Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Kålbl, Minnich und Ggërre

Tierisches 1: Bezeichnungen für Tiere

Tiere sind das Kapital der Bergbauern und haben daher immer schon im Leben eines Großteils der Menschen im Tal eine zentrale Rolle gespielt. Wenn meine Naandl (Großmutter) zu uns kam, fragte sie meinen Vater als Erstes immer: Nåcher Kuntner, s Fiich ålls ggsunt? (Na Kuntner, ist alles Vieh gesund?), was meine Mutter immer in Rage brachte, weil ja auch noch acht Kinder da waren.

Rintfiich Foto: Christian Kofler, Jenner Rintfiich

Zur Bedeutung der Haustiere im Leben der Menschen Hintern Sea (Rabenstein) haben wir ein wunderbares historisches Dokument in den Aufzeichnungen zum Leben eines der berühmtesten Passeirer, nämlich des aus Schönau stammenden Wissenschaftlers und Arztes Josef Ennemoser. In der Beschreibung seiner Kindheit beim Riebl auf Hütt wird vieles vorweggenommen, was ich 150 Jahre später in Saltnuss, also auf der gegenüber liegenden Talseite, 200 m entfernt, erlebt habe. Er erzählt, wie er als kleiner Bub schon Schafe und Ziegen hütet und mit ihnen bis auf den Schneeberg fährt und die Galtling (Jungziegen und Böcke) über die Karlscharte in den Timmels bringt. Dann, wie er die Kühe beim Riebl hütet und schließlich, wie er mit 12 schon Këlberhirte (Galtviehhirt) für die Bauern von Hütt, Rain und Ilmach wird. Als solcher hat er die Kålblin auf der Frühweide in der Unteren Schenneralm und Moodigëss und dann in der Neader und sicher auch in Låzoor gehütet. Zwar nennt er diese Gegenden nicht beim Namen, aber aus der Beschreibung sind sie klar zu erschließen. Da es hier nur darum geht, was von dieser Kultur der Tierhaltung in unserem Dialekt sichtbar ist, wird hier nur auf die besagte Lebensbeschreibung von Ennemoser verwiesen. Schade nur, dass in diesem Text die Leitkuh, das stärkste Tier in der Herde, die er eingehend und sehr liebevoll beschreibt, als “Rabler”, und nicht wie sie bei uns wirklich heißt, als Proudler(in) bezeichnet wird. Roobler ist im Vinschgau und Röbbla im Pustertal ein rauflustiger Kerl, aber in Schnals steht Roobler auch für das Tier, das aus den Rangkämpfen als Sieger hervorgeht. Vielleicht kommt dieser Fehler auch von seinen deutschen Freunden, die seine mündlichen Schilderungen aufgeschrieben haben und die auch einiges andere missverstanden haben.

Der besondere Stellenwert des Viehstandes kommt natürlich auch in der Sprache zum Ausdruck. So hat unser Dialekt Unterscheidungen, die die Hochsprache gar nicht kennt oder die in dieser nur von Experten gebraucht werden. Wer weiß heute schon noch, was eine “Färse” ist? Das ist bei uns a Kålbl, also ein geschlechtsreifes weibliches Jungrind, das noch nicht oder erst einmal Muttertier geworden ist, und diesen Begriff kennt in Südtirol, zumindest auf dem Land, jedes Kind, so wie bei uns auch jeder weiß, was scherzn bedeutet. Der hochdeutsche Ausdruck dafür ist “biesen”, aber das ist im Wörterbuch umständlich umschrieben und ich wette, dass es von hundert deutschen Urlaubern nicht drei kennen.

Neben den eigenen Bezeichnungen für einzelne Kategorien, wie Jungtiere, weibliche oder männliche Tiere, Zucht- und Muttertiere gibt es viele Begriffe für die Beschreibung der äußeren Erscheinung und des Verhaltens von Tieren, die in einem anderen Abschnitt beschrieben werden sollen.

Rintfiich

Die bedeutendste Tierart war natürlich das Rind, weil es eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel, nämlich die Milch, lieferte. Zwar hielten früher in Rabenstein alle Bauern, da sie Selbstversorger waren, auch Ziegen und Schafe. Hauptlebensgrundlage war jedoch das klein gewachsene und geländegängige Grauvieh. Heute bevorzugen viele Bauern andere Rassen und es hat sich auch die Tierhaltung stark verändert. In letzter Zeit jedoch haben sich in Hinterpasseier einzelne Bauern auf die Zucht von Kleinvieh, vor allem von Ziegen, spezialisiert und auch das Grauvieh wird immer noch gezüchtet.

Rintfiich Foto: Christian Kofler, Jenner Rintfiich

Wenn eine Kuh gikëlbert (gekalbt), also ein Kälbchen geworfen hat, muss dieses gleich nach der Geburt die Piëschtmilch bekommen, die erste, besonders nährstoffreiche Milch, die die Kuh nach dem Wurf gibt. Und die erste Frage ist, ob es sich um a Kuëkålb oder a Stiërkålb handelt. Das ist wichtig, denn die weiblichen Kälber kann man immer ziiglin (züchten, aufziehen) oder als Ziiglkëlber verkaufen, die man natürlich, wenns a tiënite (gut gedeihende) Gattung ist, über dem Fleischwert absetzen kann. Die Bedeutung von ziiglin wird einem klar, wenn man an die Geschichte denkt, die man sich in Stuls erzählt hat: als die Eltern mit einem Säugling von der Taufe heimkamen, soll der fünfjährige Bruder gefragt haben: Tatte, tiëmer dës ziiglin?

Männliche oder nicht zur Aufzucht geeignete weibliche Kälber werden, wenn sie ein entsprechendes Gewicht erreicht haben, dem Metzger verkauft oder ooggstochn (geschlachtet). Allerdings haben auch die zum Schlachten ausersehenen Milchkalbler (gesäugten oder mit Milch getränkten Kälber) einen höheren Marktwert. Kälber, die schon größer geworden sind, werden nämlich nicht mehr ggsaagg (gesäugt), sondern gitrenkt. Das geschieht, indem man dem Kalb in einer Melter (Holzgefäß) oder einer Kanne ooërgitriibmine (entrahmte) Milch gibt mit etwas guëter Milch (Vollmilch) drin; im Sommer war das früher oft Goaßmilch. Nach und nach werden auch diese Trenkkëlber ggspeent (entwöhnt) und müssen sich mit Heu oder Grünfutter begnügen. Dieses speen oder speenin kommt von einem alten span (weibliche Brust oder Zitze) und bedeutete früher ‘säugen’; jetzt steht es nur mehr für ‘entwöhnen’.

Wenn im Haus ein Kleinkind war, das die Flasche bekam, hat man die Milch oft von einer eigens ausgesuchten Kuh genommen, die extra mit Heu von einer bestimmten Wiese gefüttert wurde, wo keine Kräuter wuchsen, welche die Milch für Kinder schwer verträglich gemacht hätten.

Mit der Geschlechtsreife wird das Kalb zur Kålbl, von der schon die Rede war. Meist ließ man die jungen Rinder auch nach der Geschlechtsreife nicht sofort trächtig werden, sondern ließ sie noch eine Zeitlang laar giën, damit sie voll ausreifen und kräftig werden konnten. Auch Tiere, die schon einmal gekalbt hatten, hat man oft noch Kålbl genannt, aber es gibt auch den Ausdruck Eartmelche und manchmal wird auch noch von einer Zwait- oder Drittmelchn gesprochen, je nachdem, wie oft eine gikëlbert hat. Der Hirt, der die Kålblin hütete, wurde Këlberhirte genannt.

Später wurde auch so eine Kalbe wie jede andere riitige (brunftige, aufnahmebereite) Kuh zin Stiër ggfiërt. Dafür wurde dem Halter des Bullen das Stiërgelt geschuldet. Heute werden die Tiere meist künstlich besamt, weshalb auch vom Ruggsåckstier die Rede ist, weil der Veterinär mit der Ampulle im Rucksack kommt. Vorsicht ist geboten, wenn bei einem riitign Tier der Eisprung nicht erfolgt und sich eine Zischte bildet. Ist ein Tier prillriitig (wiederholt brunftig, aber nicht aufnahmebereit), muss es meist geschlachtet werden. Hat es jedoch auginåmmin, ist also traagit (trächtig Wie weit sich die “Gebildeten” in unserem Land von der Kultur ihrer Herkunft entfernt haben, wird sichtbar, wenn in den Medien von “schwangeren” Tieren die Rede ist. ) geworden, wird eine Kuh, die schon früher Kälber geworfen hat und Milch gibt, nach sechs bis sieben Monaten der nächsten Trächtigkeit oogigaltnt, indem man ihre Milchproduktion langsam ausgehen lässt. Wenn man sie nicht rechtzeitig galt werden lässt, dann kann es passieren, dass sie irgendwann so wie so psaicht, dass also ihre Milch nach und nach versiegt, was natürlich auch bei Krankheit oder magerer Weide passieren kann. Man sprach dann auch von einer Psaichkuë. Wenn sie dann fast ganz oogipsiichn war, sprach man auch von einer Strupfkuë, weil man sie nur mehr oostrupfn, also mit einzelnen Melkbewegungen die letzte Milch aus dem Euter holen konnte. Ein Unglück ist es, wenn die Kuh ferwirft (eine Fehlgeburt hat). Wenn das in einem frühen Stadium der Trächtigkeit geschieht, dann sagt man: si håt hiingiputzt, wenn es schon bei fortgeschrittener Trächtigkeit passiert, dann håt si hiinggschwungin. Im Hinterpasseier sagt man hiinputzn jedoch nur für das Kleinvieh. Es gibt den alten Spruch: Wenns fourn Mårtistoog iibern Påch schnaip, håt der Winter hiingiputzt (wenns vor Martini bis ins Tal schneit, gibt es keinen richtigen Winter mehr).

Nach etwa acht Monaten beginnt die traagite Kuh zu entloosn (das Euter zu entwickeln). Manchmal bildet sich schon früh ein Floss oder Kålbfloss, eine leichte Entzündung und Schwellung des Euters, die man mit Massieren, Kühlung und Einreibung (mit Steinöl) behandelt. Solch weerite (trächtige) Tiere holte man oft früher von der Alm, um sie im Stall zu halten. Sorgen macht man sich, wenn ein Rind iibertrågg, also die normale Tragzeit überschreitet. Das Absondern eines schleimigen Ausflusses kurz vor dem Këlbern, aber auch wenn ein Tier riitig ist, nennt man kenglin. Nach der Geburt legt die Kuh das Firbm oder Ggsaibere ab, also die Nachgeburt. Firbm kommt von mhd. mhd. bedeutet mittelhochdeutsch, damit ist die deutsche Sprache vom 11. bis zum 14. Jahrhundert gemeint. vürbe (Reinigung) und Ggsaibere ist wahrscheinlich als Übersetzung entstanden, als das Erste nicht mehr erklärbar war. Selbstverständlich war das auch bei anderen Tieren so und Harald Haller hat auch den Ausspruch gehört: S Lampl isch in Firbm (Gebärmuttersack) derstickt.

Von Rinderkrankheiten soll hier weiter nicht die Rede sein, das wäre ein zu weites Feld, aber ich erinnere mich, dass oft von Maul-und-Klauen-Seuche die Rede war, und dass Kühe pang (an Brucellose erkrankt) werden konnten. Vom Rausch war auch manchmal die Rede, womit wohl der Rauschbrand gemeint war. Ein lästiges Übel, wenn auch nicht so gefährlich wie die obigen, waren die Dëirwarzn oder Teerwarzn (Dasselbeulen) für die Tiere, schmerzhafte Hautgeschwülste, von den Larven der Dasselfliege verursacht. Auch Schärze konnten die Tiere bekommen, einen krankhaften Hautausschlag. Kühe, die im Poufl, dem ‘dritten Gras’ nach Heu und Grummet, weideten, konnten so stark giplaant (aufgebläht) werden, dass sie ggstochn, also ‘durch einen kunstvollen Stich mit einem speziellen Messer gerettet’ werden mussten. Zwar nicht als Krankheit, aber als ungute Eigenschaft gilt es, wenn Rinder schlerpm oder Luft leckn. So sagt man, wenn sie mit langer Zunge an der eigenen Nase lecken und dabei Luft schlucken.

Mein Vater hat die Tiere immer selber kuriert, wenn sie maroud wurden. In einer Ecke unseres Gartens gedieh eine Art Hecke, die wir Luutsteckn hießen. Ich meinte, sie heiße so, weil im Herbst nur mehr hohle Stängel emporstanden. Erst später bin ich drauf gekommen, dass es sich um Angelika officinalis handelte und dass der Name von Lubistecko kommt, wie das Levisticum im Mittelalter auf Bairisch genannt wurde. Es wurde bei verschiedenen Krankheiten von Rindern eingesetzt, vor allem soll es geholfen haben, wenn in ihrem Urin Blut war. Bei manchen Gebrechen von Tieren musste man oft lange påtzn oder preagglin, also ‘mühevoll kurieren’.

Ein Fall ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Eine Kuh war, da sie anscheinend nicht ganz gesund war, nicht mit den anderen auf die Weide getrieben worden. Irgendwann sagte der Vater zu mir, ich solle in den Stall gehen und zählen, wie oft die Kuh indruckt. Ich wusste nicht, was das Wort bedeutet, schämte mich aber zu fragen. Also ging ich in den Stall und beobachtete die Kuh. Ich bemerkte, dass sie in regelmäßigen Abständen ihren Bauch anspannte, dass sie einen Knäuel durch ihren Hals heraufwürgte, eine Weile kaute und dann wieder schluckte. Zwar hat die Kuh dabei immer wieder den Bauch “eingedrückt”, aber wie oft sie das tat, hätte ich nur mit einer Zeitangabe sagen können. Also zählte ich nach einiger Überlegung die Kaubewegungen, die die Kuh jedesmal machte. Als ich dem Vater sagte, dass sie 23 Mal kaute, bevor sie wieder schluckte, fand er, dass das zu wenig oft war, und kochte der Kuh einen Tee, der gegen Verdauungsstörungen wirksam sein sollte. Das ist ein Beispiel, wie Kinder Sprache lernen, nämlich in Zusammenhängen, die sie durchschauen können. Dass indruckn nichts mit “eindrücken” oder dergleichen zu tun hat, hab ich erst viel später aus Büchern gelernt. Es kommt nämlich von dem mittelhochdeutschen Wort iteroche für den Schlund der Rinder, und davon abgeleitet iterücken für wiederkäuen, das später in vielen Dialekten umgedeutet wurde zu indruckn, haidruckn usw. Heute sagt man auch im Passeier dafür meist inkuijin.

Eine ähnliche Verwandlung hat auch Singaisn, die gegossenen Glocke, die die Kühe im Winter im Stall trugen, durchgemacht. Es hat ursprünglich nichts mit “singen” und “Eisen” zu tun, sondern es kommt von dem mittelhochdeutschen Wort singoz oder singozzel, das nichts anderes bedeutete als kleine Glocke, auch die Ministrantenglocke wurde oft so genannt. Ja in späterer Zeit gab es sogar ein Geschütz mit dieser Bezeichnung. Der zweite Teil des Wortes, nämlich -goz (gos gesprochen), hat wahrscheinlich mit Guss zu tun, denn es handelte sich, wie schon erwähnt, um gegossene, passeirerisch ausgedrückt ggloggspaisine, Glocken. Als die ursprüngliche Form des Wortes keinen Sinn mehr ergab, hat man versucht den Namen sinnvoll umzudeuten, und wer an einem späten Winterabend an einem Stall vorbeigegangen ist und das leise Singen gehört hat, das diese Glocken von sich geben, wenn die Kühe indruckn, der wird finden, dass “Singeisen” ein sehr passender Name ist.

Wo die Tiere eine so große Bedeutung haben und wo man ständig in so engem Kontakt mit ihnen lebt, bekommen sie oft auch Namen und ihre äußeren Merkmale werden genau beschrieben.

Wer nun glaubt, dass man früher für das Grauvieh keine farbliche Beschreibung brauchte, der täuscht sich. Dabei bekamen die Farbwörter oft eine ganz andere Bedeutung, da man mit einem groben Raster feine Unterschiede beschreiben musste. So wurde eine graue Kalbe als geel bezeichnet, wenn Teile ihres Fells eine leicht ins Gelbliche oder Orange schlagende Tönung aufwiesen, und eine Kuh, deren Fell dunkel grau war, wurde als ploob (blau) angesehen. Ein Stier, dessen Fell große sehr dunkle Flächen aufwies, galt als schwårz, und selbstverständlich gab es auch praune Kühe, womit nicht etwa Exemplare der Braunvieh-Rasse gemeint waren, sondern Kühe, deren Fell zumindest stellenweise ins Bräunliche schlug. Der häufige Name Pliëme bei Kühen dürfte von Pluëmin herrühren; das waren Flecken auf dem Fell besonders gut genährter Tiere.

Da früher nicht nur auf Milchleistung und Fleischproduktion geachtet wurde, sondern auch die äußere Erscheinung des Rindes eine große Rolle spielte, wurde für Tiere, deren Hörner nicht schön geschwungen emporwuchsen, eine Hournmaschiin konstruiert. Das waren hölzerne Formen, die an die beiden Hörner gelegt und von Drähten zusammengehalten wurden, um so den Wuchs der Hörner in die richtige Richtung zu erzwingen, denn ein schön auhournts Kålbile wurde sehr geschätzt.

Da mein Vater auf schöne Köpfe bei den Rindern großen Wert legte, hat er die entsprechenden Formen für die Hörner aus Birkenholz geschnitzt und die beiden Hölzer mit Drähten verbunden, die dann mit einem Driëlile (kleines Holzstück zum Eindrehen der Drähte) auf den richtigen Abstand gebracht wurden. Diese Mühe hat sich für ihn nicht nur wegen seiner Vorliebe für schön geformte Hörner, sondern auch finanziell gelohnt. Denn der Tscharf Pijis von Kratzegg in Ulfas, für mich als Kind ein freundlicher älterer Herr mit einem kleinen Tick am linken Auge, hatte genau dieselbe Vorliebe für schöne Köpfe bei den Rindern. Ich erinnere mich noch, wie er einmal am Vormittag kam und wie er und Vater über zwei Stunden über den Preis für ein Kiëlile verhandelten. Da sie nicht handelseinig wurden, ging der Pijis nach dem Mittagessen nach Schönau, um beim Engl ein Kålbile zu erhandeln. Gegen Abend kam er wieder und es wurde weiter verhandelt. Nach dem Abendessen und dem Rosenkranz wurde noch eine Weile geratscht und dann übernachtete der Pijis in einer leeren Bubenkammer. Am nächsten Vormittag wurde man sich endlich handelseinig und mein Vater musste die Kuh dann an einem bestimmten Tag nach Moos bringen. Als der Pijis das nächste Mal zu uns kam, hat er sich darüber beklagt, wie viel Geld er bei dem Handel verloren hatte, denn niemand war auf dem Michlsmårkt (Markt in St. Leonhard um Michlstoog herum, 29. September) bereit gewesen für die schöne Kuh annähernd das zu zahlen, was er ausgegeben hatte. Aber das war deswegen noch nicht das letzte Mal, dass er mit einer von Vaters Kühen mit schön gewachsenen Hörnern draufzahlte.

Auch für andere äußere Auffälligkeiten bei Tieren gab es eigene Bezeichnungen. Ein grobknochiges, großes Tier wurde Stargg genannt. Ein Rind, das wenig Schlotter (Wamme, Hauttasche am Hals) hatte, war krooghålsit. In dem Wort steckt sowohl Kroogn als auch Håls und beide können Hals bedeuten, allerdings ist das Erste eine abwertende Bezeichnung. Wenn bei einem Tier das Unterkiefer stark vorstand, war es ggiifgoschit, wenn das Maul eine Ähnlichkeit mit einem Schweinerüssel aufwies, war es fåckngoschit, und wenn die Vorderseite des Kopfes insgesamt eine Ähnlichkeit mit einem Schweinskopf aufwies, dann war es fåckngrintit. Das waren natürlich negative Attribute, wie ja überhaupt jeder Vergleich mit Schweinen abwertend ist. Manchmal stieß ein Rind sich ein Horn ab und war dann uënhournt und ein Tier, das ein starkes Hohlkreuz aufwies, war sëiruggit, worin das Wort Sëige (Senke, Mulde) enthalten ist. Ein sonderbarer Name war Tull: er galt für den Stier, aber auch für einen hornlosen Widder und für eine Kuh mit hässlichen, abwärts gebogenen Hörnern.

Für die Rückseite von Rindern gab es besondere Beschreibungen, meist ebenfalls für Erscheinungen, die aus dem Rahmen fielen oder als nicht besonders schön empfunden wurden. Hatte eine Kuh eine sehr hohe Schwanzkuppe, so war sie hoachschwoafit, und wenn man unter der Schweifkuppe durchsehen konnte, weil die Knochen seitlich schnell abfielen, so wurde sie als houllochit bezeichnet. Fiirfallit hingegen war ein Tier mit Gebärmuttervorfall. Hatte eine Kuh oder Kalbe nur drei Zitzen, so war sie draistrichit. Kälbchen konnten nooblsealig sein, wenn sie am Nabel eine Geschwulst aufwiesen. Das Geschlechtsteil weiblicher Rinder, di Zucht, konnte zi zenge oder gelegentlich ggschwolln sein. Der Widerrist sind di Spaale – nicht zu verwechseln mit dem Spool (Bindekeil der Stricke). Es geht sicher auf das Romanische zurück, denn lad. spala, bündner. spatla steht für Schulterblatt oder Schulterstück vom Rind.

Es gab natürlich auch positiv beschreibende Wörter, wie z. B. auhournt, wenn die Hörner eines Tieres schön nach oben gebogen waren. Wenn man heute von einem hübschen und lustigen jungen Mädchen sagt, es sei ein auhournts Maadile, ist der ursprüngliche Zusammenhang nicht mehr da, aber es ist immer noch als Kompliment gedacht.

Da es neben der oben beschriebenen Tendenz, mit anderen Rinderrassen wirtschaftlich mehr Erfolg zu haben, doch auch noch Bauern gibt, die weiterhin Grauvieh halten, geraten diese Dinge nicht ganz in Vergessenheit. Im Gegenteil: ein Jungbauer aus dem Passeier, der Grauvieh und Ziegen hält, hat mir kürzlich gesagt: “Da ich mit und vom Vieh lebe, möchte ich auch schönes Vieh haben.”

Wenn Tiere sehr schnell an Gewicht zunehmen und Fleisch ansetzen, dann haben sie si ggschickt. Auch ein Mensch kann sich schickn, aber das Wort wird viel häufiger auf Tiere angewendet. Und ein Tier, das so zugenommen hat, ist dann laibig, also ‘wohlbeleibt’.

Gelegentlich wurden kräftige und gutmütige Kalben auch als Zugtiere verwendet und man hat mit ihnen Eere gigrattlt (die Erde vom unteren Ende des Ackers ans obere transportiert), Mist geführt oder man hat sie auch als Paufiich verwendet und eben kleinere Äcker mit ihnen gipaut (umgepflügt). Auch im Winter hat man oft die Kraft junger Rinder genutzt, indem man sie Weeg aurennin ließ: Statt Schnee zu schöpfen, hat man Tiere durch den tiefen Schnee getrieben, wodurch dann ein gangbarer Weg entstand.

Rosse

Normalerweise hatte man zum Pauin jedoch Rosse. Da bei uns das Gelände meist zu steil war, als dass man für die Arbeit auf den Wiesen hätte die Rosse einsetzen können, hatten nur ein oder zwei etwas wohlhabendere Bauern welche, die dann auch die Äcker der anderen mit ihren Tieren bestellten. Für mich war es immer aufregend, wenn der Haandl Luis mit seinen Rossen kam, um unseren Acker umzupflügen. Ich ging dann mit ihm in den Stall und sah, wie er die Tiere versorgte. Nach dem Heu bekamen sie immer noch zwei Ggaufn Korn: das war die Menge, die man mit den zusammengelegten hohlen Händen schöpfen konnte. Manchmal durfte ich auch die Pferde bürsten; und wenn eine der Stuten ggfiilt (gefohlt) hatte, war oft auch noch s Fiilile dabei, was natürlich für uns Kinder besonders schön war. Einmal ist dem Luis eine scheerige (brunftige) Stute vor dem Einspannen vom Pflug weggerannt, weil sie bei den Pferden, welche die Schenner drüben in der Neader nach uralten Weiderechten weiden ließen, einen Hengischt (Hengst) erahnt hatte. Der Luis musste die geflohene Stute aus dem Wald holen. Wenn auch die schöne Sage vom meineidigen Schenner, der vom Tuifl durch das Tuiflloch im Weißspitz verfrachtet und dann in die Hölle gebracht wird, weiterlebt: die Almen und Weiderechte der Schenner gehen natürlich auf die mittelalterlichen Lehensrechte der Grafen von Schenna zurück. Deshalb haben die Hitter, Ruëner und Ilbmer in den 50er Jahren auch vergeblich versucht den Schennern das Weiden ihrer Pferde in der Neader zu verbieten, und sowohl sie als auch die Såltnusser mussten sich weiterhin mit dem Recht der Frühweide auf den beiden Gostalmen, die bei uns nur die Oubere und Untere Schennerålbe hießen, zufrieden geben.

Früher hat man mit Rossen auch gesäumt, vor allem bis in die 20er Jahre, als es ab Moos noch keine Straße gab, aber auch noch in der ganzen Zwischenkriegszeit, als kaum Fahrzeuge unterwegs waren. Mein Schwager, der Wirts Luis hat noch mit dem Pferd Lebensmittel von Moos nach Rabenstein gebracht und später eine Zeitlang für eine Chemiefabrik in Mailand Granaten unter dem Granatkogel geholt und nach Moos gesäumt.

Als mein Bruder die Becherhütte und später auch die Müllerhütte übernahm, hat er die Lebensmittel nicht, wie sie das früher gemacht hatten, aus Ridnaun hinaufgetragen, sondern mit dem Mulle (Muli) von der Straße in Passeier bis zum Gletscher transportieren lassen. Ich selbst hab noch im Sommer nach meiner Matura täglich mit einem ausgemusterten Militärmuli das Material für den Becher von der Timmelsbrücke bis unter die Schwarzwandscharte gebracht, von wo es meine Brüder über den Gletscher trugen. Als dann der Hubschrauber die Transporte übernahm, hat sich das Saamen wie das Tragen erübrigt.

Der Hofname Saamer jedenfalls zeugt davon, dass es sich dabei um eine alte Tradition gehandelt haben muss. Als es noch keine Seilbahn ins Ridnaun gab, haben auf dem Schneeberg viele Passeirer den Sommer über als Saamer gearbeitet. Josef Ennemoser schreibt von 100 Pferden, die damals oben in Verwendung waren. Sie mussten die Loren von und zu den Wassertonnenaufzügen ziehen und das Material über das Sandjoch säumen. Motorisierung, Straßen und Seilbahnen haben diese Sparte in Vergessenheit geraten lassen.


zu Ennemoser:

de Rachewiltz, Siegfried (Hg.) (2010): Josef Ennemoser. Leben und Werk des Freiheitskämpfers, Mediziners und Magnetiseurs (1787 – 1854). Innsbruck: Haymonverlag.

"Tierisches"

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