Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


In Laitnin, der Annins

Die Fälle im Psairerischen

Der Dialekt wird von Deutschlehrerinnen und -lehrern immer wieder angefeindet; nicht sosehr, weil er andere Wörter hat als das Hochdeutsche, sondern vor allem, weil er die Fälle anders verteilt als dieses. So regieren im Passeirerischen alle Präpositionen (Vorwörter) den Dativ (dritten Fall), auch wenn sie die Richtung ausdrücken, und nicht den Standort. Wir sagen: I gea in der Stuub’inhn oder miër foorn in der Stått außn. Wenn die Lehrpersonen schlau wären, würden sie den Kindern sagen: “Sobald im Dialekt zusätzlich zu einer Präposition (Vorwort) auch noch eine Richtungsangabe steht, müsst ihr im Hochdeutschen den Akkusativ (vierten Fall) nehmen! Wenn es also heißt: Er geat af der Ålb’ auchn/audn, so ist da mit ‘hinauf’ die Richtung angegeben, daher ist es in der Hochsprache mit: ‘Er geht auf die Alm’ wiederzugeben.” Wenn die Kinder beim Schreiben und Reden im Standard die Fälle also nicht richtig verwenden, so ist nicht der Dialekt schuld, sondern ein Sprachunterricht, der die Unterschiede nicht richtig aufzeigt und nicht die richtigen Strategien vermittelt.

Zu “meiner Zeit” gab es nur zwei Redewendungen, in denen Vorwörter mit dem Akkusativ verwendet wurden: um ëppis giën (etwas holen) und afs Joor (in einem Jahr, nächstes Jahr). Z. B. Iëz wuur i når mëign ums Kiëgroos giën (Ich sollte wohl bald frisches Gras für die Kühe holen) und afs Joor pin i niëmer s Willns doo ahoubm zi plaibm (Ich habe nicht die Absicht, auch nächstes Jahr noch hier oben zu bleiben). Überall sonst wurden auch diese beiden Vorwörter mit dem Dativ verwendet, also Dës kennt nit ferlångin, dassmer um der Koscht årbitn (Ihr könnt nicht verlangen, dass wir um die Kost arbeiten) oder Stëll di Schuache nit a(f) der Pånk auchn! (Stell die Schuhe nicht auf die Bank!).

Abgesehen von den Präpositionen werden die Fälle fast immer gleich gebraucht wie in der Hochsprache, außer gelegentlich in Ausdrücken wie Laitschimer amåll oon? (rufst du mich gelegentlich an?), aber auch hier ist der Akkusativ häufiger Ii håndi a poormåll probiërt oonzilaitn (Ich hab ein paarmal versucht dich anzurufen).

Allerdings werden im Dialekt die Fälle nicht nur zum Teil anders gebraucht, sondern manchmal auch anders gebildet als im Hochdeutschen. So gibt es in der Mehrzahl z. B. nur den Artikel di und die Fälle müssen mit einem zusätzlichen Wörtchen gekennzeichnet sein, das für den Dativ in lautet, welches dem Artikel entspricht, wie er bei männlichen Hauptwörtern auch in der Einzahl verwendet wird: in Pruëder – in di Priëder (dem Bruder – den Brüdern).

Statt des Genitivs (zweiten Falls) muss sowohl in der Einzahl als auch in der Mehrzahl in den meisten Fällen fi verwendet werden: s Dåch fin Haus (das Dach des Hauses). Wenn wir jedoch sagen s Hai fi di Maader (das Heu von den Mähdern), dann klingt das auch auf Hochdeutsch genauso gut wie ‘das Heu der Mähder’. Bei Personen kann allerdings auch ein eigener Genitiv gebildet werden: statt s Aute fin Michl (Michaels Auto) kann es also auch heißen: s Michls Aute. Das gilt in erster Linie für Personennamen: s Seppm Toute, der Annins Schurz, der Krischtiins Tiëchl, s Hansn Huët. Das geht zwar auch bei anderen Personenbezeichnungen, aber nur wenn eine ganz bestimmte Person gemeint ist: s Footers Hantsche, s Mexggers Loodn, s Schuaschters Noole. Bei s Footers ist das klar, weil man ja nur einen Vater hat, bei den anderen aber ist das nicht möglich, wenn mehr als ein Metzger oder Schuster im Dorf ist.

In Rabenstein, wo es früher nur ein Gasthaus gab, konnte man sagen: s Wirtn Stoodl, und da es in Moos auch nur ein Gasthaus gab, konnte man sagen: s Mouserwirtn Mertscheedis. Wenn jedoch von einem Gasthaus in St. Leonhard die Rede war, musste man sagen s Taißn, s Frickn, s Fëlsneggers usw., denn wenn mehrere da waren, konnte es nicht mehr *s Wirtn oder *a Wirtns heißen, eben weil diese Form nur für eine ganz bestimmte Person gebraucht werden konnte und das ist auch heute noch so. Einen klaren Fall für diese Unterscheidung haben wir in St. Martin, wo es einen Kroomerhouf gibt. Harald Haller hat mir bestätigt, dass er s Kroomers sagen würde, wenn es um den Bauern geht, und fin Kroomer, wenn es um einen Wanderhändler geht – von denen es ja mehrere geben kann, oder zumindest früher gab.

Bei all diesen Beispielen fällt auf, dass da an die Namen oder Bezeichnungen verschiedene Endungen treten können, eben s Footers, aber s Wirtn und der Annins. Das sind Reste alter Fallendungen, die zum Teil auch noch in der Standardsprache erhalten sind, denn auch dort heißt es ‘(des) Vaters’ und ‘des Bauern’.

Was bei diesen Formen auffällt, ist, dass der Genitiv bei uns und in einigen anderen Südtiroler Dialekten, anders gebildet wird als im Standarddeutschen, wo es heißt “Mutters Schuhe, Annas Schürze” etc., während wir sowohl den Artikel als auch die Fallendung -s benutzen, um diesen Fall anzugeben, der den Besitz oder die Zugehörigkeit bezeichnet.

Im Übrigen stimmt das Obige mit dem überein, was der große Tiroler Dialektforscher Josef Schatz vor fast 100 Jahren geschrieben hat, dass nämlich der Genitiv im Dialekt nur mehr resthaft vorhanden ist. Allerdings zeigen unsere Beispiele, dass er bei uns noch eine gewisse Bedeutung hat. Andererseits gibt es einzelne Wörter und Redewendungen, in denen wir auf den ersten Blick den Genitiv oft nicht erkennen, bei denen es sich jedoch um Reste alter Genitivformen handelt. So kommen znåchts und zmorgits von alten Genitiven ‘des Nachts’ und ‘des Morgens’. Und wenn wir sagen s Willns sain oder in Gottsnåmmin, so ist da ‘des Willens’ und ‘in Gottes Namen’ enthalten. Und in mainpëign (oder maimpëgn) und sainpëign sind alte Genitive von ‘ich’ und ’er’ verborgen; das wird klar, wenn man sie auflöst und sagt wëign mainder. Auch fi sain aus måggschise lai miitnemmin (seinetwegen/was ihn betrifft, darfst du sie ohne Weiteres mitnehmen) gehört hierher. Bei dës kheart main (das gehört mir) würde man eher, wie im Hochdeutschen, den Dativ miër erwarten, aber wahrscheinlich ist die Wendung über ‘das ist mein’ entstanden und dann bei kheart main erhalten geblieben zu den Fällen im Dialekt siehe auch:
Scheutz, Hannes (2016): Insre Sproch. Bozen: Athesia, 64–71
und
Lanthaler, Franz (2012): Zur Kasusmarkierung in den Südtiroler Dialekten. In: ders.: Texte zu Sprache und Schule in Südtirol. Meran: AlphaBeta Verlag, 261–277.
. Schwerer zu erklären ist die Form hinter main, die man bei älteren Leuten gelegentlich noch hören kann.

Die Sprache hat oft sonderbare Regeln, und zwar hat jede ganz eigene und diese können sich ändern. So hat mein Vater noch die Wendung gebraucht man muëß in Laitnin di Wårchit soogn (man muss den Leuten die Wahrheit sagen), oder du tårfsch in Kiëdnin nit dës nåsse Groos geebm! (du darfst den Kühen nicht dieses nasse Gras geben!). Auch ållnin kanntschis nië recht måchn, konnte man ältere Leute sagen hören. Heute hört man diese Form des Dativs in der Mehrzahl – die nur für Lebewesen, nie für Dinge galt – kaum noch. Als ich vor einiger Zeit bei einem Kartenspiel zuschaute und eine 90-Jährige sagte dentnin weermers schun giën zoagn!, fragte ich sie, ob sie dieses dentnin noch oft benutze. Sie antwortete, sie sage immer nur in deedn; sie hatte also gar nicht bemerkt, dass sie gerade eine früher gängige Form verwendet hatte.

Früher hat man manchmal bei weiblichen Hauptwörtern auch in der Einzahl noch im Dativ in verwendet. Wenn wir als Kinder unseren Geschwistern, die etwas angestellt hatten, drohten, dass wir schërgn (petzen) würden, sagten wir ii weers in der Muëter soogn. Diese Form hört man jetzt nicht mehr.

Wenn ich nur mehr in Laitnin, in Kiëdnin, ållnin und dentnin gehört habe, muss hier eine alte Form schon fast ausgestorben sein, denn in anderen Hochtaldialekten gibt es sie noch, ja im Ahrntal ist sie der “Normalfall”, denn dort heißt es in Kiën, in Goaßn, in Kindern, mit dieser alten Endung. Im oberen Vinschgau wiederum klingt es ganz anders. Ich habe die obigen Beispiele einem Obervinschger zum Übersetzen gegeben, und das hat dann so gelautet ës miëßts di Lait di Wårchet soogn und du tårfsch di Kië nit dës nåsse Groos geebm!, und ein Bürgermeister hat von den Bewohnern seiner Gemeinde gesagt dië geats haint ålla guat (denen allen geht es heute gut). Es mag sonderbar klingen, aber es entspricht der Wirklichkeit, dass die wegen des Dativs verschrienen Vinschger – immerhin heißt dort ‘ich liebe dich’ i moog diër – diesen Fall in der Mehrzahl gar nicht mehr kennen.

Was den Deutschlehrern weiters Kummer bereitet, ist die Tatsache, dass im Dialekt Dativ und Akkusativ bei männlichen Hauptwörtern nicht unterschieden werden. Wenn der Bauer also sagt Håsch’in Knecht ggseechn? oder Håsch’in Knecht in Mittoog miitgeebm?, dann heißt es beide Mal in Knecht, aber es handelt sich um verschiedene Fälle. Einmal ist es Akkusativ (den Knecht), den seechn genauso verlangt wie das hochdeutsche ‘sehen’, und das andere Mal ist es Dativ (dem Knecht), weil geebm den ebenso verlangt wie das hochdeutsche ‘geben’. Für die Lehrer wieder ein einfacher Trick: die Hauptwörter durch mii oder miër, sii oder iir usw. zu ersetzen.

So wie bei anderen sprachlichen Erscheinungen werden auch bei den Fällen gelegentlich Unterschiede zwischen Hinter- und Außerpasseier sichtbar, die derzeit allerdings eingeebnet werden. So sagte man früher im Hinterpasseier, und bei älteren Leuten hört man es noch heute, hoschis der Krischtiin ggsågg …? (Hast du es der Christine gesagt?). Die Jungen sagen jetzt schon wie die Außerpasseirer der Krischtiine …, sodass sich der Dativ nicht mehr von den anderen Fällen unterscheidet. Und sie sagen auch der Anne statt der Annin, wie man früher sagte. Interessant ist, dass bei den männlichen Namen die alten Dativendungen im Außerpasseier eher erhalten geblieben sind als im Hinterpasseier. So sagt man in St. Martin eher dës muësch’in Toondlin geebm, während man in Pfelders oder Hintern Sea sagt dës muësch’in Toondl geebm.