Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Nië kuënder

Doppelte Verneinung im Passeirer Dialekt

Doppelte Verneinung, also die Verneinung der Verneinung, bedeutet Bejahung, und zwar im Passeirer Dialekt ebenso wie in der klassischen Logik.

Häufig bedeutet eine doppelte Verneinung sogar verstärkte Bejahung, z. B.: sel isch nit nicht! (das ist doch allerhand!) bedeutet, dass man betonen will, dass etwas nicht bedeutungslos ist, sondern dass das Gegenteil der Fall ist. Auch Verneinung von herabsetzenden Ausdrücken bedeutet meist eine positive Verstärkung: fir den håne nit wiënig ausgeebm (dafür/für diesen habe ich viel bezahlt); zem isch ins nit lëts gångin (da ist es uns nicht schlecht/ziemlich gut gegangen).

Aber es gibt in manchen Sprachen die doppelte Verneinung, wo nicht die eine die andere aufhebt, sondern wo die negative Aussage durch ein zweites Wort der Verneinung bestätigt wird. Als Verneinung gilt auch eine Vorsilbe, die eine positive Eigenschaft ins Gegenteil verkehrt. Wenn z.B. schniitig (mutig) oder fuërl (geschickt) durch un- oder um- zu umschniitig und umfuërl wird. Wenn jemand sagt: dës isch kuën umfuërls Hëlb, dann heißt das, dass der Handgriff nicht schwer zu handhaben ist, sondern sich geschickt gebrauchen lässt. Und dës isch kuën Unguëter bedeutet, dass die betreffende Person umgänglich ist und einen guten Charakter hat.

Wir kennen die doppelte Verneinung vom Italienischen: “Non ho detto niente” (ich habe nichts gesagt). Hier heben sich die Verneinungen nicht auf, sondern die eine bestätigt die andere. Das gibt es auch im Spanischen.

Auch in unserem Dialekt gibt es eine Reihe von Ausdrücken, bei denen doppelte Verneinung nicht als positive Aussage gilt. Da es diese Form im gesamten bairischen Raum gibt, ist es nicht etwas, was wir von außen übernommen haben, sondern es gehört zur Struktur unserer Dialekte.

Bei uns gilt das bei ganz bestimmten Kombinationen in folgenden Fällen:

a) nië

nië nicht nicht kann im Passeirerischen sowohl für ’nichts’ stehen, wie in diesen Beispielen, als auch für ‘keinesfalls’, z.B. sel tuët nicht stimmin (das stimmt überhaupt nicht!) , nië niëmit, nië nindert, nië kuën (kuënder, kuëne, kuëns)

er håt nië nicht derglaichn gitoon (er hat sich nie etwas anmerken lassen)

derfoon håt nou nië niëmit ëpis khåp (davon hat noch nie jemand einen Vorteil gehabt)

doo hån i fi deedn nië kuën kseechn (hier hab ich von diesen Leuten nie jemanden gesehen).

ins hoobmse nië nindert aukhåltn (man hat uns nie irgendwo angehalten).

b) niëmit

niëmit nicht

zi miër håt niëmit nicht ggsågg (mir hat niemand etwas gesagt)

c) nindert

nindert nicht, nindert kuën (kuënder, kuëne, kuëns)

i siich doo nindert nicht (ich sehe hier nirgends etwas)

doo isch nindert kuënder umer (hier ist nirgends jemand)

Natürlich sind auch in all diesen Fällen Aussagen mit einfacher Verneinung möglich und man begegnet ihnen heute auch schon immer häufiger.

Daher kann folgende Aussage sowohl mit als auch ohne nië erfolgen: i hån [nië] kuën Mentsch ëpis getoon (ich habe niemandem etwas angetan). Falls man jedoch nië einsetzt, muss man niëmit mit ‘jemand’ ins Hochdeutsche übertragen (ich habe nie jemandem etwas angetan). Und auch die obigen Äußerungen können mit einfacher Verneinung getätigt werden: er håt nië ëpis derglaichn gitoon; zin ins håt niëmit ëpis ggsågg. Oder auch: zi miar isch kuënder fin iimile kemmin (zu mir ist keiner von ihnen gekommen), sii håt fi den ålln nicht giwisst (sie hat von all dem nichts gewusst) usw.

Verschulung und Medien werden diese Besonderheit unserer Dialekte immer stärker zurückdrängen.