Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Prottlin

Zem tuët der Footer ët prottlin (Da schimpft der Vater gewöhnlich), erzählt das Treesile. Für ‘schimpfen’ gibt es im Dialekt wahrscheinlich ebenso viele Ausdrücke wie in der Hochsprache, auch wenn die Auffassung vorherrschend ist, dass die Standardsprache im Allgemeinen feiner unterscheidet als die Alltagssprache der Leute. Aber man kann im Dialekt auf jeden Fall auf vielfältige Weise seinen Unmut in Worte fassen. Hier soll es jedoch nicht um Schimpfwörter gehen, sondern um Ausdrücke, die das Schimpfen beschreiben.

Prottlin

Das Wort “schimpfen”, das im Dialekt gleich klingt wie im Standard, hat ursprünglich eine ganz andere Bedeutung. Im Mittelalter steht es für ‘scherzen, spielen, Spaß machen’, und es gibt Dialekte, die sich diese Bedeutung erhalten haben. In Langtaufers z.B. sagt man, dass die Kinder mit der Puppe schimpfln, wenn sie spielen. Irgendwann ist dieses “scherzen” beschränkt worden auf den Scherz auf Kosten anderer, und so ist Schimpfen etwas Ernstes geworden. Es bedeutet, dass man lautstark Kritik, Unzufriedenheit, Vorwürfe usw. äußert.

Unser prottlin ist dabei eine vergleichsweise harmlose Art, seinen Unwillen auszudrücken. Es ist übrigens weit verbreitet, auch wenn es nicht alle unsere nächsten Nachbarn haben. Das Tirolische Wörterbuch von Schatz verzeichnet es für Etschtal und Passeier. Immerhin hat man es im Sarntal und am Regglberg, und sogar bei den Walsern am Hinterrhein kann man bruttle hören. So wie manch andere von Emotion begleitete Äußerung hat es vielleicht auch eine lautmalerische Qualität. Man denke nur an prumblin und gråndlin oder sogar groondlin. Alle drei erinnern an tierische Laute, die von der Hummel bis zum Hund oder Schwein gehen können.Während das Erste ausdrückt, dass jemand verhalten seinen Unmut kundtut, wobei er oder sie noch eher in sich hineinmurmelt, deuten die andern beiden schon auf eine aggressivere Art des Schimpfens hin. Zu gråndlin gibt es allerdings noch das Hauptwort Gråndl für eine ‘tiefe Stimme’, die für kleinere Zeitgenossen, an die sich Schimpfen häufig richtet, sicher eindrucksvoll wirken dürfte. Zu diesen ließe sich auch sumpern stellen, das wohl eine Abwandlung zu sumsn sein dürfte, welches an das Summen von Insekten erinnert und eher mit ‘klagen’ als mit ‘schimpfen’ wiederzugeben wäre.

Auf Lautstärke weisen maitern, muusign und taiflin hin. Das Erste ist zwar vom Wortstamm her identisch mit dem hochsprachlichen ‘meutern’, es beschreibt jedoch nicht wie dieses das Aufbegehren gegen eine Obrigkeit oder eine festgesetzte Ordnung, sondern es kann eben auch von Vorgesetzten ausgehen. Zwar steht muusign ursprünglich für ‘musizieren’, aber es wird nie als sachliche Äußerung dafür gebraucht, sondern nur für lautes und heftiges Schimpfen, Protestieren, Lamentieren. Und wo der Taifl genannt wird, geht es immer heftig zu. So ist a taiflischer Prockn ‘ein sehr großes Stück’, und taiflisch stickl ist ‘verflucht steil’. Und taiflin bedeutet dann eben ‘laut und erbost schimpfen’.

Diesen ähnlich sind aasn, saablin, wettern, goschn, welche alle eine heftige Erregung und lautes Gepolter signalisieren. Sie unterscheiden sich vor allem durch ihre Grundbedeutung und durch den Bereich, aus welchem sie kommen, und damit natürlich in dem, was mit ihnen mitschwingt. So bedeutet aasn in erster Linie ‘etwas verstreuen, mit etwas unsauber umgehen’. Vor allem wird es verwendet, wenn jemand beim Hantieren mit Lebensmitteln oder Tierfutter etwas verliert oder verstreut, also etwa Körner, Mehl, Heu, aber selbverständlich kann man auch Schmutzteilchen wie Kehricht oder irgend ein Ggfraas verstreuen. Ein Aspekt dabei ist der Verlust, wenn kostbare Mittel verstreut werden, ein anderer ist die Verschmutzung, die dadurch entsteht. Vor allem Letzteres kommt zum Tragen, wenn das Wort für ‘schimpfen’ gebraucht wird. Da verstreut jemand großzügig Äußerungen, die dem Opfer unangenehm sind. Bei saablin kommt ein Gerät ins Spiel, das alle kennen, das im Dialekt aber sonst nie zur Sprache kommt, der Saabl. Nur den mehr oder weniger scherzhaften Ausdruck an Speck ooërsaablin kann man gelegentlich hören, wobei auch wieder gemeint ist, dass jemand dabei nicht kleinlich vorgeht. In unserem Zusammenhang bedeutet es also, dass jemand ordentlich austeilt – an Tadel oder Schimpfwörtern. Da Wetter nicht nur als neutrale Bezeichnung für ‘Witterung’, sondern sehr häufig für ‘Gewitter, Unwetter’ benutzt wird, ist mit wettern natürlich auch gemeint, dass jemand ‘ein Donnerwetter’ loslässt, wie es auch hochsprachlich heißt, also eine Schimpftirade so zu sagen. Dem Verb goschn liegt Gosche als abschätzige Bezeichnung für den Mund zugrunde; das sagt über die damit gemeinte Art des Schimpfens eigentlich schon alles. Dazu gibt es auch noch a Gosch’auslaarn in derselben Bedeutung. Das erweckt das Bild von einem Schmutzkübel, der über jemanden ausgeschüttet wird. Auch aus anderen abschätzigen, negativen Bezeichnungen für den Mund, Riëßl und Schnoobl, werden Verben gebildet. Nur werden riëßlin und schnooblin nicht in erster Linie für ‘schimpfen’ verwendet, sondern für ‘freche, respektlose Widerrede’, aber die ist natürlich nicht weit davon entfernt.

Eine Reihe von Wörtern mit au- beschreibt das Schimpfen, wobei dieses au-, also ‘auf-’, in zwei Bedeutungen vorkommt, einmal für ‘empor’ und einmal für den Beginn eines Vorganges; allerdings sind die beiden Bedeutungen nicht immer klar auseinander zu halten. Genau genommen beschreiben diese Verben auch nicht direkt das Schimpfen, sondern erregte, lautstarke Äußerungen, die jedoch meist auch mit Schimpfen verbunden sind oder in dieses ausarten. Dazu gehören aufoorn, aupåckn, auggfriërn, auwachtlin, aupigearn, audraan, si aulåssn, si aumandlin.

Wenn einer aufoort, richtet er sich schnell und erregt auf; in unserem Zusammenhang ist allerdings auch gemeint, dass da jemand sehr laut wird. Aupåckn heißt sich zum Weggehen anschicken, und hier natürlich mit Schimpfen loslegen. Auggfriërn bedeutet ‘auftauen’, also aus einer starren, ruhigen Haltung in eine belebte, bewegte übergehen. Hinter auwachtlin steht die konkrete Bedeutung von ‘fuchteln, gestikulieren’, hier jedoch wird diese Bewegtheit auf das Sprachliche übertragen. Und hinter aupigearn steht noch die Grundbedeutung des einfachen Verbs pigearn, also ‘begehren, verlangen’, aber in der Zusammensetzung bekundet es eine laute, fordernde Haltung.

Für audraan würde ich eine jüngere Entstehung vermuten, vielleicht aus der Umgangssprache übernommen; es überträgt einen auf Technisches bezogenen Begriff auf menschliche Kommunikation, indem es andeutet, dass je nach Gerät entweder auf eine höhere Drehzahl oder auf eine größere Lautstärke geschaltet wird.

Die beiden reflexiven Verben si aulåssn und si aumandlin wiederum übertragen eine Körperhaltung auf Intention und Form der sprachlichen Äußerung. Alle diese Verben stehen vordergründig für laute, erregte Äußerungen, die auch im Wörterbuch meist mit ‘protestieren’ übertragen werden, und das schließt immer eine Art zu schimpfen mit ein. Zu diesen passt auch schiëch tiën, welches unter anderem auch für heftiges Schimpfen stehen kann. Zwar ist die erste Bedeutung von schiëch ‘hässlich’ (nicht zu verwechseln mit schiëche, ‘scheu, erschreckt’!), aber es kann sowohl als Adjektiv für ‘heftig, wild, groß’ stehen: a schiëche Huëschte, an schiëchn Oogång hoobm (einen schlimmen Husten, große Angst haben), wie auch als Adverb für ‘sehr, intensiv’ gebraucht werden: zem pini schiëch derschrockn, doo entn geats schiëch zuë (da bin ich sehr erschrocken, da drüben geht es wild zu). Daher gebärdet sich, wer schiëcht tuët, zornig und laut, er oder sie schimpft also.

Zwar richtet sich Schimpfen immer gegen etwas oder jemanden; mit anderen Worten: Man schimpft über eine Sache, einen Zustand, eine Verhaltensweise oder eine Person. Wenn es jedoch ganz persönlich wird, wenn eine Person direkt angegriffen wird, egal, ob zugegen oder abwesend, dann nennen wir es “beschimpfen”. Auch dafür haben wir natürlich eine ganze Reihe von Ausdrücken: ookoobisn, ookånzlin, ausgoschn, austaiflin, zåmmputzn. Wie man sieht, kommen die Stichwörter aus verschiedenen Bereichen und sind mit verschiedenen Präpositionen zusammengesetzt. Man kann sich natürlich fragen, was ookoobisn mit schimpfen gemeinsam hat, aber hier zeigt sich gerade, dass es sich bei all diesen um bildhafte Ausdrücke handelt. Zugrunde liegt dem Wort wohl ein Bild aus dem Garten: So wie man die Raupen des Kohlweißlings von den Köpfen abklaubt, werden die schlechten Eigenschaften einer Person einzeln benannt, so als pflücke man sie von ihm. Bei ookånzlin ist klar, dass es aus dem kirchlichen Bereich kommt. Da der Pfarrer wohl oft von der Kanzel herunter seiner Pfarrgemeinde Vorhaltungen gemacht hat – bei Beda Weber heißt es, dass der Pfarrer auf der Kanzel Nussn augiklockt håt –, beschreibt ookånzlin eben, dass jemand von oben herab, so zu sagen als moralische Instanz, jemandes Verfehlungen lautstark zur Sprache bringt. Das oo- ist dabei dasselbe wie bei ookoobisn. Auch in anderen Zusammensetzungen mit oo- kommt es vor, wie etwa in ookëirn und oostaapm: Man holt dabei Schmutz von etwas oder jemandem herunter. Zu ausgoschn und austaiflin kennen wir bereits die einfachen Verben. Dieses aus- bedeutet, dass es mehrfach oder heftig geschieht. In einem etwas weiteren Sinn gehört auch derhoaßn hierher, nämlich ‘jemandem Übernamen und Schimpfwörter entgegenschleudern’. Når håtern ålls derhoaßn bedeutet ‘er hat ihm alle erdenklichen Übernamen und Schimpfwörter an den Kopf geworfen’.

Am Rande kann man hier auch noch oonschnarrn und oongruënzn erwähnen. Beide stehen für heftige, unfreundliche Äußerungen, wobei schnarrn, so wie auch in der Standardsprache, lautmalerisch ein unangenehm knarrendes Geräusch nachahmt und zu einer unfreundlichen Anrede durchaus passt. Vielleicht heißt die Wacholderdrossel Schnerre oder Schnarre, weil sie neben anderen auch solche Laute erzeugen kann. Man fragt sich jedoch, was die Gruënze, also die ‘Smaragdeidechse’, in diesem Zusammenhang zu suchen hat. Es gibt für das Wort zwei Erklärungen. Obwohl es im Hinterpasseier keine Gruënzn gab, hat man sich immer erzählt, dass sie giftig seien und Menschen anspringen können. Zum andern könnte oongruënzn aber auch von hochsprachlich “grunzen” abgeleitet sein, allerdings grunzt bei uns der Fåcke nicht, sondern er groontscht. Während man bei den anderen Wörtern für “schimpfen” immer von einer gewissen Dauer des Vorganges ausgehen kann, ist bei diesen beiden gerade die Kürze bezeichnend, weshalb sie, wie gesagt, hier nur am Rande zu erwähnen sind.

Manchmal wird ein negativer Inhalt durch die Verneinung eines positiven Begriffes ausgedrückt. So hat man sich bei uns einmal erzählt, ein Knecht habe das Essen bei einem bestimmten Bauern nit gilop. Das kann eine milde Form des Tadelns bedeuten, aber es könnte auch bedeuten, dass er über die Kost am Arbeitsplatz geschimpft hat.