Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Wåsser

Bereits in der ersten Ausgabe des Passeirer Wörterbuches haben wir den mit Schnee zusammenhängenden Wortschatz beschrieben. Dasselbe möchten wir hier auch mit den Wasserwörtern versuchen. Zwar haben wir im Passeier nicht so einen reichen Wortschatz zur Wasserwirtschaft wie die Vinschger, die seit urdenklichen Zeiten ihre Güter bewässern mussten, aber auch wir haben eine sehr große Anzahl an Wörtern, die mit Wasser und seiner Beherrschung zu tun haben. Wir können hier nicht alle Wörter, die mit Wasser zusammenhängen, behandeln, viele haben wir auch mit der Standardsprache gemeinsam.

Dass die Passeirer die Passer nie mit ihrem Namen nennen, sondern sie immer nur den Påch heißen, unterscheidet uns von den anderen Tälern, die von “Etsch, Eisack, Rienz, Talfer” und “Falschauer” reden. Das hat nichts mit der Größe oder der historischen Bedeutung unseres Flusses zu tun, sondern damit, dass die Passeirer keinen Namen für das Gewässer brauchen, weil jeder schon weiß, was mit Påch gemeint ist. Auch die Zuëtrooge werden als Bäche, allerdings mit dem Namen des Seitentales benannt: Pfeldererpåch, Wåltnerpåch usw., oder der Pergpåch in Rabenstein, weil er vom Schneeberg kommt. Kleine Rinnsale nennt man Runscht oder einfach Wåsser oder Wasserle, wenn es ganz kleine sind. Da man sich im Gelände orientieren musste, tragen auch sie oft eigene Namen. So quert man auf dem Weg zum Schneeberg das Tåttermånnwåsser. Tatsächlich hab ich beim Hüten dort gelegentlich Feuersalamander angetroffen. Zum fließenden Wasser sind auch noch die Traafn zu rechnen, die sich vom hochdeutschen Wort wie die obigen nur lautlich unterscheiden.

Tåttermandl Foto: Florian Lanthaler Tåttermandl

Auch bei stehenden Gewässern sind unsere Ausdrücke nicht weit vom Standard entfernt. Allerings merkt man bei Sea noch die Herkunft von einem w-Stamm, wenn man an das Diminutiv Seabl und den Namen Seabe denkt (ahd. lautete es nämlich sēo, sēwes). Dass der Name des Seelenkogel von Seablaskougl kommt, weil auf der Ötztaler Seite unter dem Hinteren Seelenkogel der kleine Eissee liegt, haben uns die Namensforscher sagen müssen. Die Lacke kann ein Tümpel oder ein kleiner See sein und die Lautung haben wir mit den Ötztalern gemeinsam; in den Südtiroler Dialekten sagt man sonst nämlich Låcke. Mous darf man nicht mit Miës (Moos) verwechseln, denn es steht für ‘Moor, Sumpf’. Allerdings gibt es auch den Geländenamen Sumpf für eine Gegend mit kleinen, seichten Seen in der Neader in Rabenstein.

Die Bäche entspringen im Ursprung und rinnin auf ihrem Weg über Fålln (Wasserfälle) und durch manchen Plouder (tiefe Stelle, Wasserloch) als Zuëtrooge in die Passer. In kalten Winternächten kann der Bach zufrieren und unter Rougais (dünne Eisschicht) gehen. Den Pluëtschink (Kinderschreck), der manchmal in einem Plouder haust, haben wir mit dem Ötztal gemeinsam.

Für die Bewässerung, aber auch für den Schutz von Äckern und Feldern vor Überschwemmungen und Erdrutschen, braucht man Waale. Das Wort Wool kommt von rom. aquale (Wasserleitung). Um Wasserwåsser (Wasser für die Bewässerung) zu nutzen, muss man es zunächst mit einem Schwëller (kleine Stauvorrichtung) stauen, der aus einer Mauer, einer Holzverschalung oder einem Damm bestehen kann. Im letzten Fall entsteht eine Tåmmrease. Rease stand ursprünglich für ein Wasserbett, an welchem der Flachs eingeweicht und dann wieder geröstet wurde, um ihn von den holzigen Teilen zu befreien; später wurde auch ein flaches Staubecken oder eine seichte Quellfassung so genannt. Wiëre nennt man eine künstliche Wasserleitung. Meist handelt es sich um einen Kanal; wenn sie aus einer Bretterverschalung besteht, dann ist es ein Wiërpëtt. Ein ausgeschalter Graben oder auch die Schalung selbst ist ein Ggschaal. Eine unterirdische Leitung besteht entweder aus einem Senkwool (überdeckter Wool) oder einem Roar. Vor allem Trëige (Brunnen) wurden fast immer durch einen Prunninroar gespeist. Für diesen wurden kleine Fichtenstämme mit einem Roarpourer ausgehöhlt, dessen Schneide Låffn heißt. Auf der Weide steht manchmal ein Trenktroug für das Vieh. Was ein Zigglprunnin ist, weiß man in Passeier auch, allerdings hab ich dort noch nie einen gesehen. Das Wort Ziggl geht auf rom. siclos (Kanne) zurück, denn mit einer solchen wurde das Wasser aus dem tiefen Brunnen heraufgeholt.

Vielfach wird das Wasser durch kleinere Holzrinnen, Koondlin geleitet, die aus Baumstämmen ausgehackt oder mit Brettern zusammengezimmert werden. Die häufigste ist natürlich die Traafkoondl, durch welche die Traufen, am unteren Ende des Daches vom Traafprett eingeleitet, abfließen. Aber Koondlin braucht man auch, wenn Waale im Gelände wegen Hindernissen nicht weitergeführt werden können. Ein interessantes Wort ist Roade. Ursprünglich ist es die zeitliche Zuteilung der Wasserrechte an die Benutzer, wofür es auch heute noch im Vinschgau wie bei uns verwendet wird. Bei uns steht es aber auch für einen Waal (z.B. di Flooner Roade) oder für eine große Menge Das Diminutiv Readl hat nur mehr die Bedeutung ‘eine kleine Weile’. . Eine wichtige Aufgabe hatte früher der Waaler, der eine eigene Waalerhitte hatte und mit Waalhaue und anderen Werkzeugen den Waal sauber halten musste. Heute, da fast alle Wasserleitungen in Rohren und unterirdisch verlaufen, gibt es nur mehr einen Waaler im ganzen Tal.

Eine Verbauung zum Wasserschutz heißt Årche. Das Wasser, welches über die Stauvorrichtung abrinnt, ist das Fiirwåsser und beim Brunnen das Iiberwåsser. Auskeare oder Loate ist eine Vorrichtung, Wasser aus Kanalisierungen abzuleiten, aber Auskearn gibt es auch an Wegen, damit das Regenwasser sie nicht ausspült. Das Brett, das als Absperrvorrichtung die Wasserzuleitung stoppt, nennt sich Zunge. Die letzte, steile Zuleitung zum Mühlrad ist der Schuss; dabei handelt es sich manchmal um eine schwenkbare Schusskoondl, über die man das Wasser inkearn (auf das Mühlrad leiten) oder abstellen kann. Die Abflussrinne am Straßenrand haben wir als Kanettn aus dem Italienischen (cunetta) übernommen.

Mühle Foto: Franz Lanthaler Mühle

Wenn der Blitz in eine Wasserleitung einschlägt, nennen wir das einen Wåsserstroach.

Mit den neuen Rohrleitungen kam das Wasser ins Haus und man kann es nun von der Pippe nehmen. Früher trug man es mit der Kåndl in die Küche. Für das Warmwasser, das jetzt aus dem Boiler kommt, hatte man das Wandl, eine kleine kupferne Wanne über dem Durchzug zwischen Herd und Kamin.

Die Wassermenge, die man heute in Liter, Hektoliter oder Liter pro Sekunde bemisst, hat man früher nur mit ungefähren Maßen angegeben. Bei fließendem Wasser mit einem Schwåll, einer Roade oder einem Zinsile, wenn nur mehr ein ganz dünner Strahl vorhanden war. Bei stehendem Wasser wurde es nach dem Inhalt von Gefäßen bemessen: Schåff, Kåndl, Stotz, Këlle, oder man sprach von einem Låck oder einem Schlånz.

Wir haben darüber gesprochen, wie man Wasser kearn kann, wobei kearn etwas anderes bedeutet als beim Heu. Während es dort für ‘wenden’ steht, bedeutet es beim Wasser, ‘es von irgendwo weg oder irgendwo hin leiten’. Wir brauchen hier nicht alles aufzuzählen, was man mit Wasser tun kann, wie Wasch’inwoachn oder schwenzn und vieles andere. Man kann natürlich schittn, plutschn (mit den Händen im Wasser herumspielen) und schlanzlin (Wasser in kleinen Mengen verschütten).

Dass man Wasser nicht nur zum Leben und zur Erledigung von Arbeit braucht, sondern dass es auch Arbeit erfordert, besagt das Wort fiirhåckn. Da unser Påch nicht nur bei den Ausbrüchen des Kummersees in Meran Katastrophen ausgelöst hat, sondern bei Unwetter auch im Tal selbst gefährlich werden konnte, hat man, wenn die Passer sehr anschwoll, Bäume so in die Flussbiegungen geschlagen, dass das Wasser dort nicht das Erdreich wegspülen konnte. Und im Winter, wenn es gefror, hat man in die vereisten Wege Staffl hacken müssen. Und da es damals noch keine Selbsttränker gab, musste man die Kühe nach jeder Fütterung zum Brunnen führen, wo wir dann an kalten Tagen oft auaisn (die Eisschicht auf der Wasseroberfläche aufhacken) mussten, dass die Tiere trinken konnten.

Neben den bisher genannten Gründen, weshalb man sich mit dem Wasser beschäftigen muss, gibt es einen weiteren: man hat sich schon seit urgeschichtlichen Zeiten auch seine Kraft zunutze gemacht. Denn außer Puschn pigiëßn, Felder wassern und Mischt oonschwenzn (Mist in kleinen Mengen in einen Waal geben und mit Hilfe des Wassers ihn gleichmäßig auf dem Hang verteilen), kann man es auch als Arbeitshelfer einsetzen.

Als es noch keine Straßen gab, wurde das Wasser, wo es ging, für den Holztransport genutzt. Triftn war besonders in Hinterpasseier eine sehr schwere und gefährliche Arbeit, und sie wurde vor allem im Winter betrieben. Der Flurname Lente hinter St. Martin gibt noch Zeugnis von dieser Tätigkeit: hier wurde das auf der Passer transportierte Holz geländet, denn von hier konnte vor allem das Bauholz, das ja geschont werden musste, mit Protzn und Taljaan zu Lande weitertransportiert werden. Eine große Lände gab es in Meran unterhalb der Postbrücke. Wir können sicher sein, dass Jahrhundertelang viele Häuser in Meran mit Passeirer Holz beheizt wurden und dass in vielen alten Häusern dort Holz aus unserem Tal verbaut ist.

Wir haben bereits von der Mühle gesprochen. Wenn man bedenkt, dass es im Passeier bis ins 20. Jh. für jeden 2. Bauernhof eine Mühle gab, dann kann man ermessen, welche Bedeutung die Wasserkraft für die Menschen im Tal hatte. Natürlich wurden auch die Sägewerke, deren es in jeder Gemeinde mehrere gab, mit Wasser betrieben. Nach dem letzten Krieg begann man vermehrt den Antrieb durch Druckleitungen effizienter zu gestalten, zunächst durch die Verlegung von Holzrohren, dann durch die Nutzung von Eisenrohren, weil diese viel mehr Druck vertragen und viel haltbarer sind. Nun wurden Turbinen für den Antrieb der verschiedensten Maschinen verwendet: vom Kleinkraftwerk über Aufzüge zum Eeregrattlin, für Rumplin (Dreschmaschinen), Drehbänke, Ggsoutmaschiin oder Stroapånk (Häckselmaschine zum Schneiden von Stroh und Grünfutter) usw. Mithilfe von einem Wiider (kleine Pumpe) konnte man durch den Einsatz von viel Wasser eine kleinere Menge Wasser weiter nach oben transportieren, wo man es gerade brauchte.

Eine besondere Verwendung für Wasser als Transportmittel gab es am Schneeberg: die Premsperge (Wassertonnenaufzüge) dienten dazu, das Erz über steiles Gelände mit Wasser als Gegengewicht aufwärts zu transportieren oder abwärts zu “bremsen”.

Es gibt auch eine Reihe vonWörtern, die beschreiben, was das Wasser tut. Es kann nicht nur rinnin, es kann nämlich auch ausplaibm, versitzn (versickern), es kann, entsprechend dem Zinsile, nur mehr zinslin, der Bach kann psaichn (versiegen) oder groaß giën (Hochwasser führen). Wasser kann irgendwo außersuppm (herausquellen, heraussickern) oder außerschlånzn (überschwappen), es kann ggluggern (glucksen) und spuuzn (spritzen).

Dass der Wünschelrutengänger Wåsserschmëcker heißt, ist weiter nicht verwunderlich, auch wenn er das Wasser nicht ‘riecht’, wie der Name andeutet. Und dass s Wåssermuës hintern Sea sprichwörtlich ist und die Wåsserschnålle (dünne, wässrige Suppe) an Zeiten großer Not erinnert, wissen im Passeier noch einige.