Auch in Südtirol war der Nachhall zu hören, allerdings eher zaghaft.
So gibt es zumindest einen
Dolomitenjournalisten, der uns die ganze bundesdeutsche Brühe immer wieder aufwärmt,
und auch der ("so genannte") Herausgeber der "Tageszeitung" hat sich
diesmal zu Wort gemeldet, um der Informationspflicht Genüge zu tun. Er hat dabei von
"den Herren und Damen der Korrektur" gesprochen. Ich lese die Zeitung nur
sehr sporadisch, gerade weil ihr noch regelmäßiger als den meisten anderen lokalen
Printmedien alle Fälle davonschwimmen, aber ich habe in diesem Blatt bisher weder etwas
von der alten noch von der neuen Rechtschreibung entdecken können. Das sprachliche
Erscheinungsbild des Blattes legt eher nahe, dass hier entweder die Redakteure oder
die Korrektoren überflüssig sind. Die Korrekturen handhaben die Herrschaften von der
Presse so wie so ziemlich alle sehr lasch, muss ich feststellen. Aber sie ereifern sich,
wenn es um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung geht.
Ich kann dieses ganze Theater nicht ernst nehmen. Zuerst hat die Gegnerschaft der
Neuregelung vor allem die Kosten der Umstellung ins Feld geführt; jetzt würden sie uns
plötzlich die Kosten gleich ein zweites Mal aufladen, wenn sie nur zu der von ihnen ach
so sehr geliebten und in den meisten Fällen mangelhaft beherrschten alten Schreibung
zurückkehren könnten. Sie führen immer nur die (vermeintlichen) Unsinnigkeiten der jetzigen
Schreibung ins Feld, nie die der alten. Für jeden Unsinn der neuen Schreibweise führe ich
ihnen gern zehn der alten an. Sie berufen sich vor allem auf den schwer zu regelnden "und
sicher nicht immer ideal geregelten" Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung.
Sie vergessen, wie unsicher und unsinnig gerade diese Schreibungen vorher geregelt waren.
Dass dies, wie Untersuchungen zeigen, ein Bereich ist, der in der Skala der Fehlerauffälligkeit
ganz am Ende steht, interessiert sie nicht.
Was mich als Lehrer an der Diskussion am meisten stört, ist die Gleichgültigkeit dieser
Kreise gegenüber der besseren Lehr- und Erlernbarkeit der neuen Schreibung. Wer etwas davon
versteht, weiß, dass die deutsche Rechtschreibung Schülerinnen und Schülern so wie so viel
zu früh zu viel Grammatikverständnis abverlangt. Wenn Marcel Reich-Ranicki sagt, dass er
nichts mehr lernen wolle, so mag das für ihn in Ordnung gehen (meine ganz subjektive Meinung:
Er hat auch aus der vielen Literatur, die er gelesen und seinen Landsleuten wortreich kommentiert
hat, nicht allzu viel gelernt, wie nicht nur sein Umgang mit Frauen zeigt).
Nun mögen Leute meinen, dass einer wie Günther Grass, der den Nobelpreis fürs Schreiben
bekommen hat, etwas davon verstehen müsse. Aber man bedenke: Er hat den Preis nicht für die
Rechtschreibung bekommen. Ich muss überhaupt staunen, wie unsensibel und uninformiert viele
Schriftsteller sich in dieser Hinsicht präsentieren. Dass viele Presseleute der Desinformation
aufgesessen sind, die sie selber betrieben haben, mag ja noch angehen, von den Dichtern und
Denkern der Nation hätte ich mir etwas anderes erwartet.
Natürlich gab es auch Lehrer, die hier nicht zurückstehen wollten. So hat der Vorsitzende
eines deutschen Lehrerverbandes befürchtet, man würde bald keine bewertbaren Diktate mehr
schreiben können. Wenn das seine größte Sorge ist! In vielen deutschen Lehrplänen hat man
anscheinend von der Nutzlosigkeit, ja Gefährlichkeit dieser Diktatwut noch nicht Notiz genommen.
Noch trauriger ist allerdings die Tatsache, dass viele Lehrer/innen sich immer noch nicht von
einer fehlerorientierten Didaktik und Bewertungsmethode verabschiedet haben. Sie sollten einmal
sehen, was ihre Nachbarn, z. B. die Schweizer, auf diesem Gebiet so leisten.
Dass die neue Schreibung Varianten zulässt und gewisse Freiheiten gewährt, ist doch einer
der Pluspunkte. Außer Zweifel steht ja, dass Rechtschreibung der Verständigung dient und auch
unser ästhetisches Empfinden anspricht. Und gerade die Umstellung hätte die Chance geboten,
zu reflektieren, dass es sich um eine Konvention handelt und nicht um festgeschriebene Sprach-
oder gar Naturgesetze.
Wie dem auch sei: Bei keiner Nation außer der deutschen ist eine Debatte in dieser Form
vorstellbar. Die Tatsache, dass in der Schweiz sich niemand gerührt hat und in Österreich gerade
noch ein paar versprengte Schriftsteller, ist ein Zeichen dafür, dass wir die Deutschen in
Deutschland mit ihren Problemen mit der Obrigkeit ruhig allein lassen, mit unserer sachlichen
Art, die neue Rechtschreibung umzusetzen fortfahren und uns im Übrigen wieder ernsteren Dingen
zuwenden können.