Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


tëi-tëi, di Lalle, huschile

Kindersprache

Obwohl der Spracherwerb der Kinder etwas so Natürliches und Selbstverständliches ist, dass man meinen möchte, es brauche von Seiten der Erwachsenen gar nichts dazu, gibt sich doch jede Sprachgemeinschaft Mühe, der nächsten Generation ihre Sprache, und zwar die “richtige”, weiterzugeben. Dabei tun die Eltern meist intuitiv das, was die Spracherwerbsforschung als richtig erkannt hat: Sie sprechen deutlicher und vereinfachen ihre Äußerungen. Oft passen sie die Wörter auch den Aussprachefähigkeiten der Kleinen an. So entstehen in einer Sprache oder einem Dialekt kindersprachliche Wörter. Damit sind also nicht nur die Wörter gemeint, die die Kinder in frühen Phasen ihrer sprachlichen Entwicklung selbst gebrauchen, sondern auch die, welche die Erwachsenen im Gespräch mit Kindern verwenden. Die Sprachwissenschaft verwendet dafür den Ausdruck “Ammensprache”.

Schlatterle Foto: Franz Lanthaler Schlatterle

Im Passeirer Dialekt gibt es eine große Zahl an kindersprachlichen Ausdrücken, was als ein Zeichen dafür gewertet werden kann, dass man sich hier dem Nachwuchs besonders liebevoll zugewandt hat und dass die Großen alles dafür getan haben, dass sie von den Kleinen verstanden werden. Neben den kindersprachlichen Wörtern gibt es jedoch eine weitere Besonderheit, die man als ein Element der Ammensprache bezeichnen könnte: Man verändert die Dialektlautung oder verwendet sogar hochdeutsche oder dem Hochdeutschen angepasste Wörter. So wird aus dem Stuën der Stein und aus dem Hoosn wird s Haasi oder s Haasile. Wahrscheinlich steckt hinter dieser Praxis die Meinung, dass die Kinder gewisse dialektale Laute oder Lautgruppen schwerer verstehen als die hochsprachlichen. Warum würde man sonst das Kind vor dem Kochtopf mit heiß! warnen statt mit hoaß!, oder liibe-liibe tiën, wenn man mit ihm schmust?

In diesem liibe-liibe steckt noch eine Besonderheit, die in der Kindersprache häufig vorkommt, nämlich die Wiederholung von Wörtern, wie sie eben bei tëi-tëi für ‘schön’ sichtbar wird, welches auch ti-tii lauten kann. Daneben gibt es auch wetscha-wetscha für ‘pfui, hässlich’, auch mit Teilwiederholung, nämlich wetscha-wä. Diese Doppelsetzung von Wörtern ist wohl auf die kindliche Art zurückzuführen, durch penetrante Wiederholung von Wünschen oder Bemerkungen die Aufmerksamkeit von Erwachsenen auf sich zu lenken. So sagt das Kind, wenn es in den Arm genommen werden will, eben huppa-huppa für huppm, wenn es zeigen will, wie brav es am Tisch sitzt, sagt es sitz-sitz, und wenn es jemanden streichelt oder streicheln will, sagt es haita-haita, was wiederum eine kindliche Abwandlung von haitschn ist. Schmerz wird mit der Erweiterung des gängigen Schmerzensausrufs au! zu aua-aua ausgedrückt und schlafen heißt haia-haia. Auch Grußformen, wie das überall – auch in Österreich – übliche papaa und das mit entsprechender Handbewegung begleitete winke-winke gehören hierher. Bei anderen Wörtern werden oft einzelne Silben wiederholt, wie bei (h)eenggiluss-putziggeenggiluss, mit welchem Schadenfreude ausgedrückt wird, oder wenn vor dem Hund gewarnt wird, weil er gnang-nang tuët, also ‘beißt’. Kindliche Spiele werden gelegentlich mit dem Anhängsel -iluss, -iliss bezeichnet: Derwischiluss, Derwischiliss heißt das ‘Fangenspiel’ und Kochiluss, Kochiliss sagten wir, wenn wir mit alten Töpfen oder Konservendosen und lehmiger Erde unsere Kochkünste erprobten. Beim spielerischen Raufen droht man dem Kind, dass man es packn (anfassen) wird und Speck ooërschnaidn sagt man, wenn man mit scherenartig gespreizten Fingern am Handgelenk des Kindes reibt.

Manchmal verraten Wörter etwas über die Lebensumstände der Menschen. So z. B. der Ausdruck Pankl måchn, den man verwendete, wenn zwei Kinder sich ein Bettchen teilen mussten und eines am Rücken des anderen schlief. Hier wird die Enge des Lebensraumes augenscheinlich, denn oft waren mehr Kinder da als Schlafstellen. Außerdem waren nur die Stube und die Ehekammer, in der auch die Kleinkinder schliefen, geheizt, die übrigen Kammern jedoch nicht, sodass man sich durch Pankl måchn auch noch gegenseitig Wärme spendete.

Es gibt eine Reihe von Ausdrücken, die man den Kindern gegenüber für Dinge, Lebewesen und Handlungen verwendet. Wir haben bereits huppm für ‘im Arm halten’ erwähnt, und es gibt di Lalle, di Lulle oder di Schnalze für den ‘Schnuller’, wobei Letzteres wohl eine lautmalerische Bildung darstellt, indem sie den schmatzenden Laut, den Kinder beim Lutschen erzeugen, nachahmt. Und es gibt nachtürlich auch eine Kinderrassel, nämlich s Schlatterle. Die Beine des Kindes werden als Ståmpfer bezeichnet, die Arme heißen Pengl und der Bauch Pånzn oder Pånzer. Wohl genährte Kinder haben auf den Armen oder Beinen Riidl – so werden die Hautwülste genannt – und an Muëspårt, ein ‘Doppelkinn’. Natürlich müssen auch die Kinder im Passeier den Gästen s schiëne Hantl geben, die ‘Rechte’ eben. Wenn Kinder ungehalten oder zornig sind, machen sie an Moutsch (Schmollmund), und wenn sie weinerlich sind, an Pruutsch (ein weinerliches Gesicht), dafür gibt es auch den Ausdruck Pfånne oder Pfandl måchn.

Die Kleinen können satzn (schnell laufen, springen), peffn (gegen etwas stoßen, vor allem mit dem Kopf) und abends gehen sie tutschn (liegen). Zuvor wird s Pëttl angewärmt, dass es huschile (warm und kuschelig) ist, wenn das Kind schlafen geht. Die Augen schließt ihm jedoch nicht das Sandmännchen, wie im Hochdeutschen, sondern s Pechmandl.

Für viele Tiere gibt es kindliche Bezeichnungen: der Pamper ist das Schaf und s Pamperle natürlich das Lamm, der Widder heißt Wuudl, die Muu ist wie überall der lautmalerische Name der Kuh und das Kalb ist s Kuuserle. Der Jarz ist das junge Böcklein. Kinder, die wild herumtollen, werden auch Jarzn genannt, und das Herumtollen selber als jarzn[in] bezeichnet. Das Wort ist nebenbei interessant, weil es ein altes Wort ist, das wahrscheinlich auf das lateinische hircus (Ziegenbock) zurückgeht. Die Ziege kann bei Kindern auch mit dem Lockruf bezeichnet werden, mit dem man sie herbeiruft, nämlich Sëssee.

Die Erdäpfel heißen für die Kinder Paunzn, wie knollenartige, runde Dinge auch in anderen Dialekten genannt werden.

Selbstverständlich sind auch Tatte und Mamme kindersprachliche Prägungen, die zu unserer Zeit allerdings nur von kleinen Kindern verwendet wurden. Ich kann mich noch erinnern, wie ich meine Mutter gefragt habe, ob ich ab jetzt auch Muëter sagen dürfe wie die Größeren. Sprachwissenschaftler behaupten, dass die heute allgemein üblichen Bezeichnungen für die Tauf- und Firmpaten, also Tëite und Toute, durch kindersprachliche Anlautung aus Göte und Gote entstanden sind.

Auch im religiösen Bereich gibt es Kindersprachliches, so z. B. den Himbltatte (Gottvater) und die Himblmamme (die Gottesmutter) und das Kind musste – zumindest früher – vor dem Schlafengehen Schutzengele main beten. Engele troogn hingegen sagt man, wenn zwei Erwachsene das Kind an den Oberarmen fassen und so zwischen sich tragen oder schwingen.

Selbstverständlich werden auch im Passeier Kindern gegenüber sehr häufig Verkleinerungsformen verwendet wie Pamperle, Kitzl, Kalbl oder Kuuserle, wie wir gesehen haben, und auch Dinge oder Räume, die an sich groß sind, werden im Gespräch mit Kindern verkleinert, sodass die Stuube zum Stiibile wird und dass man das Kind ins Pëttl legt, auch wenn es das Bett der Eltern ist: wohl weil die Verkleinerung für das Kind heimeliger wirkt: s Pëttl war eben eher huschile (warm und kuschelig) als s Pëtt. Durch die Verkleinerung werden auch die Tiere lieblicher und scheinbar zahmer. So streichelt das Kind s Haasile lieber als in Hoose und s Pullile lieber als die Henne, auch wenn es sich dabei um ausgewachsene Exemplare handelt. Sogar Wörter, die sonst kein Diminutiv bilden, werden für Kinder verkleinert. Das kranke Kind bekommt dann a Teeile und a Pillile. Dass das Kind a Jaggile, Hëisler und Schiëchler hat, passt natürlich zur Größe der Jacken, Hosen und Schuhe von Kindern, aber deswegen kann die Mutter mit der größeren Schwester trotzdem schimpfen, wenn sie dem Kleinen noch nicht die Schuëche angezogen hat.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass für Kinder auch eigene Verkleinerungsformen gebildet werden, sodass das oben genannte Schiëchl zu an Schiëchile oder gar zu an Schuuchile werden kann, und aus dem Kalbl wird dann eben a Kalbile usw. Möglicherweise dienen diese besonderen kindlichen Diminutivformen ebenfalls der besseren Verständlichkeit.

Ein interessantes Wort ist di Palle. Natürlich spielt man in Passeier Fußball – und gelegentlich sogar sehr gut – und zwar mit an Påll. Den Kleinkindern jedoch schenkt man a Palle zum Spielen. Ich dachte zunächst, dass das Wort aus dem Italienischen übernommen worden sein könnte, schon wegen des weiblichen Geschlechts des Wortes. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich auch hier um eine kindersprachliche Prägung.

Selbstverständlich verwendet man auch bei uns den Kindern gegenüber verhüllende Wörter statt solche, die nicht “fein” klingen. Dabei muss man nicht ins Boznerische verfallen. So sagt man für fürs Wasserlassen zu Kindern eben nicht prunzn oder fetzn, sondern pachn oder an Påch måchn und der Penis heißt Zipfile. Koten ist ggaggn und die Exkremente sind di Ggagge.

Leider wurden Kinder auch gezüchtigt. Man hat ihnen Schmatz (Schläge) angedroht und hat sie auch giplattert (ihnen den Hosenboden versohlt), gipantscht (geschlagen) oder gitatscht (meist Schläge auf die Hand). Dem entsprach auch das Påtzn geebm in der Schule, welches dann allerdings meist mit dem Stock ausgeführt wurde.

Wenn jemand von uns etwas angestellt hatte, dann drohten die Geschwister mit namm-wee, ii weers der Muëter soogn!

Die Sprache, die man mit Kindern verwendet, hat allerdings nicht nur eigene Wörter oder eine eigene Lautung, sondern auch einen eigenen Gebrauch. Es ist bekannt, dass Kinder bis zu einem bestimmten Alter das “ich” nicht kennen, sondern von sich selber in der dritten Person sprechen. Wenn ein Zweijähriger etwas nicht mag, sagt er eben: Mågg er nit. Das greifen die Erwachsenen auf und fragen ein kleines Kind dann: Måggs a Guëts? (mag es einen Keks?), oder: Wills Spatz giën? (möchte es spazieren gehen?), und man lobt es: Iëz isch praaf giweesn, håts toul gessn. Eine weitere Besonderheit im Umgang mit Kindern ist die häufige Verwendung von tiën und giën. Wenn man zum Kind sagt: Tuëts essn, tuëts spiiln? usw., oder: iëts geats tutschn, dann braucht es sich nur die Endung der 3. Person dieser Verben zu merken, von allen anderen nur die Grundform (Infinitiv). Auf diese Weise kann das Kind seinen Wortschatz sehr schnell erweitern, ohne sich mit grammatischen Formen zu belasten, die für dieses Alter noch schwierig sind. Dasselbe geschieht mit den vielen Aufforderungen, die mit giëmer anfangen: giëmer essn, giëmer oowaschn, giëmer haia-haia.