Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Romanische Reliktwörter und frühe Entlehnungen im Passeirerdialekt

Einführung

Dialekte, wie Sprachen, sind nie einsprachig, schon gar nicht in unserer heutigen Welt. Durch alle Jahrhunderte haben Kontakte mit anderen Sprachen stattgefunden, und vor allem mit neuen Gegenständen und Kulturtechniken sind auch neue sprachliche Elemente aufgenommen worden. Die traumatischen Geschehnisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben in Südtirol zu einer Verzerrung der Diskussion um sprachliche Entlehnungen geführt. Da damals alles Romanische als italienisch deklariert wurde, war auch lange nach dem Ende des Faschismus an eine objektive Diskussion über Aufnahme und Verarbeitung fremder Wörter nicht zu denken. Auch in der Interpretation der Ortsnamen zeigte sich die dezidierte Abwehrhaltung allem nicht Germanischstämmigen gegenüber (siehe Råfaine, Ploon und Griëne 1).

Tåttermandl Foto: Franz Lanthaler Tattermandl

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fir, fiir und four

fir, fiir und four

Die Präpositionen (Vorwörter) “für” und “vor” sind ursprünglich aus demselben Wort hervorgegangen. Zwar gibt es im Germanischen die Trennung der beiden, welche im Althochdeutschen dann als furi und fora erscheinen und die mittelhochdeutsch zu für und vor werden. Aber erst ab dem 18. Jh. wurde auch eine mehr oder weniger klare inhaltliche Trennung vollzogen, wobei “für” als Richtungsangabe und “vor” als Ortsangabe verwendet wurde. In unserem Dialekt gibt es nun drei entsprechende Formen, denn “für” erscheint bei uns zweigeteilt, nämlich als fir und fiir, mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen, und daneben natürlich four.

Alle drei Wörter kommen für sich vor, aber sie bilden auch zahlreiche Zusammensetzungen.

fir, fiir, four fir, fiir, four

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Stuuzschnållit und såckoorschit

Körpersprache

Das Wort “Körpersprache” ist vor der Jahrtausendwende kaum in einem Lexikon zu finden. Heute verwendet es jeder Sportreporter, wenn er aus Körperhaltung und Gesichtsausdruck von Wettkämpfern herauslesen will, ob sie noch Energie haben und an den Sieg glauben oder schon aufgegeben haben. Und es gibt sogar Abhandlungen über die Körpersprache bei Hunden und Eseln usw. Das ist eine relativ neue Wissenschaft, und man kann sich natürlich fragen, was das mit dem Passeirer Dialekt zu tun hat. Die Antwort ist einfach: Sehr viel. Schon lange, bevor P. Watzlawick den Satz formulierte: “Man kann nicht nicht kommunizieren” – womit gesagt ist, dass wir auch ohne Worte mit unserem Körper immer Botschaften aussenden –, waren viele dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse in unserer Sprache festgehalten; man hätte nur genauer hinschauen müssen.

d’Oarn austëlln Foto: Florian Lanthaler d’Oarn austëlln

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krånker und ggfrourner

Alte Form, neue Bedeutung

In der Befragung zum “Sprechenden” Südtiroler Dialektatlas Scheutz, Hannes (2016): Insre Sproch. Deutsche Dialekte in Südtirol. Bozen. waren die Formulierungen “Sie ist krank heimgekommen” und “Fischstäbchen muss man in gefrorenem Zustand anbraten” zu übersetzen.
Hannes Scheutz erklärt die Wortformen, die sich aus den entsprechenden Antworten im Dialekt ergeben: Si isch khrɔnkhr hoamkhemen und die Fischstäbchen muass man decht gfrournr onbrootn Hier in der Schreibung von “Insre Sproch”; im Folgenden sind die Dialektwörter wie im Passeirer Wörterbuch geschrieben. (S. 122). Der Dialekt hat sich hier einen Sprachstand erhalten, den die Hochsprache längst aufgegeben hat. Früher hatte das Adjektiv auch dann die dem Geschlecht und Fall des Substantivs entsprechende Endung, wenn es nicht direkt diesem beigefügt war. Während wir heute sagen: “Ein großer Mann”, aber “der Mann ist groß”, hieß es früher einmal auch im letzten Fall “der Mann ist großer”. Nun sagen wir das auch im Dialekt nicht mehr, aber die Form mit der Endung -er hat sich im Dialekt auch dort erhalten, wo die Standardsprache sie nicht mehr hat, wie die obigen Beispiele zeigen.

-er -er

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Prottlin

Zem tuët der Footer ët prottlin (Da schimpft der Vater gewöhnlich), erzählt das Treesile. Für ‘schimpfen’ gibt es im Dialekt wahrscheinlich ebenso viele Ausdrücke wie in der Hochsprache, auch wenn die Auffassung vorherrschend ist, dass die Standardsprache im Allgemeinen feiner unterscheidet als die Alltagssprache der Leute. Aber man kann im Dialekt auf jeden Fall auf vielfältige Weise seinen Unmut in Worte fassen. Hier soll es jedoch nicht um Schimpfwörter gehen, sondern um Ausdrücke, die das Schimpfen beschreiben.

Prottlin

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Fin Kourn zin Proat

S Kourn

Wie bereits in einem früheren Artikel (s Essite Teil 1) versprochen, soll hier der Ablauf beschrieben werden, der von der Kornsaat bis zur Herstellung des eigenen Brotes führt. In den Tiroler Dialekten steht Kourn für ‘Roggen’, vielleicht weil es bei den Bergbauern das wichtigste Nahrungsmittel war, das sie selbst erzeugten. Beda Weber schreibt zwar noch um 1850, also hundert Jahre vor meiner Kindheit in Rabenstein, dass dort nur die Gerste gedieh, nicht jedoch das Kourn. Da muss es inzwischen eine Klimaveränderung gegeben haben, denn der Roggen ist bei uns immer oogiriffn (voll ausgereift), während es die Gerste nicht jedes Jahr schaffte – was angesichts der älteren Beschreibungen eigentlich erstaunlich ist.

Proat Foto: Franz Lanthaler Proat

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s Essite (2. Teil)

Fin Forbmis pis zin Nåchpmål

Die Mahlzeiten

Mindestens dreimal am Tag, also zu den Hauptmahlzeiten, saßen wir alle rund um den Tisch, der unter dem Heargottswinkl (Ecke mit dem Kreuz) stand; wenn alle da waren, auch zu den Zwischenmahlzeiten. Die Männer saßen hinter dem Tisch, von den Frauen saß eine auf der schmalen Seite des Tisches auf einem Stuhl, die anderen auf der Breitseite auf der Fourpånk, einer einfachen Bank, die unter die Ofenbank geschoben wurde, wenn sie nicht in Gebrauch war. Manchmal war nicht genug Platz für alle, weil zu besonderen Gelegenheiten, wie beim Haiziëchn oder Pauin (Pflügen), oder wenn der Goaßer und der Këlberhirte bei uns in der Koscht waren, mehr Leute da waren als sonst. Dann mussten die Jüngsten, das war bei uns ich, am Kåtzntisch sitzen. Das war nichts anderes als die Sitzbank, die rund um die Stube ging. Ich saß dann auf einem Fuëßstiëlile (Fußschemel) und aß aus einer kleinen Schüssel, die auf der Bank stand, in die die Mutter mir das Essen schöpfte.

Dass vor und nach jedem Essen ein Faatrunser gebetet wurde und nach dem Abendessen der Rosenkranz und dann noch ein Faatrunser fir an niëdn Kraxntrooger, wie jemand von meinen Geschwistern es formulierte, braucht man denen, die damals auf Bergbauernhöfen gelebt haben, nicht extra zu erzählen.

Heargottswinkl Foto: Franz Lanthaler Heargottswinkl

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s Essite (1. Teil)

Essen: Lebensmittel

Früher waren die Bergbauern, ja wohl alle Bauern im Passeier, Selbstversorger, zumindest, was s Essite (die Nahrung) betrifft. Bis auf ganz wenige Nahrungsmittel, die auf der Höhe nicht gediehen, produzierten sie alles selber. Ich werde im Folgenden beschreiben, wie ich es bei uns auf Saltnuss bis in die 50er Jahre erlebt habe. Das heißt nicht, dass es überall genauso war, aber da es hier um den Wortschatz rund um das Essen geht, dürfte es keine großen Abweichungen gegeben haben.

Sëiln Foto: Barbara Lanthaler Sëiln

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Das Präfix der- im Dialekt des Passeiertales (1. Teil)

dertroogn, dertian, derschloogn

Zu dem multifunktionellen bairischen Präfix der-, zu dem es inzwischen eine Reihe von Arbeiten gibt, habe ich bereits in meiner Dissertation (Lanthaler 1971, Innsbruck, Ms, 164–175) einiges geschrieben. Zumal mein damaliges Thema die Morphologie der Verben war, habe ich Fragen der Syntax und Semantik nur gestreift. Und weil mir jetzt, wo ich in der Diaspora lebe, manche Arbeiten nicht zugänglich sind, beziehe ich mich in diesem 1. Teil meiner Arbeit, in dem es nach einer Einführung in die Problematik ausschließlich um das modale Präfix geht, zusätzlich zu meinen Notizen von damals in erster Linie auf die beiden einschlägigen Arbeiten von Barbara Sonnenhauser und Wolfgang Tessadri Herrn Tessadri möchte ich für das Überlassen seines Manuskripts ganz herzlich danken, ebenso Frau Birgit Alber für die Vermittlung des Kontakts und für gute Ratschläge. .

Präfix der-

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Råfaine, Ploon und Griëne (Teil 2)

Herkunft und ursprüngliche Bedeutung der Namen

Vorrömische und romanische Namen

Viele Orts- und Flurnamen haben wir von den romanisierten Bevölkerung übernommen, die vor der Ankunft der Bajuwaren die Gegend besiedelt hat, teils in Dauersiedlungen, teils durch Nutzung hoch gelegener Weidegebiete in der Almwirtschaft. Die Römer nannten die Provinz Raetia, und die Bewohner werden dem entsprechend die Räter genannt. Während man die romanischen Namen meist noch gut erklären kann, ist das bei vorrömischen Bezeichnungen oft nicht mehr möglich, oder man ist auf gewagte Hypothesen angewiesen, wie auch beim Namen Passer – den die Passeirer nie in den Mund nehmen. Um 770 wird unser Bach zum ersten Mal in einem Dokument erwähnt als Passires amnis, und zwar vom Meraner Aribo, der als Bischof von Freising das Leben seines Vorgängers, des hl. Korbinian, beschreibt, der ebenfalls aus der Meraner Gegend stammte. Nebenbei erwähnt er da eben auch die Passer. Die erste Erwähnung findet also der Bach (lat. amnis heißt ‘Fluss’), von dem das Tal dann den Namen bekam. Die Bedeutung des Wortes ist nicht mehr sicher zu ergründen, wenn auch die Namensforscher meinen, es komme von romanisch passura (Durchgang, Übergang), da doch die Römer schon über den Jaufen eine Straße gebaut hatten.

Passer Foto: Florian Lanthaler Passer

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Råfaine, Ploon und Griëne (Teil 1)

Gelände- und Ortsnamen

Vor Jahren, als Harald Haller das Gasthaus in Moos umbaute, hat er mir einen dort im Keller gelagerten Wegweiser mit der Aufschrift PLAN gezeigt, unter die jemand hingeschrieben hatte: “Wir brauchen keine welschen Namen”. Das hat mich, obwohl ich kein Namensforscher bin, dazu bewogen, über die Orts- und Geländenamen unseres Tales mehr in Erfahrung zu bringen. Ich finde es nämlich schade, dass sich die ganze Diskussion auf die faschistischen Übersetzungen und Fälschungen konzentriert, die alles Romanische einfach als “italienisch” erklärt haben.

Pfelderertal Foto: Florian Lanthaler Pfelderertal

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Hachl, Håmme, Hiintrooger

Spuren der Vergangenheit in der Sprache

So wie in einer Stadt trotz der vielen Neubauten und Abrisse in den Jahrhunderten immer wieder alte Häuser, Mauerreste, Brunnen und Bilder vom Leben der Menschen von früher zeugen, so hat sich auch in der Sprache vieles von der Geschichte der Menschen früherer Zeiten abgelagert. Obwohl die Sprache vordergründig ganz anderen Zwecken dient, ist in ihr doch auch eine Art Museum angelegt.

Schmålzmoudl Foto: Florian Lanthaler Schmålzmoudl

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auchn/audn, afoure und durch

Orts- und Richtungsangaben im Passeier

Der Raum im Dialekt

Es gibt heute eine umfangreiche Literatur darüber, wie in verschiedenen Kulturen und Sprachen Raum und Landschaft gesehen und beschrieben werden. Früher war man der Meinung, dass die Raumvorstellung allen Menschen angeboren sei und dass man die sprachlichen Unterschiede übersetzen könne. Wir wissen jetzt, dass das nicht stimmt, denn es gibt Sprachen, die rechts und links und vorne und hinten nicht so unterscheiden wie wir Mitteleuropäer. Dass es auch bei uns Unterschiede gibt, ist mir aufgefallen, als ich in der Zeitung las: “Da war Feuer am Dach”. Denn die Übersetzung bei uns würde lauten når isch Fuir afn Dåch giweesn. Zwar haben wir das trennbare Präfix oon- in oonfångin, oonhëibm, oontiën, oonzintn, oonhoobm, aber eine entsprechende Präposition “an” gibt es in unserem wie in vielen anderen Dialekten nicht, sie muss ersetzt werden: durch af, wie im obigen Beispiel, durch in bei Datumsangaben in Ërchtig (am Dienstag), in Peaterstoog (am 29. Juni), oder durch pi/pa (bei) bei Angaben wie “nahe an, angelehnt an”: dee Kåndl pan Heert entn (der Eimer drüben am Herd), s Prett, dës pa der Maure zuëchn luënt (das Brett, das an die Mauer gelehnt ist). Mit pa wird oft auch eine Gegend oder ein Gelände bezeichnet: pa di Seabler oubm (bei den kleinen Seen) in der Seeber Alm, pan åltn Koat oubm (wörtlich: beim alten Ungeziefer = ein bemooster Stein) in den Rossgruben neben dem Schneeberg.

Wegweiser Foto: Florian Lanthaler Wegweiser

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Altes zum Passeirer Dialekt

B. Weber, M. Insam und J. Ennemoser

Beda Weber

Der Theologe und Schriftsteller Beda Weber, 1798 in Lienz geboren und 1858 in Frankfurt gestorben, war Lehrer am Gymnasium Meran und eine Zeitlang Kooperator in St. Martin, später Abgeordneter in Frankfurt. In seinem sicher als Standardwerk zu bezeichnenden Buch über das Passeier Weber, Beda (1852): Das Thal Passeier und seine Bewohner. Mit besonderer Rücksicht auf Andreas Hofer und das Jahr 1809. Innsbruck, führt er auch einen Abschnitt mit der Überschrift “Sprache. Volkslieder” (S. 273–310). Das “Eigenthümliche”, das er an der Sprache der Passeirer feststellt, ist dann jedoch recht wenig. Da er den Taldialekt mit dem der Nachbarschaft, also vor allem der Meraner Gegend und des Etschtales, vergleicht, erwartet man sich nach der Ankündigung klare Aussagen zu den Eigenschaften der beschriebenen Mundart.

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Systemverändernde Tendenzen in der Mundart des Passeiertales am Beispiel einiger Verbformen

Dieser Artikel wurde zuerst im Schlern 48/1974, H 7-8-9, 469–474, dann in meinem Buch (2012): Texte zu Sprache und Schule in Südtirol. Meran: AlphaBetaVerlag, 13–24 veröffentlicht. In der folgenden Version ist der Artikel inhaltlich unverändert und in der damaligen Rechtschreibung, nur die Auszeichnung der Zitate und die Dialektschreibung sind leicht verändert. So wird die ursprüngliche Schreibung von hier mit der in gemäßigter Lautschrift üblichen Schreibung ia wiedergegen, also piag, siag, schliafn usw.

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In Laitnin, der Annins

Die Fälle im Psairerischen

Der Dialekt wird von Deutschlehrerinnen und -lehrern immer wieder angefeindet; nicht sosehr, weil er andere Wörter hat als das Hochdeutsche, sondern vor allem, weil er die Fälle anders verteilt als dieses. So regieren im Passeirerischen alle Präpositionen (Vorwörter) den Dativ (dritten Fall), auch wenn sie die Richtung ausdrücken, und nicht den Standort. Wir sagen: I gea in der Stuub’inhn oder miër foorn in der Stått außn. Wenn die Lehrpersonen schlau wären, würden sie den Kindern sagen: “Sobald im Dialekt zusätzlich zu einer Präposition (Vorwort) auch noch eine Richtungsangabe steht, müsst ihr im Hochdeutschen den Akkusativ (vierten Fall) nehmen! Wenn es also heißt: Er geat af der Ålb’ auchn/audn, so ist da mit ‘hinauf’ die Richtung angegeben, daher ist es in der Hochsprache mit: ‘Er geht auf die Alm’ wiederzugeben.” Wenn die Kinder beim Schreiben und Reden im Standard die Fälle also nicht richtig verwenden, so ist nicht der Dialekt schuld, sondern ein Sprachunterricht, der die Unterschiede nicht richtig aufzeigt und nicht die richtigen Strategien vermittelt.

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ët, frai und hou

Kurz und bündig im Dialekt

Es gibt Wörter im Dialekt, die es im Standard nicht gibt oder die dort eine ganz andere Bedeutung haben, anders gebraucht werden und oft auch schwer übersetzbar sind. Es geht hier nicht um Wörter wie Feachn (Sommersprossen) oder Hëitsche (Kröte), für die andere Dialekte andere Bezeichnungen haben und deren Gebrauch keine Besonderheiten aufweist, sondern um so Wörtchen wie ët oder frai oder hou. Außerdem gibt es Äußerungen, die man nicht als Wörter bezeichnen kann, die jedoch genauso wie Wörter eine feste Bedeutung haben, obwohl sie mit normalen Schriftzeichen nicht wiedergegeben werden können.

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Woos ålls kimmp

So wie tiën und giën, die wir bereits beschrieben haben, ist auch kemmin ein Verb mit vielen Bedeutungen und Einsatzmöglichkeiten, reicht es doch von a der Welt kemmin bis ums Leebm oder umkemmin. Was im Grimmschen Wörterbuch zu “kommen” steht, würde allein schon ca. 70 Seiten füllen. Und wenn man alle Möglichkeiten von kemmin beschreiben wollte, wäre das zu umfangreich für diese Seiten. Deswegen wollen wir hier nur einige Gebrauchsmöglichkeiten des Wortes behandeln und die interessantesten der vielen Redewendungen, die damit gebildet werden, etwas genauer ansehen.

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siëg, tat, glaabit

Der Konjunktiv

Weer nit mågg, deer håt khåp!”, pflegte man zu Kindern zu sagen, die sich weigerten eine bestimmte Speise zu essen. Und dann wurde der Tisch abgeräumt. Diese Aussage steht im Indikativ, der Form des Verbs (Zeitwortes), die angibt, was “wirklich” ist (vom lateinischen Wort indicare, ‘angeben, anzeigen’). Der obige Spruch sagte etwas unverrückbar Wahres aus, denn, wer seine Suppe nicht gegessen hatte, ging dann ungessner in Pëtt (ohne Abendessen ins Bett). Neben dieser Form des Verbs gibt es auch noch den Konjunktiv, der nicht aussagt, was ist, sondern was gedacht oder behauptet wird oder was sein könnte oder unter bestimmten Bedingungen wäre. Den Konjunktiv gibt es in zwei Formen: den Konjunktiv I (auch Konjunktiv Präsens genannt, weil er vom Präsensstamm des Verbs gebildet wird), z. B. bei hochdeutsch “gehen” und “sagen”: “Sie sage schon die Wahrheit, aber sie gehe nicht gern zur Schule.” Und den Konjunktiv II (der vom Präteritumstamm des Verbs gebildet wird), wiederum Beispiele von gehen und sagen: “Es ginge schon gut, wenn er nur die Wahrheit sagte.”

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Die klitischen Pronomen im Dialekt des Passeiertales

1. Einleitung

Das System der Personalpronomen wird in der Literatur allgemein als zweiteiliges System beschrieben, in welchem neben den Vollformen der einzelnen Pronomen eine ganze Reihe von reduzierten Formen bestehen, die man als Klitika bezeichnet, weil sie nur in enger Verbindung mit einem anderen Wort erscheinen, im Deutschen sogar nur entweder vorne oder hinten an ein anderes Wort angehängt. Der Terminus Klitikon kommt vom griechischen klinein (neigen, lehnen), und die Ausdrücke Proklise und Enklise bezeichnen die Anhaftung solch unselbständiger Morpheme vorne oder hinten an einem Träger. Im Normalfall sind Klitika im Deutschen Reduktionsformen unbetonter Pronomen und Artikel. Für das Deutsche können wir daher getrost als Klitika bezeichnen, was Nübling (92,2) lapidar als solche definiert: “alle diejenigen Einheiten …, die weder Wort noch Flexiv sind.” Ein Klitikon ist nach dieser Definition also ein Morphem, das (in dieser Form) nicht als selbständiges Wort vorkommt, sondern nur als an ein anderes Wort angeheftetes (angelehntes) Element, mit welchem es eine phonetische Einheit bildet. Wie weit dieser Status jedoch eine grammatische Veränderung an seinem Träger verursacht, wird noch zu sehen sein. Nübling (92,14) bezeichnet die so entstandene Einheit als “Phonotagma” oder “phonetisches Wort”, andere bevorzugen dafür “phonologisches Wort”.

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Saufiich, Joorkålb, Jochgair, Kåtznloatern

Tierisches 5: Schimpfwörter, Übernamen, Vergleiche, Sprüche, Geländenamen

Wo man so eng mit den Tieren zusammen gelebt hat, ist es nicht verwunderlich, dass es auch Schimpfwörter und Vergleiche mit Tieren gab, die es ja auch in der Standardsprache gibt, denn, wer als dumm gilt, wird seit jeher als Esel bezeichnet. Da Tiere sehr störrisch sein können, konnten auch sie mit Schimpfwörtern bedacht werden, etwa als Saufiich, Råppmfiich, Luëderfiich oder Huërnfiich. Einmal hab ich mit meinem Vater eine Gruppe Këlber auf Fëss, in unser Almgebiet gebracht und ein Jaarling hat in einem plötzlichen Rappl, vielleicht von Preemin (Stechfliegen) belästig, den Zaun durchbrochen und ist in das etwa 12 m tiefer liegende Bachbett gefallen. Ich musste schnell meinen Bruder Heinrich rufen und zusammen mit dem Vater haben sie das Kalb heraufgeholt. Es hatte nichts gebrochen, aber anscheinend eine Gehirnerschütterung erlitten, denn im Gegensatz zu seiner Zwillingsschwester war es seitdem unberechenbar und wurde von uns di Nårrite (Verrückte) getauft.

Grischerle Foto: Nicholas Rizziero Grischerle

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Kiinighoose, Stoaßgair, Graatsche

Tierisches 4: Tiere in der Natur

Unser Dialekt hat selbstverständlich auch eigene Bezeichnungen für Tiere, die nicht zum bisher beschriebenen Fiich, also zu den Nutztieren gehören, sondern die in der freien Natur vorkommen. Dass freilich die Namen von Fux und Peer und Hoose und Mårder nur lautlich geringfügig von den Standardbezeichnungen abweichen, ist bei der Häufigkeit, mit der sie in der Literatur und in den Medien vorkommen, nicht weiter verwunderlich. Aber viele Tierarten haben eigene Namen im Dialekt und gelegentlich gibt es besondere Wörter für ihre Beschreibung oder für Vorgänge, die mit ihnen zu tun haben. Z. B. sagt man, wenn man auf die Fuchs- oder Hasenjagd geht, zin Fux giën oder zi di Gampsn giën, wie man eben auch sagt: miër giën zin Holz oder zin Hai, wenn man zur entsprechenden Arbeit geht. Und wenn es feucht und nebelig war, sagte man a Wetter zi di Hoosn (ein Wetter für die Hasenjagd). Im Schnee kann man auch an Fux oder a Reach ggspiirn. Das heißt nicht, dass man sie spürt, sondern dass man ihre Spuren findet. Fux passn kennen viele im Land. Zunächst einmal kommt es daher, dass die Jäger, wenn sie einen Fuchsbau ausgemacht hatten, den Fuchs dort abpassen konnten. Dann aber ist der Ausdruck weit verbreitet für das Warten auf die Geburt eines Kindes, wenn die Zeit gekommen ist.

Hirsch Foto: Nicholas Rizziero Hirsch

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fiirgiën, Perg, Aagrit, Struuzer

Tierisches 3: Haltung und Nutzung der Tiere

In den höher gelegenen Höfen waren die Nutztiere oft fast zwei Drittel des Jahres im Stall. Entsprechend war der Bedarf an Futter, über das an anderer Stelle die Rede sein wird (siehe pan Hai). Jeden Morgen und Abend bekam jedes Rind einen Puschn (Büschel) Heu, das durchs Schopploch (Futterloch im Stadelboden) in die Loater (Futterkrippe) geschoben wurde. Am Ende bekamen sie noch in einem Stotz (viereckiges Holzgefäß) eine Handvoll Miëte (Kraftfutter), die meist aus Grischn (Kleie) oder geschrotetem Korn, Palln (Heublumen) und etwas Salz bestand. An manchen Tagen im Jahr gab es für das Vieh auch a waiche Miëte, also geweihtes Kraftfutter. Da es noch keine Selbsttränker gab, mussten sie nach dem Füttern und Melken zin Troug (Brunnen) getrieben werden, der immer in der Nähe des Stalles stand.

Ggigger Foto: Florian Lanthaler Ggigger

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Happfiich

Tierisches 2: Bezeichnungen für Kleinvieh

Neben dem Rind war das Happfiich ebenfalls von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Der erste Teil des Wortes kommt vom lateinischen caput (Kopf). Mit Happ wurden Ziegen und Schafe, also das Kleinvieh, kollektiv bezeichnet, nach der Art, wie sie gehandelt wurden: sie wurden nämlich im Großhandel iiberhaps – wie man sieht, ist da wieder das Wort Happ drinnen gekauft, auf Latein per capita (kopfweise). Das heißt, dass man nur die Köpfe zählte und nicht den Wert der einzelnen Tiere abschätzte.

Dieses Kleinvieh lieferte den Bergbauern wertvolle Lebensgrundlagen: beide lieferten Fleisch, dazu die Ziege den ganzen Sommer über Milch und das Schaf gab die für die Kleidung wichtige Wolle.

Happfiich Foto: Christian Kofler, Jenner Happfiich

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Kålbl, Minnich und Ggërre

Tierisches 1: Bezeichnungen für Tiere

Tiere sind das Kapital der Bergbauern und haben daher immer schon im Leben eines Großteils der Menschen im Tal eine zentrale Rolle gespielt. Wenn meine Naandl (Großmutter) zu uns kam, fragte sie meinen Vater als Erstes immer: Nåcher Kuntner, s Fiich ålls ggsunt? (Na Kuntner, ist alles Vieh gesund?), was meine Mutter immer in Rage brachte, weil ja auch noch acht Kinder da waren.

Rintfiich Foto: Christian Kofler, Jenner Rintfiich

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giën giën

Etwas Besonderes hat es mit dem Wort giën in vielen Dialekten auf sich, und selbstverständlich auch im Passeier. Zunächst bedeutet es einmal ‘gehen’. Aber es hat auch viele andere Bedeutungen. Man denke nur an die Frage: wië geats in Footer? (wie geht es dem Vater?). Da wird mit giën nach dem Gesundheitszustand von jemandem gefragt. Und wenn man sagt: dës geat nit, dann heißt das, dass etwas nicht möglich ist oder nicht vorkommen sollte. Und dann gibt es unendlich viele Zusammensetzungen mit giën: s Kourn geat au (der Roggen geht auf), di Fårbe geat oo (die Farbe geht ab), di Zait fergeat (die Zeit vergeht), di Milch geat iiber (die Milch geht über), s Gelt geat drau (das Geld geht auf), in Toag muëßmin giën låssn (den Teig muss man gehen lassen) und deer Saarner geatder nit guët, probiër an åndern (dieser Saarner sitzt nich gut, probier einen anderen). Da alles auf der Welt immer in Bewegung ist, ist dieses Verb wohl eines der am häufigsten gebrauchten Wörter in unserer Sprache.

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Giwaltig, klatschn und wandern

Hochdeutsches im Passeirer Dialekt?

Wer das Passeirerische nicht so gut kennt, der fragt sich vielleicht, warum die manchmal hochdeutsche Wörter in ihre Rede einstreuen, wo das gar nicht notwendig wäre.

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houl kilbe oder haunzit

Klima und Wetter

Für Menschen, die sehr viel Zeit a der Waite (unter freiem Himmel) verbringen, haben Klima und Wetter eine ganz andere Bedeutung als für den Städter, der sich in seine geheizte Wohnung zurückziehen kan. Das setzt sich dann auch in der Sprache ab. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es in unseren Dialekten viele Bezeichnungen für klimatische Erscheinungen gibt. Und natürlich wussten die Leute immer schon auch die Anzeichen für bevorstehende Wetterereignisse zu deuten, denn schließlich musste man ja rechtzeitig entscheiden, ob man s Hai nou kearn (wenden) oder s Gruëmit ggårggern (auf Sprossengestelle legen) sollte. Erst Anfang der 50er, als der Knecht unseres Nachbarn ein Radio kaufte, konnten wir uns auf den Wetterbericht von Radio Beromünster verlassen.

Foto: Florian Lanthaler

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Zwischenregister der deutschen Sprache in Südtirol

Dies ist der in Wozu angegebene Artikel von 2001. Es handelt sich um einen Vortrag bei der Tagung “Die deutsche Sprache in Südtirol”, die der Autor zusammen mit Kurt Egger im Jahr 1999 in Bozen organisiert hat. Da der Verlag die Restbestände längst eingestampft hat und die Ausgabe, vor allem im Passeier, nicht sehr bekannt gewesen sein dürfte, soll hier denen, die der Text interessieren könnte, noch einmal die Gelegenheit geboten werden, ihn zu lesen. Es war eine damalige Bestandsaufnahme: Inzwischen hat sich vieles verändert und würde heute nicht mehr so bewertet, aber die Grundidee des Textes halte ich immer noch für gut, denn eine Reise durch die verschiedenen Sprachschichten in Südtirol, die gleichzeitig eine Zeitreise und eine Reise durch einen Teil unseres Landes ist, erlaubt es uns den sprachlichen Werdegang vieler junger Leute aus ländlichen Gegenden in Südtirol nachzuzeichnen.

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tian als Vollverb und als Funktionsverb

Das Verb “tun” hat im Standard eine breit gefächerte Semantik und ist in einer Reihe von Redewendungen vertreten. Ob man nun “gegen seine Zahnschmerzen etwas tun muss” oder ob “etwas nichts zur Sache tut”, häufig ersetzt dieses Verb aufgrund seiner diffusen Semantik andere, oft auch präzisere synthetische Ausdrücke mithilfe analytischer Formulierungen, wie etwa “schmerzen” durch “weh tun” oder umgekehrt, ganze Äußerungen, wie: “Du solltest jetzt eigentlich für die Prüfung lernen, aber das tust du nicht.” Dieses Beispiel ist jetzt schon eher süddeutsch und würde von vielen wohl als umgangssprachlich eingestuft.

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tëi-tëi, di Lalle, huschile

Kindersprache

Obwohl der Spracherwerb der Kinder etwas so Natürliches und Selbstverständliches ist, dass man meinen möchte, es brauche von Seiten der Erwachsenen gar nichts dazu, gibt sich doch jede Sprachgemeinschaft Mühe, der nächsten Generation ihre Sprache, und zwar die “richtige”, weiterzugeben. Dabei tun die Eltern meist intuitiv das, was die Spracherwerbsforschung als richtig erkannt hat: Sie sprechen deutlicher und vereinfachen ihre Äußerungen. Oft passen sie die Wörter auch den Aussprachefähigkeiten der Kleinen an. So entstehen in einer Sprache oder einem Dialekt kindersprachliche Wörter. Damit sind also nicht nur die Wörter gemeint, die die Kinder in frühen Phasen ihrer sprachlichen Entwicklung selbst gebrauchen, sondern auch die, welche die Erwachsenen im Gespräch mit Kindern verwenden. Die Sprachwissenschaft verwendet dafür den Ausdruck “Ammensprache”.

Schlatterle Foto: Franz Lanthaler Schlatterle

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In an Icktum

Lateinisches im Dialekt

Die Sprache der alten Römer, das Latein, war durch Jahrhunderte die Sprache der Gelehrten, in der sie diskutierten und schrieben, und bis 1963 war es die Sprache der kirchlichen Liturgie. Da ist es kein Wunder, dass Spuren dieser Sprache in allen europäischen Sprachen zu finden sind, nicht nur in den romanischen, sondern eben auch in den germanischen, slawischen usw. Das Deutsche würde ohne den Einfluss des Lateinischen heute ganz anders aussehen. Aber wie weit ist auch der Dialekt davon betroffen?

In an Icktum håtse den Tisch oogiraump khåp und di Kårtn außergitoon, sagte der Spieler lobend von der Hausfrau, die er zu einem Karterle aufgefordert hatte. Wer ein bisschen medizinisch gebildet ist, weiß heute, was ein Iktus ist, nämlich ein Schlaganfall. Und wie fast alle medizinischen Fachausdrücke kommt das Wort aus dem Lateinischen: ictus kommt von icere (werfen, schlagen) und heißt: Hieb, Stich, Treffer. Im Passeier bedeutet in an Icktum ‘im Handumdrehen, in kürzester Zeit’.

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Nië kuënder

Doppelte Verneinung im Passeirer Dialekt

Doppelte Verneinung, also die Verneinung der Verneinung, bedeutet Bejahung, und zwar im Passeirer Dialekt ebenso wie in der klassischen Logik.

Häufig bedeutet eine doppelte Verneinung sogar verstärkte Bejahung, z. B.: sel isch nit nicht! (das ist doch allerhand!) bedeutet, dass man betonen will, dass etwas nicht bedeutungslos ist, sondern dass das Gegenteil der Fall ist. Auch Verneinung von herabsetzenden Ausdrücken bedeutet meist eine positive Verstärkung: fir den håne nit wiënig ausgeebm (dafür/für diesen habe ich viel bezahlt); zem isch ins nit lëts gångin (da ist es uns nicht schlecht/ziemlich gut gegangen).

Aber es gibt in manchen Sprachen die doppelte Verneinung, wo nicht die eine die andere aufhebt, sondern wo die negative Aussage durch ein zweites Wort der Verneinung bestätigt wird. Als Verneinung gilt auch eine Vorsilbe, die eine positive Eigenschaft ins Gegenteil verkehrt. Wenn z.B. schniitig (mutig) oder fuërl (geschickt) durch un- oder um- zu umschniitig und umfuërl wird. Wenn jemand sagt: dës isch kuën umfuërls Hëlb, dann heißt das, dass der Handgriff nicht schwer zu handhaben ist, sondern sich geschickt gebrauchen lässt. Und dës isch kuën Unguëter bedeutet, dass die betreffende Person umgänglich ist und einen guten Charakter hat.

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A Plattl und a Pilferle

Das Diminutiv im Dialekt des Passeiertales

Dieser Artikel war Hans Moser zum 80. Geburtstag gewidmet und ist in der entsprechenden Sammelausgabe “Mathis-Moser, Ursula und Thomas Schrödert (Hgg.)(2019): Miszellen und mehr. Hans Moser zum 80. Geburtstag, 141 – 168.” ins Netz gestellt worden.

Dies ist derselbe Text mit kleineren Erweiterungen und einigen Korrekturen, u.a. was die Gliederung des Artikels betrifft.

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Das Präfix g- im Dialekt des Passeiertales

Das Präfix g- spielt sowohl in der Flexion des Verbs als auch in der Wortbildung des Dialekts eine bedeutende Rolle. Es wird für die Bildung des PP gebraucht und es ist besonders produktiv in der Bildung von – vor allem deverbalen – Subtantiv- und Adjektivableitungen. Außerdem sind im Dialekt noch Spuren seiner früheren Funktion als semantischer Modifikator von Verben nachweisbar.

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Wåsser

Bereits in der ersten Ausgabe des Passeirer Wörterbuches haben wir den mit Schnee zusammenhängenden Wortschatz beschrieben. Dasselbe möchten wir hier auch mit den Wasserwörtern versuchen. Zwar haben wir im Passeier nicht so einen reichen Wortschatz zur Wasserwirtschaft wie die Vinschger, die seit urdenklichen Zeiten ihre Güter bewässern mussten, aber auch wir haben eine sehr große Anzahl an Wörtern, die mit Wasser und seiner Beherrschung zu tun haben. Wir können hier nicht alle Wörter, die mit Wasser zusammenhängen, behandeln, viele haben wir auch mit der Standardsprache gemeinsam.

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oonggstochn oder guët au

Trunkenheit

Bei der Vorstellung des Ridnauner Wörterbuchs hat Prof. Max Siller die Reichhaltigkeit der Ausdrücke für das hervorgehoben, was man allgemein als Umgang mit Alkohol und seine Wirkung beschreiben könnte. Dabei ist mir klar geworden, dass das natürlich auch für das Psairerische gilt wie wohl für die meisten Dialekte. Getrunken hat man ja schon immer, und oft mehr als man sich leisten konnte. Daher haben die Leute auch eine Reihe von Ausdrücken, sowohl für diese Beschäftigung selbst wie für die Zustände, die sie zur Folge hat.

In unserer Kultur war der Umgang mit Alkohol zwar nicht auf seltene gesellschaftliche Ereignisse beschränkt, er gehörte allerdings auch nicht zum Alltag der meisten Menschen.

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Pfinstig, Pfoate und dës

Bairische Kennwörter im Dialekt des Passeiertales

Der Passeirer Dialekt gehört, wie alle Tiroler Dialekte, zum südbairischen Sprachraum und teilt mit den anderen Mundarten dieser Sprachlandschaft die so genannten bairischen Kennwörter. Der Begriff stammt von dem bekannten österreichischen Dialektforscher Kranzmayer und bezeichnet eine Reihe von Wörtern, die außerhalb des bairischen Sprachraums nicht vorkommen. Die meisten von ihnen haben eine sehr interessante Geschichte, die wir im Folgenden etwas näher beleuchten wollen. In diesem ersten Teil betrachten wir die häufigsten dieser Wörter.

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pan Hai

Heuarbeit

Vor der Mechanisierung der landwirtschaftlichen Arbeit durch Mähmaschine, Traktor, Heulader usw. verbrachte man auf den Berghöfen einen Großteil des Sommers pan Hai, also bei der Heuarbeit.

Auf den gedüngten Wiesen am Hof gibt es meist drei Grasschnitte: Hai, Gruamit und Poufl, in den Talniederungen gelegentlich auch noch einen Noochpoufl; auf hoch gelegenen Wiesen wurde der Poufl meist abgeweidet. Im Unterschied zum Heu aus den Bergmähdern wird das von den gedüngten Wiesen auch melchs Hai genannt, während Ersteres als gålts bezeichnet wird, was nicht heißt, dass es ans Galtvieh verfüttert wird.

Heuarbeit Foto: Franz Lanthaler Heuarbeit

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Masserai

ungefähr genau

Wenn die Passeirer einkaufen gehen oder Bestellungen machen, dann verwenden natürlich auch sie die handelsüblichen metrischen Maße wie Meter, Kilo und Liter usw., und natürlich muss di Masserai auch stimmen. Aber in unserer Alltagssprache haben sich auch viele alte Maßangaben erhalten und es gibt in ihr auch eine Reihe ungenauer Angaben für Mengen, Zeit und Entfernungen. Besonders diese Letzteren sind im Dialekt stark vertreten, weil wir ja im Alltag nicht immer ganz genaue Angaben brauchen. Wenn der Zimmermann sagt: Schiëb/schuib mer dës Prett nou a Gidankl hee, dann weiß der Lehrbub, was damit gemeint ist. Der Meister hätte dem Buben auch sagen können, er sollte es a Rickl oder a kluans Prëckl heerschiëbm. Wenn das Brett ums Kennin zi lång isch, kann man a Fetzile abschneiden, wenn es jedoch ums Oorschleckn zi kurz isch, ist nichts mehr zu machen. Solche knappen Maße gelten nicht nur für Distanzen, sondern auch für die Zeit. So kann jemand sagen: Haint hatt i pan an Haarl s Poschtaute fersaump. Und jemand kann etwas in an Icktum herbeizaubern.

Gefäß Foto: Florian Lanthaler Gefäß

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gipliëmp, ggseechn, Khear

Was die Vorsilbe gi- leistet

Die Vorsilbe ge-, die wir im Hochdeutschen unter anderem dazu brauchen, die Vergangenheitsform der Zeitwörter zu bilden, z.B. “gesagt, gefunden, gekommen”, erscheint im Passeier vor den meisten Lauten als gi-, also giweesn, gitoon, gileegn, vor einfachem Vokal erscheint sie nur als g-, also gërgert bei ërgern, und gårbitit bei årbitn, vor Zischlauten erscheint sie als gg-, also: froogn – ggfrågg, seechn – ggseechn, schrajin – ggschriirn, straitn – ggstriitn, und vor h schließlich tritt sie als k- auf: kheart, khuckt, khoalt. Man könnte diese letzten Wörter einfach mit k- schreiben, aber das h nach dem k zeigt an, mit welchem Grundwort sie zusammenhängen, eben: hearn, huckn, hoaln. Diese Lautung tritt immer in der entsprechenden Nachbarschaft auf, unabhängig davon, an welches Wort die Silbe angehängt wird, also auch bei Haptwörtern wie: Giwëir, Girëide,Ggsicht, Ggstraiß, Ggfëll, Khear.

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Neue Rechtschreibung, alte Leier

oder von der Orthoschizophrenie einer Nation

Die Nachricht dieses Sommers war nicht die Neonazigefahr, auch nicht die Kursk-Katastrofe, schon gar nicht die Nachricht, dass Reinhold Messner nach Südamerika auswandern will (wer hat ihm das schon abgenommen!) oder dass Frau Dr. Müller Autoscheiben einschlägt (natürlich nur um Hunde wieder zu beleben). Das waren Schlagzeilen für einige Tage. Nein, die Nachricht, die das Sommerloch wirklich gefüllt hat, war die Ankündigung der FAZ, sie werde zur alten Rechtschreibung zurückkehren.

Wie sie sich da alle ins Zeug gelegt haben! Herr Nonnenmann von der FAZ hat die Prozession angeführt und der Nobelpreisträger Grass und sein Intimfeind Reich-Ranicki haben sich gleich hinter ihm Hand in Hand eingereiht. Auch prominente Politiker haben ihre Stimme erhoben, in der (wohl berechtigten) Befürchtung, sie könnten die rührenden Worte, welche sie ihren Freunden am offenen Grab nachschicken, in der neuen Schreibung nicht mehr so gefühlvoll ablesen. All diese Leute haben die Neuregelung, deren Umstellung sie zunächst mit allen Kräften behindert haben, nach zwei Jahren für gescheitert erklärt, obwohl sie auf sieben Jahre angesetzt war. Dass das nicht seriös ist, werden die Herren selber kaum bestreiten können.

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