Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Woos ålls kimmp

So wie tiën und giën, die wir bereits beschrieben haben, ist auch kemmin ein Verb mit vielen Bedeutungen und Einsatzmöglichkeiten, reicht es doch von a der Welt kemmin bis ums Leebm oder umkemmin. Was im Grimmschen Wörterbuch zu “kommen” steht, würde allein schon ca. 70 Seiten füllen. Und wenn man alle Möglichkeiten von kemmin beschreiben wollte, wäre das zu umfangreich für diese Seiten. Deswegen wollen wir hier nur einige Gebrauchsmöglichkeiten des Wortes behandeln und die interessantesten der vielen Redewendungen, die damit gebildet werden, etwas genauer ansehen.

Wer das liest, wird feststellen, dass viele dialektale Wendungen nicht wörtlich in die Standardsprache übersetzt werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens bedeuten auch gleich oder fast gleich lautende Wörter in Dialekt und Schriftsprache bei Weitem nicht immer dasselbe, und zweitens enthalten viele Äußerungen im Dialekt einen Nebensinn oder Anspielungen, die in einer wörtlichen Übersetzung nicht herauskämen. Allein schon die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten mit kemmin widerlegt jene, die meinen, dass der Dialekt für sprachliche und gedankliche Feinheiten nicht geschaffen sei.

Die Grundbedeutung des Wortes ist ja eine Bewegung zu einem Ziel oder auf einen zu, also dass man oder etwas irgendwohin gelangt oder irgendwo ankommt. Morgn kimmp der Liggilaas, doo isch a Priëf fir diër kemmin, kemmin dee Knëidl gaalign? (morgen kommt der Nikolaus, für dich ist da ein Brief gekommen, kommen diese Knödel – die wir bestellt haben – endlich auf den Tisch?).

Bei den Fersentalern steht khemmen auch für ‘werden’, nämlich: bails a vòrt khimmt herbest (wenn es einmal Herbst wird), as s khemmen tuat schea' sauber (dass es schön sauber wird) siehe Rowley: Liacht as de Sproch 291 . Das ist bei uns nicht so, doch sagen auch wir doo mågg kemmin, woos will! (da kann kommen, was mag).

So wie in diesem Ausspruch weist das Wort manchmal in die Zukunft: haint, muëni, kimmp nou a Wetter (ich glaube, heute kommt noch ein Gewitter), oder es kannt zi schnaibm kemmin (es könnte anfangen zu schneien). Und kemmitn Fraitig (nächsten Freitag) ist natürlich auch eine in die Zukunft gerichtete Aussage. Die auffallende Parallele solcher Zukunftsformen mit den entsprechenden ladinischen (gní) und bündnerischen (vegnir) Konstruktionen hat dazu geführt, dass man hier eine Beeinflussung von der einen oder anderen Seite vermutete, aber schlüssige Beweise dafür gibt es nicht. siehe Knoerrich 153 f.

Mit allen Richtungs- und Ortsadverbien und allen Vorsilben kann sich kemmin verbinden, außer mit der-: derkommen (erschrecken) wie in Bayern kann man im Passeier nicht. Manche Zusammensetzungen mit kemmin haben mehrere Bedeutungen, wie schon bei oonkemmin zu sehen ist: jemand kimmp oon (erreicht den Ort, wo er hin wollte) oder ëppis kimmp oon (fängt Feuer). Oft kimmp uën uën’enggëign (kommt einem eine Frau entgegen) oder es kimmp gråd uëns ziweege (jemand kommt gerade des Weges) oder man pikimmp uën afn Kirchweeg (man begegnet jemandem auf dem Kirchweg). Man kann aukemmin (sich von einer liegenden oder sitzenden Position erheben), aber aukemmin kann auch ein Gerücht (sich verbreiten) oder eine Mode (erfunden werden). Allerdings können Bräuche und Moden auch wieder ookemmin. Die Beispiele zeigen, dass neben der ursprünglich konkreten Bedeutung auch der übertragene Gebrauch vorherrscht. Wenn z.B. zwei Autos auf einer engen Straße sich begegnen, müssen sie sehen, wie sie fiirnånder kemmin (aneinander vorbeikommen), aber wenn man erzählt deedn kemmin nië fiirnånder, dann heißt das, dass es zwischen den Besagten immer Auseinandersetzungen oder Streitigkeiten gibt. Dazu kann man auch sagen, dass sie ständig iibernånder oder iiberkraiz oder in Umuëns kemmin (in Streit geraten), während friedliche Leute normalerweise iiberourt kemmin oder mitnånder zi foorn kemmin (miteinander auskommen).

Ass Korbwiidn kann man ebenso drauskemmin wie ass Schultn. Bei einem kranken Kälbchen hofft man, dassis fiirkimmp (dass es überlebt), bei Gefahr möchte man guëter derfoonkemmin (unbeschadet davonkommen), und wenn einer etwas nicht ganz Legales gemacht hat, möchte er, dasssidn nit derhinterkemmin (dass sie ihm nicht draufkommen), wailer sischt in der Stroofe kimmp (weil er sonst bestraft wird).

Wenni doo zi tiën kam, derhëibitmern au (wenn ich ihn hier richtig zu fassen bekäme, würden wir es schaffen ihn aufzuheben) kann einer sagen, wenn zwei einen schweren Prügel bewegen wollen. Und wenne kimmp Dainige zi liign? (wann kommt deine Frau ins Wochenbett?) war eine häufige Frage. Aber natürlich konnte man auch af ar Aisplooter zi liign kemmin (auf einer vereisten Stelle hinfallen).

Dass man zi Krëftn kimmp (zu Kräften kommt), ist nicht anders als in der Hochsprache, aber man kann auch z’Earn (geehrt werden) und zi Frichtn kemmin (Erfolg haben).

Den Saggere kimmsche nit pai sagt man von einem Gegner, gegen den man nicht ankommt. Und bei einer Arbeit, bei der man nit fin Fleck kimmp, kimmpmin aa zi kuën Gottsnåmmin (kommt man zu keinem Ende, zu keinem Feierabend). Ein großer Unterschied ist, ob man zin Zuig kimmp (aus dem Schlaf oder Koma erwacht) oder zi sain Zuig kimmp (das bekommt, was einem zusteht).

Es gibt Sommer, in denen s Fiich oft in di Weschpm kimmp (das Vieh oft von Wespen angefallen wird), und zem kemmins’et in der Wilde (da geraten sie immer in Panik). Zilëscht in Sëttemmer kemmin di Galtling når aa fin Perg (Ende September kommt das Galtvieh dann auch von den Almen).

Uënefufzgg sain fiil Lait unter der Laane kemmin (im Jahr 1951 sind viele Menschen von Lawinen verschüttet worden). Und bei der Holzarbeit kann es passieren, dass uënder unter an Ploch kimmp (dass einer unter ein Bloch gerät).

Auf ein Gebot beim Kartenspiel oder eine Drohung ist die Antwort von Couragierten: Lai kemmin! (so kommt doch nur!), was so viel heißt wie ‘Wir haben keine Angst’. Und bei Reklamationen, die man von Dritten erfährt, ist eine gängige Äußerung: Wenner ëppis will, soller zi miër kemmin! (wenn er nicht zufrieden ist, soll er zu mir kommen!). Aber ein schönes Versprechen ist auch: Wennd’ëppis prauchsch, måggsche lai kemmin (wenn du etwas brauchst, kannst du jederzeit zu mir kommen). Manche Familien sind sehr darauf bedacht, dass nicht in frende Hente kimmp (alles in der Familie verbleibt).

Als man im Dorf erzählte, dass der Förster als Wilderer enttarnt worden war, sagte der Hans: afn sem waari iëz nit kemmin (es wäre mir nicht eingefallen, dass der es gewesen sein könnte). Wenn jemand eine böse Überraschung erlebt, dann kimmp er oder sii assn Wunder. Es gibt Leute, die gern kluëgile kemmin (spöttische Anspielungen machen). Und einer, den die Polizei gerade mit einem Strafzettel bedacht hatte, beklagte sich darüber mit den Worten: Schrepfn tiënside, wouse lai zuëkemmin! (Wo immer sie eine Chance haben, setzen sie dir zu!). A Lucke in Zaun und a Priifign haben gemeinsam, dass man bei ihnen durchkemmin kann.

In Notfällen muëßmin oft af uën kemmin (ist man oft auf jemanden angewiesen) und pan Tokter wårtitmin oft lång, pisis af uën kimmp (beim Arzt wartet man oft lange, bis man an der Reihe ist).

Es kommt gelegentlich vor, dass einer, von dem man gerade geredet hat, zur Tür hereinkommt. Für diese Gelegenheit gibt es den alten Spruch, der dann scherzhaft geäußert wird: Wemmin fin Taifl rët, når kimmper girennt (wenn man von Teufel spricht, ist er auch schon da).

Unangenehme Wahrheiten sind, dass es irgendwann immer zin Zooln kimmp (ans Zahlen geht) und dass fi nicht nicht kimmp (von nichts nichts kommt = dass man immer selber etwas dazu tun muss) – aber wichtig ist, dass man im Leben möglichst riidaus kimmp (die Kurve schafft, auf dem richtigen Weg bleibt).

Literatur

Knoerrich, Isabel Alexandra (2002): Romanismen im Bairischen: ein kommentiertes Wörterbuch mit Karten des Sprachatlasses Oberbayern (SOB) und des Kleinen Bayerischen Sprachatlasses (KBSA) sowie eine Diskussion zu Morphosyntax und Syntax (Diss. Passau 2002) (unter Knoerrich auch im Internet)

Rowley, Anthony R. (2003): Liacht as de sproch. Grammatik des Deutsch-Fersentalerischen. Palù del Fersina – Kukturinstitut Bersntol - Lusern.