Dialekt und anderes
Franz Lanthaler
Råfaine, Ploon und Griëne (Teil 2)
Herkunft und ursprüngliche Bedeutung der Namen
Vorrömische und romanische Namen
Viele Orts- und Flurnamen haben wir von den romanisierten Bevölkerung
übernommen, die vor der Ankunft der Bajuwaren die Gegend besiedelt hat,
teils in Dauersiedlungen, teils durch Nutzung hoch gelegener
Weidegebiete in der Almwirtschaft. Die Römer nannten die Provinz Raetia
,
und die Bewohner werden dem entsprechend die Räter genannt. Während man
die romanischen Namen meist noch gut erklären kann, ist das bei
vorrömischen Bezeichnungen oft nicht mehr möglich, oder man ist auf
gewagte Hypothesen angewiesen, wie auch beim Namen Passer – den die
Passeirer nie in den Mund nehmen. Um 770 wird unser Bach zum ersten Mal
in einem Dokument erwähnt als Passires amnis
, und zwar vom Meraner
Aribo, der als Bischof von Freising das Leben seines Vorgängers, des hl.
Korbinian, beschreibt, der ebenfalls aus der Meraner Gegend stammte.
Nebenbei erwähnt er da eben auch die Passer. Die erste Erwähnung findet
also der Bach (lat. amnis
heißt ‘Fluss’), von dem das Tal dann den Namen
bekam. Die Bedeutung des Wortes ist nicht mehr sicher zu ergründen, wenn
auch die Namensforscher meinen, es komme von romanisch passura
(Durchgang, Übergang), da doch die Römer schon über den Jaufen eine
Straße gebaut hatten.
Für die Geschichte der Namen sind im Allgemeinen zwei Quellen wichtig: die alten Urkunden und die Lautung der Namen im Dialekt. Natürlich sind die Urkunden die wichtigste Grundlage, aber sie geben die Namen oft in latinisierter Form wieder und die Schreibung wechselt sehr stark. Leider sind in dem großen dreibändigen Werk “Die Ortsnamen Südtirols und ihre Geschichte” von E. Kühebacher gleich mehrere Namen im Dialekt falsch wiedergegeben: Für Pille steht “Pil”, für die beiden Hitte steht “Hit”, für Fulfis “Ulfes” und für die Fulfiser gar “Ulfer”, für Sootl “Såtl”, für Plåtte “Plåt”, für Mouse “Mous”. Dabei wird behauptet, dass bei “Hit” das -e, das wir auch bei anderen Wörtern haben, hier einfach weggelassen werde. Zwar sagen wir: af Plått’entn und af Hitt’oubm, aber nur, weil ein Selbstlaut folgt, denn sonst sagen wir eben: i kimm fi Plåtte hee oder miër foorn iëz Hitte zuë oder af Mouse drin. Auch den Landkarten ist nicht zu trauen, denn die Bergnamen sind dort oft verschrieben worden, wie wir schon bei Sefnaarspitz und Dischtlwånt gesehen haben (siehe Teil 1).
Zu den vorrömischen Namen zählt mit großer Sicherheit Immischt, das
denselben Ursprung haben muss wie die Stadt im Oberinntal, die in alten
Quellen als umiste
erwähnt wird. Auch die beiden Iitl im hinteren
Passeiertal gehen wohl auf eine vorrömische Bezeichnung zurück. Es gibt
nördlich der Alpen eine Reihe von Niitl, die alle, so wie die unseren,
abgeplattete Bergkuppen bilden. Vom Niitl zum Iitl ist es nicht
weit: Man sagt immer afn Niitl oubm oder afn Niitl auchn und
irgendwann trennt man dann anders ab, lässt eines der beiden n weg und
es heißt afn Iitl, so wie, umgekehrt, aus af Ulfis schließlich af
Fulfis wird und wie das Almgebiet unter dem Schneeberg Fëss (Föss)
heißt, während es in alten Quellen Öss heißt, wie es gleich daneben
ein Moodigëss, ohne f, gibt so wie etwas unterhalb ein Ëssruën.
Es gibt noch andere Geländenamen vorrömischen Ursprungs: Gånde, Gånte
(siehe auch Gånderperg) ist ein vorromanisches Wort für ‘Geröllhalde’,
das die Romanen übernommen haben (bündnerisch heute noch ganda
). Zum
selben Wort sind wohl auch die Gåntëlln außerhalb von St. Leonhard zu
stellen. Diesen Geländenamen gibt es auch anderswo, und es handelt sich
dabei um am Bach gelegene Gemeindewiesen, die früher auch von ärmeren
Leuten genutzt werden konnten. Zu Plaise haben wir bereits in Teil 1 gesehen.
Das Wort kommt wahrscheinlich von einem vorrömischen blese
, das im
Bündnerromanischen als blais
oder blaisch
auftritt, woher sich die
heutige Form in unserem Dialekt erklärt. Auch Giriëp geht auf
vorrömisch rowia
zurück, in verschiedenen Tiroler Dialekten ist es als
riepe, riife, riibm erhalten. Traijin kommt in vielen Dialekten in
Südtirol vor, bei uns im Geländenamen Liëntrajin in der unteren
Gostalm und ein Traijin in den Mähdern der Ruëner. In einer
Gerichtsakte aus dem Jahr 1792 (wiedergegeben in der Beschreibung von
Ulfas von Joh. Jakob Pöll) beklagt sich ein Bauer in Ulfas darüber, dass
seine Nachbarn durch “seine Mäder einen gemeinen Treyen (Viechsteig)
haben wöllen”. Das Wort soll von illyrisch trogiu
(eingezäunter Viehweg)
kommen, es ist im Ladinischen noch als tru
für ‘Weg’ vorhanden. Wer im
Fernsehen die Lauberhornabfahrt mitverfolgt, weiß, dass dort ein
Gleitstück “Langen Trajen” heißt. Das bedeutet, dass das Wort sehr weit
verbreitet war.
Aber, wie gesagt, es ist uns viel mehr römisches Namengut erhalten
geblieben als vorrömisches, denn als die bairischen Gruppen ins Land
kamen und sich nach und nach mit den Rätern vermischten und die von
ihnen bereits erschlossenen Gegenden übernahmen, waren Letztere schon
seit vielen Jahrhunderten romanisiert. Um 1270 wird in einem ersten
sicheren Dokument das heutige Longfall genannt, das später nicht mehr
zum Gericht Passeier gehörte, aber geografisch eben doch an einem
Nebental der Passer liegt. Genannt wird es damals cankevel, was auf
conca bella
(schöne Mulde?) zurückgehen soll. Dass Pille
wahrscheinlich auf lat. pilum
(Latte, Baumstamm) zurückgeht, was auf den
Blockbau hinweist, haben wir bereits im ersten Teil gesehen.
Nicht von allen Namen haben wir so frühe Aufzeichnungen, aber manche
sind uns in erschließbarer Form erhalten geblieben: Fårtlais
(Fartleis, aus fortaliciu
, Befestigungsanlage), Fåschtroot
(aus via strata
, Straße), Jaufn (aus juvu
, vergl. lad. ju
[sprich: schú] =
Joch), auch Ploon, wie das Dorf Pfelders früher hieß von plan
(Ebene).
Oben der Ferner ist immer noch der Planfeerner, wie er schon lange vor
Ettore Tolomei hieß. In Rabenstein haben wir die Råfaine und in Stuls
den Hof dieses Namens (von rovina
, Erdrutschgebiet), den Gguufl (von
covolo
, Felshöhle), den Granootkougl: Kogel (von cucullu
, Kapuze)
haben wir bereits gesehen; den Timbls (Timmels, zu tumulu
,
Hügellandschaft); im Engadin ist Tombal der Name eines Hügels). Der
große Namenkundler Karl Finsterwalder, dessen Vorlesungen ich in
Innsbruck noch hören durfte, tadelt die Ötztaler, weil sie “Timmeljoch”
schreiben, und lobt die Passeirer, die, weil sie mehrere solche Namen
mit -s haben, wie Åndls, Stuls, Pfelders, auch Timbls richtig
mit -s aussprechen und schreiben. Er führt aus, dass das alles Namen
nicht-deutschen Ursprungs sind.
Dass das Timmelsjoch schon 1241 erwähnt wird, lange bevor der Brenner in Urkunden auftaucht, verdanken wir übrigens der Tatsache, dass die Ultner Grafen in Fende (Vent) Güter hatten und bei der Aufzeichnung ihrer Besitzungen auch diesen Übergang erwähnten.
Dass Saltaus (von saltusiu
, bewaldete Schlucht) heute so heißt, mit au
aus u, beweist, dass dieser Talabschnitt schon im frühen 13. Jahrhundert
von Baiern besiedelt war, weil da die Umwandlung von einem langen û zu
au bereits vollzogen war.
Auffallend ist, dass gerade die Seitentäler und die Talschlüsse die
romanischen Namen behalten haben. Es könnte sein, dass die romanischen
Siedler sich in die abgelegeneren Regionen zurückzogen, als die
eindringenden bairischen Gruppen das Haupttal besetzten. So erklärt sich
auch die romanische Herkunft von Fårmizoon (zu val
+ mediana
>
mezzana
, Mittertal), Fålpmaar (zu val
+ marra
, Gerölltal), Fermool
(zu val
+ mal
, Übeltal), Fåltschnool (zu val
+ canal
).
Låzins soll vorromanischen Ursprungs sein, aber auch solche Namen
wurden eben romanisiert weitergegeben, wie ja auch die Betonung auf der
zweiten Silbe verrät. Der Name Tschinglspåch ist erklärbar, wenn man
die Bündner Bezeichnungen Tschaingel
, Tschingel
, Tschingels
zu Rate
zieht, die auf lat. cingulum
, rom. tschenghel
(Felsband, Rasenband im
Felsen) zurückgeführt werden. Weiters soll Fulfis auf eine romanische
Geländebezeichnung zurückgehen (zu ulva
, Sumpfgras) und Mataaz (mont
+ -aciu
, schlechter Berg).
Ggåmioon haben wir bereits gesehen.
Muute heißen oft ‘abgerundete Erhöhungen’; das Wort
gehört zu lat. mutilus
, ‘gestutzt, stumpf’, im Engadinischen ist es
noch als motta
(Erdhügel, Kuppe) erhalten. Wir haben im Passeier zwei
davon, eine in den Stuller und eine in den Saltnusser Mähdern; die sind
allerdings weniger bekannt als der gleichnamige Gipfel über Dorf Tirol.
Ggåmpm gibt es an vielen Orten in Südtirol, am bekanntesten ist
natürlich der Pass dieses Namens zwischen Etsch- und Nonstal. Der Name
geht auf rom. campu
(Feld) zurück, womit die romanisierten rätischen
Siedler vor allem das Gelände um die Almhütten bezeichneten. Ein
Ferwall gibt es nicht nur in Vorarlberg, sondern so nennt sich auch
ein Tal, das von Gurgl zu einem selten benutzten Übergang ins Seebertal
führt. Es kommt von rom. val bella
(schönes Tal). Eine Valbella gibt es
heute noch im Bündner Land und es ist interessant, dass es nicht weit
von uns im Matschertal eine Walwellspitze gibt, wo die ursprüngliche
Form des Namens noch gut erkennbar erhalten ist. Vielleicht, weil große
Teile des oberen Vinschgaus mehrere Jahrhunderte länger romanisch
geblieben sind.
Namen deutschen Ursprungs
Die Mehrheit der Orts- und Geländenamen sind jedoch deutschen Ursprungs.
Sie sind jünger als die bisher genannten, denn sie können erst nach der
bairischen Besiedlung entstanden sein. Viele von ihnen erklären sich von
selbst; allerdings sind einige Grundwörter, auf die sie zurückgehen,
inzwischen in Vergessenheit geraten, sodass die Bedeutung von Griëne,
Troote oder Easchpaam nicht auf der Hand liegt. Ein Wort auch noch zu
der Silbe -ach, die in der hochdeutschen Form einiger Ortsnamen
vorkommt, wie in: Prantach, Schlattach, Schrammach, Tasach, Ilmach.
Dieses ‑ach, das in den Dialektbezeichnungen nur mehr in Pråntich
sichtbar ist, in Schloote, Taase, Schraame, Ilbme völlig abgeschwächt
erscheint, bezeichnet man als “Kollektivsuffix”, also eine Endung, die
eine Gruppe (von Häusern, Bäumen etc.) zusammenfasst. Wir Passeirer
kürzen auch die Namen aus anderen Gegenden auf diese Weise: wenn wir zur
Siegerlandhütte ins Windachtal gehen – das die Ötztaler auch noch mit -ach aussprechen –, gehen wir über s Windeschartl ins Winde. So
geht Il(b)me auf eine Ortsbezeichnung ‘Ilmach’ zurück, wo Ulmen
standen, Schloote vielleicht auf ein Gelände, wo Schilf wuchs, zu mhd.
slâte
(Rohr, Sumpfgras), Taase auf einen Ort mit Taasn, also
‘Nadelholzzweigen’. Schraame lässt sich so einfach nicht erklären,
aber es gibt eine Reihe solcher Ortsbezeichnungen auch in Nordtirol, und
es handelt sich dabei immer um ein Gelände mit einem steilen Absturz, zu
mhd. schraeme
Das ae ist hier als helles a zu lesen.
(Abschrägung, Schieflage). Bei Pråntich bezeichnet
nicht etwas, was dort gewachsen ist, den Ort, sondern die Art, wie
dieser Ort kultiviert wurde, nämlich durch Prånt, also durch
‘Brandrodung’. Die Bezeichnung Prånt kommt häufiger vor, auch in den
hinteren Saltnusser Mähdern hat ein Gelände diesen Namen. Zu den
ursprünglichen -ach-Namen gehören auch Puëche, Pirche, Larche, die
wir schon oben gesehen haben. Zu Obstbäumen gibt es interessanterweise
keine solchen Kollektivbildungen, sondern nur einzelne Hof- oder
Personennamen wie Piirpaamer oder Åpfålter (eine alte Bezeichnung
für den Apfelbaum).
Einige Geländenamen lassen sich nur aus der Geschichte der deutschen
Sprache erklären, so die Griëne südlich vom Seehof in Rabenstein,
eigentlich das, was vom Damm, der den See gestaut hat, noch übrig ist.
Es hat nichts mit “grün” zu tun, sondern kommt von mhd. gerüne
(umgeworfene Baumstämme). Wer dieses Erdrutschgebiet kennt, wundert sich
nicht über die Bezeichnung. Easchpaam gibt es sowohl als Hof-
(Pfelders) wie als Geländenamen; es kommt von mhd. espan
, urspr.
eʒʒisch-ban
(Gemeindeweide). Es hat also mit Paam nichts zu tun,
sondern mit “Bann”, weil die Nutzung des Geländes streng geregelt war.
Der Geländename “Tratte” und der Name “Tratter” kommen in Südtirol
häufig vor. Bei uns heißt es Troote. Die Bezeichnung kommt von der
Dreifelderwirtschaft, wo der Teil, der abgeweidet wurde, mhd. trate
(Gelände für den Viehtrieb) genannt wurde. Die anderen beiden Teile
hießen “Zelge” (mhd. zelge
, der bestellte Acker) und “Brache” (mhd.
brâche
, der umgebrochene, aber nicht besäte Boden), also unsere
Prooche. Doch geblieben ist in Rabenstein nur mehr der Geländename
Troote, der jetzt auch verschwindet, weil niemand mehr dort
vorbeigeht, wo früher der Weg von der Fröhlichwiese zum Bach und zum
Steg hinunter führte, der die Passer gegen Ilmach überquerte, seit die
Straße 100 m weiter nordöstlich den Bach überquert. Auch wir auf
Saltnuss hatten ein Traatl. So hieß ein kleines Feld, das zwischen
Oberhausers Kornacker und Schnalsers Laitn einen Streifen bildete. Als
Kind dachte ich immer, das komme von draatlin, was bedeutet, dass man
etwas über Seilbahnen liefert, denn am westlichen Ende dieses Streifens
hatte unser Nachbar eine Seilbahn ins Ëschntool. Erst viel später bin
ich draufgekommen, dass Traatl eine kleine Troote ist – weil es
eben nur ein schmaler Streifen war, der füher einmal wohl für die
Dreifelderwirtschaft genutzt worden war.
Der untere Teil des Weilers Pille in Moos heißt Leachn. Das erklärt
sich aus der mittelalterlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsform: lehen
(das hat mit ’leihen, entlehnen ‘zu tun) war ein vom Besitzer – nur der
Adel und die Kirche konnten Grund besitzen – unter bestimmten
Bedingungen zur Nutzung überlassenes Gut. Im Passeier wurden später
Halbhöfe Leachn genannt. In ganz Tirol kommt der Name Gasteiger vor,
und auch den Hofnamen Gåstaig, den es in Rabenstein gibt (als Oubern
und Untern Gåstaiger), gibt es mehrfach im Land. In dem Wort steckt
unser gaache (jäh, steil), also Gaachstaig für einen ‘steilen Weg’.
Ein interessanter Name ist Schwainfeld. So heißt ein Weidegebiet unter
der Straße auf Halbweg zwischen Saltnuss und Schönau, und unser Kirchweg
von Saltnuss ging oberhalb von Ëschntool über ein Schwainfeldëgge.
Hier denkt man als Erstes an das Tier, zumal wir ja wissen, dass in den
Almen früher viele Schweine gehütet wurden, die auch einen eigenen
Hirten hatten. Aber der Name kommt sonderbarer Weise woanders her. Er
kommt von mhd. swein
, das für ‘Hirte’ oder ’landwirtschaftlicher
Arbeiter’ stand wie ursprünglich übrigens auch das englische Wort swain.
In Saltnuss gibt es eine ganze Reihe von Laitn: zwischen den Saltnusser Wiesen und dem Schwainfeld die Soallaite, unterm Gguufl eine Toallaite und eine Stuëllaite und eine Wiese vom Schnålser zum Bach hinunter heißt einfach di Laitn; auf Föss heißen die hinteren Mähder der Saltnusser Spaatlaite und das steile Weidegebiet über dem Karlstollen ist die Prootlaite und noch einmal über dem Seemoos zum Himmelreich hin ist die Pocklaite. Von all diesen könnte ich nur sagen, warum sie Laitn heißen, nämlich wegen des steilen, gegen Süden geneigten Geländes, aber die konkrete Namensgeschichte könnte ich nicht erklären.
Ganz von selbst erklärt sich der Name Proateebm, und auch Zoll braucht nicht erklärt zu werden, wenn man weiß, dass früher allenthalben Wegzoll entrichtet werden musste. Auf Halbweg zwischen Moos und dem Seehof heißt ein Gelände am Bach di Wintlaane. Hier haben für die Kegel der Staublawinen, die im Winter 1951 vom Trausberg herunterkamen, zwei Sommer nicht zum Abschmelzen gereicht.
Auch einige Gewässer haben Namen, die sich von selbst verstehen: die
beiden Schwarzseen verdanken den Namen ihrer dunklen Färbung und der
Schaibsea unter dem Schaibkopf im Seebertal hat ihn von seiner
runden Form. Anders ist es beim Seaber Sea. Zuerst verdankt die Gegend
Seawe, Seabe, in der es einmal zumindest drei Höfe gab, dem See, und
dann wurde der See nach dem Tal neu benannt. Das [w] oder [b]
ist ein Überrest der alten Wortform: im Althochdeutschen hieß das Wort
sēo
, im zweiten Fall (Genitiv) sēwes
. Übrigens ist der Name
Sealnkougl mit großer Wahrscheinlichkeit dem Gurgler Eissee
zuzuschreiben; er dürfte ursprünglich Seablaskougl geheißen haben und
der Name ist später – so wie viele andere – verschrieben worden.
Ähnlich wie mit der Seaberålbe ist es mit der Seapergålbe, wo auch
das Gebiet zunächst nach dem See benannt wurde. Ob der Übelsee seinen
Namen der Sage vom Pfeifer Huisile oder einem Bergsturz in urdenklicher
Zeit verdankt, ist nicht mehr zu ergründen. Vielleicht ist auch die
Nachbarschaft von Fermool (aus val mal
, ‘übles Tal’) an der
Namengebung beteiligt. Bezeichnend ist auch der Name des spektakulärsten
Wasserfalles im Tal, nämlich des Stiëbers, der früher auch Stuiber
genannt wurde. Ein unscheinbares Gewässer ist der Waißpåch, der die
Grenze zwischen den Schönauer Gebieten und der Oberen Gostalm im oberen
Teil sowie denen der Saltnusser im unteren Teil darstellt. Wer ihn von
Rabenstein aus erblickt, versteht, warum er so heißt: die Gischt, die er
beim Sprung über die Felsen unter der Straße bildet, lässt ihn als
weißes Band erscheinen.
Zu den schönsten Namen, die ein Flussgebiet bekommen kann, gehört jener
der beiden Abschnitte der Passer kurz nach ihrem Ursprung in der oberen
Timmelsalm, nämlich Ouber- und Unterkrump(w)åsser (das w von
Wåsser wird von den Einheimischen nicht ausgesprochen). Eine bessere
Übersetzung des aus dem Griechischen übernommenen “Mäander” kann es
nicht geben, und dass diese wunderbaren Moorgebiete sie verdienen, wird
jedem klar, der von oben auf sie herunterschaut. Überhaupt geben die
Passeirer ihren Gewässern bezeichnende Namen. So nennen sie die Quelle
bei der Kapelle “Maria der Quelle” Muëterlekwelle und die Heilquelle
über Matatz nach ihrem Entdecker Anton Hellrigl Hëllriglwasserle. Und
das Wasser, das bei der Timmelsbrücke in den in die Bergmauer
eingelassenen Brunnen sprudelt, ist das Roschtwåsser, das seine
Eisenhaltigkeit wohl von den Lagerungen bei den Aarzgruëbm hinter den
Schönauer Mähdern mitbringt. Der Hiënprunnin hat seinen Namen – so
wie auch der Hiëner-Hof – von dem alten Wort hoen
(niedrig), das
heute nur mehr in “höhnen” (ursprünglich ’erniedrigen’) und “Hohn”
vorhanden ist. Der Hof am Zusammenfluss des Seeberbaches und des
Hauptflusses in Schönau heißt sinnigerweise Zi Wåsser.
Die bedeutendste Rolle von allen Gewässern, nicht nur für die Geschichte des Tales, sondern auch für die von Meran, spielt ein See, den es schon lange nicht mehr gibt, nämlich der Kummersea, an den nur noch der Seasånt und der inzwischen weiter nach hinten übersiedelte Seahouf sowie die Bezeichnung Hintern Sea für das gesamte Gebiet von der Griëne bis an die heutige Landesgrenze erinnert.
Da, wie bereits erwähnt, für die Orientierung im Gelände jede irgendwie auffallende Form desselben benannt wurde, erhielt auch jedes kleinste Tälchen und Rinnsal einen eigenen Namen. Wenn wir z.B. in Richtung Schneeberg gingen, überquerten wir als Erstes in unserer Ëtze das Tåttermånnwåsser, ein ganz unscheinbares Rinnsal, dann kam das Schoa(t)koufltool, dann das Partlkaasertool und schließlich der Pergpåch. Die meisten kleinen und mittleren Bäche erhielten einfach den Namen des Tales: Pfelderer Påch, Wåltner Påch, Formizooner Påch. Nur einige erhielten einen eigenen Namen, wie der Feernerpåch in Pfelders oder der Tschinglspåch in Lazins. Früher hieß auch der Fårtlaiser Påch Rosiimpåch, heute nennt man ihn nur noch nach dem Namen des Tales.
Eine besondere Beachtung hat bei den Namensforschern der Name Prisch
erfahren. Es handelt sich dabei um zwei Höfe auf dem steilen Osthang
zwischen Moos und Rabenstein. Die Bezeichnung gab den Forschern viele
Rätsel auf, und es wurden allerlei Mutmaßungen angestellt. Bereits 1311
wird “diu Nider Brische”, also Unterprisch erwähnt. Da Höfe oft mit
Personennamen belegt wurden, gab es die Meinung, dahinter könnte sich
der Frauenname Prisca verbergen, der anderswo im 14. Jh. urkundlich
belegt ist. Auch lat. priscus
(der Erste, der Höchste) wurde ins Spiel
gebracht. Schließlich kam man auf das keltische Wort briscu
(brüchig),
das auch im keltisch-romanischen briscare
(brüchig werden) vorhanden ist
und das es in den französischen Dialekten der Westschweiz heute noch
gibt. Da das Gebiet mit großer Wahrscheinlichkeit von den rätischen
Ureinwohnern als Weidegebiet benutzt wurde und da es sich zum Teil um
brüchiges Gelände handelt – schon vor dem Bergsturz von
Gspell-Hahnebaum, der den Kummersee staute, gab es von dieser Seite
Felsstürze, wie der obere Rand der Griëne heute noch beweist –,
klingt das eigentlich nicht unlogisch. Hier zeigt sich wieder, wie
wichtig für die Namensforschung die Kenntnis des Dialekts ist, denn im
unteren Vinschgau und im Passeier gibt es das Wort prischtig (brüchig,
leicht zerbröselnd), das die Namensforscher wohl viel früher auf diese
Spur gebracht hätte.
Dass die Namen der Berge – oder besser: der Gipfel – fast immer
deutschen Ursprungs sind, ist ein Zeichen dafür, dass sie erst spät,
also nach der deutschen Besiedlung, benannt worden sind. Hier sollen nur
einige wenige besprochen werden, denn viele von ihnen brauchen keine
lange Erklärung und andere kann man nur mit gewagten Spekulationen
erklären. Die in den Ötztalern häufig auftretende Bezeichnung Kogel, die
wir beim Sealnkougl, Granaatkougl, Kitzkougl und Schaiblaankougl
vorfinden, geht allerdings, wie bereits im ersten Teil erwähnt, auf das
rom. cucullu
(Kapuze) für eine abgerundete Gipfelform zurück. Dass der
Granatkogel seinen Namen vom lad. Wort graneta (Preiselbeere) erhalten
habe, wie in dem bereits zitierten Buch von E. Kühebacher gemutmaßt
wird, halte ich nicht nur deswegen für abwegig, weil bei uns diese
Beeren Glaan heißen, und nicht Grantn, sondern weil sicherlich die
dort vorkommenden Kristalle dem Berg den Namen gegeben haben.
Der Wotzer (Botzer) soll seinen Namen von “Botzen” haben, das in einem Dokument des 17. Jhs. gleichwertig mit “Knotten” erwähnt wird. Vielleicht wäre es auch hier nicht abwegig den Passeirer Dialekt ins Spiel zu bringen, denn käme der Name von “Botzen” (Felskopf), sollte es heute eher *Potzer lauten, und nicht Wotzer, wie der Bock bei uns auch genannt wird, der durchaus auch Pate gestanden sein könnte. Einige Spitzen und Übergänge haben ihre Namen von der Nachbarschaft bekommen: Jaufnspitz, Schwårzseaspitz, Timblsjoch, Wånserjoch, Språnserjoch, Kaarlschårte. Anders als der Koorlstolln hat Letztere ihren Namen nicht von einem Kaiser oder Fürsten namens Karl, sondern di Kluën Kaarler (die kleinen Kare), die unter ihr liegen, haben ihr den Namen verliehen.
Einen ausdrucksvollen Namen haben die als Berg eigentlich unbedeutenden
Kåtznloatern neben dem Zirmait (Zirmeid). Dies ist übrigens einer
der wenigen Bergnamen, die romanischen Ursprungs sein dürften, denn es
kommt wohl von cirmetu
(Zirmach, Zirmwald). Einen Berg dieses Namens
gibt es auch in Schalders bei Brixen. Man muss wissen, dass es im
Mittelalter schon einmal ein sehr warmes Klima gab und dass die Wälder
z.T. viel weiter hinaufgingen. Allerdings hat das Bergwerk in der Gegend
ungeheure Mengen an Holz verschlungen, sodass es durchaus möglich ist,
dass in dem Weidegebiet über der Unteren Gostalm einmal viele Zirmen
standen.
Eher rätselhaft ist der Kolbmer. Zwar liegt es nahe, da er über dem
Kalmtal liegt, dass er mit diesem Namen etwas gemein hat, der von
althochdeutsch chalo
, chalwes
(kahl) kommt, also von einem alten
w-Stamm, wie wir ihn schon bei Seawe, Seabe gesehen haben. Die Kålwe
wäre demnach eine kahle Gegend, also ein Gelände ohne Baumbestand. Aber
der Name des Berges lautet im Dialekt Kolbmer, nicht Kålmer, wie
wiederum bei Kühebaher steht, und es ist sprachgeschichtlich schwer zu
erklären, wie aus dem å ein o wird.
Das Rauchjoch heißt so, weil es sich um eine raue Gegend handelt, der Name hat also nichts mit Rauch vom Feuer zu tun, sondern mit dem Dialektwort rauch (rau, grob) – früher auch für behaart, weshalb Pelze heute noch als Rauchware bezeichnet werden. Oft wird Gelände mit viel Laatschn-Bewuchs so bezeichnet, aber es kann auch grobes, felsiges Gelände diesen Namen tragen.
So wie die Seen haben auch einige Berge den Namen von ihrer Farbe erhalten, nämlich Hoache Waiße, di Schneaperger Waißn, Waißspitz, Schwårzwåntspitz und natürlich di Girtlwånt. Zu “Spitze” ist noch zu sagen, dass dort, wo auf den Karten diese Bezeichnung steht, die Passeirer der Spitz sagen.
Rätselhaft ist auf den ersten Blick der Name der “Beillöcherspitze” im
Timmels, bei uns einfach Pail genannt, so wie auch das darunter
liegende Gelände. Es hat mit dem gleich lautenden Werkzeug nichts zu
tun, sondern kommt von einem alten Jagdausdruck: wo dem mit Hunden
gejagten Wild ein enger Talabschluss oder ein jäher Absturz die Flucht
versperrte, sagte man schon in althochdeutscher Zeit, es werde verpîlet
(verrammelt, abgesperrt). Der Name kommt in vielen Gegenden vor, man
denke an den Pailstuën in Ulten und mehrfach in Österreich: die
Peilwand bei Gurgl, ein Peiljoch im Stubai, der Peilstein in
Niederösterreich.
Die Rossgruëbm gleich südlich vom Himmelreich haben ihren Namen wohl davon, dass das Bergwerk früher viele Saum- und Zugpferde brauchte und dass die Gegend als nahe liegendes Weidegebiet dafür genutzt wurde. Den Geländenamen gibt es auch oberhalb des Ggåmpm in Ulfas, und überhaupt ist er in ganz Tirol verbreitet. Dass es anderswo einen Rosskopf oder Rossböden gibt und hier die -gruben, hat wohl mit der Geländeform zu tun, die sowohl hier als auch in Ulfas durch eiszeitliche wellige Schliffe geformt ist. Anders bei den nicht weit von hier im Timbls liegenden Arzgruëbm, die ihren Namen nicht von der Geländerform haben, sondern von den Stollen, die man dort für Schürfversuche gegraben hat.
Ob die Åndelspëidne, so wie Åndels auf dem Ritten, auf Anlass (Viehauftrieb) zurückgehen oder von einer älteren Bezeichnung kommen, kann man heute nicht mehr feststellen, ist aber nicht sehr wahrscheinlich. Eher handelt es sich um eine vorrömische Bezeichnung, da diese Gegend uralte Siedlungsstätten aufweist.
Das Passeier hat eine Reihe sehr schöner Moore. Eines dieser Mëiser hat auch dem Hauptort von Wålchs Propschtai, wie das heutige Gemeindegebiet von Moos früher genannt wurde, den Namen gegeben. Wer sich noch daran erinnert, wie das Gelände ausgesehen hat, bevor das Wirtsmous verbaut wurde, versteht, warum der Ort Mouse heißt. Das Schiënauer Mous hat den Namen vom Weiler, zu dem es gehört. Leider, muss man sagen, kommt der Name nicht von der schönen Au, sondern von Schennerau, denn das Gebiet gehörte wie die beiden Gostalmen zu den Lehensgütern der Grafen von Schenna. Das Seamous unterm Schneeberg war von dem kleinen See geprägt, den es heute noch gibt. Trotz der bergbaulichen Eingriffe ist ein Teil des Moores gegen den Goldpiichl hin noch erhalten. Das schöne Moor in Imst hat den Namen von seiner Nutzung als Stiërwoade bekommen. Unter den Rossgruëbm auf Ulfas ist die Nåssplåtte, die die Fulfiser einfach s Mous nennen. Die beiden Moore in der Timmelsalm, nämlich Ouber- und Unterkrumpåsser haben wir bereits erwähnt. Einen Sumpf mit einem kleinen See gibt es in der Neader in Rabenstein, am nördlichen Abhang des Pfausis. Kleine Seen heißen bei uns Seabler oder so wie Pfützen oder Lachen: Lackn. Dass wir Lacke mit a sagen, und nicht so wie sonst in Südtirol Låck(e), haben wir mit den Ötztalern gemeinsam. Ein Låck ist bei uns dann eine gewisse Menge Füssigkeit, und a Lackl kann beides sein: ’eine kleine Menge Flüssigkeit’ oder ’eine kleine Pfütze’. In der Nähe der Höfe gab es früher oft eine Rease. Das war ursprünglich ein kleines Staubecken, an welchem man den Flachs geröstet (daher Rease) und genetzt hat, um ihn spröde zu machen und dann mit der Brechel zu bearbeiten. Anscheinend hat man im Passeier s Hoor von auswärts zur Bearbeitung übernommen, nachdem man selber keinen Flachs mehr anbaute. Später wurden oft auch Quellfassungen als Rease bezeichnet.
Wir haben bereits im ersten Teil gesehen, wie neue Namen enstehen können (Såntruggn unter der Schwarzwandscharte). Durch Erschließung neuer Gegenden durch Straßen und Wege oder Bauten werden neue Bezeichnungen notwendig. So hat durch den Bau der Gastwirtschaft an der Stelle, wo früher der Weg von der Timmelsjochstraße nach Glaanegge ging, die Umgebung den Namen pan Hoachfirscht bekommen. Aber es verschwinden auch Namen. Wo früher der Weg auf der Saltnusser Seite in die Untere Gostalm ging, kam man zwischen Partlkaaser Tool und Pergpåch an einer Engstelle zwischen einem spitz aufragenden Stein und dem steil ansteigenden Gelände vorbei, das pan Spitzign Stuën hieß. Jetzt hat der Stein einem Wirtschaftsweg Platz machen müssen und niemand kennt mehr den alten Namen. Aber auch so werden Namen gelegentlich vergessen. Wer auf den Schneeberg geht, parkt hinter Hütt kurz vor der Schneeberger Brücke, wo auch der Fahrweg zur unteren Gostalm von der Straße abzweigt. Aber niemand, der dort sein Auto abstellt, wird sagen können, dass er pan Aispruggëggile geparkt hat. Früher, als da noch das Vieh der Hütter in die Neader getrieben wurde und als man da zur Riibl Sooge ging, konnte man noch sagen, wer einem hier begegnet war oder was einem da passiert war.
Literatur
Finsterwalder, Karl (1995): Tiroler Ortsnamenkunde, 3 Bde. Innsbruck.
Kühebacher, Egon (1995): Die Ortsnamen Südtirols und ihre Geschichte, 3 Bde. Bozen.
Für Interessierte:
Kollmann, Cristian und Johannes Ortner (2004): Fa wos kimp ëpper …? Orts- und Flurnamen, Hof- und Familiennamen in Dorf Tirol. Raiffeisenkasse Dorf Tirol.
Schorta, Andrea (1993): Wie der Berg zu seinem Namen kam. Kleines Rätisches Namenbuch mit zweieinhalbtausend geographischen Namen Graubündens. Chur.
"Geländenamen"
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