Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Pfinstig, Pfoate und dës

Bairische Kennwörter im Dialekt des Passeiertales

Der Passeirer Dialekt gehört, wie alle Tiroler Dialekte, zum südbairischen Sprachraum und teilt mit den anderen Mundarten dieser Sprachlandschaft die so genannten bairischen Kennwörter. Der Begriff stammt von dem bekannten österreichischen Dialektforscher Kranzmayer und bezeichnet eine Reihe von Wörtern, die außerhalb des bairischen Sprachraums nicht vorkommen. Die meisten von ihnen haben eine sehr interessante Geschichte, die wir im Folgenden etwas näher beleuchten wollen. In diesem ersten Teil betrachten wir die häufigsten dieser Wörter.

Pfinstig und Ërchtig

Zwei solcher „Paradewörter" sind die Bezeichnungen für die Wochentage Dienstag und Donnerstag. Letzterer heißt in unserem traditionellen Dialekt Pfinstig und ist ursprünglich eine Übernahme aus dem Griechischen, denn dort wurde er pente hemera, also ‘Tag fünf’ genannt. Für die Germanen begann die Woche nämlich am Sonntag, sodass für sie der Donnerstag eben der fünfte Tag der Woche war. Ins Bairische kam das Wort über die Goten, einen ostgermanischen Stamm, der lange im Byzantinischen Reich lebte und dem wir die erste Bibelübersetzung in eine germanische Sprache verdanken. (Übrigens war es ein Sklave aus Kleinasien, also ein “Ausländer”, den die Goten geraubt hatten und Wulfila (Wölfchen) nannten, der später dann ihr Bischof wurde und das erste große Dokument in einer germanischen Sprache schuf, nämlich die Wulfila-Bibel.) Die Bezeichnung für den Donnerstag übernahmen die Goten also aus dem Griechischen in ihre Sprache, wo er dann paíntedags (sprich: pentedags) hieß. Als sie später versprengt wurden, kamen einzelne Gruppen über den Balkan herauf zu den Baiern und überließen ihnen eine Reihe von Wörtern, die andere germanische Stämme nicht hatten. Durch die Lautverschiebung wurde das Anfangs-p zu pf und das t im Innern des Wortes zu z, was den bayerischen Pfinzda ergab. Und so haben wir heute noch den Pfinstig – sofern wir ihn noch haben! Denn inzwischen sagt wohl auch bei uns schon die Mehrheit Donnerstoog.

Der Ërchtig hatte dieselbe Geschichte. Wie alle mitteleuropäischen Völker benannten die Griechen den Dienstag nach ihrem Kriegsgott Ares (die alemannische Bezeichnung Zieschtig und die englische Tuesday gehen auf den Namen des germanischen Gottes Ziu zurück; die Lateiner nannten den Tag “dies Martis”, nach ihrem Kriegsgott Mars, von dem die Italiener (martedì) und die Franzosen (mardi) ihre Bezeichnung jeweils übernommen haben). Die Goten, die zur arianischen Glaubensgemeinschaft gehörten, tauften die griechische Bezeichnung ein bisschen um und benannten den Tag nach ihrem Religionsgründer Arius; so erhielten sie den Areínsdags (sprich: Arinsdags). Daraus ist bei den Bayern dann über fünf Ecken der Ergetag und bei uns eben der Ërchtig geworden. und

Pfoate und Såmstig

Auch die Pfoate (Hemd), die wohl aus einer späteren Zeit stammt, kommt aus dem Griechischen; es ist eine lautliche Übernahme aus baíte, einem Hirtenrock aus Fell. Nicht auf das Bairische beschränkt ist der Såmstig; er hat es sogar bis in die süddeutsche Hochsprache – im Norden hat man dafür ja den Sonnabend – und ins Französische (samedi) geschafft, ist jedoch sprachgeographisch auf die gleichen Wurzeln zurückzuführen wie die Vorigen. Er geht nämlich auf den hebräischen Sabbat zurück, der im Spätgriechischen sambatos lautete und in dieser Form den Balkan heraufgetragen wurde, wo er heute noch im Ungarischen als szombat (sprich: sombåt) vorzufinden ist.

Ës und enk

Weitere bairische Kennwörter sind ës, (in Hinterpasseier dës) und enk. Sie gehen nicht auf das Griechische zurück, sondern sind alte germanische Fürwörter für die Bezeichnung der “Zweiheit” mit der ursprünglichen Bedeutung “ihr beide, euch beide(n)”. Solche “Duale”, also Fürwörter oder Verbformen, die sich auf ein Paar bezogen, gab es früher in vielen Sprachen. In den bairischen Dialekten nun hat dieses ës, enk das gesamtdeutsche “ihr, euch” ersetzt.

Die im Hinterpasseier übliche Form dës ist durch die Anhängung der Endung des Verbs (Zeitwort) in der zweiten Person Mehrzahl entstanden. Aus: geat ës? heart ës? (gesprochen geatës oder geatis; heartës, heartis) (geht ihr, hört ihr?) wird irgendwann, wenn das Fürwort in der „normalen" Satzstellung vor dem Verb erscheint, dës geat, dës heart. Wortkombinationen wie geatës und heartës werden somit uminterpretiert und neu aufgefasst als eine Zusammensetzung aus gea+tës hear+tës. Dass dadurch das dës, das “ihr” bedeutet, gleich lautet wie das dës mit der Bedeutung von “dieses”, ist kein großes Problem, weil man ja im Gesprächszusammenhang immer versteht, welches von den beiden gerade gemeint ist. Übrigens haben viele Nachbardialekte inzwischen dieses ës in zweifacher Form. So sagt man etwa schon in Meran, aber auch im Etschtal und im Vinschgau: ës håps säll aa ggseechn, ës miëßts ëppes tiën. Dieses an das Verb angehängte -s ist nichts anderes als das ursprüngliche ës, das zur Endung des Verbs erstarrt ist und nun an jedes Verb in der 2. Person Mehrzahl angehängt wird. In der Sprachwissenschaft sagt man: es ist “grammatikalisiert” worden, das bedeutet in diesem Fall, dass aus einem eigenständigen Wort eine nur mehr grammatisch bedeutsame Endung geworden ist. Aus diesem Grund müssen die Sprecher dieser Dialekte die ursprüngliche Form von ës noch einmal in den Satz bringen, was die Passeirer eben nicht tun; sie sagen: säll håp dës aa ggseechn und: dës miët ëppis tiën. Neben den Passeirern haben sich allerdings noch einige Südtiroler Dialekte die alte Form ohne -s bewahrt: die Ultner, die Tisner, die Tschögglberger, die Sarner und viele Pusterer. Noch weiter vorangeschritten ist dieser Prozess allerdings in den nördlicher gelegenen mittelbairischen Dialekten, wo dieses -s als grammatische Endung sogar an die Bindewörter (Konjunktionen) ob, wenn usw. angefügt wird, sodass es in einem Satz wie: i woass nit, obs es des gseechn hopts, gleich dreimal erscheint.

Tengge

Ein anderes bairisches Kennwort, das wir mit allen Tiroler und vielen anderen bairischen Dialekten gemeinsam haben, ist tengge. Es hatte ursprünglich ebenso wie link die Bedeutung ‘ungeschickt, langsam’. Da die Mehrzahl der Menschen Rechtshänder sind und also mit der Linken weniger geschickt umgehen können, ist diese Bedeutung auf die weniger geschickte Körperseite übertragen worden. In den bairischen Dialekten hat sich das tengge gehalten, das im Hochdeutschen eben durch “link(s)” ersetzt worden ist. Oswald von Wolkenstein spricht noch von seinem “tengken arm”. Man sieht daraus, dass es häufig Zufälle in der Geschichte sind, die bestimmen, ob ein Wort hochsprachlich wird oder ob es ein reines Dialektwort bleibt.

Wenn der Passeirer also von einem Tenggn redet, meint er einen Linkshänder. Di Tengge hingegen ist die linke Hand, kann aber auch eine Sense sein, eben a tengge Seegnsn. Da unser Kornacker im hintersten Passeier durch einen markanten Felsrücken vor dem Timmelsjochwind geschützt, auf der Schneeberger Seite jedoch dem Wind schutzlos ausgesetzt war, mussten oft große Teile des steil abfallenden Ackers mit der Tenggn geschnitten werden. Bei dieser waren sowohl das Sensenblatt als auch der Schiëber (Sensenstiel) mit Krickl (vorderer Griff) und Stoaß (hinterer Griff) anders herum angeordnet, sodass also die Tengge die Führungshand war.

Ein besonders aussagestarkes Wort ist umtengge, das der ursprünglichen Bedeutung von tengge durch das vorgesetzte um- zur Bedeutung ‘ungeschickt’ auch noch die Bedeutung ‘verkehrt’ anhängt, so wie das auch bei umferkeart der Fall ist. Noch weiter verstärkt, aber ins Positive gewendet wird die Wirkung des Wortes, wenn es verneint wird: Dës isch kuan Umtengger sagt man dann von einem, den man für besonders geschickt hält. Solche Formen der Untertreibung gibt es im Dialekt oft: Man verneint etwas Negatives und drückt damit etwas besonders Positives aus. Zu einem Buben, dem man ein großes Lob für seine Leistung aussprechen will, sagt man: Du pisch nit a Lëtzer!

Ein anderes, weitgehend auf das Bairische beschränktes Wort ist Ggnagg. Es ist nicht einfach eine Abwandlung zu dem gesamtdeutschen “Genick”, sondern zum Wortstamm von Nacken. Es ist noch im 15. Jh. als genack(en) bezeugt. Während das gemeindeutsche Wort von nicken kommt, ist das bairische von nacken abgeleitet.

Diese bairischen Wörter wie auch eine Reihe von anderen: Kranewittn (Wacholder), ringe (leicht sowie die Formen kemmin und kamplin (kommen, kämmen) teilen wir mit den Dialekten, die uns umgeben, wenn sie auch dort gelegentlich etwas anders klingen. Auch die Kirsche hat in den bairischen Dialekten eine Lautveränderung erfahren und ist zu Kërsche geworden, der Pfirsich zu Pfërsich und die Dohle zu Tahe. Im Passeier haben wir die drei als Kerschte, Pfearscher und Toochte.

Auch Pippe (Wasserhahn, aus lateinisch pipa), Maut – die heute viel weiter verbreitet ist –, Kirchtig (Kirchtag), ooper (aper, schneefrei), inkentn (m Ofen Feuer machen) und Kentl (Kien oder Reisigbüdel zum Feuer machen), die Anzn (Doppeldeichsel), Firtig (Schürze), Lacke (Pfütze), Zëgger (kleiner Korb, Ålbe (Alm), Knoufl (Knoblauch), Zånd (Zahn) gehören zu den bairischen Kennwörtern. In einigen Südtiroler Dialekten hat der Zånd das d schon verloren, und zwar nicht nur bei jungen Leuten. Bairisch sind auch Langis (Frühling), Scheere (Maulwurf) – der in anderen Dialekten Wualschgger, Wualscher oder ähnlich heißt –, schaurn (hageln), Puudl (Theke, Tresen), Hoor (Hanf) und åfter, dråfter (nachher, danach). Und dass die Sooge nicht “Säge” heißt und die Kuchl nicht “Küche” ist ebenfalls typisch bairisch. Unser åfter kommt außer im Bairischen nur noch im Englischen vor, wo es “after” heißt und die gleiche Bedeutung hat, und in den nordischen Sprachen, wo es “efter” heißt. Im Holländischen und im Norddeutschen ist das f darin zu ch geworden und es heißt “achter”; wer etwas von Seemannssprache gelesen hat, weiß, dass das hintere Deck “Achterdeck” heißt.

Ein besonderes Wort ist indruckn. Es heißt schon im Mittelhochdeutschen iterücken, itrücken, idrucken. Es kommt vom Wort iteroche (Schlund, vielleicht auch Wiederkäuermagen und) bedeutet ‘wiederkäuen’. Später wurde es in manchen Dialekten umgedeutet zu indruckn, eindruckn, Hai druckn, weil das ursprüngliche Wort nicht mehr verständlich war und vielleicht auch weil die Tiere beim Wiederkäuen eben den Bauch eindrücken, um die Futterknäuel wieder heraufzupressen.

Nicht alle bairischen Kennwörter kommen im Passeirer Dialekt vor: So ist Fasching bei uns Foosnåcht, das Feuerhaus ist die Kuche oder Kuchl, der Rauchfang heißt Keem und die Schooß heißt Schurz. Natürlich gibt es unsere Wörter auch im übrigen bairischen Gebiet, aber an manchen Orten haben sich eben auch noch die zuerst genannten Kennwörter erhalten. Wenn allerdings eine Flur oberhalb von Pill in Moos di Schoaß heißt, könnte es sich sehr wohl um eines dieser alten Wörter handeln.

Auch Gote und Göte sind bairische Kennwörter; sie sind bei uns, wahrscheinlich durch kindersprachliche Anpassung, zu Toute und Tëite geworden.

Zwar nicht zu den bairischen Kennwörtern, aber doch zu den Besonderheiten bairischer Dialekte gehören formelhafte Wendungen. Begrüßungs-, Abschieds- und Dankesworte sind häufig landschaftlich geprägt. Die bei uns gängigen Formeln griëßti und fiëti oder pfiëti gehen natürlich auf: “Grüß dich Gott, behüte dich Gott” zurück, und Sprachforscher haben sich bei diesen ebenso wie bei unserem Fergällsgott gefragt, woher wohl die sonderbare Wortstellung kommen könnte, denn es sollte ja eigentlich heißen: “Gott grüße dich, Gott behüte dich, Gott vergelte es dir”. Wir könnten auch noch die Formel hinzufügen, die bei der Nennung von Verstorbenen häufig gebraucht wird, nämlich: Hälfn Gott in Himbl! Die früher gelegentlich vertretene Auffassung, dass diese Formeln auf die irische Mission in Süddeutschland zurückgehe, wird heute eher abgelehnt.

Der Dialektologe Hinderling hat unser pfiëti, fiëti als Ergebnis der dritten oder bairischen Lautverschiebung beschrieben. Im Bairischen wird die Lautkombination /bh/ gelegentlich umgewandelt in /pf/, so eben auch bei pfiëti, das in konservativen Dialekten wie dem Passeirerischen zu fiëti weiterverschoben wird. Neben diesem haben wir dasselbe Phänomen noch in Pfälf (Vorteil, Gewinn aus “Behelf” und pfent (knapp, eng) aus “behende”.

Die aufmerksamen Leser haben sicher bemerkt, dass hier “bairisch” immer mit /ai/ geschrieben wird. Das ist nicht zu verwechseln mit bayerisch, aber auch nicht mit unserem pairisch. Die Schreibung mit /ai/ bezieht sich auf die Sprache, also auf die Dialekte, die in Bayern, Österreich, in Südtirol und in den Sprachinseln der Mòcheni und Zimbern sowie auch in denen im Friaul gesprochen werden. “Bayerisch” hingegen bezieht sich auf zum Freistaat Bayern Gehöriges. Und pairisch schließlich kommt von Bauer und steht für ‘bäurisch’ oder ‘bäuerlich’. Deswegen gingen unsere Frauen füher an Feiertagen im Pairischn, also in ihrer Tracht, aber sie tanzten an Poarischn, das heißt, einen Tanz, der aus Bayern kam. Hier sieht man wieder, dass der Dialekt gelegentlich ganz andere Wege geht als die Hochsprache: in den bairischen Dialekten ist das alte /ai/ nämlich zu /oa/ geworden, und das /äu/, wie in “bäuerlich”, und /eu/, wie in “heute” zu /ai/.

Eine weitere bairische Eigenheit, die auch in unserem Dialekt sichtbar wird, ist die Verschiebung der Vorsilbe be- vor einem mit h beginnenden Wort zu pf, wie wir oben bei fiëti gesehen haben.

(Zuerst veröffentlich im Passeirer Blatt)

Literatur

Hinderling, Robert (2004): Die dritte oder bairische Lautverschiebung. In: Greule, Albrecht/Hochholzer, Rupert/Wildfeuer, Alfred (Hgg.): Die bairische Sprache. Studien zu ihrer Geographie, Grammatik, Lexik und Pragmatik. Festschrift für Ludwig Zehetner. Regensburg: edition vulpes, 79–83.

Kranzmayer, Eberhard (1960): Die bairischen Kennwörter und ihre Geschichte (mit 5 Skizzen). In: Studien zur österreichisch-bairischen Dialektkunde (Band 2). Graz u. Wien: Böhlau Verlag.

Lanthaler, Franz (2016): Grußformen. In: Scheutz, Hannes (Hg.): Insre Sproch. Deutsche Dialekte in Südtirol. Bozen: Athesia,186 – 188.

Scheutz, Hannes (2016): Die persönlichen Fürwörter (Personalpronomen). In: ders. Hg.): Insre Sproch. Deutsche Dialekte in Südtirol. Bozen: Athesia,75 – 79.

Wiesinger, Peter (1985): Gotische Lehnwörter im Bairischen. Ein Beitrag zur sprachlichen Frühgeschichte des Bairischen. In: Beumann, Helmut/Schröder, Werner (Hgg.): Frühmittelalterliche Genese im Alpenraum. Sigmaringen,153–200.

Wiesinger, Peter (1986): Bairisch-österreichisch Maut. Eine vergleichende Wortstudie zum Germanischen, Romanischen und Slawischen. In: Beiträge zur Erforschung der deutschen Sprache. Bd. 6. Leipzig,108–125.