Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


A Plattl und a Pilferle

Inhalt

Das Diminutiv im Dialekt des Passeiertales

Dieser Artikel war Hans Moser zum 80. Geburtstag gewidmet und ist in der entsprechenden Sammelausgabe “Mathis-Moser, Ursula und Thomas Schrödert (Hgg.)(2019): Miszellen und mehr. Hans Moser zum 80. Geburtstag, 141 – 168.” ins Netz gestellt worden.

Dies ist derselbe Text mit kleineren Erweiterungen und einigen Korrekturen, u.a. was die Gliederung des Artikels betrifft.

1. Einleitung

Dem Diminutiv, das im untersuchten Dialekt in ähnlicher Form gebildet wird wie im Standard, nämlich mithilfe eines Suffixes, das in beiden Varietäten von einem nicht verkettenden Morph, einem Umlaut, begleitet sein kann, wurden bis vor Kurzem in den meisten Grammatiken nur wenige Zeilen gewidmet. Etwas mehr Raum wird der Darstellung dieser morphologischen Modifikationsmöglichkeit in den Grammatiken des Fersentalerischen (Rowley 2003, 147) und des Zimbrischen von Lusern (Tyroller 2003, 139f.) gewidmet. Inzwischen gibt es eine umfangreiche Literatur zu den morphopragmatischen und semantischen Aspekten des Diminutivs in einer ganzen Reihe von Sprachen. Arbeiten zu dieser Erscheinung im Dialekt bilden jedoch immer noch die Ausnahme, auch wenn es ein paar interessante Aufsätze über Bildung und Semantik des Diminutivs im Mittel- und Niederbairischen gibt. Brandstetter (1964) und Weiß (2005) konzentrieren sich in ihrer Darstellung vor allem auf die vielen festen Diminutive im Bairischen, und auch Rowley (1997) verweist in einem kurzen Abschnitt seines Buches auf diese Besonderheit. Moser (1969) beschreibt die Genese der -ei-Diminutive an der Grenze zwischen dem Mittel- und dem Südbairischen. Diese Arbeiten haben mich angeregt, Morphologie und Semantik des Diminutivs in meinem kleinräumigen südbairischen Dialekt genauer zu untersuchen. Zu großem Dank bin ich Prof. Hannes Scheutz (Salzburg) für wichtige Hinweise und Korrekturen und Frau Prof. Silvia Dal Negro (Bozen) für Literaturhinweise verpflichtet. Ich danke auch Mark Löffler (Innsbruck) für letzte Korrekturvorschläge vor der Erstveröffentlichung.

Die Diminutivbildung in den Dialekten Südtirols hat Patrizia Stampfer Stampfer hat einen Entwurf zum vorliegenden Artikel in einer frühen Entstehungsphase gelesen, als vieles noch sehr vage formuliert war. (2013) beschrieben. Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich von der von Stampfer vor allem im Material. Während ich in erster Linie vom Passeirer Wörterbuch (Haller/Lanthaler 2004) und meiner Primärsozialisation im hier beschriebenen Dialekt ausgehe und nur zur Absicherung und zur Präzisierung einzelne Interviews benutze, basiert die Arbeit von Stampfer auf Abfragen in einer Reihe von Dialekten aus verschiedenen Gegenden Südtirols.

Dazu ist zu bemerken, dass das Wörterbuch eines Einzeldialekts das Besondere dieser Varietät festhält, die Kompetenz oft älterer Sprecher und unter anderem auch Formen, die teilweise nur noch erinnert werden. In Interviews mit verschiedenen Altersgruppen jedoch wird die Performanz der Beteiligten festgehalten. Dabei werden auch Unterschiede sichtbar und durch andere Varietäten, Nachbardialekte, Umgangs- und Standardsprache beeinflusste Varianz und Sprachwandel zeichnen sich ab.

Im Dialekt des Passeiertales gibt es wie in vielen bairischen Dialekten sehr viele Diminutive, zu denen es kein Grundwort (mehr) gibt, die wir als “feste Diminutive” bezeichnen wollen, und idiomatisierte Diminutive, d.h. solche, die zu einem Grundwort gebildet werden, jedoch semantisch von diesem so stark abweichen, dass sie einen eigenen Lexikoneintrag verdienen. Die Ersteren würden eine eigene Darstellung verdienen, allerdings bin ich nicht der Meinung, dass silbenstrukturelle Gründe, wie Weiß (2005) sie für das Mittelbairische ins Feld führt, auch in dem hier besprochenen südbairischen Dialekt dafür eine besondere Rolle spielen.

2. Die Bildung des Diminutivs im Untersuchungsgebiet

Der Status des Diminutivsuffixes zwischen Flexions- und Derivationsmorphem (Rowley 97, 110) sollte es ihm erlauben, an jedes beliebige Substantiv und, wie wir sehen werden, auch an Verben zu treten. Allerdings gibt es sowohl semantische als auch morphologische Restriktionen für die Diminutivbildung: Zu Abstrakta und Kollektiva sowie zu Materialbezeichnungen, Zahlwörtern und Maßangaben allgemein kann im Dialekt wie im Standard normalerweise kein Diminutiv gebildet werden. Allerdings können solche morphosemantischen Restriktionen in pragmatischer Absicht durchbrochen werden, sodass Formen wie a pilfərlə (ein feines oder besonders wirksames Pulver) oder a waendl̩ (ein besonders guter Wein) möglich werden, und auch Zahlwörter im Diminutiv kommen vor: a poːr miljaːndlər (ein paar Milliönchen), a tseixnərlə (ein Zehnerchen). Wie im Standard können andere Derivationsmorpheme die Anhängung des Diminutivsuffixes verhindern: ʃiɒʃtərlə (Schusterchen) kann keine Partnerin im Diminutiv bekommen, denn das Movierungssuffix -in lässt dies nicht zu. Zu den häufigen Suffixen -(l)iŋ, -igֽɳ Während das Suffix in Außerpasser - lautet, ist es in Hinterpasseier meist -igֽɳ, z.B. tsaetıŋtsaetigֽɳ. bin ich mir nicht sicher, ob sie eine Diminutivbildung zulassen, jedenfalls ist mir keine bekannt: vielleicht auch, weil sie meist Abstrakta bilden wie fourwaeliŋ (Vorahnung) oder Lexeme mit Materialbezeichnungen wie viːflıŋ (grober Wollstoff), aber auch Konkreta wie tsaetıŋ (Zeitung), pfεnıŋ (Pfennig), ʃtoːrlıŋ (Vogel Star) bilden normalerweise kein Diminutiv. Hier könnten tatsächlich silbenstrukturelle Gründe vorliegen, denn ein Wort wie ʃtoːrlıŋılə mit drei unbetonten Silben nach dem Akzent scheint nicht gut möglich.

Da das Diminutiv wie im Standard immer Neutrum ist, wechseln Maskulinum und Femininum im Diminutiv die Felxionsklasse.

Der Plural des Diminutivs wird im untersuchten Dialekt immer mit derselben Endung gebildet wie bei allen Neutra, nämlich mit der Pluralendung -er, die an das Diminutivsuffix angefügt wird. Im Unterschied zu den Standardsuffixen -chen und -lein, die endungslose Pluralformen aufweisen wie Männlein und Schwesterchen, tragen die Pluralformen im untersuchten Dialekt immer das Pluralmorphem -er: mandlər und ʃvɘʃtərlər. Es gibt nur ein einziges Beispiel, in welchem das Diminutivsuffix mit Pluralendung an eine Pluralform angefügt wird: kxindərlər – obwohl das Diminutiv im Singular kindl̩ lautet. Hier könnte auch das standardsprachliche Muster des Weihnachtsliedes “Ihr Kinderlein kommet” mitgewirkt haben, aber Komposita mit kxind werden so wie im Standard immer mit dieser Erweiterung (oder Pluralform) gebildet: kxindərtsuig (Kindersachen, Kinderkram), kxindərʃpiːl (Kinderspiel) Man kann dieses -ər auch als Fugenelement ansehen. Bei Komposita, wie z.B. puɒndərhaufn̩ (Knochenhaufen), lempərgair (Lämmergeier = Hühnerhabicht) handelt es sich allerdings um Bestimmungswörter im Plural. .

An Adjektivstämmen kommt das Diminutivsuffix im untersuchten Dialekt so wie im deutschen Standard – im Unterschied zum Italienischen und Französischen – nicht vor, an Verben hingegen sehr häufig.

2.1. Die Allomorphe des Diminutivsuffixes

Im Standard gibt es für die Verkleinerung zwei Morpheme – wir brauchen nur an den gängigen Ausdruck “ein Häuschen mit Garten” zu denken oder an das bereits erwähnte Weihnachtslied “Ihr Kinderlein kommet”. Es gibt keine festen Regeln für die Verteilung der beiden Suffixe, nur gelegentlich phonologische Restriktionen, die -chen verhindern (Kirche, -chchen). Im Übrigen gibt es eine Nord-Süd-Verteilung, da -lein stärker auf das Oberdeutsche beschränkt ist. Das hat sprachhistorische Gründe. Die beiden mittelhochdeutschen Suffixe -ken und -lîn, die im heutigen Standard als -chen und -lein auftreten, waren schon in den mittelhochdeutschen Dialekten auf verschiedene Regionen verteilt: ‑ken im Norden, -lîn im Süden. Bei Walther von der Vogelweide findet sich ein frowelîn (Mädchen) und ein fingerlîn (Ringlein). Und wenn Luther im Mündlichen -chen benutzte und in seinen Texten ‑lein, so wird hier in Ersterem seine Herkunft und im Zweiten seine sprachprägende Intention des Ausgleichs sichtbar.

In den bairischen Dialekten kommt die Diminuierung nur mit dem oberdeutschen ‑lein vor. Die Abschwächung der Endsilben hat nun dazu geführt, dass auch dieses Morphem immer verkürzt erscheint.

Das Diminutivsuffix tritt im Dialekt des Passeiertales in der Form dreier – phonologisch bedingter – Allomorphe auf: -ֽl̩, -lə und -ılə, wie sie in den folgenden Beispielen vorkommen: a hiɒtl̩ zu huɒt (Hut), a fεnʃtərlə zu fεnʃtər (Fenster), a taːlılə zu toːl (Tal). Ein gelegentlich in Liedern oder Volkstheaterstücken vorkommendes Maderl oder Busserl sind mittelbairische Importe, denn die südbairischen Tiroler Dialekte kennen die Verkleinerung mit -erl nicht Hannes Scheutz hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass es genau genommen kein -erl-Diminutiv gibt, sondern dass das im Mittelbairischen verbreitete Suffix -al aufgrund der r-Vokalisierung in diesen Dialekten als -erl geschrieben und dann auch so interpretiert wurde. Zehetner (2009, 126) meint, Interpretation und Schreibung hätten sich in Anlehnung an Diminutive wie Fenster-l, Kasper-l etc. ergeben. .

Es soll hier nicht übergangen werden, dass es im Dialekt jetzt auch gelegentlich eine Form der Diminuierung mit dem Suffix -i gibt, die vor allem kindersprachlich – s-ʃuxi (der kleine Schuh) – oder ironisch gebraucht wird. Kosenamen auf -i fallen nicht in diese Kategorie: es handelt sich dabei nicht um Diminutive, da die Namen weiterhin entweder den männlichen oder weiblichen Begleiter führen: di gaːbı, dər hansı (Gaby, Hansi).

Wenn man auch das, was Jurafsky (1996) unter “Approximation” versteht, als Diminutiv bezeichnet, wozu das standarddeutsche Beispiel “säuerlich” passen würde, dann gibt es im Dialekt ein weiteres Morphem dafür. An Farbadjektiva kann nämlich ein ‑lεxt treten, um eine blassere, also eine verminderte Variante der Farbe zu bezeichnen, wie das auch im Standard möglich ist: geːllεxt (gelblich, ins Gelbe schlagend). Es kommt von dem Suffix, das wir in mhd. rötelecht (ins Rote spielend) finden. Dieses Suffix ist jedoch nur bei wenigen Farbwörtern gebraucht – es kann z.B. nicht an ʃvɔrts (schwarz) oder vaes (weiß) treten – und ist nicht mehr produktiv.

Im Folgenden werden wir uns daher nur mit dem Suffix ‑l befassen.

2.2. Die Selektion der Allomorphe des Diminutivsuffixes

Die Distribution der drei Allomorphe des Suffixes ist fast durchgehend phonologisch bedingt, wobei neben der unmittelbaren lautlichen Nachbarschaft auch Akzent und Silbenstruktur eine Rolle spielen können. Die phonologischen Restriktionen können allerdings, wie bereits erwähnt, gelegentlich durch pragmatische Absichten außer Kraft gesetzt werden, doch dazu später. schwa sowie silbischer Nasal oder silbisches -l̩ (die ja nur nach Konsonant auftreten können) fallen vor dem Diminutivsuffix meist – außer bei m nach Konsonant plus Labialepenthese – weg, z.B. voːgֽɳ̩vaːgılə, ɔrbֽmarbmilə, ʃtoːdl̩ʃtaːdılə Da das schwa im Wortinnern meist zu i wird, erscheint die Endung eben als -ılə (Wagen, Arm, Stadel). Trotz ihres Wegfalls vor dem Suffix sind diese Endungen jedoch entscheidend für die Selektion der Form desselben, wie die Beispiele von kxɔlβ (Kalb) und kxɔlbl̩ (Kalbe, Jungrind) zeigen, denn das Diminutiv des Ersten lautet kxalbl̩, das des andern kxɔlβile. Nach Lateral bleibt der Nasal am Wortende vor dem Suffix erhalten. Zwischen r oder l und Nasal erfolgt im Hinterpasseier allerdings fast immer – heute jedoch nicht mehr bei allen Sprechern – eine Labialepenthese: vurbֽm, dɔrbֽm, hɔlbֽm (Wurm, Darm, Halm), daher auch: virbֽmlə, darbֽmlə, halbֽmlə. Bei harbֽֽmlə, harmılə (Wiesel) handelt es sich um ein altes Diminutiv, zu dem es kein Grundwort mehr gibt (vgl. hdt. Hermelin). Bei einzelnen Wörtern dieser Kategorie sind ebenso wie bei darbm̩lə/darmılə und bei keːrnkeːrndlə/keːrnılə (Kern) beide Formen möglich. Auch zwischen n nach Vokal tritt, wie wir beim letzten Beispiel gesehen haben, immer Epenthese ein, in diesem Fall in Form eines Dentals: puɒnpuɒndl̩, foːnfaːndl̩, hournheirndlə, aesֽnaesֽndlə (Knochen, Fahne, Horn, Eisen) usw. – wie das immer der Fall ist, wenn einem Nasal ein l folgt.

Die phonologischen Bedingungen für die Auswahl der einzelnen Allomorphe des Suffixes kann man kurz folgendermaßen zusammenfassen:

1. Die Form mit silbenwertigem - steht immer dann, wenn der Wortstamm auf Konsonant oder schwa endet – mit Ausnahme der unter 3. genannten Fälle. Wir haben also: ʃtɔm (Stamm) – ʃtambl̩, sɔkx (Sack) – sakxl̩, droːt (Draht) – draːtl̩, tsɔŋə (Zange) – tsaŋgl̩. Bei prʊnın (Brunnen) – prindl̩ fällt die Endung ebenso weg wie bei kxɔʃtֽn (Kasten) – kxaʃtl̩. Weitere Beispiele: fɔkxə (Schwein) – fakxֽl, kʃmɔxn (Geruch, Geschmack) – kʃmaxֽl. Bei gɔrtn (Garten) sind beide Formen möglich: gartl̩ und gartılə. Bei den wenigen Beispielen, in denen im untersuchten Dialekt zwei Formen möglich sind, scheint es sich jedoch vornehmlich um kleinregionale Unterschiede zwischen Hinter- und Außerpasseier zu handeln.
Auch bei -ֽm nach labialem Verschlusslaut kommt – nach Abfall des Nasals – das Allomorph mit silbischem - zum Zuge: jopֽm (Jacke) – jɘpl̩ und lɔɒbֽm (Laib) – lεɒbl̩. Es handelt sich dabei um alte schwach flektierende Substantive oder solche, die früh zu dieser Gruppe geschlagen wurden, indem sie den Nasal der Kasus obliqui in den Nominativ übernommen haben. Bei puɒ (Bub) – piɒbl̩, ʃnεɒ (Schnee) – ʃnεɒbl̩ (eine dünne Neuschneeschicht), hae (Heu) – haebl̩ und sεɒ (See) – sεɒbl̩ haben wir es mit Wortstämmen zu tun, die früher auf Labial endeten. Bei dem Ersten wird auch der Plural mit |b| gebildet: puɒbm̩, ebenso tritt diese Form in Komposita auf: puɒbm̩kxɔmər (Schlafzimmer der Buben).

2. Nach der unbetonten Silbe -ər sowie nach K + Nasal tritt die Suffixvariante mit schwa auf: muɒtər (Mutter) –, miɒtərlə, pılouβər (Pullover) – pileiβərlə, hourn (Horn) – heirndlə, aesֽn (Eisen) – aesֽndlə Ob heirndlə, tseirndlə, kxeːrndlə als dreisilbig anzusehen sind, weil der Nasal zwischen r und d silbisch wird, also: heirֽndlə etc., ließe sich das nur durch entsprechende Aufnahmen nachweisen. usw. Bei Letzteren bleibt der Nasal erhalten, allerdings, wie fast immer in diesem Dialekt, mit Dentalepenthese zwischen demselben und Liquid.

3. Alle Lexeme, die auf -l (-l̩) oder -lëə Da, wie erwähnt, alle Lexeme auf -l oder -lə das Diminutiv mit -ilə bilden, erübrigt sich die Frage, ob sich darunter auch ehemalige Diminutive befinden oder Lexeme, die diesen Anschein erwecken. Da -l und -lə auch sehr produktive Derivationssuffixe zur Substantivbildung aus Verbalstämmen (oder anderen undurchsichtigen Lexemen) darstellen, gibt es eine große Anzahl von Substantiven mit dieser Endung; als Abstrakta bilden viele von ihnen allerdings kein Diminutiv. ausgehen, bilden das Dimintiv mit -ılə: ʃtɔl (Stall) – ʃtalılə, ʃtoːdl̩ (Stadel) – staːdılə, kxuxl̩ (Küche) – kixılə Der Umlaut im Diminutiv von sɔɒl (Seil) bewirkt die Homophonie mit dem von sεɒle (Seele), welches allerdings nur in einer Redewendung vorkommt. .

Eine Gruppe von Wörtern auf K*+|n|* nimmt für die Diminuierung ebenfalls meist dieses Allomorph in Anspruch: foːdn̩ (Faden) – faːdılə, voːgɳ̩ (Wagen) – vaːgılə, poudn̩ (Boden) – peıdılə. Allerdings können einzelne Wörter dieser Gruppe das Diminutiv sowohl mit ‑ılə als auch – nach Abfall der Nasalendung – mit - oder -lə bilden: ʃtrɔɒfֽn (Streifen) – ʃtrεɒfֽl/ʃtrεɒfılə, goːdֽn (Schuppen) – gaːdn̩dlə/gaːdılə. Einige Lexeme mit |t| vor |n| bilden das Diminutiv nur mit |l̩|: toːtn̩ (Lade) – taːtl̩, poʃtn̩ (Posten) – pɘʃtl̩, kxɘtn̩ (Kette) - kxɘtl̩.
Dazu kommt allerdings eine Reihe von Wörtern, die nicht in diese phonologische Reihe passen, aber das Diminutiv so bilden: ʃtuːβə (Stube) – ʃtiːβılə, ʃtɔŋə (Stange) – ʃtaŋılə, vɔld (Wald) – valdılə (Stube, Stange, Wald). Die Varianten ʃtrɔɒfn̩ (Streifen) – ʃtrεɒfֽl/ʃtrεɒfılə, goːdn̩ (Heuschuppen) – gaːdn̩dlə/gaːdılə erklären sich, wie bereits angedeutet, aus dem Unterschied Hinterpasseier – Außerpasseier. Während im hinteren Teil des Tales bei Wörtern, die auf K+ n ausgehen, die Dentalepenthese bevorzugt wird, steht im äußeren Abschnitt des Tales – zwischen St. Leonhard und Saltaus – eher die Variante mit -ılə.
Als “unregelmäßig” könnte man vaebitsvaebılə und kxuɒkxiɒlılə einstufen. Bei Ersterem liegt die Erklärung wohl darin, dass -its ein Suffix für die Gattungsbezeichnung ist: vaebıts und mɔnıts bezeichnen eine weibliche oder männliche Person, während vaeb und mɔn die Bezeichnung für Ehefrauen und -männer sind. vaebılə und mandl̩ sind allerdings Sonderformen, denn sie gehören morphologisch zu vaeb und mɔn, semantisch jedoch zu vaebits und mɔnıts. Bei kxuɒ kann das l vor dem Suffix als Hiatus tilgendes Element gesehen werden, denn die reguläre Diminutivbildung wäre kxiɒ-ılə Moser (1969, 200) spricht bei dem ähnlich gelagerten Beispiel halal von einem doppelten Suffix. .
Bei Namen wie toːndl̩ und martl̩ (Anton, Martin) würde das Diminutiv mit -ılə – mit Epenthese, wo erfordert – gebildet. Bei einer kleinen Befragung in Rabenstein haben alle Testpersonen auf Anhieb den Kosenamen für toːndl̩ mit toːndılə, und den für toːnə (Antonia) mit toːnılə wiedergegeben.

Wenn nun auch die Auswahl der Allomorphe des Diminutivsuffixes weitgehend phonologisch bedingt ist, so gibt es doch gelegentliche Ausnahmen.

Aus den hier etwas vage gefassten Restriktionen fallen häufig kindersprachliche Diminutive heraus, in denen neben heısl̩ auch heısëılə (Hose-DIM) vorkommt und neben ʃiɒxl̩ auch ʃuɒxılə oder sogar ʃuːxılə (Schuh-DIM) und wo eben auch ein naːsılə (Nase-DIM) oder hantılə (Hand-DIM) auftreten kann. Da das zweisilbige Suffix nur an eine betonte Silbe angehängt werden kann, ist diese Variante bei Wörtern, die auf -er ausgehen, wie pileiβərlə, kxartərlə (Pullover-DIM, Kartenspiel-DIM) usw. nicht möglich. Die kindersprachlichen Varianten sind als pragmatisch begründet anzusehen: sie erklären sich aus dem Bemühen, mit Kindern besonders deutlich zu reden, wozu z.B. auch die Monophthongierung dialektaler Diphthonge passt, sowie der Verzicht auf den Umlaut bei umlautfähigen Diphthongen und Vokalen wie eben ʃuɒxılə oder tsuːgılə (Zug-DIM).

2.3. Der Umlaut

Wie wir bei vielen der obigen Beispiele gesehen haben, kann das Diminutivsuffix bei umlautfähigen Vokalen oder Diphthongen mit dem Umlaut kombiniert auftreten. Allerdings geschieht das nicht immer. So gibt es zu guɒt (Gut, Bauernhof) und huɒt (Hut) die Diminutive giɒtl̩, hiɒtl̩, zu puɒn (Knochen) jedoch heißt es puɒndl̩. Im Falle von ʃtuɒn (Stein) und gɔɒs (Geiß, Ziege) wiederum, bei denen die Stammsilbe im Plural nicht umgelautet wird: ʃtuɒnə, gɔɒsə, wird sie im Diminutiv umgelautet: ʃtiɒndl̩, gεɒsl̩. Hier hilft die geschichtliche Phonologie bei der Erklärung des Unterschieds. Einerseits gab es Flexionsklassen, die für die Pluralbildung nicht den Umlaut verwendeten – dazu gehören alle Plurale auf -n –, andererseits konnte bei den auf germanisch |ē/ei| zurückgehenden bairischen |ua/ɔa| erst nach dem dialektalen Lautwandel der mit dem Diminutivsuffix einhergehende Umlaut eintreten und inzwischen hatten schon viele Substantive – aufgrund von Analogiebildungen – umlautlose Pluralformen angenommen. Wörter mit |ua/ɔa|, die wie kxuɒ (Kuh), ʃtuɒl (Stuhl) auf mhd. |uo|, zurückgehen, haben daher auch im Plural Umlaut: kxiɒ, ʃtiɒlə, da sie schon im Alt- und Mittelhochdeutschen in der betonten Stammsilbe einen umlautfähigen Langvokal oder Diphthong aufweisen. Dasselbe gilt für Wörter mit |ou|, |o|, |oː|, |ɔ|, |u|, |uː| in der betonten Stammsilbe. Deshalb gibt es eine große Anzahl von Stichwörtern mit umlautfähiger Stammsilbe, die zwar im Diminutiv, jedoch nicht im Plural den Umlaut aufweisen, wozu natürlich alle Lexeme gehören, die der schwachen Flexionsklasse angehören:voxə (Woche) – voxֽnvɘxl̩, lɔɒtər (Leiter) – lɔɒtərnlεɒtərlə, ruɒβə (Rübe) – ruɒbֽmriɒbl̩ usw. Auch die Tatsache, dass eine Reihe von Stichwörtern sowohl im Plural als auch im Diminutiv eine Lautveränderung erfahren, jedoch mit unterschiedlichem Resultat, wie beiʃtɔl (Stall) – ʃtɘldərʃtalılə, groːs (Gras) – greisərgraːsl̩, ɔʃt (Ast) – ɘʃtəaʃtl̩, ist nur sprachgeschichtlich erklärbar. Es betrifft dies Wörter mit |oː| oder |ɔ| in der Stammsilbe, die verdumpften Laute also, die jeweils für ein ehemals langes oder kurzes |aː|a| stehen, wobei der Primärumlaut bis zum |ɘ| weitergezogen wird, während der Sekundärumlaut beim |a| stehen bleibt.

2.4. Das Diminutiv bei Verben

Im Unterschied zu vielen anderen Sprachen, wie etwa auch zu unseren romanischen Nachbarsprachen, sprechen wir im Deutschen von Diminutiven gewöhnlich nur bei Substantiven. Aber es gibt auch im Deutschen die Möglichkeit der Abschwächung bei Verben durch ein Suffix. Die meisten Grammatiken registrieren dies zwar nicht Die DUDEN-Grammatik erwähnt zwar, dass die -(e)l/(n)-Verben sich von den Ausgangsverben durch ‘ein wenig, etwas, wiederholt’ unterscheiden, verwendet jedoch im Gegensatz zu Jung und Helbig/Buscha den Begriff “diminutiv” in diesem Zusammenhang nicht. , aber Weidhaas/Schmid weisen nach, dass nicht nur mit -(e)l(n) modifizierte oder mittels -eln erzeugte denominale Verben, sondern auch solche mit dieser Endung ohne erkennbares Grundwort zu einem guten Teil diminutivischen Charakter aufweisen.

Im hier untersuchten Dialekt gibt es eine große Anzahl von Verben, welche vor der Verbalendung das mit dem Diminutivsuffix gleich lautende -(ı)lı enthalten. In vielen Fällen handelt es sich dabei um denominale Bildungen wie gartlın (Gartenarbeit verrichten), lεɒslın (auslosen), fiɒslın (jm. ein Bein stellen). Das Suffix kann den Ableitungen auch die spezifische Bedeutung ‘nach … riechen’, z.B. kxnoufılın (nach Knoblauch riechen), ‘an etwas erinnern’, z.B. dɘs tuɒt huɒmılın (das erinnert sehr an daheim) verleihen. Wie weit man solchen Verben diminutivischen Charakter zuerkennt, wie Weidhaas/Schmid suggerieren, ist eine Ermessensfrage.

Verben wie ʃnaeβılın, reːgılın, laxılın, tantsılın, maxılın (leicht schneien, nieseln, lächeln, tänzeln, werkeln), vielleicht auch bei ʃpɘtlın (spotten) – bei Weidhaas/Schmid wäre das der Typ tänzeln – handelt es sich um Diminutive: alle beinhalten eine Verringerung der Intensität des vom Verb beschriebenen Vorgangs (siehe Abschnitt 3) und sie weisen die iterative Aktionsart auf. laxılın entspricht mehr oder weniger dem standardsprachlichen ‘lächeln’, hat aber oft die Bedeutungskomponente ‘ironisches Lächeln’. Auch tantsılın beschreibt nicht einen eleganten Bewegungsablauf wie das standardsprachliche tänzeln, sondern es steht ironisch für ‘unnatürliche oder unseriöse Bewegungen’. Bei ʃpɘtlın ist allenfalls ein feiner pragmatischer Unterschied zwischen Ausgangswort und Diminutiv wahrzunehmen. Ich habe eine Frau erzählen hören: “nɔr hoːbm̩ deːdn̩ frae kʃpɘtl̩t, nɔr hɔtər ksɔk: tiɒt dɘs lae ʃpotn̩!” (da haben die dauernd gespöttelt, und dann hat er gesagt: spottet (ihr) doch nur!). Das Erste scheint die Einstellung der Spottenden widerzugeben, für die das ein Spiel ist, das Zweite die mit Verärgerung behaftete Empfindung des Opfers.

Bei vielen der so gebildeten Verben ist nicht zu entscheiden, ob sie als diminutivische Ableitungen aus dem unverformten Ausgangsnomen zu sehen sind oder ob sie bereits aus dem Diminutiv desselben gebildet werden, wie bei rantlın (einen Rand am Kleid abnähen), oːsaːglın (mit einer kleinen Säge kleine Stücke abschneiden), lakxlın (Flüssigkeit in kleinen Mengen verschütten), prִəkxlın (in kleinen, abgegrenzten Flächen abweiden), trɘpflın (tröpfeln). Bei den Ersten beiden muss man von rantl̩ (abgenähter Kleidersaum) und saːgl̩ (kleine Säge) ausgehen, bei den anderen könnte es auch lɔkx, tropfn̩ sein etc. Auch ʃnapslın (wiederholt in kleinen Mengen Schnaps trinken) gehört hier her. Es ist ein typisches Beispiel für denominale diminutivische Verben: es geht um die iterative Aktionsart und es bezieht sich auf kleine Mengen. Bei fakxlın (ferkeln) und haːslın (junge Hasen werfen) muss man von fakxl̩ und haːsl̩ ausgehen, denn bei Ziegen und Schafen heißt es kitsn̩ (Kitze werfen) und lempərn (lammen). Die Ableitungen fakxlın und haːslın entsprechen also dem Beispiel von G. Dal (1997, zitiert nach Grandi 1998, 636): “chèvre (Ziege) + et(te) (Kitz); chèvrette > chèvret(t)er (kitzen)”.

Auf die Frage, ob wir es bei dem Suffix -(ı)lın bei denominalen Verbbildungen tatsächlich mit dem Diminutivsuffix plus Verbalendung zu tun haben oder ob es sich dabei um ein Ableitungsmorphem handelt, das durch Analogiebildung häufig diminutivischen Charakter annimmt – wie die vielen Beispiele für -eln bei Weidhaas/Schmid für den Standard suggerieren –, können wir hier nicht eingehen.

2.5. Diminutivische Adjektive und Adverbien?

Wie im Standard gibt es auch im Dialekt keine Adjektive im Diminutiv. Es gibt nur einige Adjektivkomposita, die ein Diminutiv enthalten. Dazu gehören gansl̩geːl (hellgelb, zu gansl̩ (Gänschen)) und paxlvɔr[b]m̩ (lauwarm, zu paxl̩, (Bächlein)). Hier werden diminuierte Vergleichskorrelate mit dem Adjektiv verbunden.

2.6. Diminutive bei Namen

Diminutive bei Personen werden in erster Linie auf Kinder angewandt. So sind sεpılə, hansılə, treːsılə natürlich der kleine Sepp, Hans, die kleine Trese. Gleichzeitig mit dem Status “Kind” und dem Attribut “klein” handelt es sich dabei um Kosenamen. Manche Personen werden jedoch ein Leben lang mit dem Diminutiv gerufen oder erwähnt. Dabei ist nicht allein die Körpergröße ausschlaggebend – natürlich sind besonders große Menschen eher ausgeschlossen –, sondern die Familientradition. Nicht zu verwechseln sind sεpılə und sεpl̩. Das -l des Letzteren ist kein Diminutivsuffix, sondern in einzelnen Ort­schaften eine häufige Endung bei männlichen Personennamen, so bei mɔrtin > martl̩ (Martin), hiɒs > hiɒsl̩ (Hias) usw.

Auch bei historischen Personen und Sagengestalten kommen diminutivische Namen vor: der Erstbesteiger des Ortlers, Josef Pichler, wird allgemein nur s-Psairer Jousile genannt (er soll allerdings auch klein von Gestalt gewesen sein) und die wichtigste Sagengestalt der Region heißt s-Pfeifer Huisile (Huis als dialektale Entsprechung zu Matthäus).

Diminutivnamen können auch als Spottnamen verwendet werden. Möglicherweise in Anspielung an das standardsprachliche “hänseln” kann Hansile ironisch verwendet werden für “Dummerjan”.

Ein Wort noch zu den Kurzformen von Namen auf -i/-y. Es gibt natürlich auch im Passeier wie anderswo kaum noch eine Gabriele, sondern nur eine Gaby. Aber abgesehen von solchen “importierten” Namen, werden natürlich auch Kurzformen und Kosenamen auf -i gebildet: es gibt Hansi, Toni, Michi.

2.7. Das Diminutiv als Bestimmungswort in Kompositionen

Dass die Diminutivform in Zusammensetzungen nicht nur im Grundwort, sondern auch am Bestimmungswort stehen kann, zeigt sich in ʃnakıləpoːn (wacklige Bahn oder Seilbahn), haːfıləʃuɒx (Trachtenschuh), ʃtεkxıləmandər (Mitglieder einer Bruderschaft in St. Martin, die bei Prozessionen Stöcke mit Mariensymbolen tragen) sowie bei ʃleigıləpi:rə (kleine Birnenart) und mantıləkxraut (Frauenmantel).

3. Feste Diminutive

Neben den bisher beschriebenen “durchsichtigen” Diminutiven gibt es im Wortschatz des hier untersuchten Dialekts zahllose “feste” Diminutive, zu denen kein Ausgangswort (mehr) aufzufinden ist. Während viele von ihnen entweder durch die Kleinheit des Bezeichneten oder durch pragmatische Aspekte motiviert zu sein scheinen, gibt es auch solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Das passt weitgehend zu dem, was Helmut Weiß (2005, 1) für das Bairische allgemein feststellt: “Ein Kennzeichen des Bairischen ist die große Zahl von Diminutiven des Typs Beiddl ‘Bild’, die keine diminutive Bedeutung haben und von denen keine Grundform mehr existiert.” Hier sollen nur einige Beispiele erörtert werden, andere werden im Abschnitt zur Semantik des Diminutivs behandelt.

Zu manchen dieser Wörter mag es früher eine Grundform gegeben haben, wie z.B. bei maːdl̩ (Magd > Mägdelein) oder harbm̩lə (mhd. harm > hermelîn) –, bei vielen jedoch gibt es solche Anhaltspunkte nicht mehr. Da maːdl̩ nun im Dialekt nicht mehr die semantische Eigenschaft eines Diminutivs hat, kann dazu ein eigenes Diminutiv gebildet werden: maːdılə.

Auch zu dem bei H. Weiß zitierten Beiddl gibt es in unserer Varietät eine Entsprechung. Es gibt kein pild, denn ein Gemälde heißt toofl̩, aber es gibt ein piltl̩ (Foto) und ein ʃtεrppiltl̩ (Andenkenbild). Allerdings gibt es ein piltʃtɘkxl̩ (Marterl, Gedenktafel, kleine Kapelle) wie im gesamten bairischen Raum (zu ʃtɘkxl̩ siehe unten).

Ein nicht mehr durchsichtiges Diminutiv ist diɒndl̩ (Trachtenkleid), das es im Passeier wie in vielen Nachbardialekten gibt. In Bayern und Österreich ist Dirndlkleid oder verkürzt Dirndle/Dirndl noch auf Dirndl (Mädchen) zurückführbar. Das ist bei uns nicht mehr der Fall, denn das Mädchen heißt hier eben maːdl̩ oder gitʃ(ə).

Einzelne Wörter dieses Typs mögen Entlehnungen sein. So kann laːgl̩ (gebindertes Behältnis für den Weintransport), das auf das mittellateinische lagenula zurückgeht, wegen seiner Form als Diminutiv empfunden worden sein, und frakılə, zum französischen flacon (Fläschchen), ist vielleicht zu den kleinen Flüssigkeitsmaßen gestellt worden, zu denen auch klakılə (kleine Flüssigkeitsmenge) und ʃtampərlə (Stamperl, Schnapsglas) gehören.

Viele, meist – aber nicht immer – kleine Geräte oder Gebrauchsgegenstände gehören hierher: hiːbıtl̩ (Querholz am Schlitten), jɘxl̩ (Querholz am Heutraggerät und am Schlitten), haftl̩ (Häkchen und Öse am Kleid), rafılə (kleine, dreiseitige Zither), sarkılə (kleine Blatthaue), ʃamılə (Schemel), raendl̩ (flacher Kochtopf), marxl̩ (Briefmarke).

Die beiden Doppelformen ʃlaːgılə (Vogelfalle) – ʃlaːgl̩ (Schlaganfall) und laebılə (Unterhemd), laebl̩ (Mieder der Frauentracht) sind wohl auf die Ausgangswörter ʃloːk (Schlag) und laeβ (Laib) zurückzuführen, dürften aber zu unterschiedlichen Zeiten gebildet und zur Vermeidung von Homonymen mit unterschiedlichen Allomorphen des Suffixes gebildet worden sein.

4. Zusammenfassung

Aus den bisher angeführten Beispielen dürfte klar geworden sein, dass die phonologischen Restriktionen für das Auftreten der einzelnen Allomorphe des Diminutivs wie des Umlauts aus synchronischer Sicht zwar über weite Strecken bestimmend sind, jedoch nicht in allen Fällen schlüssig bestimmt werden können.

Wenn man annimmt, dass sich das mhd. -lîn zu - entwickelt hat, welches nach Konsonanten zu silbischem -l̩ wird, und dass bei bestimmten Lautkombinationen vor - eine Epenthese erforderlich ist, wodurch das Suffix die zweisilbige Form -ılə erhält, dann erschiene mir damit der Einsatz der Varianten des Diminutivsuffixes hinreichend beschrieben.

Zu den diatopischen Unterschieden Außerpasseier – Hinterpasseier ist festzustellen, dass bei einzelnen Lautkombinationen im Außerpasseier das zweisilbige Allomorph -ılə bevorzugt wird, während man im Hinterpasseier in denselben Situationen jenes mit -lə vorzieht, wobei allerdings unerwünschte Lautkombinationen durch Epenthese vermieden werden. Auch pragmatische Faktoren, wie eben die Ammensprache oder ironische Absichten können dabei eine Rolle spielen. Nicht zuletzt zeigen einzelne Interviews, dass jüngere Personen vermehrt zum Gebrauch des zweisilbigen Allomorphs tendieren.

5. Semantik und Pragmatik des Diminutivs im Dialekt

5.1. Sprachübergreifende Befunde

In der volkstümlichen Auffassung gilt das Diminutiv als “Verkleinerungsform”, und damit mag auch ein wichtiger Teil seiner Kernsemantik benannt sein, aber das ist natürlich bei Weitem nicht alles, was diese Form leistet. Grammatiken pflegen denn auch seit je die affekthafte Seite der Diminutivform als integrativen Bestandteil seiner Semantik zu registrieren. So hebt Erben (1972, 127f.) diese sogar als primär hervor und nennt einen “zärtlich gutmütigen”, “drohend abschätzigen” Aspekt und ergänzt die Aussage durch ein Zitat von Fischer (1963, 138 und 132f.): “‘abschwächende’ Bezeichnungen, die ‘Unschönes verhüllen, einen äußeren Schein der Geborgenheit wahren’”.

Im Passeiertal wird das Diminutiv, besonders im Umgang mit Kindern, sehr häufig verwendet Ein Freund aus dem Pustertal wundert sich über die vielen Diminutive im Meraner Raum. , und der Grund dafür liegt wohl in der Pragmatik. Dazu mag auch kommen, dass hier die morphologische Variante einer lexikalischen vorgezogen wird.

Es ist interessant, dass gerade der bei Fischer genannte Aspekt der Abschwächung in den sprachvergleichenden Arbeiten von Jurafsky (1996) Er zitiert denn auch Grimm (1822), wonach man von Deminuierung spricht, “wenn durch eine in dem Wort selbst vorgehende Veränderung dem Begriff an seiner Kraft etwas benommen wird”. und Dressler/Merlini Barbaresi (1994 und 2001) eine zentrale Rolle spielt. Letztere, welche neben italienischen, deutschen und englischen Diminutiven und Verstärkungen auch solche in anders strukturierten Sprachen untersuchen, gehen vom Sprechakt als der kleinsten kommunikativen Einheit aus und nach ihnen ist “klein” die alleinige denotative Bedeutung des Diminutivs, während alle konnotativen Komponenten der Pragmatik zuzurechnen, also nicht unabhängig von der jeweiligen Sprechsituation zu sehen sind. Den gesamten Sprechakt mit dem Diminutiv stufen sie als “nicht ernst gemeint” [not serious] ein, weil das Diminutiv aufgrund der mit ihm einhergehenden Unbestimmtheit des propositionalen Gehalts eine Verminderung der illokutiven Kraft des gesamten Sprechaktes nach sich ziehe. Außerdem signalisiere der Gebrauch des Diminutivs eine Herabsetzung des inneren Zustandes des Sprechenden sowie dessen Entlassung aus der Verantwortung für seine Äußerung.

Jurafsky, der das Diminutiv in 60 Sprachen untersucht, versucht die “strukturierte Polisemie” desselben als Bedeutungsverschiebung mithilfe von Metapher, Verallgemeinerung, Inferenz und Lambda-Abstraktion zu erklären. Ihm schließen sich Weidhaas/Schmid in ihrer Abhandlung zu den deutschen -eln-Verben weitgehend an.

Alle diese Abhandlungen sind sich darin einig, dass das Diminutiv ursprünglich in engem Zusammenhang mit “Kind” steht – und die Häufigkeit des Diminutivs im kindgemäßen Sprechen im untersuchten Dialekt scheint das zu bestätigen –, allerdings lehnen Weidhaas/Schmid die Auffassung, dass kindgemäße oder an Kinder gerichtete Äußerungen nicht ernst gemeint seien, ab. Das entspricht auch meiner Auffassung vom Kind und von der Kommunikation mit demselben. Wenn in der von mir beschriebenen Varietät mit Kindern in einem bestimmten Alter fast nur in Diminutiven gesprochen wird, heißt das nicht, dass man die Äußerungen nicht ernst meint. Wenn etwa die Mutter die größere Schwester ermahnt: “Lɔs in lɘtsn̩ s-kxapl̩!” (Lass dem Kleinen seine Mütze-DIM!), dann ist das eine durchaus ernst gemeinte Zurechtweisung. Aber dazu noch später.

5.2. Die Semantik des Diminutivs im Dialekt

Ohne mich weiter in die theoretische Diskussion einzulassen, möchte ich versuchen, Semantik und Pragmatik des Diminutivs anhand der von Jurafsky herausgearbeiteten Kategorien an konkreten Beispielen zu beschreiben.

Während man nun bei Standardsprachen von einem großen Korpus mit zahlreichen einschlägigen Beispielen ausgehen kann, ist dies bei nicht-kodifizierten Varietäten meist nicht der Fall. Die Tatsache, dass ich in meiner Darstellung von dem – von mir mitverfassten – Passeirer Wörterbuch und von meiner sprachlichen Primärsozialisation ausgehe, gibt mir als Dialekt sprechendem Beschreiber einen gewissen Vorsprung gegenüber dem von außen kommenden Forscher, aber die Kenntnis der Nuancen und das eigene Sprachgefühl erschweren auf der anderen Seite die Einteilung der vielfältigen Polysemie des Diminutivs in einzelne semantische Kategorien.

Nehmen wir als Beispiel für diese Polysemie das Diminutiv von ʃtokx (Baumstrunk, Stollen, Haufen, Etage): ʃtɘkxl̩ kann für ‘Schuhabsatz’, ‘Blumentopf, Topfblume’, ‘abgestochenes Stück Butter’ stehen.

5.2.1. Klein

Ohne Frage gehört “klein” auch im dialektalen Diminutiv zur Kernsemantik. Kleine Dinge oder kleine Exemplare von Gegenständen etc. werden mit dem Diminutiv bezeichnet. tiʃl̩, paːmbl̩, ʃtiɒndl̩ sind ein ‘kleiner Tisch, Baum, Stein’ – außer im Gespräch mit Kindern, wo auch große Dinge im Diminutiv erscheinen können.

5.2.1.2. Klein und kindgemäß

Die bereits erwähnte enge Beziehung zwischen Diminutiv und Kind kommt im Dialekt besonders zum Tragen. Dabei überschneidet sich die Kleinheit der Kleider, Spielsachen, Gebrauchsgegenstände mit dem im nächsten Abschnitt hervorgehobenen Beziehungsaspekt. Zwar sind heisl̩, ʃiɒxl̩, kxapl̩, ʃlatərlε, flaʃl̩ (‘Hose-DIM’, ‘Schuh-DIM’, ‘Mütze-DIM’, ‘Rassel-DIM’, ‘Milchflasche-DIM’) sicher semantisch motiviert, aber unter Erwachsenen werden sie nicht so häufig in dieser Form benannt wie im Gespräch mit Kindern.

Auch die Bezeichnung für Kinder selbst steht oft im Diminutiv. Bei einer Geburt wird häufig gefragt: Iʃ a piɒbl̩ oder a maːdılə? (Ist es ein Bub-DIM oder ein Mädchen-DIM?). Und natürlich werden auch Namen mit dem Suffix versehen: hansılə, rousılə zu ‘Hans’ und ‘Rosa’. Kleiner gewachsene Personen können ein Leben lang einen solchen Namen tragen: s-… treːsılə (das [Hofname] Theresia-DIM).

5.2.1.3. Kleine Gegenstände, Pflanzen und Tiere

Sehr viele Bezeichnungen für kleine Gegenstände, Pflanzen oder Tiere stehen im Diminutiv und hier gibt es auch viele diminutivische Grundwörter.

Diminutivische Namen bei Vögeln sind prantılə, tsaesılə (Gartenrotschwanz, Zeisig), und obwohl es auch mɔɒsə gibt, ist meist von mεɒsl̩ die Rede. Bei Kleintieren gibt es ɔɒxərlə und meirʃvaendl̩ (Eichkätzchen, Meerschweinchen).

Natürlich werden auch Jungtiere häufig im Diminutiv angesprochen: kitsl̩, lampl̩, kxalbl̩ kxatsl̩, haːsl̩, nɔtʃərlə und fakxl̩ (Kitz-DIM, Lamm-DIM, Kalb-DIM, Katze-DIM, Hase-DIM, Ferkel), gitılə (weibliches Kitz). In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um die Diminuierung der Artbezeichnung, doch auch romanischstämmige Lemmata wie piːsılə (zu pusillus, ‘Tierjunges’, pusilla ‘Huhn’) können vorkommen.

Besonders häufig sind Blumennamen im Diminutiv: ʃtiɒfmiɒtərlə, ʃnεɒklẹkl̩, maeklẹkl̩, naːgılə, vaudılə (oder pfɔfn̩tsaːgl̩), ʃuɒʃtərʃtiɒlılə, glitsəpfandl̩ (oder ʃmɔltspfandֽl Nicht zu verwechseln mit ʃmɘltspfandֽl, der kleinen Pfanne zum Zerlassen der Butter. ), frauinmantılə, pɔlbֽmkxatsl und kxaːspapılə (Stiefmütterchen, Schneeglöckchen, Maiglöckchen, Nelke, Küchenschelle, Frühlingsenzian, Hahnenfuß, Frauenmantel, Weidenkätzchen, Wegmalve).

Zu den körperlichen Erscheinungen gehören vimərlə, ɔɒrlapl̩, maesl̩ (Wimmerl, Ohrläppchen, Musikantenknochen) sowie mεŋılə (kleines Anhängsel am Hals der Ziege).

Bei hiɒndərpriʃtl̩, proːthiɒndl̩, fiʃ-ʃtaːβılə, ʃpaːtslər (Hühnerbrüstchen, Brathühnchen, Fischstäbchen, Spätzle) und wohl auch bei – von it. libretto beeinflusst – autəpiɒxl̩ (Zulassung) dürfte es sich um Übernahmen aus Standard und Umgangssprache handeln.

5.2.2. Individualisierung

Wenn aus Materialbezeichnungen durch Diminuierung solche für zählbare Einzelobjekte werden, nennt Jurafsky dies die “partitive” oder “individualisierende Funktion” des Diminutivs. Ein Paradebeispiel dafür ist tsukərlə zu tsukər. Während das Ausgangswort den Stoff bezeichnet, steht die diminuierte Form für ein Bonbon. Dasselbe Verhältnis von Material und einem bestimmten Produkt daraus kommt auch bei tuɒx (Tuch, Stoff) und tiɒxl̩ vor. Letzteres ist nicht etwa ein kleines Stück Tuch, sondern ein Hals- oder Kopftuch. So auch bei gloːs (Glas) – glaːsl̩ (Trinkglas). Einen Analogiefall stellt das Verhältnis zwischen papə (Kindernahrung, Brei) und dem vor allem kindersprachlich üblichen papılə (Keks) dar.

5.2.3. Präzisierung

Mit der im vorigen Abschnitt beschriebenen Individualisierung ist in vielen Fällen gleichzeitig eine Präzisierung und eine Zweckbestimmung gegeben, wie wir sie in vielen diminutivischen Kompositionen sehen werden. Besonders deutlich wird dies bei dem bereits erwähnten glaːsl̩. Es gilt nur für das Trinkglas als Achtellitermaß oder für die entsprechende Menge Flüssigkeit: es gibt kein gloːs vaen, sondern man bestellt a glaːsl̩ vaen oder einfach a glaːsl̩, und auch bei der Bestellung von Mineralwasser fragt die Bedienung: a glaːsl̩ odər an ʃtutsn̩? (ein Glas oder einen Stutzen?).

Nicht ganz eindeutig, aber doch bezeichnend ist der Unterschied zwischen a guɒts und a guɒtile. Ersteres bezeichnet irgend ‘eine Süßigkeit’, Letzteres ‘ein Bonbon’.

Es gibt natürlich auch Präzisierungen ohne den partitiven Effekt. Im Dialekt gibt es viele Analogien zu dem bei Jurafsky (1996, 22) zitierten niederländischen Beispiel “hart – in het hartje van de stad” (Herz – genau im Stadtzentrum). Durch Heraushebung einer konnotativen Bedeutung des Wortes wird eine semantische Verschiebung erzeugt. Neben der “normalen” Semantik des Diminutivs können hier neue Bedeutungen auftreten, die Weiß als “sondermotiviert” bezeichnen würde.

Eine solche Präzisierung liegt vor bei rɔɒr (Rohr, Röhre) – rεɒrl̩ (Backrohr), rɔnt (Rand) – rantl̩ (Kleidersaum). plɔt (Blatt) kommt praktisch nur im Kartenspiel oder in Zusammensetzungen wie soːkplɔt (Sägeblatt) vor; platl̩ jedoch steht für das ‘Blatt Papier’, für ‘Laub(blatt)’ oder für ‘Krapfen ohne Füllung’.

Das Grundwort kxraut bezeichnet ein ‘krautartiges Gewächs’ oder ‘Sauerkraut’, kxraetl̩ (Petersil) jedoch steht nur für das Gewürz.

Zwar gibt es im Gasthaus ʃvaens- oder rintsproːtn̩ (Schweine-, Rinderbraten), aber die nach dem traditionellen Rezept zubereitete Speise heißt paurnpraːtl̩ oder einfach praːtl̩.

Während poːr wie das hochdeutsche ‘Paar’ die Zweiheit ausdrückt (daher die gängige Redensart: a poːr iʃ tsvɔɒ und anɘtlinə saen fimfə (ein “Paar” sind zwei und “etliche” sind fünf), steht paːrl entweder für ein ‘Liebespaar’ oder für eine ‘Brotform’.

Die Diminutive zu ʃif, poːd, poːn und prunın (Schiff, Bad, Bahn, Brunnen) weisen z.T. erhebliche Bedeutungsverschiebungen gegenüber dem Ausgangswort auf: ʃifl̩ (Weberschiffchen), paːdl̩ (Gasthaus mit Badebetrieb), paːndֽl (Seilbahn, vor allem Materialseilbahn Wenn bei uns jemand mit der früheren Schmalspurbahn ins Grödental gefahren war, dann erzählte er allerdings vom Grödner-paːndl. ), und prindֽl (Quelle).

Das arbm̩lə beim Spinnrad bezeichnet einen – kleinen – Geräteteil, auch gajərlə (kleiner Haken am Spinnrad), kxnεxtl̩ (kleine Holzgabel am Spinnrad) und ʃiɒxl̩ (Spurlager des Mühlrades), drukxərlə (Druckknopf), haftl̩ (Häkchen und Öse als Verschluss), pintl̩ (Bündchen, Manschette) sind solch “technische” Ausdrücke. Manchmal handelt es sich hier um Analogien, wie das bei frɘʃlər (vierzackige Steigeisen für Frauen) sichtbar wird, welche Ähnlichkeit mit einem Frosch aufweisen. Im musikalischen Bereich gibt es ein gaŋgl̩ (Übergang, Griff- oder Tonfolge), natürlich zu gɔnŋ gebildet.

5.2.3.1. Maße

Eine besondere Form der Präzisierung stellen Maßangaben dar, wobei allerdings festzuhalten ist, dass der Dialekt besonders reich gerade an ungefähren, ungenauen Angaben für Mengen und Maße ist.

Während fεtsֽn für ein abgerissenes Stück von einem Gegenstand oder Material steht, ist fεtsılə einfach als Angabe für eine kleine Menge oder ein kleines Maß, das sich auch auf Entfernung oder Zeitdauer beziehen kann, zu verstehen. Diese Form der Semantisierung würde Jurafsky als Lambda-Abstraktion bezeichnen. Typisch für solche Angaben ist z.B. a gidaŋkxl̩, das der standardsprachlichen Angabe von ‘eine Idee’ entspricht. So kann der Zimmermann sagen: gεɒ, ʃiɒb-mεr dɘs prεt a gidaŋkxl̩ vaetər heː (Schieb mir das Brett bitte ein ganz kleines bisschen weiter herüber.).

Da alle Behältnisse für Füssigkeiten auch als Maßangaben dienen, kommen hier besonders viele diminutivische Bezeichnungen für kleine Mengen vor. Bei ʃtampərlə (Stamperl, 2 cl) und glaːsl̩ (1/8 l) handelt es sich noch um genaue Maßangaben. Mit ʃtampərlə identisch ist ʃnapsl̩, wozu es auch das Verb ʃnapslın (Schnaps stamperlweis trinken) gibt. Bei frakılə (Fläschchen), klakılə (kleine Flüssigkeitsmenge) handelt es sich wieder um ungenaue Mengenbegriffe. Bei kxruɒk (Krug) – kxriɒgl̩ (Krüglein) ist die Semantisierung doppelt motiviert: es handelt sich bei beiden um ein Gefäß mit Henkel, aber während das erste größer, meist bauchig geformt ist und der Aufbewahrung und dem Transport von Flüssigkeiten dient, ist Letzteres ein kleineres, zylindrisches Trinkgefäß. Auch größere Behälter wie fasl̩ und pantsılə (beide für Fass) stehen vielleicht deswegen im Diminutiv, weil das für den Transport des Weines verwendete Fass den großen, für die Vergärung und den Ausbau des Weines verwendeten Fässern gegenüber, die auch ʃtandər genannt werden, doch klein erschien. laːgl̩ (Lägel), ein ca. 40 l fassendes gebindertes Gefäß, haben wir bereits erwähnt.

Ungefähre Zeitangaben waren im Dialekt eher die Regel als die Ausnahme, und für eine kurze Dauer waren es allemal Diminutive. Das häufigste war a wailılə (eine kleine Weile), aber auch a rεɒdl̩ in derselben Bedeutung war sehr häufig. Es kommt von rɔɒdə, ursprünglich die ‘Reihenfolge’, in welcher die Bauern bestimmte Rechte, vor allem das Wasserrecht nutzen durften, aber auch einen Schwall Flüssigkeit oder eine große Menge oder Anzahl kann es noch bedeuten. ksatsl̩ mag ursprünglich zu ksɘts gehören, aber heute ist der häufigste Gebrauch der für ein ‘Geheimnis des Rosenkranzes’ oder für eine ‘Liedstrophe’ und dann eben auch für ‘eine kleine Spanne Zeit’: a ksatsl̩ peːtֽn, a ksatsl̩ rεɒrn (ein Weilchen beten, ein Weilchen weinen) ist eine gängige Redewendung, welche die Trauerbewältigung beschreibt.

5.2.3.2. Präzisierung in Kompositionen

Viele Diminutive erfahren eine Präzisierung in der Komposition, wobei das Bestimmungswort die Zweckbindung angibt. Hier nur einige Beispiele: toːtn̩ (Schublade) – ʃpaeptaːtl̩ (Spucknapf), pɔnt (Band) – rɘkxpantl̩ (Gummiband) und ʃtumpfpantl̩ (Strumpfband), ʃtuɒl (Stuhl) – fuɒsʃtiɒlılə (kleiner Schemel), kɔʃtn̩ (Kasten) – nɔx(t)kxaʃtl̩, ʃtubm̩kxaʃtl̩ und hiːrnkxaʃtl̩ (Nachtkästchen, kleiner ins Stubengetäfel eingelassener Wandschrank, Stirne), tiːrə (Tür) – aʃֽntëiːrl (Türchen an der Öffnung, durch die man die Asche aus dem Herd kratzt). Sie bezeichnen durchgehend kleinere Objekte als die entsprechenden Ausgangswörter, aber die bezeichneten Gegenstände haben auch eine besondere Zweckbestimmung.

vaemərʃtriːtsl̩ (Rosinenbrötchen) ist deswegen besonders, weil es sich dabei ursprünglich zwar um einen kleinen ʃtruːtsn (besondere Brotform) handelte, später jedoch meist um ein vɘkələ, wobei der Name sich jedoch nicht änderte, und weil die Rosine eigentlich vaemərlə heißt, im Kompositum jedoch vaemər (Weinbeere, Traube) dafür stehen blieb.

Bei hεɒrnʃtiːβılə jedoch handelt es sich um eine rein pragmatische Motivierung, denn die so bezeichnete Stube beim Mooserwirt war für die feinere Gesellschaft reserviert. Das Bestimmungswort nennt hier die Zielgruppe, für die der Raum gedacht war, und das diminutivische Grundwort signalisiert die Reserviertheit und heimelige Atmosphäre des Ortes.

5.2.4. Beziehung

5.2.4.1. Nähe, Zuneigung, lobende Hervorhebung

Die Linguisten sind sich darin weitgehend einig, dass das Diminutiv in der Beziehung zum Kind seinen Ursprung hat, dass also Nähe und Zuneigung die Sprecherhaltung vornehmlich charakterisieren. Im beschriebenen Dialekt nun wird mit Kindern besonders häufig das Diminutiv verwendet. Im Gespräch mit dem Kind werden auch große Gegenstände und Wesen diminuiert: so kann auch ein großes Pferd rosılə genannt werden, und das Kind wird ins pɘtl̩ gebracht, auch wenn es im großen Bett schläft.

Für das Kind gibt es viele Kosenamen, welche häufig schon “klein” implizieren, wie putsılə (kleines Ding), kxnatılə (Schmutzknöllchen), pfurfılə (Teigknöllchen) und auch Zurechtweisungen werden wegen der Zuneigung zum angesprochenen Kind durch das Diminutiv abgeschwächt. Entsprechend dem bei Dressler/Merlini Barbaresi (94, 133) zitierten Wiener Beispiel Du ißt wie ein Schweinderl würde auch in unserem Dialekt fakxl̩ oder nɔtʃərlə (Ferkel, Schweinchen) stehen, und nach einer Ungeschicklichkeit würde ein Kind als tumərlə oder eisılə (Dummerchen, Eselchen) bezeichnet werden.

Aber nicht nur im Gespräch mit Kindern stehen der Beziehungsaspekt und die Sprechereinstellung gegenüber den bezeichneten Objekten im Vordergrund. Auch wenn Erwachsene, vor allem Frauen, unter sich sind, kann das Diminutiv hoch frequent sein. Vielleicht ist das ein Beispiel dafür, dass der Dialekt für seine relativ kleine Sprechergemeinschaft die Sprache der Nähe ist. Wenn Frauen im Passeiertal an ihrer Nachbarin ein nettes Kleidungsstück sehen, dann würden sie eher sagen: dɘs jɘpl̩ ʃtεɒt diɒr guɒt (dieses Jäckchen steht dir gut), anstatt von einem jopֽm zu reden, und sie würden nicht von einer “Bluse”, einem “Pullover”, einem “Rock”, sondern von einem pliːsl̩, pileıβərlə, kxiːtılə sprechen. Eine kleine Uhr, die Frauen früher an einer Halskette trugen, hieß hɔlsiːrl, und ich denke, das Diminutiv stand nicht in erster Linie für die Kleinheit des Gegenstandes, sondern weil es sich dabei um ein Schmuckstück handelte. Dieser verniedlichende Aspekt kommt wohl auch bei den Tier- und Pflanzennamen zum Tragen, von denen noch die Rede sein wird. Ein kxiɒlılə ist sicher eine kleine, aber auch allemal eine nette kleine Kuh.

Es gibt an vielen Orten den Geländenamen nɔrkə, norkֽɳ, vom lateinischen orcus kommend und eng verbunden mit der heimischen Sagenwelt, in der es um hilfreiche, manchmal aber auch hinterhältige Kobolde geht. Während jedoch die Geländeformationen immer norkə, norkֽɳ̩ heißen, handelt es sich bei den guten und hilfreichen Gestalten in den Sagen immer um nɘrkılər.

Eine besondere Bedeutung hat die Diminution bei darbmile und dingile, die beide zusammen mit rakılə für ein armseliges, abgemagertes und schwächliches (weibliches) Wesen stehen. Hier dürfte Empathie im Vordergrund stehen.

Die Weihnachtskrippe heißt kxripılə: es muss aus dem Standardwort Krippe gebildet worden sein, denn die Futterkrippe heißt im Dialekt anders. Hier mag die kindliche Darstellung des Christkind(lein)s Pate gestanden sein.

Auch halbılə und flaʃl̩ können so gebraucht werden, dass die Sprechereinstellung sichtbar wird. So könnte jemand seinen Partner auffordern: triŋkx-mər nou a halβılə? (Trinken wir noch eine Halbe?), und dann der Bedienung zurufen: priŋʃ’ins nou a hɔlβə? (Bringst du uns bitte noch einen halben Liter?).

5.2.4.2. Distanz

Wenn auch allenthalben als wesentliche semantische Komponente des Diminutivs Nähe und Zuneigung hervorgehoben werden, so kann diese Form doch auch genau das Gegenteil ausdrücken, nämlich Distanz und Herabsetzung. Nicht selten wird Ironie und Spott in dieser Form geäußert. Von einem, der sich wichtig machen möchte, kann gesagt werden: dɘs iʃ lae a sɘlə kikərlə (das ist doch nur so ein Hähnchen), ein Lied das einem nicht gefällt, kann als ksaŋgl̩ (schlechtes Lied) bezeichnet werden und bei einer obskuren Vereinbarung kann von einem handılə die Rede sein, und als fɘlkxl̩ wird eine ‘dubiose Gesellschaft’ bezeichnet.

Ein besonderer Gebrauch des Diminutivs liegt bei pirʃl̩, maːdılə, mandl̩ vor, die oft Kindern und Jugendlichen gegenüber in drohendem Ton ausgesprochen werden. Hier drückt die Diminuierung das Größen-, Kräfte-, Machtverhältnis zwischen Sprecher und Angesprochenem aus. Als ich einmal etwas angestellt hatte, sagte der Nachbar zu mir: pirʃl̩, kxεɒrıʃə lai main…! (Bürschchen, wenn du bloß mein Sohn wärst …!). Der Unterschied zu den oben zitierten liebevollen Zurechtweisungen wird hier auch im Tonfall sichtbar.

Eine Umkehrung des normalen Verhältnisses von Ausgangswort und Diminutiv – zumindest was die Größe betrifft – liegt bei popə (Puppe) – popılə (Kleinkind, verhätscheltes, bevorzugtes Kind) vor.

6. Diminutive in idiomatisierten Wendungen

In komplexen Ausdrücken oder Redewendungen können Diminutive stehen, die allein gar nicht oder nicht in derselben Bedeutung vorkommen. Das trifft zu bei kxiːβılə: es gibt nämlich den ʃmɔltskxiːbl̩ als Gefäß und Gerät, aber der Vorgang des Butterschlagens heißt kxiːbılə traebֽm. Auch hantl̩ heibm̩ (Händchen halten) ist so ein Fall. Man hält das Händchen eines Kindes, um ihm Sicherheit und Geborgenheit zu geben oder um es zu trösten, und auch Liebende können ihre Zuneigung dadurch bekunden. Der Ausdruck wird also nur für ganz bestimmte Situationen verwendet und die Kernsemantik liegt nicht in der Kleinheit der Hand, sondern in der Farbe der Beziehung, die in dem Gestus sichtbar wird. Manchmal leben solche Lemmata in Redewendungen oder Sprichwörtern weiter, wenn das Grundwort oder dessen Semantik längst keine Rolle mehr spielen. So lebt das Diminutiv zur Krone, der Münze des österreichischen Kaiserreichs, noch lange nach dem Ende desselben im Ausdruck kxuɒn kxraːndl̩ in sɔkx (keine kleine Krone in der Tasche). Zwar war die Krone ein Geldstück mit hohem Wert, aber das Diminutiv drückt hier aus, dass man nicht einmal mehr eine kleine Münze in der Tasche hat. Auch aegl̩ (Äuglein) ist nur in der Redewendung an aegl̩ rεʃkiɒrn (einen Blick wagen) gebraucht, und das Diminutiv von sεɒlə (Seele) kommt nur in der folgenden (ironischen) Redewendung vor: dɘs tuɒt in sεɒlılə voul! (das tut der Seele wohl, da fühlt sich jemand geschmeichelt!).

7. Schlussbemerkung

Die Analyse der Semantik der Diminutive in einem kleinen Taldialekt hat gezeigt, dass die durch diese morphologische Möglichkeit hervorgerufenen semantischen Verschiebungen durchaus vergleichbar sind mit denen, wie sie sich in vielen Untersuchungen sowohl schriftlich ausgebauter Sprachen als auch von Umgangssprachen aus den verschiedensten Kulturkreisen zeigen. Die Befunde, die sich aus dem hier beschriebenen Material ergeben, stehen im Widerspruch zu zwei in dem groß angelegten Werk von Dressler/Merlini Barbaresi (1994) vertretenen Thesen, nämlich dass Äußerungen, die ein Diminutiv enthalten, nicht ernst gemeint seien und dass “klein” allein die Kernsemantik des Diminutivs darstelle und alles andere der Pragmatik zuzuschreiben sei – wogegen die Abschnitte 3.2.2.ff. sprechen.

Selbstverständlich ist die Semantik des Diminutivs in sehr vielen Fällen pragmatisch gesteuert. Trotzdem zeigt sich, dass auch bei lexikalisierten und idiomatisierten Diminutiven in diesem Dialekt, die sich auf ein Ausgangswort zurückführen lassen, sich fast immer eine durchschaubare Motivation ergibt, und dass auch die festen Diminutive häufig einzelne semantische Merkmale aufweisen, die dieser Form eigen sind.

Eine erschöpfende Behandlung des Diminutivs in dieser Varietät würde diesen Rahmen jedoch bei weitem sprengen.

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