Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Hachl, Håmme, Hiintrooger

Spuren der Vergangenheit in der Sprache

So wie in einer Stadt trotz der vielen Neubauten und Abrisse in den Jahrhunderten immer wieder alte Häuser, Mauerreste, Brunnen und Bilder vom Leben der Menschen von früher zeugen, so hat sich auch in der Sprache vieles von der Geschichte der Menschen früherer Zeiten abgelagert. Obwohl die Sprache vordergründig ganz anderen Zwecken dient, ist in ihr doch auch eine Art Museum angelegt.

Schmålzmoudl Foto: Florian Lanthaler Schmålzmoudl

Bezeichnungen für Geräte, die nicht mehr gebraucht werden, sagen etwas über die Alltagskultur früherer Zeiten aus. Wenn z.B. jemand erzählt, dass zwei jemanden durchkhachlt hoobm (gemeinsam über jemanden hergezogen sind), dann ist da das Wort Hachl drin, ein Gerät, das dazu diente, den Flachs von den holzigen Teilen zu befreien. Und so wie man den Flachs mit der Hachl durchgekämmt hat, um die unbrauchbaren Teile von den brauchbaren Fasern zu trennen, werden beim Durchhachlin die negativen Eigenschaften einer Person ausgiebig besprochen. Wenn auch in den letzten Jahrhunderten im Passeier wohl kein Hanf mehr angebaut wurde, so hat man ihn dort doch sicher verarbeitet. Das wird auch durch Rease bezeugt. Heute steht das Wort meist für eine Quellfassung, aber es kommt von reaschtn (rösten): an flachen Wasserstellen wurde der Flachs gewassert und dann wieder geröstet, damit sich die holzigen Teile entfernen ließen. Und auch wenn wir die Gråmbl heute nur mehr für die Zerkleinerung des harten Brotes verwenden, kommt das Wort doch aus dem Italienischen, wo gramola für die Flachsbrechel steht. Und die Ältesten unter uns wissen auch noch, wie a harbine oder rupfine Pfoate aus dem durch die oben beschriebene Technik gewonnenen Material gekratzt hat.

An die Lederherstellung erinnert noch unser garbm, das wir vor allem für ‘sehr unruhiges Verhalten, herumtollen’ verwenden. Von der Gerberei mit den vielen handwerklichen und chemischen Vorgängen ist nur noch das Bild von Bewegung und Unruhe in der Sprache erhalten geblieben, wenn wir sagen di Kinder garbm in der Stube dinnin (die Kinder tollen wild in der Stube herum), und auch Garber, früher ‘Gerber’ bezeichnet nur mehr einen ‘lauten, unruhigen Menschen’.

Aber nicht nur in der Herstellung der Kleider und der entsprechenden Mode hat sich manches verändert. Viele werden heute wohl nicht mehr wissen, woher die Redewendung uën an Hunt inhnmåchn kommt. Seit man überall Seilbahnen errichtet hat und über Wirtschaftswege mit Transportern in die Mähder fahren kann, ist das Heuziehen praktisch abgekommen, und so wissen nur mehr wenige, dass man auf steilen Riisn ein Bündel Taasn an einer Kette als Bremsvorrichtung unter den Haizuig gelegt hat: das war der Hunt.

Dass in einer Zeit, wo das Schmålz in ‘Butter’ und der Raam in ‘Sahne’ umgetauft wurden, vieles von unserem früheren Essitn (Lebensmittel, Speisen) eine Renaissance erlebt, verdanken wir dem Tourismus. Manches ist jedoch verloren gegangen. So wusste z.B. bei der Befragung zum Südtiroler Dialektatlas im ganzen Land fast niemand mehr, wie die Berberitzen im Dialekt heißen. Mancherorts hießen sie Essigpanzelen, weil man sie als Essigersatz genommen hat. Bei uns sinds die Poaßlpëir: man hat sie also früher zum Beizen verwendet. Seit man Kühlschränke hat und meistens auch die Eier nicht mehr von den eigenen Hennen kommen, sondern aus dem Geschäft, gibt es keine Kålchoare (in Kalk eingelegte Eier) und keine Draißingoare mehr; das waren die Eier, die zwischen den beiden Frauentagen, 15. August und 8. September, gelegt wurden. Sie waren besonders lange haltbar.

Mein Vater hat noch, wie viele in seiner Generation, selber Körbe geflochten und beschädigte ausgebessert. Dazu brauchte man das Holz von Grooslarchn. Die Bezeichnung kam daher, dass sie im Herbst viel länger als die anderen ihre grünen Nadeln behielten. Sie hatten viel mehr weißes Splintholz, das sich zum Korbmachen gut eignete, denn man konnte daraus gut biegsame Streifen als Schiin spalten; deswegen heißen sie auch Schiinlarchn. Auch a Witt oder Wiide innindraan(in) kommt vom Korbflechten: Weidenreiser wurden als Tragegurten für Körbe und Kraxen eingesetzt. Heute wird die Redewendung fast nur mehr für eine sexuelle Anspielung verwendet.

A Ggsatzl peetn, a Ggsatzl rearn, so hat man früher oft die Trauerbewältigung, vor allem bei Frauen, beschrieben. Darin werden zwei Momente der Alltagskultur angesprochen. Das eine ist die religiöse Seite, das andere der Umgang mit der Zeit. Was das Erste betrifft, hat zum Teil eine Verweltlichung, zum Teil ein selbstbestimmter Umgang mit kirchlichen Geboten stattgefunden. So geht heute kein Bauer, der nach einer langen Haifätze (Regenperiode während der Heuernte) am Sonntag das endlich getrocknete Heu einbringen will, zum Pfarrer, um sich eine Dischpens zu holen. Und auch die Zeit wird nicht mehr nach an Ggsatzl (Geheimnis des Rosenkranzes) gemessen oder nach der Länge eines Vaterunsers, wie alte Kochbücher vorschlagen, sondern nach Minuten und Stunden. Und das Jahr wird nach dem weltlichen Kalender eingeteilt, nach Wochen- und Monatstagen, und nicht mehr nach den Tagen bestimmter Heiliger oder Festen des Kirchenjahres, so dass Draitaadign (Montag nach dem ersten Fastensonntag) seine Bedeutung ebenso verloren hat wie die traditionellen Jahrtage bestimmter Berufe oder Zünfte, z.B. Flickwerchtig (4. Februar, freier Tag für die Mägde) und Schuëschtertinzltoog (Jahrestag der Schuster). Und seit die Saisonen vom Tourismus bestimmt sind, wird Liëchtmëssn auch nicht mehr als Schlenggltoog begangen, an dem die Eahåltn (Dienstboten) ihren Dienstort wechselten.

Milchschissl Foto: Florian Lanthaler Milchschissl

Wie bestimmte Dinge langsam aus unserem Leben verschwinden und dann nur noch Spuren in der Sprache hinterlassen, lässt sich in unserer Lebenszeit an Gebrauchsgegenständen ablesen. In unserer Kaaser gabs in den 40er Jahren noch einige alte zirmbmine Schüsseln für die Milch und die Späne, die dazu dienten, sie übereinander zu stellen. Wenn die Milch erkaltet war und der Rahm sich oben abgesetzt hatte, konnte er mit einem Holzmesser abgestreift werden. Ich weiß, dass das meine Großmutter noch getan hat; zu unserer Zeit wurde diese Technik schon nicht mehr genutzt, denn inzwischen gab es die Fuuge (Zentrifuge) zum Entrahmen der Milch. Deshalb musste ich als Bub jeden Abend die Milch in einem Gganter (Rückentragegefäß) von Fëss herunter tragen und ooërtraibm (durch die Zentrifuge lassen). Die Zirmschüsseln nutzten wir dann dem Vieh die Miëte zu geben und manchmal auch in den Mähdern über den Porscht herunterzurodeln. So geschah es in diesen Jahren nach und nach mit vielen Holzgefäßen, die ursprünglich auch als Hohlmaße dienten; sie wurden durch emaillierte Blechgefäße und später durch Plastik ersetzt.

Melter Foto: Florian Lanthaler Melter

Als die Bauern in Hinterpasseier in den 60er Jahren ihre Kornäcker zuëliign (zuwachsen, brach liegen) ließen, brauchte es keine Melter und kein Staar mehr. Wer kein Korn mehr hatte, brauchte auch keine Zumme, das Korn zur Mühle und danach das Mehl zurückzutragen. Der hat dann auch nicht mehr selber Brot gebacken, also brauchte es keinen Zuuber mehr. Und Proattiëcher und Nolpm (Distanzhölzer für die Proatflëckn) und Oufnzussl (feuchtes Tuch zum Auswischen des Backofens) verschwanden und sind nur mehr als Wörter da. Und als dann der Milchiler bis in die hintersten Täler fuhr und die Bauern die Milch stellen konnten, fing man an Butter im Laden zu kaufen, anstatt Kiibile zi traibm und selber Schmålz zu machen. So wurden auch der Kiibl und der schön geschnitzte Schmålzmoudl überflüssig. Wer Ziegen oder Schafe hält, wird wohl noch gelegentlich einen Uësch oder Nuësch (Futterrinne) brauchen und vielleicht gibt es auch da und dort bei Kleinbauern noch einen Miëtstotz (hölzernes Gefäß für Kraftfutter). Irgendwann werden alle diese Gefäße vergessen sein, wie es mit Iirn und Laagl geschehen ist, als man den Wein nicht mehr auf Saumtieren oder auf der Kraxn liefern musste.

Kiibl, Schmålzmoudl Foto: Florian Lanthaler Kiibl, Schmålzmoudl

Vor vielen Jahren entdeckte ich in unserem Unterdåch (Dachboden) eine Kåmpmaschiin (Vorrichtung zum Bohren von Rechenkämmen). Als ich kürzlich wieder da war, hing an der Stadelwand ein Rechen mit Plastikzähnen. Das erinnerte mich daran, dass mein Bruder Heinrich immer eine Handvoll zischggine (von der Felsenbirne) Zinde in der Tasche hatte, die er zuschnitzte und einsetzte, wenn ein Zahn gebrochen war. Bald wird auch der Waibizrechn mit den längeren und enger stehenden Zähnen nur mehr im Wörterbuch stehen, weil seine Aufgabe, das saubere Noochrechn, von einem weit hin hörbaren Gebläse übernommen wird.

Waibizrechn Foto: Florian Lanthaler Waibizrechn

Früher wurde im Winter in jeder Stube Wolle gesponnen und gestrickt. Jede Frau wusste, was a Hiintrooger, s Gaijerle, s Arbmile und s Knechtl ist und wie viele Streene es für einen Saarner braucht. Ich könnte wetten, dass fast alle Frauen unter 60 die meisten Wörter nachschlagen müssten und dass viele sich auch dann nichts darunter vorstellen könnten. So gehören Begriffe, die früher, zumindest bei den Frauen, zur Alltagssprache gehörten, jetzt zum Fachwortschatz, wie es mit dem die Mühle betreffenden Wortschatz schon längst passiert ist, obwohl früher fast jeder Bauer eine Mühle hatte. Das Sprichwort weer zeartn kimmp, moolt zeartn, geht allerdings auf eine Zeit zurück, in der es nur eine Dorfmühle gab, und es findet sich auch schon in einem englischen Gedicht des 14. Jahrhunderts.

Als unser früherer Nachbar seinen Hof verkaufte, konnte ich in dem schon seit einiger Zeit nicht mehr benutzten Keller noch alte gebinderte Gefäße bewundern: einen runden Stotz von der Art wie der, in welchem meine Mutter noch s inggsoutnine Schmålz aufbewahrt hat, ein Hålpstaar (Halbstar) und sogar noch ein Schloogkiibile (alte Form des Butterkübels) samt Steaßl (Stößel), etwas, was schon seit mehr als zwei Generationen nicht mehr gebraucht wird.

Schloogkiibile Foto: Florian Lanthaler Schloogkiibile

Nun wird auch die Seegnsn nur mehr fürs Kiëgroos genutzt oder gelegentlich dazu Feldränder auszumähen. Bald wird kaum noch jemand wissen, was Warzloch ist oder Krickl und Stoaß, und bei Håmme werden alle nur mehr an Speck denken und nicht mehr wissen, dass auch die Seegnsn eine hat (siehe pan Hai).

Geländenamen sagen oft etwas über Vergangenes aus. Da es dazu einen eigenen Artikel gibt, hier nur kurz einige Hinweise: Von der Rease, war bereits die Rede; eine Koulstått gibt es in St. Leonhard und Rabenstein, aber es gab sie wohl in jedem Dorf, weil der Schmied Kohle gebraucht hat, und die wurde dort gebrannt. In der Höfegeschichte der Gemeinde Moos von W. Graf ist im Theresianischen Kataster (1775) bei vielen Höfen “ein Puitl” angegeben; das kommt von mhd. biunte, womit ein für besondere Nutzung reserviertes, oft eingezäuntes Gelände gemeint war. Auch neben unserem Kournkåschtn hieß ein Gelände Fåcknpuite. Für uns Kinder war di Puite der Platz, wo wir uns beim Versteckenspiel oospaibm (freispucken) konnten. Die Troote erinnert an die frühere Dreifelderwirtschaft, in welcher zeitweilig aufgelassene Äcker für die Weide genutzt wurden und daher betreten werden konnten. Auch Easchpaam ist ein häufiger Geländename; es kommt von esban, ein Gelände, das einer strengen Regelung (deswegen ‘Bann’) für die gemeinsame Beweidung unterworfen war.

Wenn wir heute sagen iëz miëßmer når schaugn, dass der Puë Housn kriëgg, meinen wir, dass wir ‘dazu sehen sollten, dass alles seine richtige Ordnung hat’. Aber die Redewendung wurde einmal wörtlich genommen, denn auch Buben trugen Röcke in der Zeit, als sie das Gehen lernten und noch nicht stubenrein waren. Erst danach bekam der Bub Hosen und alles war so, wie es sich gehörte. Die Redewendung erinnert also an gesellschaftliche Regeln, denn, wer was tragen durfte, war genau vorgeschrieben. Der Pfarrer in Rabenstein wetterte noch Ende der 50er Jahre gegen die Frauen, die im tiefen Schnee in Hosen zur Kirche kamen, und der Anstand verlangte es, dass meine Frau als Lehrerin in Moos in den 60er Jahren über der Hose noch eine Kleiderschürze tragen musste.

Dass ein Gerät wie die Gråmbl noch existiert, weil es zweckentfremdet und für etwas anderes gebraucht wird, und dass di Koulstått und di Troote nur noch als Geländenamen erhalten sind, und di Hachl gar nur mehr in einer Redewendung vorkommt, zeigt uns, wie schnell sich alles verändert. Nur die Sprache, wie gesagt, hält manchmal etwas noch lange fest. Ob ein Sprichwort mit dem Koulaisn irgendwann noch an die frühere Art, ein Kohlebügeleisen zu erwärmen, oder eine Redewendung mit dem Soal auziëchn (das Seil der Pferggl auslegen) noch an die Pferggl erinnern wird?

Was der Mensch nicht mehr braucht, kann man nur noch im Museum betrachten – oder in der Sprache.