Dialekt und anderes

Franz Lanthaler


Fin Kourn zin Proat

S Kourn

Wie bereits in einem früheren Artikel (s Essite Teil 1) versprochen, soll hier der Ablauf beschrieben werden, der von der Kornsaat bis zur Herstellung des eigenen Brotes führt. In den Tiroler Dialekten steht Kourn für ‘Roggen’, vielleicht weil es bei den Bergbauern das wichtigste Nahrungsmittel war, das sie selbst erzeugten. Beda Weber schreibt zwar noch um 1850, also hundert Jahre vor meiner Kindheit in Rabenstein, dass dort nur die Gerste gedieh, nicht jedoch das Kourn. Da muss es inzwischen eine Klimaveränderung gegeben haben, denn der Roggen ist bei uns immer oogiriffn (voll ausgereift), während es die Gerste nicht jedes Jahr schaffte – was angesichts der älteren Beschreibungen eigentlich erstaunlich ist.

Proat Foto: Franz Lanthaler Proat

Was nun den Begriff Roggen betrifft, den gibt es schon auch im Dialekt, aber wir gebrauchten ihn nur für die aufgehende Saat im Herbst. Wir sagten der Roggn geat huire lai schitter au, oder wenn di Schoof’ in Roggn derglicknin, når derhiëtschise niëmer.

Sobald das Getreide allerdings einmal verarbeitet war, hatten wir a roggis Meel und aßen an roggin Riibl. Beim Brot wiederum war die Unterscheidung eine andere, es gab nur s hërte und s linde Proat, unseres aus Roggenmehl und das Weißbrot, das praktisch allein für die Knödel und die Proatkiëchl gebraucht wurde und wovon wir meistens am Sonntag aus dem kleinen Laadile beim Wirt zweieinhalb Wëggn mitnahmen. Bei den Krapfen hingegen brauchte es keine Unterscheidung: im Unterschied zu heute gab es nur roggine.

Irgendwann im Herbst, wenn alle Sommer- und Erntearbeit erledigt war, begann die Bestellung des Ackers mit dem Eeregrattlin. Am unteren Ende vom Prunnåcker, unserem großen Kornacker hinter dem Haus, wurde eine klafterbreite Furche ausgehoben. Mit einer Haue wurde die feste, mit Stoppeln bedeckte Erde aufgehackt und mit der Schaufel in den schweren Eergrottn geschöpft, der vorne ein kleines und hinten zwei große Räder hatte, sodass er auf dem steilen Acker fast waagerecht stand und beim Aufwärtsfahren keine Erde verlor. Übrigens sagten wir Grottn nur zu diesem Gefährt, während Gråttn Verschiedenes sein konnte, auch als abschätzige Bezeichnung für ein Auto konnte man es gebrauchen.

Waalhaue Foto: Florian Lanthaler Waalhaue

Wo es sehr steil war, wurde unter dem Streifen, in welchem die Furche entstehen sollte, die Grattlgoaß aufgestellt: ein Brett, das talseitig abgestützt wurde, sodass der Grottn während des Aufladens stabil stand. Zwei meiner Brüder, zu jeder Seite vom Grottn einer – manchmal musste auch eine meiner Schwestern aushelfen – beluden das Gefährt.

Auf dem Grasstreifen am oberen Ende des Ackers stand der Pock, ein dreifüßiges Gestell mit einem Querbrett vorne, auf dem der Kloubm, eine schwere eiserne Rolle, auflag, über die das Seil lief, das bei uns schon aus einer Litze von einem aufgetrennten Schneaperger Droot bestand, während man früher ein schweres, hanfenes Eersoal benutzt hatte. Ein gutmütiges, also leicht zu führendes Kålbile trug das Koomit und zog den Grottn den Acker hinauf, indem es leicht schräg nach unten taleinwärts ging. Oben stand einer und hat s Aafer augiworfn, indem er die ankommende Erde immer genau am oberen Rand des Ackers ausschüttete und zugleich eeha rief, damit s Kålbile rechtzeitig stehen blieb. Eines von uns Kindern oder unser Vater führte die Kålbl, die die Last zog, und brachte sie wieder zum Pock zurück. In regelmäßigen Abständen musste fiirschegipockt werden, d.h. der Pock mit dem Kloubm musste weitergerückt und neu mit in die Erde gerammten Aisnsteckn und Ketten befestigt werden, dass die Erde wieder an der richtigen Stelle ausgeschüttet werden konnte.

Koomit Foto: Florian Lanthaler Koomit

Das Ganze dauerte mit dem gemächlich gehende Kålbile zwei oder drei Tage. Meine ältesten, in den 20er Jahren geborenen Brüder erzählten noch vom Eere- und Mischtrennin, bei welchem einer mit dem Korb voll Erde oder Mist nach oben ging und der andere mit dem leeren Korb im Abwärtsgehen den Beladenen nach oben zog. Bei unserem steilen Acker war Eeregrattlin mindestens jedes zweite Jahr angesagt.

Im Grasstreifen oberhalb des Aafers war immer ein Wool, der das Regenwasser auffing und seitwärts in die Gasse leitete, durch die das Vieh in die Ëtze (hofnahes Weidegiebiet) gelangte. Einmal, als ein schweres Gewitter aufzog, schickte mich mein Bruder Heinrich vom Pirgstuën – das waren unsere außern Maader – herunter, diesen Wool mit der Waalhaue auszuräumen, damit nicht ein Erdrutsch unseren Acker verwüstete.

Auf dieselbe Art wie die Erde wurde auch der Mist den Acker hinauf befördert, allerdings wurde er auf den ganzen Acker in Häufchen verteilt und kurz vor dem Pauin mit Gabeln ausgestreut. Da er mit dem Pflug dann unter die Erde gebracht wurde, brauchte er nicht gekluënt (zerkleinert) zu werden wie auf den Wiesen.

Kurz vor Michlstoog (29. September) wurde meist gipaut. Dass ‘pflügen’ oder ‘den Acker bestellen’ mit demselben Wort ausgedrückt wird, wie ’ein Gebäude errichten’ und ursprünglich auch wie ‘wohnen’, hochdeutsch also mit ‘bauen’, hat einen guten Grund: Als die Menschen sesshaft wurden, wurden sie Bauern. Sie bauten sich feste Wohnungen und bebauten gleichzeitig das Land. Auch in Nåchper ist der Begriff drin, denn mhd. hieß es nâchgebûre oder nâchbûre, was nichts anderes ist als ‘der Bauer in der Nähe, der daneben Wohnende’.

Die Zeit gegen Ende September war die richtige zum Pauin aus zwei Gründen: bis Michlstoog waren die Eahåltn, vor allem die Sommerknechte und -mägde noch da, und da damals die Schule erst im Oktober begann, waren auch die Schuëler noch alle verfügbar. Außerdem hatte der Roggn so vor dem Wintereinbruch genügend Zeit aufzugehen, denn im Herbst ließ man häufig noch s Happfiich (Ziegen oder Schafe) drin weiden, dass sie sich noch etwas Fett anfressen konnten, und auch als Kiëgroos wurde die aufgehende Saat abgemäht. Außerdem war er dann bis zum Wintereinbruch schon so stark verwurzelt, dass er die kalte Jahreszeit schadlos überstand. Während man in wärmeren Regionen talauswärts auch noch im Frühjahr Roggen säen konnte, gab es bei uns nur Winterkourn, also Getreide, das im Herbst gesät wurde und den Winter in der Erde ruhte.

Melter Foto: Florian Lanthaler Melter

Zum Pauin brachte der Haandl Luis am Tag vorher zwei kräftige Haflinger und stellte sie, da die Eingänge und die Stellplätze bei uns und beim Schnålser zu eng waren, beim Ouberhauser in den Stall. Morgens wurde dann zeitig angefangen, denn der Acker war sehr groß und bei der harten Arbeit brauchten die Pferde eine Mittagsrast. Meine Brüder hatten den rechten und linken Rand des Ackers schon oonkhaut, also ‘umgegraben’, damit der Pflug beim Wenden an der Oonewånt leicht angesetzt werden konnte. Der Luis führte die Rosse so, dass eins in der Furche ging und eins oberhalb, und so lief auch das zweirädrige Gigrëtt, das Fahrgestell, auf dem die Pfluëgsaile auflag: ein Rad in der Furche und eins oberhalb. Mein ältester Bruder Luis führte den Pflug und mein Vater ging dahinter und säte das Korn aus einer Melter auf die frisch aufgepflügte Erde am Rand der Furche. Alle übrigen Familienmitglieder standen unter der Furche, zerschlugen die groben Erdknollen mit der Haue – Frauen und Kinder hatten gewöhnlich eine zwoazindige, während die Männer eine mit vier Zinken benutzten – und bedeckten die Samenkörner mit einer dünnen Erdschicht. Ausgesät wurde das Korn, welches man dadurch gewann, dass man beim Kourntroogn die Garben an der Tenninlëide, einer hüfthohen Bretterwand zwischen Tennin unmd Haistock, ausschlug, bevor sie auf dem Stroasolder gestapelt wurden, welcher rund um den halben Stadel ging,.

zwoazindige Haue Foto: Florian Lanthaler zwoazindige Haue

Beim Pauin gab es zu Mittag Sëilsupp’und Kråpfn. Nachdem die Rosse geruht hatten und getränkt waren, ging es weiter und am späten Abend kamen wir dann oben am Aafer an. In den Tagen danach wurde bei den Nachbarn gipaut, und diejenigen von uns, die keine dringenden Arbeiten zu erledigen hatten, halfen dort mit, besonders beim Schnålser, mit dem wir im selben Doppelhaus wohnten und ein gutes Verhältnis hatten.

Im Frühjahr schoss der Roggen dann sehr schnell in die Höhe und bald standen die Eecher auf meterhohen Halmen. Wind und Wetter machten dann oft große Leeger ins Kornfeld, Flächen, in denen die Halme am Boden lagen. Meistens war es der Wind vom Schneeberg her, der es notwendig machte, dass das Korn mit der tenggn Seegnsn geschnitten werden musste, da die Halme gegen Westen geneigt lagen und da man nicht gut von unten nach oben mähen konnte.

Seegnsn Foto: Florian Lanthaler Seegnsn

Mitte August war das Korn bei uns meist reif und es ging ans Kournschnaidn. Mein ältester Bruder Luis zog einen weißen Schurz Anders als es Philip S. Katz in seinem wunderbaren Buch für Stuls beschreibt, trugen die Männer in Rabenstein nur zu diesem Anlass einen Schurz: Katz, Philip S. (2021): Du Forscher, du! Ein Amerikaner im Bergdorf Stuls. Über den sozialen Wandel der 1970er Jahre. Raetia: Bozen. an, nahm die Tengge in die Hand und begann am oberen Rand des Ackers eine senkrecht verlaufende Moode zu schneiden. Während man bei der Heumahd vom stehenden Gras weg mäht, wurde das Korn gegen die noch stehenden Halme geschnitten. Wie beim Pauin standen wir nun alle in regelmäßigen Abständen in der Zeile und nahmen die Gårbm auf. Man nahm so viel Halme in den Arm, als man mit einem Pånt aus einer Handvoll Stroh bequem zusammenbinden konnte. Das Band wurde mit einer kunstvollen Drehung geschlossen und die fertige Garbe wurde mit dem Storzn (der Schnittseite) nach oben hingelegt. Während der Mooder die Zeile fertig mähte und wieder an den oberen Rand des Ackers zurückkehrte, arbeitete so jedes seine Strecke ab. Dabei ging man sehr sachte vor, denn man wollte so wenig Korn wie möglich feraasn. Mein Bruder Heinrich stellte die Këigl auf: zuerst drei Gårbm als Stuuzn, die er unter den Ähren zusammenband. Dann stellte er drei weitere Garben zwischen diese Stuuzn, und zuletzt setzte er dem Mandl nun einen Huët auf, indem er eine Garbe in der Mitte knickte und sie als Kapuze über die Ähren der sechs stehenden stülpte.

Gårbmroache Foto: Florian Lanthaler Gårbmroache

Wenn warmes, trockenes Wetter war, konnte man die Këigl schon am zweiten Tag nach dem Schnitt eintragen. Wir legten die Pferggl aus wie beim Heu und machten Traagler, indem wir abwechselnd einen Këigl mit dem Storzn nach rechts und einen nach links auflegten. Wenn die Ähren sehr moor waren, d.h., dass sie das Korn leicht verloren, legten wir beim Aulëign eine Plooche unter und der Nächste, der sie brauchte, schüttete das ausgefallenen Korn in eine Melter und nahm beides mit zu seinem Ladeplatz. Jeder Trooger stülpte sich einen Zipfel vom Boden von einem Schåmmesåck (Jutesack) über den Kopf, um Kopf und Hals vor den stechenden Saachern (Grannen) zu schützen und zu verhindern, dass Korn und Spreu unter das Hemd rutschten. Man trug meist so fünf, sechs Këigl. Beim Abladen schlug man die einzelnen Garben einmal gegen die Tenninlëide, wie bereits oben beschrieben, damit beim Stapeln auf dem Stroasolder möglichst wenig Korn verstreut wurde und damit man gleich auch den Samen für die nächste Aussaat hatte.

Pferggl Foto: Florian Lanthaler Pferggl

Irgendwann im Spätherbst oder Winter, wenn alle Feldarbeit beendet und die Holzschupfe voller gestapelter Schaiter war, waren die Ähren auf dem verdecken Stroasolder so weit ausgetrocknet, dass das Korn sich leicht herauslösen ließ. Das war die Zeit zum Dreschn.

Jetzt wurden die Garben wieder vom Stroasolder hereingeholt, die Bänder geöffnet und die Halme auf dem Tennin ausgebreitet. Die Drescher nahmen die Dreschflëigl zur Hand; das waren lange Fichtenäste, auch Wixëschte genannt, die auch am dünneren Ende, wo sie gehalten wurden, noch gut in die Hand passten. Und nun wurde im Takt geschlagen, sodass nie zwei Flëigl gleichzeitig aufschlugen. Dieses rhythmische Klopfen war den ganzen Tag weithin zu hören, und da jeder Schlag einen eigenen Klang hatte, war es viel weniger langweilig als das tschum-tschum der Schlagzeuge, bei welchem die Liebhaber eines bestimmten Musikstils heute in Begeisterung geraten. Wenn man glaubte, dass alle Körner aus den Ähren geschlagen waren, wurde das Stroh mit einer Gabel aufgehoben, in Storzn, ‘handliche Bündel’, geschnürt und auf einen inzwischen frei gewordenen Platz auf dem Stoasolder zurückgebracht. Das Korn wurde zusammengekehrt und in einer Ecke angehäuft.

Wenn alles Korn ausgedroschen war, wurde es zuerst giraitert, d. h. durch ein großes Sieb geschüttelt und dann durch eine handgetriebene Wintmiile von Saachern und kleinen Strohteilen befreit. Diese Wintmiile war also keine vom Wind angetriebene Vorrichtung, sondern mit ihr wurde Wind erzeugt. Harald Haller erzählt mir, dass diese Windmühlen chinesischen Ursprungs sind und über Holland in die Alpen gelangten.

Wintmiile Foto: Florian Lanthaler Wintmiile

Das Korn wurde mit der Melter oben in die Gosse der Wintmiile, eine konisch geformte Kiste, geschüttet, ein Riggler schüttelte das Bodenbrett der Gosse bei jeder Umdrehung vom Triib (Kurbel), dass die Körner gleichmäßig auf das schräge Brett herunterfielen, während das sich schnell drehende Schaufelrad genügend Wind erzeugte, dass das Ggfraaß auf der Hinterseite des Gerätes hinausflog. Das war eine anstrengende und staubige Arbeit.

Unten wurde das Korn in einem Staar aufgefangen, und wenn dieses voll war, in einen Schåmmesåck geleert, in den Kournkåschtn unter unserem Haus getragen und in die Kourntruuche geschüttet. Diese große Truhe hatte zwei senkrechte Schuuber, durch deren Öffnung man man das Korn int ein Staar oder einen Sack rinnen lassen konnte.

Das Korn wurde gemahlen, wenn roggis Meel gebraucht wurde. Natürlich musste das rechtzeitig gemacht werden, denn wenn andere dingende Arbeiten anstanden und niemand Zeit zum Mahlen haben würde, oder eine hohe Schneedecke und Lawinengefahr den Weg zur Mühle zu schwer und zu gefährlich machten, musste man immer noch genug Vorrat an Mehl haben. Auch gehörte die Mühle allen drei Bauern in Saltnuss, und man konnte sie nicht zu jeder beliebigen Zeit in Anspruch nehmen, sondern musste sich mit den Nachbarn absprechen.

Dass s Kourn ausggflougn isch, ist bei uns nie passiert. So hat man nämlich gesagt, wenn Insekten das Korn in der Truhe befielen und beim Öffnen derselben dann ausflogen und die leeren Hüllen der Körner zurückließen.

Die Mühle stand unten auf der anderen Seite des Baches, im Såck, wie das Gelände heißt. Wasser zum Antrieb des schweren Mühlrades floss im Pergpåch – er heißt so, weil er vom Schneeberg kommt – immer in ausreichender Menge. Bei uns war es der Vater oder mein Bruder Heinrich, die nicht nur das Muësmeel mahlten, wie ich bereits erzählt habe (# s Essite 1), sondern alles, was zur Mühle kam. Das Getreide wurde in einer Zumme (gebinderte Rückentrage) oder in Säcken zur Mühle getragen.

Als Kind hab ich wunderbare Stunden bei der Mühle verbracht. Für mich war es jedes Mal ein aufregendes Ereignis, wenn ingikeart wurde, d. h. die Schusskoondl so geschwenkt wurde, dass das herabschießende Wasser das schwere Rad langsam in Bewegung setzte und oben in der Mühle das Geklapper einsetzte. Den Spruch Giggliggl, Gigglaggl, duu pisch lai a Laggl, der in einer Mühle in St. Martin eingeritzt war, kannte ich damals natürlich noch nicht. Schade, dass diese Mühle, die später abgebaut und oben zwischen den Häusern wieder errichtet und elektrisch betrieben wurde, jetzt dem Verfall preigegeben ist. Ich sehe noch, wie mein Vater den Paitlkåschtn öffnete und kontrollierte, ob die Grischn (Kleie) auch sauber vom Mehl getrennt wurden. Harald Haller hat in seiner Diplomarbeit alles rund um die Mühlen im Passeier wissenschaftlich erfasst und beschrieben: Haller, Harald (1992): Die Getreidemühlen in Passeier. Schriften des Landwirtschaftlichen Museums Brunnenburg N. S. Nr. 5.

Das Mehl zum Brotbacken wurde dann in einer Truhe in einer kühlen Kammer unter dem Dach aufbewahrt, und naturlich gab es auch in einem Kasten in der Küche eine Meeltruuche für roggis, woazis und plentis Meel, die drei Sorten, die neben dem tirggin Muësmeel, ständig gebraucht wurden.

S Proat

Zweimal im Jahr wurde Brot gebacken Während ich das Brotbacken aus meiner Kindheitserinnerung schildere, beschreibt der Volkskundler S. de Rachewiltz alles, was mit dem Brot zu tun hat, mit wissenschaftlicher Genauigkeit: Rachewiltz, de, Siegfried W. (1980): Brot im südlichen Tirol. Arunda. Auch in dem bereits genannten Buch von Philip S. Katz ist der Vorgang des Brotbackens beim Partler in Stuls sehr schön beschrieben (S. 133–139). : im Frühjahr oder Frühsommer und im Spätherbst; auf jeden Fall zu Zeiten, wo keine Feldarbeit anstand.

Als Erstes wurde der Teig vorbereitet. In einer Zirmschüssel in Unterdåch (Dachboden) befanden sich verkrustete Reste des Sauerteiges vom letzten Backvorgang. Diese wurden nun mit warmem Wasser wieder augilaitert (flüssig gemacht) und mit der Beigabe von Roggnmeel entstand ein Tampfl, so nennt man das Ansetzen eines neuen Sauerteiges auch heute noch. Dieses wurde nach und nach gefüttert und bald in ein größeres Holzgefäß umgeschüttet.

Schissl (firn Tampfl) Foto: Florian Lanthaler Schissl (firn Tampfl)
Spuren von Toag in einer Schüssel Foto: Franz Lanthaler Spuren von Toag in einer Schüssel

Das geschah meist in der Nähe des Stubenofens, in dem für diesen Anlass auch im Sommer ingikentit (eingeheizt) wurde, wenn nicht gerade sehr warmes Wetter war. Neben der Ofenbank wurden zwei Balken oder Holzklötze hingelegt und darauf stand dann der große Påchzuuber, eine bis zu 150 l fassende ovale Holzform. Die beiden Holzklötze hatten eine doppelte Funktion: zum einen konnte die warme Luft hier unten durchströmen und der Teig im Zuuber bekam so die Wärme auch vom Boden, und zum andern konnte man beim Kneten die Fußspitzen unter den Zuuber stellen und man brauchte sich nicht so weit vorzubeugen. Im Zuuber wurde mit warmem Wasser und Mehl ein lauterer Teig vorbereitet, in welchen der Sauerteig eingesetzt wurde, wenn er die nötige Reife erreicht hatte. Immer wieder wurde Mehl und lauwarmes Wasser zugegeben und untergerührt. Meist wurden bei uns, da wir eine zahlreiche Familie waren, zwei Zuuber voll Teig verbacken.

alte Toagschissl Foto: Florian Lanthaler alte Toagschissl

Einen Tag vor dem geplanten Backvorgang hatte mein Bruder Heinrich den Backofen angeheizt, denn bis der die richtige Temperatur hatte, mussten fast einen Tag und eine Nacht lang große Schaiter vom eigens zubereiteten Oufnholz mit der Oufnkrucke eingelegt und abgebrannt werden.

Sobald die nötige Menge Sauerteig vorhanden war, wurde er zum erstenmal eingedickt und gikneetn. Das tat meist mein ältester Bruder. Da das Kneetn einer solch großen Menge von Teig an sich schon eine Schweiß treibende Arbeit war, die noch dazu neben dem warmen Ofen stattfand, stand immer eine meiner Schwestern neben ihm und wischte ihm mit einer Tricknhuuder (Handtuch) den Schweiß von der Stirn, da er das selber mit den teigigen Händen ja nicht hätte tun können. Jetzt wurde auch der Proatklea beigefügt; nicht sehr viel, weil man der Meinung war, dass unser Brot so schon recht würzig war. Zwischen drei Viertelstunden und einer Stunde dauerte der Knetvorgang. Danach wurden auf den Teig drei Kreuze gemacht und der Zuuber wurde mit dem Luck zugedeckt, dass der Teig giën konnte. Und wie der ging! Irgendwann nach ein bis zwei Stunden ging das Luck in die Höhe und der Teig quoll hervor. Dann wurde oft ein zweites Mal gikneetn, denn niemand wollte talzigs Proat essen; das war entweder nicht gut durchgebackenes Brot oder Brot von einem schlecht durchgekneteten Teig. Erst nachdem der Teig dann ein zweites Mal aufgegangen war, wurden die Brote geformt.

Kneetn Foto: Franz Lanthaler Kneetn

Dazu wurden die Proatflëckn, dünne, 25 cm breite Bretter, und die Proattiëcher aus grobem Leinen in die Stube gebracht und neben dem Tisch wurde s Wellprett, eigentlich der Deckel vom Zuuber, mit der Unterseite nach oben auf Böcken aufgestellt, denn manchmal wurde der Teig von vier oder fünf Frauen gleichzeitig zu Paarler geformt. Sie machten aus dem Teig kleine Kugeln und legten sie paarweise quer auf die mit den Tüchern ausgelegten Proatflëckn. Wenn eine Flëcke voll war, wurde sie auf die Seite gestellt und zwei Nolpm (Distanzhölzer) wurden zwischen die Paarler gelegt, sodass man wieder die nächste Flëcke draufstellen konnte. Wenn aller Teig verarbeitet war, ruhten die Brotformen noch eine Weile auf den Tüchern, dass der Teig noch einmal augiën konnte und die Paarler ihre schöne Form bekamen.

Proat Foto: Franz Lanthaler Proat

Inzwischen hatte der Backofen die richtige Temperatur erreicht. Mit einer Kråtze wurden die Kohlen aus dem Ofen geholt und mit der nassen Oufnzussl (Lappen), die immer wieder in einen Kübel mit Wasser getaucht wurde, wurden die letzten Kohlenreste und die Asche aus dem Ofen gefegt. Auf ein kleines Kohlennest im hintersten Winkel des Ofens wurden ein paar Schaiter fürs Laichtfuir gelegt, die sich in der Hitze sofort entzündeten und den Ofen ausleuchteten.

Nun konnte der eigentliche Backvorgang beginnen. Die Proatflëckn wurden aus unserer Stube in die des Nachbarn getragen und dort durch eine Durchreiche zum Backofen hinausgereicht. Vor dem Ofen standen immer zwei, meist mein Bruder Heinrich und mein Vater oder eine meiner Schwestern. Der Heinrich hielt die Proatschaufl, mit welcher die Paarler in den Ofen inggschossn wurden. Das war eine ovale Holzschaufel, bei der Stiil und Blatt aus einem Stück waren. Die Brote mussten bei diesem Vorgang zweimal gewendet werden: Wer die Brote auf die Schaufel legen sollte, fuhr mit einer Hand unter das Ptoattuëch und kippte das Paarl so in seine andere Hand, dass es mit dem Rücken nach unten lag, dann kippte er oder sie es in die andere Hand, dass es wieder mit dem Rücken nach oben lag, um es schließlich wieder mit dem Rücken nach unten auf die Schaufel zu legen, sodass es, wenn es im Ofen mit einer Drehung der Schaufel abgelegt wurde, wieder richtig lag. Obwohl das alles sehr schnell ging, wurden die Brote dabei sehr vorsichtig behandelt. Wenn der Ofen voll war, wurde das Oufnloch mit einem großen Blech verschlossen.

Die ersten paar Ëifne waren sehr schnell gebacken und man konnte das Brot mit der Proatkråtze, einer halbrunden Holzscheibe an einem langen Stiel, aus dem Ofen holen. Eine meiner Schwestern stand neben dem Ofenloch, bürstete die Aschenreste von den Broten und legte sie in einen Korb. Dieser wurde weggetragen, und wenn die Brote etwas abgekühlt waren, krochen wir Kinder in den Raum über der Küche, der sehr niedrig war, weil darunter das Küchengewölbe mit der Aasn viel höher war als die Stubendecke. Hier wurden die Brote je zwei und zwei Rücken gegen Rücken auf dem Lehmboden zum Trocknen aufgestellt wie bei einem Kartenhaus. Das warme Küchengewölbe darunter und der auf der einen Seite angrenzende Kamin bewirkten, dass unser Brot immer gut trocknete und wir nie zaachs Proat kauen mussten.

Wenn der erste Zuuber voll Teig ausgebacken war, war auch der Ofen schon ziemlich abgekühlt und musste wieder aufgeheizt werden. Das geschah, während der Teig vom zweiten Zuuber in derselben Weise verarbeitet wurde wie der des ersten. So haben wir oft die ganze Nacht durchgearbeitet. Ans Schulegehen war für uns Kinder am nächsten Tag nicht zu denken, und meine Frau, die in den 60er Jahren in Platt und Moos unterrichtet hat, erzählt, dass die Kinder am Tag nach dem Brotbacken mit der Entschuldigung für das Fernbleiben ein frisches Paarl für die Lehrerin mitbrachten.

Aus der letzten Menge Teig, die etwas dicker geriet, weil auch alle Teigreste noch zusammengekratzt wurden, entstanden dann Struuzn und Zeltn. Struuzn waren Brote, die zunächst zu einer Rolle geformt und dann an den Enden zusammengefügt wurden, sodass sie die Form von einem Koomit (Kummet) bekamen. Die Zelten konnten unterschiedlich große und etwa fünf oder sechs cm dicke Scheiben sein, sie hatten allerdings meist einen Durchmesser von etlichen dreißig cm. In die Zelten kamen in kleine Stücke geschnittene getrocknete Feigen, die es in Ringen zu kaufen gab. Wenn gegen Ende nur mehr wenige Feigen da waren, konnte es auch einen hålps plintn Zeltn geben, also einen mit ganz wenig Einlagen. Etwas Rosinen kamen erst in späterer Zeit dazu.

Jeder Nachbar bekam nach dem Backen einen Zeltn und drei bis fünf Paarler als Kostprobe.

Alle hatten an Luscht auf das frisch gebackene Brot, aber wir Kinder wurden immer davor gewarnt, das noch warme Brot zu essen, weil wir angeblich davon Bauchweh bekommen würden. Die Zeltn und Struuzn mussten natürlich gegessen werden, bevor sie hart wurden, die Paarler wurden, sobald sie ganz ausgetrocknet waren in die große Proattruuche in unserer Vorratskammer unter dem Dach gelegt.

Wie das Brot sein sollte, habe ich schon (s Essite Teil 2) beschrieben: selbstverständlich sollte es rougl sein. Wenn man zu Hålbmittoog oder zu Merende ein halbes Paarl in die Hand nahm und mit dem Löffel einmal draufschlug, musste es in mehrere Stücke zerbrechen. Natürlich war es nicht immer gleich hart, aber warum das so war, ist schwer zu sagen. Sogar Brote aus demselben Zuuber konnten unterschiedlich hart sein. Ob es ein Wetterumschwung war, der die Paarler auf den Proatflëckn derschrëckt hat, während sie noch einmal gehen sollten, oder ob der Ofen nich mehr überall gleich heiß war, wer kann das sagen? Stuënwëtzigs Proat gab es bei uns wenig; das hatte damit zu tun, was oben zum Kneetn gesagt wird. Allerdings konnte man gelegentlich in einem Paarl eine Stelle finden, die tatsächlich die Farbe von einem Wetzstein hatte und an der man sich die Zähne ausbeißen konnte. Vielleicht stammten sie von wässrigen Knollen, die man beim Kneten in den Ecken zwischen dem Boden und der Seitenwand des Zuubers nicht erwischt hatte? Talzigs oder zaachs Proat hab ich in den 18 Jahren, die ich in Saltnuss, zumindest einen Teil des Jahres, hartes Brot gegessen habe, nie gekaut. Dass man zum Brot hërt sagt, und zur Årbit hårt, sei hier noch einmal erklärt: das alte Adjektiv harti wurde umgelautet zu hërt, und das alte Adverb harto nur zu hårt verdumpft, deswegen ist s Proat hërt, die Arbeit jedoch hårt und man tuët si hårt.

Ein Wort noch zum Umgang mit dem Brot. Es wurde behandelt wie etwas Geweihtes. Nicht nur, dass nie eine Pruufe oder Pruuse (Brosame) weggeworfen wurde: man durfte auch kein Paarl verkehrt hinlegen, also mit dem Rücken nach unten; das wurde wie ein Sakrileg gesehen. Ich denke, dass das tatsächlich mit dem religiösen Aspekt zu tun hat, als hätte man im Gebet um das “tägliche Brot” tatsächlich das Brot gemeint, und nicht die Nahrung im Allgemeinen. Zwar war in der Tischtruuche, der Lade unter dem Stubentisch, immer genug Brot für Merende und Hålbmittoog, aber wenn wir Kinder zwischendrin ein Stück Brot haben wollten, mussten wir immer die Mutter fragen. Und obwohl bei uns trotz der großen Familie immer genug Brot da war, bekamen wir es nicht immer. Manchmal hieß es, man müsse sparen, denn es dauere noch eine Weile, bis wir wieder backen könnten.

Dass Brot kostbar war, beweist auch ein Vorfall, den meine Mutter erzählt hat. Ihr Bruder Luis, der spätere Kapuziner Pr. Richard, hat in den Sommerferien an einem Sonntag beim Nachbarn Pfandler Karten gespielt. Als zu Mittag gerufen wurde, hatte er gerade gute Trümpfe in der Hand und wollte die Runde zu Ende spielen. In der Zwischenzeit hatte meine strenge Naandl (Großmutter) beim Poudner die Knödel schon weggestellt und den Tisch abgeräumt. Der Luis ging ruhig zum Kartenspiel zurück. Als zu Merende geheißen wurde, legte er die Karten hin und ging schnell heim. Nach einiger Zeit kam er zurück mit einem Grinsen im Gesicht und sagte: Iëz håtse draugizoolt: ii hån zwoa Paarler gessn. Und meine Mutter war sicher, dass der Poudnermuëter das zweite Paarl sehr weh getan hat.

Gråmbl Foto: Florian Lanthaler Gråmbl

Ein wichtiges Instrument im Haus war die Proatgråmbl. Das Wort kommt vom italienischen gramola für die ‘Flachsbrechel’. Da unser Gerät zur Zerkleinerung des harten Brotes denselben Mechanismus benutzt wie das Gerät, mit welchem die holzigen Teile vom Hoor gebrochen wurden, allerdings mit einem Messer statt des hölzernen Hebels, hat es denselben Namen bekommen. Die Gråmbl hing bei uns in der Küche neben dem Schüsselrahmen. Immer, wenn ingiprockt wurde, legte man das Paarl in das Gerät und klemmte fingerbreite Stücke mit dem Messer ab. Das geschah gewöhnlich mit Fleischsuppe, kalter Milch und Milchkaffee und, wie bereits anderswo geschildert, an einem Wetterfairtig im Sommer mit heißer gesalzener Milch.

Im Winter gab es manchmal gitempfts Proat: ein Paarl wurde auf die Pellkartoffeln gelegt, während sie gedämpft wurden. Dieses gedämpfte Brot war vielleicht ursprünglich für alte Leute mit schlechten Zähnen gedacht, aber wir Kinder aßen es sehr gerne.

Wenn die Kinder die ersten Zähne machen, gibt man ihnen heutzutage einen Beißring: aus Holz oder Kunststoff. Uns gab man noch ein Stück hërts Proat. Daran konnten wir lange patschn; die Erwachsenen mussten nur Acht geben, dass wir uns nicht verschluckten, wenn wir es mit unserem Speichel aufgeweicht hatten.

Ein alter Spruch besagte, dass man das ganze Jahr über Brot und Geld genug haben werde, wenn man beides im Sack hatte, sobald man den Kuckuck im Frühjahr das erste Mal rufen hörte. Das hatte wohl mit der Überzeugung zu tun, dass, wer nach einem langen, harten Winter noch Geld und Brot hatte, sich für den Rest des Jahres keine Sorgen mehr zu machen brauchte.

Proat Foto: Franz Lanthaler Proat