine Almhütte mehr gibt, und Partlkaaser haben wir bereits erwähnt. Die beiden Hitte, in Rabenstein und im Pfelderertal, verdanken ihren Namen wohl der ersten Nutzung als Almen (mit Hütte), bevor sie zu Dauersiedlungen wurden. Und Pille, das die Namensforscher auf pilu für ‘Baumstamm’, also auf den Blockbau hinweisend, deuten und das im Ötztal auch noch für unser Goodn steht, könnte daneben gestellt werden.

Die zur Orientierung auf markanten Erhebungen aufgestellten Steinmännchen heißen im Passeier Zoager.

Perg und Lånt

Ein Wort noch zu Perg und Lånt: Unter Berg stellen wir uns heute etwas ganz anderes vor als unsere Vorfahren bis weit in die Neuzeit herauf. Seit der Erschließung der Berge für Sport und Tourismus sind die Gipfel und Hochregionen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Für unsere frühen Ahnen war nur der für die Bewirtschaftung nutzbare Teil der Berggebiete interessant. Deshalb haben auch die Gipfel ihre Namen häufig vom darunter liegenden Gelände oder den dort gelegenen Höfen übernommen. Der Perg war für die Bewohner das Gelände, das für die Sömmerung der Tiere genutzt werden konnte. Um deer Zait isch s Fiich ålls schun in Perg, hieß es früher. Das waren die Almgebiete, aber auch die Steilhänge und das Felsgelände, wo die Galtling (das nicht Milch gebende Kleinvieh) den ganzen Sommer über verblieben. Auch das Bergwerk gehörte zu diesen nutzbaren Gegenden. Der Bach, der vom Schneeberg herunterkommt, heißt bei den Einheimischen Pergpåch: nicht, weil er vom Berg herunterkommt, wie alle anderen Bäche auch, sondern weil er vom Bergwerk kommt.

Lånt ist für die Hinterpasseirer die Talsohle der Passer zwischen St. Leonhard und Saltaus, dann aber auch die Meraner Gegend. Pan Lånt außn tiën se schun maan, sagte man bei uns, wenn in Außerpasseier die Heuernte begonnen hatte.

Literatur

Finsterwalder, Karl (1995): Tiroler Ortsnamenkunde, 3 Bde. Innsbruck.

Kühebacher, Egon (1995): Die Ortsnamen Südtirols und ihre Geschichte, 3 Bde. Bozen.

Für Interessierte:

Kollmann, Cristian und Johannes Ortner (2004): Fa wos kimp ëpper …? Orts- und Flurnamen, Hof- und Familiennamen in Dorf Tirol. Raiffeisenkasse Dorf Tirol.

Schorta, Andrea (1993): Wie der Berg zu seinem Namen kam. Kleines Rätisches Namenbuch mit zweieinhalbtausend geographischen Namen Graubündens. Chur.

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