Dialekt und anderes
Franz Lanthaler
Altes zum Passeirer Dialekt
Inhalt
B. Weber, M. Insam und J. Ennemoser
Beda Weber
Der Theologe und Schriftsteller Beda Weber, 1798 in Lienz geboren und 1858 in Frankfurt gestorben, war Lehrer am Gymnasium Meran und eine Zeitlang Kooperator in St. Martin, später Abgeordneter in Frankfurt. In seinem sicher als Standardwerk zu bezeichnenden Buch über das Passeier Weber, Beda (1852): Das Thal Passeier und seine Bewohner. Mit besonderer Rücksicht auf Andreas Hofer und das Jahr 1809. Innsbruck, führt er auch einen Abschnitt mit der Überschrift “Sprache. Volkslieder” (S. 273–310). Das “Eigenthümliche”, das er an der Sprache der Passeirer feststellt, ist dann jedoch recht wenig. Da er den Taldialekt mit dem der Nachbarschaft, also vor allem der Meraner Gegend und des Etschtales, vergleicht, erwartet man sich nach der Ankündigung klare Aussagen zu den Eigenschaften der beschriebenen Mundart.
Zunächst ist die Behauptung, dass man im Passeier das e im Inlaut erhalten habe, wo das “deutsche Volk an der Etsch” diesen Laut abzustoßen pflege, doch ein wenig überraschend. Demnach hätten die Passeirer um 1850 nicht “g’sungen, G’sang, Gnade”, sondern “mit Emphase auf dem e gesungen, Gesang, Genade” gesagt, im Burggrafenamt hingegen hätte das erste Wort g’sung’n gelautet. Nun finden wir tatsächlich bei konservativen Taldialekten häufiger als bei schon stärker an die Gemeinsprache angepassten Mundarten die Erhaltung des Schleiflautes ə (schwa) in der Vorsilbe ge-. Aber eine genauere Untersuchung bei einer Reihe von Dialekten in Südtirol ergibt ein sehr differenziertes Bild, und die Annahme, dass die Erosion dieses Lautes in weniger als 100 Jahren so konsequent erfolgt sein sollte, wird schwer zu bestätigen sein. Heute ist dieser Laut – der bei uns einem schwachtonigen i näher ist als einem e – noch in vielen Positionen erhalten, allerdings gerade in den von B. Weber angegebenen Beispielen nicht. Vor s, f, h und Vokal fällt er weg. Da man damals möglicherweise noch häufig auf Hochdeutsch, d.h. in Gebeten und Predigten, “Genade” gesagt hat, könnte dieses Beispiel stimmen. Allerdings finden sich in den Texten von Johann Jakob Pöll aus Ulfas, der ein Zeitgenosse von Beda Weber war, nur Beispiele ohne e, also “Gnade” und “gnadenreich”. Ich bin auch fest überzeugt, dass man damals in Meran ggsungen so ausgesprochen hat, wie man es heute noch spricht und nicht *gs'ung'n. B. Weber nimmt also das e auch dort weg, wo es heute noch besteht, und wenn er das, was er besonders gut kennen sollte, das Meranerische, falsch hört, dann kann man sich auch nicht darauf verlassen, dass er das Passeirerische richtig gehört hat. So behauptet er nicht nur, dass man im Passeier Mona und Zona für Mond und Zahn sage, wo die Nachbardialekte Mun und Zun hätten und die Ultner gar Mau und Zau sprechen würden. Nun ist zwar das lange o von unserem Moone in den Etschtaler Dialekten zu u, also Muun geworden und in Ulten zu Mãu, aber das kurze o, oder vielmehr å von Zånd ist nirgends zu u geworden, sondern der Zahn heißt sonst überall, auch im Ulten, Zån, wenn er nicht Zånd heißt.
Das auslautende e, das die Etschländer damals bereits abgestoßen hatten, sei in Passeier “gern in a” übergegangen, also “Böcka, Schüssa statt Böcke (Böck), Schüsse (Schüß)”. Ein Passeirer habe eine Begebenheit von 1809 auf folgende Weise erzählt: Ist mer a sötta (solcher) Franzosa nocher geloffen; nor bin i über a Maur ochn gehupft, und hon mer die Nosa in der Era (Erde) einch’n gestoassen. Auch würden die Ortsnamen “Brantach, Gondach, Pirchach” häufig Branta, Gonda, Pircha lauten. Angeblich sagte man bei Fragen auch denna? statt ‘denn?’ und wia soda? für ‘wieso denn?’.
Danach gibt der Autor ein (fiktives) Zwiegespräch zwischen zwei Frauen, Ursch und Geada, wieder, in welchem eine Reihe von Wörtern und Formen vorkommen, die im heutigen Passeirer Dialekt nicht mehr zu finden sind, z B. heunta, loader, ött, wia soda, warumma denn, namla, nangger, die im heutigen Sprachgebrauch das Tales so lauten würden: haint, laider, nit, zwui (wiësou), (nemlich), fraile.
Wir fragen uns nun, in welchem Ausmaß die Unterschiede zum heutigen Sprachgebrauch dem Sprachwandel zugeschrieben werden können und inwieweit sie auf ungenaue Wiedergabe oder falsches Hören zurückzuführen sind. Leider haben wir aus dieser Zeit keine verlässlichen Aufzeichnungen, die uns Aufschluss geben könnten. Der große Sprachforscher Josef Schatz, Begründer der Tiroler Mundartkunde, erwähnt in seinem Büchlein, das gut 70 Jahre nach Beda Weber erscheint, Passeier nur gelegentlich, aber bei den Aussagen des Sprachwissenschaftlers ist auch entscheidend, was er nicht sagt. Wenn er etwa im Pustertal die Erhaltung des -a als ein Merkmal erwähnt, das die Mehrzahl bestimmter Wortarten unterscheidet, beim Passeirer Dialekt aber dazu nichts sagt, ist daraus zu schließen, dass er einen solchen Laut hier nicht gehört hat. Außerdem bezeichnet er den sonst verdienstvollen Beda Weber in sprachlichen Dingen als sehr unzuverlässig.
Dass das von B. Weber wiedergegebene Gespräch fiktiv (erfunden) ist, merkt man nicht nur am Wörtchen loader. Kein Passeirer und keine Passeirerin hat je loader gesagt, statt laider. Der Autor hat festgestellt, dass viele hochdeutsche ai (geschrieben [ei]) im Dialekt als oa erscheinen, und verwendet das auch in diesem von ihm erfundenen Zwiegespräch. Zwar sagt man auch heute noch es tuëtmer load und uan ëppis zi Loade tiën, auch gibt es load, loadig oder loadle in vielen Tiroler Dialekten, aber loader ist für keinen Tiroler Dialekt in irgend einer Quelle vermerkt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass der alte Komparativ ’leider’ je so ausgesprochen wurde. Auch anderes kann der Autor nicht so gehört haben: heunta ist kein Dialektwort, und öt statt nit kennt Weber aus dem Pusterischen, nicht aus dem Passeier. Und dass Frauen aus St. Martin warumma statt zwui oder wiësou gesagt haben, ist sehr unwahrscheinlich. Zwar ist im Wörterbuch von Schöpf nangger für das Passeier angegeben, aber dort steht es für ‘vielleicht’, während Weber es mit ‘freilich’ übersetzt.
Ein Endungs-a wird auch von anderen gehört. Auch Tarneller, der die
Höfenamen dokumentiert, schreibt “Wegá, Leitá, Birchá, Hofá”, wobei á
für nicht verdumpftes a steht. Und Egon Kühebacher (mündliche Mitteilung 1963) will diese fast wie ein a klingende Endung bei Wörtern wie môna
‘Mond’ noch in den 50er Jahren in Stuls gehört haben. Aus meiner
Kindheit habe ich einen a-ähnlichen Laut nur im gedeckten Auslaut und
auch da nur in Affektäußerungen in Erinnerung: sel isch dëcht dar
Taifl!, isch ar mar nit lai…!, im offenen Auslaut überhaupt nicht.
Ich kann mir also diese Unterschiede in der Wahrnehmung nicht erklären.
Wenn B. Weber allerdings behauptet, man habe im Passeier neben Mona
für Mond auch Zona für Zahn gesagt, dann kann man ihm das einfach
nicht mehr abnehmen, denn wie wäre aus Zona wieder Zånt geworden?
Auch die Sprache durchläuft die Geschichte nicht rückwärts. Wenn es im
Passeirerischen Zånt und Zende lautet, dann geht das auf das
Mittelhochdeutsche zurück, denn dort lautete das Wort zan
, zand
, zant
und kommt natürlich vom selben Stamm wie das romanische dent
. Hat der
Dialekt den Dental – d oder t – einmal abgestoßen, hängt er ihn
nicht wieder an. Es kann also nicht einmal Zona geheißen haben und
jetzt wieder Zånt. Sonderbar erscheint auch die Lautung eich'n für
‘hinein’, wo die Passeirer heute innin und inhn sagen. Die
Enderjocher sagen ja heute noch aichn, aber wenn man im Passeier je
ainchn gesagt hätte, wäre es in Hinterpasseier sicher erhalten
geblieben oder auch dort durch das außerpsairerische innin ersetzt
worden und nicht zum jetzigen inhn geworden.
Auch das mit der Erhaltung aller inlautenden e bei der Vorsilbe ge-, wie sie B. Weber verzeichnet, scheint mir übertrieben. Richtig ist die Wiedergabe von geprediget, denn es heißt tatsächlich heute noch giprëidigit. Dem Autor entgeht wahrscheinlich, dass dieses e – das ja an vielen Stellen ein i ist – im Passeier nur in bestimmten Positionen, also in einer bestimmten Nachbarschaft, vorkommt, nicht jedoch in jeder; dass es also z.B. ggfrågg und ggseechn und gårbitit und khoaßn heißt, neben gileegn, giwëllt, giproocht, gitroogn usw.
Zwar lobt Weber den Passeirer Dialekt als wohllautend und geschmeidig, entsprechend dem Passeirer Volkscharakter, den er als weich und geschmeidig empfindet. Er glaubt das jedoch der alemannischen Herkunft der Passeirer zuschreiben zu können. Das Eigentümliche an der Sprache der Passeirer lasse “die Reste altdeutscher und rheinländisch-mittelhochdeutscher Ausdrucksweise unmöglich verkennen.” Nun sind die Passeirer ganz bestimmt keine Alemannen und wenn in unserem Dialekt noch öfter als in anderen und als in der Standardsprache die Herkunft aus dem Mittelhochdeutschen sichtbar ist, hat das nichts mit dem Rheinländischen zu tun, sondern damit, dass bei uns diese Elemente einfach besser erhalten geblieben sind.
In den vielen Liedern, die er in St. Martin hört und aufschreibt, ist gar einiges vom Passeirer Dialekt dabei, einzelne Ausdrücke wie Kuchldiern, Pleschgatter, an Rahler, aber auch Redewendungen wie Was triffts denn af uen, thue mer Bschoad, I honn nit derweil, mier ist des uen Ding. Das klingt echt passeirerisch, aber dann ist wieder ständig von einem Duenal für ‘die Geliebte’ die Rede. Abgesehen davon, dass das Diëndl bei uns nur für das Kleid verwendet wird, nicht für Mädchen, ist diese Form des Wortes viel weiter östlich in Österreich beheimatet.
Das Abenteuerlichste jedoch sind seine Erklärungen der Ortsnamen. So
führt er Easchpaam auf “Easch, Lerche im Munde des Volkes” zurück,
Prisch auf prise
(Jagd, Fang auf Französisch) oder bruscia
=
Dornbusch, Ggomioon auf keltisch Cam
, der Weg, Ulfas auf “Welfengut”
usw. Das sind reine Erfindungen.
Matthias Insam
Der in Meran geborene Matthias Insam, der später Gymnasiallehrer in Bayern wurde, beschreibt in seiner Dissertation, die er 1933 in München einreicht, die Lautung des Dialekts im Burggrafenamt Insam, Matthias, Der Lautstand des Burggrafenamtes von Meran, Leipzig 1936 und damit auch die des Passeiertales.
Über weite Strecken beschreibt er den Passeirer Dialekt treffend, z.B. die nasale Aussprache bei Wörtern wie a Fains, a Kluëns gibt er richtig als ɒ faĩs, ɒ kluɒ̃s in Lautschrift wieder usw. Allerdings hört er Sõkliãrt auch ohne Näselung und schreibt liɒchert, liɒhhert, liɒrt. Auch dass wir b zwischen Vokalen eher als w aussprechen, hat er richtig erfasst: schtuiwer, waiwele usw. Dass bei uns zwischen m und l ein b eingefügt wird: huɒmbl, wåmblen, ist auch richtig. Ich bezweifle allerdings, dass er umanåndret und deeretepeign und dessetepeegn gehört hat.
Weitere Wörter bei Insam sind: fårrëståt ‘Platz vor dem Gaden’, das wir als Fårschtått oder Fåschtått kennen; ausgeraume ‘Futterreste’, sauwer unggenoɒt für ‘ganz und gar’ und Lentholz für ‘angeschwemmtes Holz’.
Wörter, die wir nicht im Wörterbuch haben: Långgång ‘Mittelfinger’, gewange ‘großer, starker Busen’, ooranggisch ‘abränkisch’(?) – ein Wort, das es weder hochdeutsch noch in anderen Dialekten zu geben scheint –, huɒw ’ein kleiner Löffel voll’ (wir kennen nur Hiëbl), huamkrånkit ‘Heimweh’, immerling ‘immer’, schtorian ‘Geschichte’, schleazn ‘schlüpfrig sein’, rauschprånt ‘Rinderkrankheit’(wo wir nur Rausch kennen, denn ‘Rauschbrand’ ist die hochdeutsche Übersetzung).
Für Stuls registriert Insam den Satz: påll disunne huemgeat, tuatsi auskiiglin. Hier zeigt sich, dass ein “Auswärtiger” nicht weiß, wo man die Redeteile abtrennt. Der Stuller sagt: påltisunne … Da man in Meran sagen würde: påll di sunn …, meint er, es sei auch im Passeier so. Aber wir sagen: påld oder pålt, und nicht påll. Und wir sagen zwar, dass die Sonne auf den Bergen oonkëiglt, wenn sie aufgeht, denn das Wort steht für den ersten Wurf in die Folln. Aber auskëiglin, wenn sie untergeht, hab ich nie gehört, und auskiiglin schon gar nicht. Wir wissen also nicht, ob das jemals so gesagt wurde oder ob jemand es nur einmal scherzhaft verwendet hat. So kommen falsche Beschreibungen über den Dialekt in die Literatur.
Insam bringt eine Mundartprobe aus Rabenstein, benannt “Der meineidige Schenner”. Es ist natürlich die alte Sage vom Schenner, der die obere Schenner Alm (heute “Gostalm”) unrechtmäßig erworben hat und vom Teufel nach seinem Meineid in die Hölle verfrachtet wird.
Der Text, der in einigen Abschnitten die Lautung unseres Dialekts korrekt wiederzugeben scheint, enthält beachtliche Schönheitsfehler, die dem Einheimischen sofort auffallen. Ich gebe Insams Text, der in einer besonderen Lautschrift verfasst ist, hier in der mehr oder weniger vereinfachten Schreibung des Passeirer Wörterbuches wieder, sodass man sehen kann, dass einiges an dieser Erzählung bei einem älteren Rabensteiner auch heute noch so klingen würde, anderes hingegen nie so geklungen haben kann.
“Mundartprobe 3 (Rab., Pass.) Der meineidige Schenner
a) doo isch amåll a schännerpauer geweesn, unteer håt ålbm pehaupet, eer håt after ålm unterder goschtwånt gerechte.
b) untoo isch zen schwäärn kemmen, untoo håter pauer ëppas an eere indi schuache oochn getoon untafn huat håter iim an schëpfer auchngschtëckt unt nåcher håter gsågg:
c)“sou lång ass ii åf main grunt umpoudn schtäa unter schëpfer ouwer main isch, schwëir ii, ass di ålm main isch.”
d) doo isch offer der tuifl kemmen, håtn af der ålm orla augeklaup untisch mitiim durch dii goschtwånt ggfoorn, ass man haint nou s loch gschpiart.
e) fa doo wäck håter tuifl a fätzl a gerëidn khåp und isch hints zen roobmstuanersäa durchgflougn. påll er pa prischa iiwern wåldisch, håter sain schwoaf noochgezouchn, ass ålle faichtn ferdërrt sain.
f) in der schennerålm nåcher håter tuifl in schenner uunmiigl derhëp, fa ploaß schwaar und isch gången afan schtuan niiderhuckn.
g) wia deer schtuan hoast, woasii ët nit, kraaln umpuachstoobm håpman drau gseechn, offer es håt se niamet derleesn.
h) fa tsäm ischtertuifl mitn mainoadign augflougn unt wärt schu irgnpou in dii eere panan loch inhn sain.”
Neben sprachlichen Ungereimtheiten erschüttern auch inhaltliche die Glaubwürdigkeit dieser Aufzeichnung.
So sind die Gerechte, also ‘Almrechte’ des Schenners angeblich unter der Gostwand, die dem Dorf Moos gegenüber liegt, unter dem Weißspitz, in dessen Westgrat das “Schenner Loch” zu sehen ist. Zu meiner Zeit hat in Rabenstein niemand von der Gostalm geredet, sondern sie hieß d’Oubere Schenner Ålbe. Kein alter Rabensteiner hätte diese Ålbe mit der Gostwand in Verbindung gebracht. Und wenn der Teufel den meineidigen Schenner auf der Alm mitgenommen hat, dann ist er mit ihm wohl kaum zuerst durch den Grat des Weißspitz geflogen, um ihn dann wieder talein zum Rabensteiner See zu bringen und dann noch einmal auf die Schenneralm zurück. Außerdem glaubten wir als Kinder genau zu wissen, wo der Tuiflstuën ist, nämlich in Saltnuss, hundert Meter unter dem Roten Haus in des Ouberhausers Feld, nicht auf der Alm.
Wenn da steht untoo, dann ist das die richtige Wiedergabe der Aussprache, denn wir sagen ja nicht und doo, sondern wir sprechen es wirklich als untoo aus, weil hier zwei Mitlaute zusammenstoßen; bei untisch für und isch ist das jedoch fraglich, denn hier wird wirklich d gesprochen; ålle faichtn und vieles andere ist ganz stimmig.
Aber die Rabensteiner Gewährsperson sagt angeblich auch Folgendes:
schännerpauer: Ich glaube nicht, dass ein Hinterpasseirer damals schänner mit einem so offenen ä gesprochen hat, aber das könnte noch hingehen. Dass jemand in Rabenstein pauer gesagt haben soll, glaube ich nicht – es sei denn, im Interview wollte jemand für einen, der aus Deutschland kam, verständlich sein, und hat sich daher dem Hochdeutschen angepasst. Dasselbe gilt für ålm und eine Reihe anderer Aussagen: in Rabenstein hat es immer Ålbe geheißen, nie Ålm.
schwärn für schwëirn ist eine Verschreibung; der Zwielaut e-i (bei uns im Wörterbuch: ëi) müsste deutlich zu hören gewesen sein und ist zwei Zeilen später auch richtig wiedergegeben.
iim für iin: Der Schenner hätte iim an schëpfer auf den Hut getan. Damals wie heute gab es auch für den dritten Fall keine Endung mit -m. Heute würde es heißen : er håt’n … ’er hat sich …’.
offer für oober. Im Wörterbuch schreiben wir bei solchen Wörtern der besseren Lesbarkeit halber imer b, auch wenn die Aussprache tatsächlich einem w näher kommt: oower, ower für ‘aber’; dieses offer ist allerdings ein klarer Fall von Fehlschreibung.
mitiim wiederum statt mit iin, wie oben.
durchti gåschtwånt. Wenn das so gesagt wurde, dann ist es wieder eine Anpassung an das Hochdeutsche, denn damals hat kein Rabensteiner durch mit dem Akkusativ verwendet; es hätte wenn schon heißen müssen der der Ggåschtwånt (durch).
gschpiart müsste natürlich ggspiirt heißen; außerdem würde man eher sagen, dass man das Loch sieht, nicht, dass mans spürt.
Im Weiteren kommen vor: fätzl für Fätzile, gereidn für Girëide, ferdërrt für ferdorrt, schännerålm für Schennerålbe, uunmiigl wohl für amiigl nit, schu für schun, indi eere für in der Eere. Kein alter Rabensteiner hätte dërrn und dorrn verwechselt.
Da es zur damaligen Zeit oft noch üblich war, dass man Pfarrer oder Lehrer befragt hat, könnte die Gewährsperson ein Auswärtiger gewesen sein, das würde einige Ungereimtheiten erklären. Falls es sich jedoch tatsächlich um einen Rabensteiner handeln sollte, dann können wir einige dieser Wendungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dem Versuch zuschreiben, für einen Außenstehenden verständlich zu formulieren, andere der Fehlinterpretation des Forschers, der Dinge nicht so hört, wie sie gesprochen worden sind. Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Fall bei ët nit in g), denn ët bedeutet ‘gewöhnlich, öfter, normalerweise’. Bei Schatz wird et für Passeier und Ötztal als Verstärkung und Bestätigung angegeben. (Siehe ët, frai und hou) Das passt an dieser Stelle der Erzählung nicht, denn hier wäre viel eher ein ëtz, also ‘jetzt’ zu erwarten. Das würde bedeuten: ‘Das weiß ich gerade nicht, das fällt mir gerade nicht ein.’
Auch schu und uunmiigl sind wohl einem falschen Hörverständnis
zuzuschreiben, oder besser gesagt: es handelt sich um
Fehlinterpretationen nach dem Modell anderer Mundarten. Interessant ist
das Wörtchen hints in e); es ist das mittelhochdeutsche hinz
für
‘bis’; da Schatz es für das Ötztal, das Passeier und das Jaufental
ebenfalls verzeichnet, können wir annehmen, dass es Ende der 20er oder
Anfang der 30er Jahre noch zu hören war, während ich, der kurz danach
geboren ist, es in meinem Leben nie mehr vernommen habe.
Während man nun einige sprachliche Ungereimtheiten in dem Text mit einem nicht besonders geglückten Interview erklären kann, finde ich für die verkehrte Geografie in der Geschichte keine befriedigende Erklärung.
Joseph Ennemoser
Der aus Rabenstein stammende berühmte Freiheitskämpfer und Arzt Joseph Ennemoser (1787–1854), der beim Riibl auf Hütt aufgewachsen ist, schreibt zwar nicht über den Passeirer Dialekt, gebraucht jedoch in seinen Lebenserinnerungen Rachewiltz, de, Siegfried (Hg.) (2010): Josef Ennemoser. Leben und Werk des Freiheitskämpfers, Mediziners und Magnetiseurs (1787 – 1854). Innsbruck: Haymonverlag. einige Dialektwörter in schriftsprachlicher Verformung. Da der Text allerdings von deutschen Freunden abgeschrieben, ja zu einem guten Teil nur nach den Erzählungen Ennemosers aus der Erinnerung festgehalten wurde, ist einiges missverständlich verschriftlicht. So ist die Aussage, dass das Gelände so steil ist, dass selbst die Hennen “verschnuppen”, nur zu verstehen, wenn man weiß, dass unser schaipm als ‘scheuppen’ verhochdeutscht wurde, was wir bei Beda Weber auch tatsächlich finden, und dass in der Sütterlinschrift ein e leicht mit einem n verwechselt werden konnte. Wenn wir jedoch lesen, dass das Vieh “besehen” werden musste, so ist da unser pseechn drin, und dass man die Milch in die “Melter” molk, dass die Kühe “scherzen”, dann stehen dahinter Wörter, die wir heute noch gebrauchen. Außerdem werden genannt: “Basel, Wasen, Speik, Orken” und “Vormuß”, womit unsere Paasl, Woosn, Spaik, Norggn und Forbmis gemeint sind. Etwas erstaunt hat mich, dass der erfahrene Hirt Ennemoser – immerhin war er mit 12 schon Këlberhirte (Galtviehhirt) auf Moodigëss – von der “Rablerin” als der ranghöchsten Kuh in der Herde spricht. Robler kennt man aus Ulten oder Teilen von Vinschgau; bei uns heißt das Leittier oder das stärkste Tier jedoch Proudler oder Proudlerin.
Es ist schade, dass wir den wenigen Aufzeichnungen über das Passeirerische in früheren Zeiten so gar nicht trauen können und daher so wenig über den wirklichen Zustand der Sprache damals wissen.