Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Giwaltig, klatschn und wandern

Hochdeutsches im Passeirer Dialekt?

Wer das Passeirerische nicht so gut kennt, der fragt sich vielleicht, warum die manchmal hochdeutsche Wörter in ihre Rede einstreuen, wo das gar nicht notwendig wäre.

Am auffälligsten unter diesen ist das Wort klatschn. Der helle kurze a-Laut kommt sonst ja nur in Wörtern vor, die aus anderen, meist romanischen Sprachen übernommen worden sind, gelegentlich schon auch in Wörtern, die erst spät aus dem Hochdeutschen in den Dialekt gekommen sind. Alle a in germanischstämmigen Wörtern werden sonst nämlich zu einem offenen o verdumpft (Lautschrift ɔ oder ɒ), das wir im Wörterbuch mit å oder Å wiedergeben, wie eben in Håls, Ålbe, Gårtn, Såck usw.; anders als in maroud(e), Takt, Malte, saggere (kränklich, marschieren, Takt, Mörtel, sakra). maroud(e) kommt sicher aus der französischen Militärsprache, ma(r)schiërn wohl auch, allerdings könnte es durch das Italienische verstärkt worden sein, weil ja die jungen Burschen alle den italienischen Militärdienst absolvieren mussten, wo sie reichlich Gelegenheit hatten, diesen sinnvollen Zeitvertreib auszuüben. Malte kommt natürlich vom italienischen malta (ursprünglich jedoch aus dem Griechischen, wo es für eine Mischung aus Pech und Teer als Imprägniermittel für Schiffe stand) und Takt und saggere schließlich sind lateinischen Ursprungs: tactus ist die Berührung, der Schlag und sacer(-a, -um) heißt heilig. Letzteres eignet sich als Kraft- oder Fluchwort, da es dem religiösen Bereich entnommen ist. Darüber werden wir noch in einem anderen Abschnitt etwas zu sagen haben.

Selbstverständlich kommen auch in Wörtern deutscher Herkunft kurze, nicht verdumpfte a vor, aber bei denen handelt es sich zumeist um Umlaute aus o oder å. Wir brauchen nur an die Verkleinerungsformen von Ålbe, Gårtn und Såck zu denken: an Albl, a Gartile und a Sackl. Dieses a entspricht dem hochdeutschen Umlaut ä. Um anzudeuten, dass es sich nicht um verdumpfte a handelte, wurden in alten Dokumenten oft auch Orts- und Personennamen mit ae, ä oder e geschrieben, auch wenn sie immer mit a gesprochen wurden. So findet man in vielen alten Verträgen, Urbaren usw. Maerlingen für Marling und Laenen für Lana. Auch fürs Passeier haben wir solche Dokumente: man denke nur an die erste Nennung von Glanegge, für welches 1288 Clenekke steht, ganz sicher als Gglanegge auszusprechen.

Es gibt allerdings Ausnahmen aus der Regel, dass alle kurzen a zu å verdumpft werden, aber wirklich nur ganz wenige: So hat Wasche das a behalten – und das nicht nur im Passeier, sondern in manch anderem Dialekt. Vielleicht ist es eine Ableitung aus waschn, während manche Dialekte es als Nachbildung des Standardwortes Wäsche empfinden. Und auch Lacke wird bei uns weiterhin wie in in Nordtirol mit a gesprochen, während es in den übrigen Südtiroler Dialekten und in Bayern Låck(e) heißt.

Aber nun wieder zu den hochdeutschen Wörtern im Passeirer Dialekt. Warum klatschn in dieser Form erhalten geblieben ist, ist schwer zu erklären. Ich könnte mir vorstellen, dass es durch die Schule eingeführt wurde, wo ja rhythmisches Klatschen oft musikalische oder sprachliche Übungen begleitet, und dass die Kinder dann daheim erzählt haben, dass sie giklatscht haben.

Anders ist es mit giwaltig. Es gibt zwar auch ein giwåltig, das die normale Dialektlautung darstellt. Die standardsprachliche Lautung hingegen dient der besonderen Hervorhebung. So kann man jemanden sagen hören: Doo isch ober a giwåltiger Unterschiid, aber eben auch: Zem faalts når schun giwaltig (da fehlt es aber grob). Dieses giwaltig hat meist eine verstärkende Wirkung in negativen Äußerungen. Es wird allerdings nicht nur bei uns so verwendet, sondern in vielen Nachbardialekten. Ein noch größerer Unterschied besteht zwischen wåndern und wandern. Natürlich kennt der Passeirer das Wort mit å, wenn er es auch kaum verwendet. In der Vergangenheit haben sich ja, wie das auch Beda Weber beschreibt, viele Passeirer auf die Wånderschåft begeben – bis der Wailång (das Heimweh) sie wieder zurückgebracht hat – und viele sind auch ausgiwåndert. Dieses Wandern meint man in Passeier nicht, wenn man sagt: Nåcher isch uander giwandert!, sondern das heißt, dass ‘einer sich schnell aus dem Staub gemacht hat, vor etwas geflohen ist’. Ähnlich ist es mit ma(r)schiërn. Im Zusammenhang mit dem Militär heißt es natürlich ‘im Gleichschritt gehen’ oder einen ‘Marsch zurücklegen’. Aber von den Passeirern wird es auch stilistisch, als besonderer sprachlicher Ausdruck verwendet, und bedeutet dann ‘sehr schnell gehen, einen Gewaltmarsch hinlegen’.

Eine besondere Bewandtnis hat es auch mit sprechn. Normalerweise spricht der Passeirer nicht, sondern er rët. Das normale Wort für sprechen ist im Dialekt nämlich – und zwar nicht nur im Passeier – rëidn. Wenn bei uns also ggsprochn wert, dann heißt das, dass ‘Sprüche geklopft werden’. Gëschter hatt der Natz wider amåll ggsprochn, heißt nichts anderes, als dass ‘der Natz gestern wieder einmal große Sprüche von sich gegeben, groß angegeben hat’. Dabei ist das a in hatt wieder ein Umlaut, denn das Wort entspricht dem hochdeutschen ‘hätte’, steht also im Konjunktiv, was der ganzen Äußerung noch einmal eine stärkere Wirkung verleiht, als wenn gesagt würde er håt ggsprochn. Aber auch dazu werden wir in einem anderen Abschnitt noch etwas erfahren.

Satz ist im Dialekt etwas anderes als Såtz. Letzteres bezeichnet eine grammatische Einheit oder den Bodensatz in einem Flüssigkeitsbehälter. Der Satz hingegen ist, wie er es in der Hochsprache auch sein kann, ein Sprung. Da es im Dialekt auch das Zeitwort satzn für ‘sehr schnell laufen’ gibt – vor allem in der Kindersprache –, muss man annehmen, dass es sich bem Satz um eine Substantivbildung aus diesem Verb handelt. Satzen für ‘rennen’ gibt es allerdings auch im Österreichischen, und es wird dort als Standard geführt, während der Duden es für Deutschland nicht anführt. Im Dialekt gibt es viele Wörter, die ehemals in ganz Österreich verwendet wurden. Dort sind sie oft auch noch in der Hochsprache erhalten; wir haben dafür andere aus Deutschland übernommen und nur gelegentlich haben sie sich in unseren Dialekten erhalten. Aber das wäre ein Kapitel für sich.

Wie überall hat es auch im Passeier durch die Jahrhunderte einen sprachlichen Austausch zwischen Dialekt und Hochsprache gegeben. Die Leute haben ja auch gelesen und Predigten gehört und Leute getroffen, die anders sprachen als sie. Und wenn Neues ins Tal kam, musste es natürlich benannt werden. So ist z. B. auffallend, dass Traktoren dort, wo sie schon seit Langem gebraucht werden, Schlepper genannt werden wie in Deutschland, während sie im Passeier, wo sie erst später eingeführt wurden, Trakter heißen. Da im Österreichischen Wörterbuch nur Traktor angegeben ist – Schlepper ist dort nur als ‘Schleppschiff’ oder ‘Personenschmuggler’ erwähnt –, nehme ich an, dass der Schlepper aus Deutschland übernommen wurde. Das Poschtaute heißt heute noch so wie zur Zeit, als die Kutsche vom Bus abgelöst wurde, obwohl der Zusammenhang mit der alten Postkutsche inzwischen längst verloren gegangen ist und die Post ihren spärlichen Dienst längst auf andere Weise abwickelt. So ist ein altes Standardwort zum Dialektwort geworden.

In einer Abhandlung über Mehrsprachigkeit im deutsch-dänischen Grenzgebiet wird von einem alten Friesen berichtet, der angibt, dass er mit seiner Frau Friesisch redet, mit seinen Kindern Niederdeutsch und mit seinem Hund Hochdeutsch. Das hat mich daran erinnert, wie unsere Nachbarin Ende der Vierziger Jahre ihren Hund angeredet hat. Sie rief nämlich: “Trixi, schöne Platze bleiben!”, was uns Kinder sehr erheitert hat. Auch sonst ist mir öfter aufgefallen, dass Kommandos an Hunde auf Hochdeutsch ergehen: “Komm!, hol!” usw. Im Allgemeinen wurden die Haustiere jedoch im Dialekt angeredet.

Mit Kindern allerdings werden oft standardsprachliche Wörter verwendet oder Dialektwörter werden an standardsprachliche Lautung angepasst (siehe: tëi, tëi …).

Selbstverständlich kommen auch mit Neuerungen immer wieder neue Wörter auf, die der Dialekt dann übernimmt, allerdings oft lautlich angepasst. Zwar sagen wir natürlich schnaibm und ggschniibm, aber wir übernehmen aus der Zeitung und dem Fernsehen “Beschneiungsanlage” und sprechen es nur etwas anders aus, aber wir sagen nicht Beschnaibign oder dergleichen.

Während nun der Dialekt – im Passeier nicht anders als anderswo auch – von einer Deutschland-deutschen Umgangssprache verfremdet wird, sodass man zu Fremden “rauf” und “runter” sagt, und “laufen” statt “gehen”, und dass man kaum noch fiëti hört, sondern nur noch “tschüs”, und dass man sogar auf der Alm eine “Apfelschorle” bestellen muss, wenn man an ggspritztn Ëpflsåft will, wird das Hochdeutsche sonst bei uns doch noch viel spärlicher und gezielter eingesetzt, wie wir bei giwaltig gesehen haben, wo es der Steigerung dient, oder bei sprechn, wo es eine ironische Distanzierung bewirkt.