Dialekte, wie Sprachen, sind nie einsprachig, schon gar nicht in unserer
heutigen Welt. Durch alle Jahrhunderte haben Kontakte mit anderen
Sprachen stattgefunden, und vor allem mit neuen Gegenständen und
Kulturtechniken sind auch neue sprachliche Elemente aufgenommen worden.
Die traumatischen Geschehnisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
haben in Südtirol zu einer Verzerrung der Diskussion um sprachliche
Entlehnungen geführt. Da damals alles Romanische als italienisch
deklariert wurde, war auch lange nach dem Ende des Faschismus an eine
objektive Diskussion über Aufnahme und Verarbeitung fremder Wörter nicht
zu denken. Auch in der Interpretation der Ortsnamen zeigte sich die
dezidierte Abwehrhaltung allem nicht Germanischstämmigen gegenüber
(siehe Råfaine, Ploon und Griëne 1).
Tåttermandl Foto: Franz Lanthaler
Nachdem die Situation sich inzwischen entspannt hat, kann man wieder an
das Goethewort denken, dass Sprachen ihre Kraft nicht dadurch zeigen,
dass sie Fremdes abstoßen, sondern dass sie es sich einverleiben. Auch
wenn es in diesem Beitrag nicht in erster Linie um die Italianismen der
neueren Zeit geht, möchte ich an ein paar Beispielen zeigen, wie
Sprachen – und Dialekte, die ja Sprachen sind! – und ihre Benutzer mit
Entlehnungen verfahren, wenn sie nicht unter dem Druck eines autoritären
Systems oder nationalistischer Hetze stehen.
Die Linguistinnen und Linguisten an der Universität Bozen waren sehr
erstaunt, als sie das Passeirer Wörterbuch unter die Lupe nahmen, dort
zu Pilouber auch die Formen Pilëiber und Pilëiberle zu finden. Das
aus dem Englischen in den deutschen Standard eingewanderte Wort Pullover
(aus engl. pull over ‘herüberziehen, überziehen’), hat der Dialekt sich
so zu eigen gemacht, dass er den Plural und das Diminutiv so wie
Schouber (Heuschober) zu Schëiber und Schëiberle umgelautet hat.
Als ich im Sommer 1963 einige Monate als Ferienjob am Bau der
Timmelsjochstraße gearbeitet habe, benutzten wir ein Gefährt, das sowohl
wir Passeirer als auch die Mitarbeiter aus dem Friaul Tumper nannten.
Das Wort kommt vom Englischen dumper (Kipper) und bezeichnet einen
Frontlader. Man sagt mir, dass es diese Fahrzeuge nur mehr selten gibt
und dass nur wenige Leute, die im Tiefbau tätig sind, wissen, was ein
Tumper ist.
Damals sagten die Maurer, wenn sie eine Wand verputzen sollten, Punkt
sëtzn und Faschettn auwerfn. Dabei handelte es sich um Mörtelbänder,
die man zwischen zwei fixierten Punkten zog und erhärten ließ, um dann
den zwischen zwei solchen Bändern aufgeworfenen Putz mit der Maurerlatte
abziehen und eine gleichmäßig glatte Fläche erzielen zu können. Da es
inzwischen eine solide Ausbildung durch die Berufsschule gibt, hat sich
der deutsche Fachwortschatz weitgehend durchgesetzt und die sprachliche
Kreativität der Benutzer führt dann zu entsprechenden Ausdrücken im
Dialekt. Aber gerade bei diesem Beispiel zeigt sich, wie man mit
Entlehnungen umgehen kann, denn, was die Maurer immer noch tun, ist: sie
sëtzn Punkt und werfn Faatschn au. Faatsche ist schon viel länger in
unserem Dialekt, denn schon von alters her wurden lädierte Arme und
Poppiler ggfaatscht (verbunden bzw. gewickelt) und die Ranggler
haben eine bestimmte Technik mit diesem Verb benannt, und die Sarner
hätten den breiten Ledergurt ihrer Tracht, die Fatsch, wohl kaum mit
einem neuen Lehnwort benannt. Da Faatsche nicht mehr als Entlehnung
empfunden wurde, kann man sagen, dass an die Stelle der neueren
Entlehnung eine ältere getreten ist, die längst in das lautliche System
des Dialekts integriert ist.
Auch in anderen Bereichen hat sich die Situation geändert. Kaum jemand
verschickt heute einen rëckimitiërtn Priëf, weil es bei der Post
deutschsprachige Angestellte gibt, die “eingeschriebene Briefe”
verschicken, und das Internet den Rest übernommen hat. Wenn in den 60er
Jahren ein Südtiroler das Wort Prantn in den Mund nahm, dann ging es
um den Militärdienst, denn die branda war das eiserne Bettgestell in der
Kaserne. Seit auch die Schutzhütten zu Hotels renoviert worden sind,
kennen die jungen Leute weder das Gestell noch das Wort dafür.
Das beweist, dass zwar aus Sprachnot, gelegentlich aus Bequemlichkeit,
Wörter oder feste Wendungen entlehnt werden, dass aber überflüssig
Gewordenes wieder aus dem Dialekt verschwindet, Brauchbares jedoch so
integriert wird, dass man es nicht mehr als Fremdes erkennt, wie eben
Pilëiberle und Faatsche.
Weil es in Südtirol jedoch zeitweise die Tendenz gegeben hat, sogar seit
Jahrhunderten in den deutschen Standard integrierte Entlehnungen durch
germanischstämmige Wörter zu ersetzen, noch ein Wort zur Sinnhaftigkeit
eines solchen Unterfangens. Im Jahr 2001 hat ein “Arbeitskreis Deutsche
Muttersprache in Südtirol” ein eigenes Wörterbüchlein herausgebracht, in
dem “Diskussion” mit ‘Aussprache, Meinungsaustausch’ übersetzt wurde.
Das drückt die Sprache auf ein primitives Niveau herab.
Für die hier angesprochene Art mündlicher Auseinandersetzung haben wir
im Passeier drei Wörter: huëngertn, tischggeriërn und dischkutiërn.
Wir huëngertn in der Stube. Dabei geht es nicht so sehr um Inhalte,
sondern um den zwischenmenschlichen Kontakt. Wir tischggeriërn im
Gasthaus, wo wir uns bei einem Glasl entweder heftig oder ganz
friedlich über Gott und die Welt auslassen. Und wir dischkutiërn im
Vereinssaal, in der Bürgerversammlung, im Gemeinderat. Dabei geht es in
einer geregelten Auseinandersetzung in einem bestimmten Personenkreis um
mehr oder weniger feste Themen. Wer eines dieser drei Verben aus seinem
Wortschatz streicht, klammert einen wichtigen Lebensbereich der Menschen
auf dem Land aus. Wir brauchen alle drei Wörter, denn eines deckt den
privaten, eines den halböffentlichen und eines den öffentlichen Bereich
ab. Sprachpuristen bereinigen vielleicht – mehr oder weniger
erfolgreich – die Sprache, aber keinesfalls das Denken. Wer mit anderen
huëngertit, tut etwas für die Beziehung, wer tischggeriërt, kommt
bestenfalls zu einer Meinung, leistet aber auch etwas für die Beziehung
in seiner Nachbarschaft, und wer dischkutiërt, versucht zu einer
Entscheidung zu kommen. Zwar ist es nicht immer so, aber in diesem Fall
stimmen Herkunft und Gebrauch der drei Wörter auch vollkommen überein:
Das alte Dialektwort steht für das Intime, Heimelige (das ja in
Huëngert auch drinsteckt), das früher in den Dialekt übernommene Wort
steht für die inoffizielle Kommunikation im halbprivaten Raum zur
Verfügung, und das Standardwort in Dialektlautung steht für das
Offizielle, gesellschaftlich Organisierte. So fein setzt der Dialekt
sein ererbtes wie das aus dem Standard oder aus einer anderen Sprache
übernommene Wortgut ein, und dazu braucht er keine Sprachreiniger.
Der Großteil unserer Entlehnungen kommt natürlich aus den benachbarten
Sprachen, und dies waren durch die Jahrhunderte romanische Sprachen.
Unter diesem Begriff fassen wir alle Sprachen zusammen, die aus dem
Lateinischen hervorgegangen sind und die wir in Europa von Portugal bis
Rumänien antreffen. Dabei geht es in erster Linie nicht um das
klassische Latein, das kaum gesprochen wurde, sondern um das
Vulgärlatein, vor allem die in den eroberten Provinzen von Verwaltern
und Veteranen gesprochene und von der Bevölkerung nach und nach
übernommene Sprache. Wenn man an das Englisch denkt, das heute in den
ehemaligen Kolonien in Gebrauch ist, und bedenkt, wie es sich von der
Sprache von Shakespeare und vom Oxford English unterscheidet, hat man
eine Vorstellung davon, wie dieses Latein sich von dem von Cicero und
Caesar unterschied.
In den ersten Jahrzehnten und Jahrhunderten nach der Einwanderung der
Bajuwaren ins Passeier, die wohl in der zweiten Hälfte des
7.Jahrhunderts erfolgt sein dürfte, kamen vor allem alpenromanische
Wörter in die Sprache der neuen Siedler. Das war die Sprache der
romanisierten Alpenbewohner. Drei Stränge des Alpenromanischen haben
sich bis heute erhalten: das Bündnerromanische, das Dolomitenladinische
und das Friaulische. Von dem, was dazwischen war, sind nur Relikte in
den Sprachen erhalten, die später hier hereingekommen sind, eben auch in
unseren bairischen Dialekten. Wir müssen uns die Landnahme der Bajuwaren
als relativ geordneten, von der Herrschaft gesteuerten Vorgang
vorstellen, dem eine lange Phase engen Sprachkontakts und verbreiteter
Zweisprachigkeit folgte (Krefeld 1993,35). Dabei handelte es sich um
zwei Formen der Zweisprachigkeit: einerseits lebten hier zwei
Sprachgruppen in engem Kontakt, und andererseits muss es eine relativ
große Anzahl zweisprachiger Personen gegeben haben.
Aus dieser Zeit stammen viele Reliktwörter bei uns wie in allen uns
umgebenden Dialekten. Mit diesem Ausdruck bezeichnet man Elemente aus
nicht mehr gesprochenen Sprachen, die sich in der heute lebenden Sprache
erhalten haben. In unserem Fall sind es eben die romanischen Wörter, die
in unserem Dialekt weitergelebt haben, nachdem die Räter längst in der
nun herrschenden bajuwarischen Schicht aufgegangen waren und deren
Sprache angenommen hatten.
Die lange Nachbarschaft mit den Ladinern im Südosten, den Bündner
Romanen im Vinschgau und den oberitalienischen Dialekten sowie die
Kontakte mit Romanisch sprechenden Gruppen wie Fachleuten, Händlern,
Soldaten hat in vielen Teilen Südtirols zu späteren Übernahmen geführt.
Bereits vor längerer Zeit habe ich versucht die romanischstämmigen
Wörter, deren Häufigkeit mir schon früher aufgefallen war, aus dem
Dialekt, den ich am besten kenne, herauszufiltern und nach ihrer
Herkunft zu ordnen. Ein Auftrag, die alten Entlehnungen in allen
Südtiroler Dialekten zu beschreiben, hat dann eine umfangreiche Liste
ergeben und gezeigt, dass es bestimmte Lebensbereiche sind, in denen
dieser Wortschatz weite Felder abdeckt (Lanthaler 2018). Man denke da
nur an die romanischen Wörter in der Vinschgauer Wasserwirtschaft
(Daniel 1972) oder im Weinbau im Etschtal (Ladurner-Parthanes 1972), die
Legion sind. Für einen Nicht-Romanisten war dies kein leichtes
Unterfangen, aber es gibt dazu eine reiche Literatur, denn die
Romanisten haben seit je dem romanischen Wortschatz in den Alpen ein
besonderes Augenmerk gewidmet
Erich Daniel bin ich
für eine erste Durchsicht und fachkundige Anregungen zu Dank verpflichtet.
.
Wer nun, wie ich, als Sprecher eines Dialekts seine eigene Varietät
untersucht, hat einen Datenschatz zur Verfügung, den andere erst durch
mühsame Befragung zusammentragen müssen. Deshalb bin ich zu meinem
Dialekt zurückgekehrt, um dessen Entlehnungen detaillierter zu
beschreiben. Ich werde dabei wie bei dem oben zitierten Artikel die
einzelnen Lebens- und Wirtschaftsbereiche darauf abklopfen, welche
fremden Elemente in diesen inhaltlichen Nischen integriert worden sind.
Es geht dabei also um jene aus romanischen Varietäten kommenden Wörter,
die im Passeirer Dialekt vorhanden sind und nicht direkt über das
Hochdeutsche in diesen gelangt sind. Dabei darf man allerdings nicht
vergessen, dass viele Entlehnungen auch über den Dialekt in den Standard
gelangt sind. Dazu nur ein neueres Beispiel: Bei der Erstellung des
Variantenwörterbuches (Ammon et alii 2004) gab es die Möglichkeit, in
einzelnen Regionen standardmäßig gebrauchte Wörter als Standard zu
deklarieren. Für über 300 vorher im Duden nicht verzeichnete Südtiroler
Wörter haben wir diese Gelegenheit genutzt. Darunter war auch das Wort
“Grammel”. Das ehemals romanische Wort gramola für die ‘Flachsbreche’,
das bei uns für ein Gerät zur Zerkleinerung des Brotes als Gråmbl in
Gebrauch ist, ist damit jetzt auch ein Standardwort, wie auch “Marende”,
“Waal” und “törggelen” usw.
Viele dieser früh eingebürgerten Wörter sind seltsame Wege gegangen und
es ist nicht immer leicht, ihren genauen Ursprung auszumachen. Wie
schwierig dies sein kann, soll an dem Wort Pëiglgoaß gezeigt werden.
Das Wort entspricht dem in den übrigen Dialekten üblichen Namen des
Käuzchens, nämlich Hoobergoaß. Im gesamten Alpengebiet von der Schweiz
bis Kärnten war die Gestalt des kleinen Kauzes im Volksglauben
verankert, wo sie oft als mythische Gestalt in einer Mischung zwischen
Vogel und Mensch oder Geist auftritt. Sein Schrei verkündet angeblich
Unheil, weshalb er auch gelegentlich “Totenkauz” genannt wird. Die
ominöse Bedeutung dieses Vogellautes schwang auch mit, als ich das Wort
zum erstenmal nennen hörte. Als mein ältester Bruder kurz nach dem Krieg
von der Jagd zurückkam, erklärte er, dass er den Pirschgang beim
Eintritt der Dunkelheit abgebrochen habe, denn: Gaalign håt di
Pëiglgoaß ggschriirn, når håne giwisst, iëz isch nicht mear zi tiën
(Irgendwann hat das Käuzchen gerufen, da hab ich gewusst, da ist nichts
mehr zu machen).
Zur Zeit der Aufnahmen zum Tirolischen Sprachatlas war Pëiglgoaß noch
im hinteren Passeier und im Sellraintal gebräuchlich. Eine
stichprobenartige Befragung in Rabenstein in den 80er Jahren ergab, dass
nur mehr wenige Personen meiner oder der älteren Generation das Wort
kannten. Die bei E. Schneider verzeichnete Benennung des Käuzchens im
Unterinntal, nämlich Bögl, das er auf den romanischen Wortstamm
picculu (klein, der Kleine) zurückführt, hat mich auf die Spur des
Wortes geführt, das aus einer Kontamination von Hoobergoaß und Bögl
(sicher auch im Inntal Pëigl oder Pegl gesprochen) entstanden sein
muss. Den zweiten Teil des Wortes, -goaßAuch der erste Teil der Zusammensetzung, nämlich Hoober weist
auf Ziege, denn Haber steht im Schwäbischen für den ‘Bock’.
, führt Schöpf auf den
Schrei des Vogels zurück, der dem Meckern der Ziege ähnlich klingt.
Die Aufnahmen zum Tirolischen Sprachatlas beweisen jedenfalls den
früheren Zusammenhang zwischen dem Passeier und dem Inntal, sodass an
der Herkunft des Wortes kaum Zweifel bestehen kann.
In die älteste Schicht der Übernahmen gehören viele unserer Gelände- und
Ortsnamen, wie Fårtlais (zu rom. fortaliciu = befestigter Ort) oder
Råfaine (zu rom. rovina, ruina = Erdrutsch) sowie häufige
Geländebezeichnungen wie Gånte, Gånde (zu vorrom. und dann rom. ganda,
gonda = Geröllhalde, Flussgeschiebe) usw. Diese Beispiele mögen hier
genügen, Interessierte seien auf die bereits veröffentlichten Artikel
zum Thema verwiesen (Råfaine, Ploon und Griëne 1 und 2).
Da das Bergwerk am Schneeberg neben den Knappen auch gebildete Leute
(Hutleute, Ingenieure usw.) anzog – für die wohl das Hearnstiibile
beim Mooserwirt reserviert war –, welche so wie die Geistlichen eine
Lateinschule besucht hatten, kamen sicher über diese gelegentlich auch
lateinische Wörter ins Tal; die Redewendung in an Icktum (oder:
Ficktum) (zu lat. ictus = Schlag, Stoß) lässt sich wohl nur so
erklären (siehe In an Icktum).
Die Trentiner Holzarbeiter des 19. Jahrhunderts verbreiteten die
Bezeichnungen für ihr Werkzeug bis weit in den süddeutschen Raum hinein.
So ist etwa Zeppiin (trentin. zappino = Spitzhacke) auch in
Österreich und Bayern (dort als Zàpin, Sapin) bekannt.
Selbstverständlich gibt es auch neuere Entlehnungen aus dem
Italienischen: so war in meiner Jugend der Räucheraal nur als
Angilåtti bekannt (von it. anguilla = Aal), und jemanden derggatzn
(von it. incazzare = zornig machen) kommt wohl aus der Jugendsprache und
ist sicher neueren Datums.
Etwas überraschend sind die Wörter französischer Herkunft in einem
kleinen Taldialekt wie dem unseren. So fragt man sich natürlich, wie
wiff (von franz. vif = lebendig, aufgeweckt) oder Kloretill (für die
‘Uhr’, von franz.: quelle heure est il? = wie spät ist es?) ins Passeier
gekommen sind.
Diese kurze Einführung zeigt uns schon, dass wir es mit ganz
verschiedenen Schichten romanischer Entlehnungen zu tun haben, die in
den eineinhalb tausend Jahren, seitdem das Bairische die Sprache der
romanischen Bevölkerung in unserem Tal überlagert hat, in den Passeirer
Dialekt eingegangen sind.
Neben Entlehnungen muss man gelegentlich auch mit Lehnübersetzungen
rechnen. Zwar gibt es neben Fouglpëir auch ‘Vogelbeere’ und der Name
wird auf die beim Vogelfang als Lockspeise benutzten Beeren
zurückgeführt, aber ob hier nicht auch der offizielle Name der Eberesche
(Sorbus aucuparia), der auf die römische Vogelschau zurückgeht, eine
Rolle gespielt hat, ist schwer zu entscheiden. Anders bei Eertëpfl.
Schon bei Plinius wird eine Art von Knollen als pomus terrae bezeichnet,
und als die Erdäpfel zuerst von den Spaniern in die Niederlande gebracht
wurden, hat man sie dort aardappel getauft, was dann in viele
Regionalsprachen und Dialekte übernommen wurde und bei uns Eertëpfl
ergab – während die Donauschwaben noch einmal eine Übersetzung in ihre
Sprache als Grumbiire (Grundbirne) angefertigt haben. Wenn wir zum
Spiegelei Oxnauge sagten und die Trentiner occhio di bue, könnte es
gut sein, dass wir es hier mit einer Lehnübersetzung zu tun haben.
Allerdings gibt es auch im Schweizerischen Stierenaug dafür, was für
eine weite Verbreitung spricht.
Im Folgenden geht es jedoch nur um die alpenromanischen Relikte und sehr
frühe Entlehnungen, die sich im Dialekt unseres Tales erhalten haben.
Zur Auswahl
Selbstverständlich gibt es auch in Passeier neben Wörtern, die direkt
aus einer romanischen Sprache in unsere Dialekte gekommen sind, zahllose
Wörter romanischen Ursprungs, die über den deutschen Standard in unsere
Alltagssprache eingedrungen sind. Auch Schneider verzeichnet eine ganze
Reihe von ihnen in den Tiroler Dialekten. Ich werde diejenigen, die über
das Hochdeutsche in den Taldialekt gekommen sind, nicht berücksichtigen,
sondern nur die direkt aus einer romanischen Varietät übernommenen
Stichwörter.
Freilich ist es hier nicht immer leicht zu entscheiden, welchen Weg ein
Stichwort gegangen ist. So ist Montur zwar deutscher Standard, aber
richtig heimisch geworden in unserem Dialekt ist die Månduur durch das
österreichische Militär, bei dem ja viele aus dem Tal bis zum Ende des 1. Weltkriegs
gedient haben. Bei Tëchit kann man sich einen ähnlichen
Verlauf vorstellen: Dechant ist zwar ein hochdeutsches Wort – genau
genommen ein oberdeutsches Standardwort, wenn auf der ersten Silbe
betont –, aber es wird in Südtirol nicht mehr als Standard empfunden,
da die Vorsteher der Dekanate sich hier jetzt auch “Dekan” nennen.
Deshalb ist die alte Form nur noch im Dialekt vorhanden. Oft verschiebt
sich auch die Bedeutung der übernommenen Wörter oder wird auf einen
besonderen Inhalt eingeengt. So ist etwa das Wort Secktn, ein
Pluraletantum, nur in der Bedeutung ‘Unarten, ungute Eigenschaften’
gegeben und womöglich durch seggiern und seggant sekundär motiviert,
obwohl es ursprünglich sicher auf “Sekte” zurückgeht, von lat. secare
(schneiden, abtrennen) und aus dem kirchlich-religiösen Bereich kommt.
Praggn ist sicher eine neuere Entlehnung, denn die ersten Baracken
dürften in den 20er Jahren mit dem Bau der Militärstraße auf das
Timmelsjoch ins Tal gekommen sein.
Es gibt auch sehr viele Wörter, vor allem im Dialekt, aber gelegentlich
auch im Standard, deren Herkunft nicht eindeutig geklärt werden kann. So
hat man früher aper, ooper, auf lat. apricus zurückgeführt, was nicht
nur Zehetner, der es zu mhd. aber (trocken) stellt, energisch ablehnt.
Unser Aagne (Baumnadel) lautet ahd. agana, mhd. agene für ‘Spreu’. Da
man früher vor allem Aagnin zum Einstreuen verwendete – deswegen auch
der Aagnkraaler (eigener Rechen für die Baumnadeln) –, hat sich die
Bedeutung des Wortes auf diese reduziert. Nun ist zwar die Ähnlichkeit
mit dem lateinischen Wort acus (Nadel) ebenso gegeben wie mit dem
griechischen Wort akís (Spitze), aber solange es keinen Grund gibt, es
auf diese zurückzuführen, nehmen wir nicht eine Entlehnung an, denn die
indoeuropäischen Sprachen weisen aufgrund ihres Ursprungs viele ähnlich
lautende Wörter auf.
Auch andere Zuweisungen sind gelegentlich fragwürdig. So hat man früher
Poufl (drittes Gras) auf lat. pabulum (Futter) zurückgeführt, auch
Schneider tut das noch. Immerhin gab es engad. pavlar (füttern) und
pavlunz (Futterknecht) – das hätte bei uns jedoch eher *Poofl
ergeben als Poufl; siehe Poofer). Da es jedoch im Bündnerischen ein
bual für ‘Herbstweide’, zu rom. bovale (etwas für das Rind) gibt, wirkt
diese Interpretation heute viel überzeugender (siehe unten).
Andererseits muss man auch damit rechnen, dass Wörter, die sowohl im
Standard als auch im Dialekt vorkommen, gesondert übernommen worden sein
können, was manchmal die Lautung, manchmal die großen
Bedeutungsunterschiede nahelegen. Das passeirerische Sålfl ist
lautlich nicht weit vom hochdeutschen “Salbei” entfernt, es kann aber
ohne Weiteres direkt aus dem mlat. salvegia oder einem entsprechenden
romanischen Wort hergeleitet werden. Immerhin würden ueng. serviola und
das in Bormio heimische salviöla die Endung unseres Dialektwortes
erklären. Weitere Stichwörter, die es auch im Standard gibt, können
ebenfalls eine eigene Entwicklung hinter sich haben.
Im Folgenden wird nun eine Reihe von Stichwörtern, die man auch als
“Leitfossile” bezeichnen könnte, eingehender beschrieben.
Romanische Reliktwörter
Auch wenn es darüber keine schriftlichen Quellen gibt, ist die Existenz
romanischer Siedler im Tal sowohl durch die Geschichte der gesamten
Umgebung als auch durch die vielen auf das Romanische zurückgehenden
Geländenamen gesichert. Das bedeutet jedoch nicht, dass alles
alpenromanische Wortgut als autochthon anzusehen ist, denn es können
ebenso bündnerromanische Wörter noch später aus den benachbarten
westlichen Dialektgebieten übernommen worden sein wie zentralladinische
aus anderen Dialektregionen. Es ist also nicht immer leicht
festzustellen, welchen Weg eine Entlehnung gegangen ist; man denke nur
an ein Wort wie Traijin (= Weg für den Viehtrieb, vor allem als
Geländename erhalten), das von den Berner Voralpen
Bei der Lauberhornabfahrt gibt es einen Streckenabschnitt
“Langentreien”.
über das
Bündnerische bis nach Agordo in verschiedenen Formen (im Gadertal tru)
heute noch gegeben ist. Das ist übrigens ein Beispiel, dass auch
vorromanisches Wortgut, das die romanische Bevölkerung aufgenommen
hatte, in die Sprache der neuen Siedler übergegangen ist.
Egon Kühebacher hat bereits 1971 die vorrömischen Reliktwörter in
den Südtiroler Dialekten beschrieben.
So wie
Traijin ist Gånde, Gånte zwar vorrömischen, nach Pokorny sogar
nicht-indogermanischen Ursprungs (Bedeutung: ‘wüst liegendes Land’),
aber natürlich über das Romanische zu uns gekommen. Dasselbe dürfte bei
einer Reihe galloromanischer Wörter wie Penne und Prente der Fall
sein. Viele dieser Reliktwörter finden sich noch in alemannischen
Dialekten, z.B. im Vorarlbergischen.
Bei manchen deutschen Namen weiß man nicht, ob sie nicht aus dem
Romanischen übersetzt worden sind. Ob die Betonung einer Reihe
zusammengesetzter Namen auf dem Grundwort, die nicht den Regeln des
Deutschen entspricht, das den Akzent auf dem Bestimmungswort verlangt,
auf romanischen Einfluss zurückgeht, ist umstritten. So tragen
Gånderpärg, Glanegge, Weißspitz den Akzent auf dem zweiten
Element, auf dem Grundwort also. Auffallend ist, dass es in Rabenstein
nur einige Kilometer vom Hof Glanegge entfernt den Geländenamen
Glaanegge gibt, der wiederum nach den Regeln der deutschen
Phonologie betont wird. Solche Beispiele gibt es im ganzen Land.
Diese wenigen Beispiele zur Erinnerung mögen genügen, für Interessierte
verweise ich auf die einschlägigen Artikel (Råfaine, Ploon und Griëne,Teil 1 und 2).
Da die Wörter im Gebrauch viel öfter in flektierter Form erscheinen als
im Nominativ und da es dafür im Lateinischen häufig zwei verschiedene
Wortstämme gibt, ist als Ausgangspunkt der romanischen Ableitungen das
Wort in einem anderen Fall als dem Nominativ (Obliquus) anzusetzen, im
Fall von Furmente eben mur(em), nicht mus (Maus). Und obwohl wir, wie
bereits gesagt, nicht vom klassischen Latein ausgehen dürfen, setzen
wir, da wir in vielen Fällen die genaue Form des romanischen Wortes, auf
das sich unsere Entlehnung bezieht, nicht kennen, das bekannte
lateinische Wort als Ursprung an, um zumindest eine Orientierung zu
haben.
Da es nie eine die rätoromanischen Varietäten überdachende
Schriftsprache gegeben hat, gebe ich bei Reliktwörtern und frühen
Entlehnungen die entsprechenden bündnerromanischen und ladinischen
Beispiele an, falls es sie noch gibt, weil diese sicher dem Ursprung
unserer Stichwörter am nächsten kommen.
Orts- und Geländenamen
Zu den Orts- und Geländenamen verweise ich auf die bereits angegebenen
einschlägigen Artikel. In diesem Zusammenhang sollen nur noch einige
vorrömische und romanische Beispiele kurz erwähnt werden. Als vorrömisch
werden Wörter bezeichnet, deren gallischer Ursprung sich z.B. durch
Vergleich mit dem Irischen nachweisen lässt. Als vorromanisch werden
Wörter bezeichnet, die sich nicht mehr im Lateinischen, sondern erst in
einer romanischen Sprache wie dem Altfranzösischen oder dem Rumänischen
nachweisen lassen.
Plaise (steile Grashalde im Wald). Vorröm. Relikt, engad. blais,
Münstertal blaisch, dt.-bündnerisch bleischen, bleise (steile
Grashalde). Vorröm. blese soll ‘freie Fläche’ bedeutet haben, also
Gelände ohne Baumbewuchs.
Das bereits erwähnte Gånde,Gånte kommt bei uns sehr häufig vor,
während es in anderen Dialekten öfter Låmmer heißt. Das vorrom.
Relikt ist im Bündnerischen noch als ganda oder gonda vorhanden und im
Vinschgau mit dem Familiennamen Gander vertreten.
Ggåmpm, ein sehr häufiger Geländename, kommt von roman. campu
(Feld), engad. camp, bezeichnet ursprünglich einen freien Platz,
häufig das Gelände vor der Almhütte, sicher eine sehr frühe Übernahme
wie viele andere Wörter aus der Alm- und Viehwirtschaft.
Giriëp (steiniges Gelände). Geht auf einen venetisch-illyrischen
Wortstamm rowja zurück, im Comelico als róiba erhalten. Es dürfte über
das Ladinische zu uns gekommen sein, wo es – nach Abfall des Labials
– noch als roa vorhanden ist, im Bündnerischen als ruvina, was zum
Vinschger Wort Ruuf geführt hat, aber auch zu unserem Geländenamen
Råfaine und zu den entsprechenden Personennamen im Vinschgau.
Aisgålle (steile vereiste Fläche). Der zweite Teil des Wortes geht
wohl auf rom. galla (Gallapfel, aber auch Blase) zurück. Größere
Eisflächen auf Hängen bilden Wölbungen, die wie Blasen aussehen, nicht
wie glatte Eisflächen in der Ebene.
Natur, vor allem Flora und Fauna
So wie die bajuwarischen Siedler, als sie in unser Tal kamen, sich erst
neu orientieren mussten und dazu sich der bereits von den romanischen
Vorgängern geschaffenen Orts- und Geländenamen bedienten, so haben sie
auch Bezeichnungen für viele alpine Gegebenheiten, die sie, aus dem
Alpenvorland kommend, nicht kannten, von diesen übernommen. Dazu gehörte
vor allem die alpine Pflanzen- und Tierwelt.
Glaan (Preiselbeeren). Schatz meint, dass es nicht durch r-l-Wechsel
aus granëta kommt – was theoretisch möglich wäre. Es passe zu einem
spätmittelhochdeutschen glân, das ‘Glanz’ oder ‘Glut’ bedeutet und
heute noch im Passeirer Dialekt als Glanschter (Funke) gegeben ist.
Eine Karte bei Schneider (63,215) zeigt unser Wort für die
Preiselbeere vom Vinschgau bis Tux in einem Gürtel zwischen Grantn
nördlich und südlich davon. Finsterwalder (1990, 823) hält es für ein
altes rätisches Wort. Damit hätten wir es mit einem rätischen Relikt
zu tun, das nicht durch das Romanische zu uns gekommen ist. (Zu
Glaanegge und Glaanegge siehe Råfaine, Ploon und
Griëne,Teil
1). Übrigens gibt es
das Wort auch im Singular, a Glaane, aber es wird fast nur im Plural
verwendet, und dass der Plural kürzer ist als der Singular hat mit der
Hinterpasseirer Morphologie zu tun, in welcher Endungen auf -nen, -nin zu -n nach langer Silbe kontrahiert werden. F. Prandi (2004,88) führt das im Veltlin heimische gaüda
(Preiselbeere) auf einen vorrömischen Stamm *kala-/*gala- (Stein)
zurück, weil die Beere steiniges Gelände bevorzuge.
Lisch, Liësch (Wiesenlieschgras). Das Wort ist auch in den
Standard gelangt, schon ahd. lisca. Nach J. Jud als Lische oder in
ähnlicher Lautung vom Berner Oberland bis zu den Vierwaldstätten
belegt, im Bündnerischen nur bei den Walsern heimisch, die es wohl aus
dem Wallis mitgebracht haben. Kommt in vielen Südtiroler Dialekten mit
verschiedener Bedeutung vor: In Martell für ‘vewelkende
Roggenpflänzchen’, im Pustertal für ‘Riedgras’. Könnte aus dem Süden
zu uns gekommen sein, wie friaul. lescule und ennebergisch lëscia
(Blattwerk von Getreidepflanzen, wild wachsendes Gras im Wald)
nahelegen; in Gröden jedoch ist es der Baumschwamm, den man zum
Feuerschlagen verwendete (Anderlan-Obletter 97,196); weniger
wahrscheinlich standardital. lisca (holzige Teile des Flachses).
Allerdings können auch Walserwörter zu uns gekommen sein (siehe unten
zu prischtig). Das REW führt liska als germanisches Etymon, das seit
dem 9. Jh. in vielen rom. Sprachen aufscheint.
Lërgit (Lärchenharz). Für das Lärchenharz gab es zwei
alpenromanische Begriffe. Der im westlichen Teil der Alpen
gebräuchliche geht auf (resina) laricina zurück, wie das seit der
Römerzeit medizinisch genutzte Lärchenharz westlich der Adda genannt
wurde. Im Tessin und im Wallis wurde daraus dann lardšina, laršina und
Ähnliche, die dann zum Walserwort Lörtschene führten. Im Osten
dagegen setzte sich laricatu durch, welches im Bündnerischen noch als
largià (Harzfluss) weiterlebt und das wir als Lërgit übernommen
haben. Das Wort ist deswegen sehr weit verbreitet, weil das Harz schon
immer industriell genutzt wurde, weshalb wir auch Lërgitpourer
haben, welches sowohl den Mann, der die Tätigkeit ausführt, als auch
das entsprechende Gerät bezeichnet.
Zirbme (Zirbelkiefer, Arve). Es ist als Zirm im gesamten
südbairischen Sprachraum und im Schwäbischen verbreitet. Ins
Romanische entlehnt (ins Ladinische, Friaul, Unterengadin, Trient,
aber auch ON Zembrasca in der Valfurva, dzembar im Veltlin). Nach
Hubschmied (zit. bei Schneider) vorröm. Wurzel *kimaro, durch
r-Metathese zu *kir(a)mo; Jokl nimmt aufgrund rumän. zimbru Wurzel
mit *z an.
Tschugge (kleiner, struppiger Nadelbaum). Das von den Romanisten auf
den vorröm. Stamm *jupp- zurückgeführte Wort ist für ‘Alpenrose’ oder
‘Wacholder’ in verschiedenen Formen im Bündnerland, im Oberwallis und
im Tessin verbreitet als giep, giop, yúk. Im Veltlin heißt die
Alpenrose giüp und der Gemeine Wacholder gip. Auch in einer Reihe von
Innerschweizer Dialekten heißt die Alpenrose Juppe. Dass dasselbe
Wort in verschiedenen Gegenden aufgrund auch sehr vager Ähnlichkeiten
für andere Gewächse steht, begegnet uns immer wieder. Bei uns hat sich
nur die Bedeutungskomponente “buschig, buschartig” in der Bezeichnung
von verwachsenen jungen Bäumchen erhalten.
Taase (Nadelholzzweig, grüner Ast). Man führt es auf ein vorrom.
Wort zurück, das *dagisia gewesen sein könnte. Wir haben die
Entlehnung bis ins Allgäu in verschiedenen Lautungen und vom
Frankoprovenzalischen bis ins Friaul bei den Romanen: friaul. dasce,
ennerberg. dascia, engad. dascha, descha, trent. dasa und auch das
Verb dasar (entasten).
Luttern (Grünerle). Woher das Wort kommt, das im südbairischen Raum
weit verbreitet ist, ist umstritten. Moser (2020) setzt es nach Grimm
zu ahd. arliotan (keimen). J. Hubschmid hält es für vorindogerm., denn
nach ihm (1960,136) können lôtano (Rhododendron) in Verona und lótani
oder lóteni aus den Monti Lessini, dazu lotri (Grünerle) aus
Caldonazzo nicht aus dem Germanischen entlehnt sein.
Ålber (Pappel). Zu spätlat. *albaris, albarius (weißlich), álbarus
(Weißpappel). Die Weißpappel gibt es in Außerpasseier.
Zunter (Strauch der Alpenrose). Wir haben, wie viele Tiroler
Dialekte, das Wort zweimal. Einmal ist es ‘Zunder’, also etwas zum
anzünden. Wir haben dazu auch Zunterschwåmm gesagt, denn es handelte
sich tatsächlich um den getrockneten Baumschwamm, den mein 1947
verstorbener Nachbar noch verwendete die Pfeife anzuzünden. Zum andern
ist es in anderen Dialekten die ‘Legföhre’ (Pinus mugo), bei uns
jedoch der ‘Alpenrosenstrauch’. Der VALTS führt für Vorarlberg
Zundrine für ‘Legföhre’ als romanisches Relikt, zu sondra
(Münstertal), ueng. tsóndra.
Spaik (Klebrige Primel). Bei Spaik, zu mlat. spicu, bezeugt schon
die Diphthongierung, dass die Integration in den Dialekt spätestens im
Hochmittelalter erfolgt ist. Vom selben Ursprung stammt auch Spiggl
(Lavendel), möglicherweise jedoch später übernommen und daher nicht
mehr der bairischen Dehnung und Diphthongierung unterworfen. Es ist
auch nicht verwunderlich, dass der Name der wild wachsenden Pflanze
vor jenem der Kulturpflanze übernommen worden ist.Spaik Foto: Franz Lanthaler
Pletsche (großes Pflanzenblatt, Blatt des Alpenampfers). Wir nennen
den Alpenampfer Plerche, nur das Blatt desselben Pletsche. Das im
Oberinntal beheimatete Wort blasche (Bohnenhülse) soll romanischer
Herkunft sein. Es könnte der Ursprung unseres Wortes sein, da ja
inhaltliche Verschiebungen häufig vorkommen, aber sichere Hinweise
dafür gibt es nicht.
Kwendl (Echter Thymian). Das lat. lavanda wird zu Lavendel, und mit
Ersatz der unbetonten ersten Silbe durch ge- zu Gewendel, daher im
Dialekt Kwendl, auch umgangssprachlich Quendel.
Sålfl (Salbei). Kommt wohl nicht von hdt. Salbei, sondern könnte
direkt aus rom. salvia übernommen worden sein, da engad. serviola und
das in Bormio heimische salviöla das Endungs-l eher erklären.
Ooberraut (Edelraute). Zu gr.-lat. (Artemisia) abrotanum
(Eberraute), volksetymologische Umdeutung zu “Aberraute”. Im Dialekt
hat auch die Edelraute (Artemisia mutellina) diese Bezeichnung
bekommen.
Fåckl (Beere der Heckenrose). Zwar ist Fackel zu lat. facula eine
Standardentlehnung, als Bezeichnung für die Beere der Heckenrose
könnte es im Dialekt allerdings extra übernommen worden sein.
Gråmme (Ackergras). Lat. gramen (Gras), Ableitungen davon in vielen
roman. Sprachen, auch trent. gramegna und agram. Vielleicht ist dieses
Ackergras die Quecke?
Kiim (Kümmel). Unser Wort geht wie das Standardwort auf lat. cuminum
zurück, es entspricht mhd. cumīn, hat also nicht das Suffix des
Standardwortes angenommen.
Furmente (Murmeltier) aus mur[em] montis (Bergmaus). Das aus mur-
und mont- zusammengesetzte Wort ist im gesamten Alpenraum in den
verschiedensten Verformungen heimisch, von Murmente über Murmele
bis Mankei. Wie es bei uns das anlautende f bekommen hat, ist
rätselhaft, jedoch sind solche Veränderungen in unbetonten Silben
keine Seltenheit. Immerhin gibt es im Bündnerischen ein burmainta.Furmente Foto: Nicholas Rizziero
Grail (Haselmaus). Grail gibt es wohl in den meisten Südtiroler
Dialekten. Es kommt von lat. glis, gliris, trent. gril, mit Umstellung
von l und r, wie sie auch in oberitalienischen Dialekten nicht selten
ist; daher wohl aus dem Süden übernommen.
Graatsche (Eichel-, Tannenhäher). Die Bezeichnung Gräätsch für den
Häher ist in Vorarlberg und Westtirol verbreitet. Sie geht auf lat.
graculus (Dohle) zurück und ist ein roman. Relikt, noch erhalten in
ueng. cratchla, enneberg. cröcia (Eichelhäher), cröcia da mont
(Tannenhäher), Letzterer heißt bei uns Puëngraatsche, oeng.
gragiauna. Obwohl er nach Eichel und Tanne benannt ist, ist er für den
Erhalt und die Verbreitung der Zirmwälder entscheidend und daher auch
bei uns verbreitet.
Gampse, Gamse (Gämse). Das Wort, bei dem im Hinterpasseier ein p
zwischen m und s tritt, ist früh gesamtdeutsch geworden. Die
romanischen Bezeichnungen werden auf spätlat. camoc(em) zurückgeführt.
Interessant ist, dass nach Recherchen von Romanisten (Rampl 2011) die
Bedeutung ursprünglich ‘Tier mit Hörnern’ war und erst in den Alpen
daraus die Bezeichnung für die Gämse geworden ist.
Zulle (Maikäfer). Das Wort passt zu trent. zurla, zorla,
gadertalisch züla; es kommt also vom Süden, wie wohl auch das
Tierchen, das bislang nur bis St. Leonhard vorgedrungen ist. Zwar ist
es damit fraglich, ob man von einem Reliktwort sprechen kann, aber
sicher kann man eine frühe Entlehnung annehmen.
Håsslkeefer (Kellerassel). So wie hdt. Assel geht Håssl- auf lat.
asellus (Eselchen) zurück. Ob es über das gesamtdeutsche Wort oder
direkt aus dem Romanischen zu uns gekommen ist, kann man schwer
entscheiden.
Kiinighoose (Kaninchen). Die Römer nannten das Tier cuniculus. Im
Mittelhochdeutschen erhielt das Wort mit Umlaut die Form küniclîn,
küniglîn und dies wurde durch volksetymologische Erklärung zu
Künighase. Im Bündnerromanischen noch als cunigl erhalten.
Puuhiin (Uhu). Der Anlaut muss auf das Romanische zurückgehen, denn
Ausgang ist lat. bubo (siehe auch span. buho).
Tåttermandl (Salamander). Das Wort wirkt auf den ersten Blick
überhaupt nicht verdächtig auf romanische Herkunft. Wenn wir jedoch
sehen, dass es im Oberinntal und im Engadin und im Vorarlberg
quaterpetsch, quaterpletsch, quaterquetschas gibt, die auf lat.
quatuor pedes (vier Füße, Vierfüßler, Klausmann/Krefeld 126)
zurückgeführt werden, wird die Nähe zu diesen Formen augenscheinlich.
Der erste Teil unseres Wortes lässt sich also auf das romanische
quater‑ zurückführen, das ‑mandl kommt anderswo auch häufig vor
(verhochdeutschte Formen: Regenmännlein, Quatermännlein,
Wettermännlein).Tåttermandl Video: Franz Lanthaler
Pëiglgoaß (kleiner Kauz). Zu rom. picculu + -goaß, in anderen
Dialekten Hobergoaß. Letzteres, weil sein Schrei klingt wie das
Meckern der Ziege (siehe oben). Dass Nachtvögel schon von Alters her
eine mythische und ominöse Bedeutung hatten, offenbart sich durch den
Bedeutungswandel von lat. strix (Ohreule) zu rom. strega, it. strega,
lad. stria (Hexe).Pëiglgoaß Foto: Nicholas Rizziero
Landwirtschaft
Als die Römer ins Land kamen, hatten die Räter bereits eine alpine
Landwirtschaft auf hohem Niveau entwickelt, die es ihnen erlaubte die
kargen Ressourcen der Berggebiete bis über 2000 m hinauf zu nutzen. Von
ihnen konnten die Bajuwaren, die später in diese Täler kamen, nur
lernen. Ihre ersten Niederlassungen in den Höhenlagen waren sicher
Schwaighöfe, zu mhd. sweige (Rinderherde, Viehhof), aber sicher waren
diese Siedler wie schon die Räter vor ihnen Selbstversorger und hatten
daher auch Getreide und Gemüse. In diesen drei Bereichen gibt es eine
große Zahl von Reliktwörtern. Ob diese immer zugleich mit der Sache
übernommen wurden, oder ob die Wirtschaftsordnung, die den Eroberern als
neuen Herren ein Drittel der Erträge zusicherte, dazu beitrug, dass die
Objekte in der Sprache der Alteingesessenen benannt wurden, ist nicht
immer klar zu entscheiden. Warum es in unserem Dialekt keine Bohne gibt,
sondern nur Sëiln oder warum die Hennen mit Pulla-Pulla gelockt
werden, kann damit zusammenhängen, dass die Bohnen- und Hühnerzucht
tatsächlich erst von den Romanen übernommen wurde, allerdings könnten
die Bajuwaren beides schon gekannt haben. Bei anderen Begriffen können
wir ganz sicher sein, dass nicht nur das Wort, sondern auch die Sache
neu war. Wir werden das bei Poufl und Roade sehen.
Das Nebeneinander der beiden Siedlergruppen erforderte, dass man sich
bei bestimmten Ressourcen auf ein gemeinsames Nutzungsrecht einigte. Im
westlichen Südtirol wurden nun, was das Weide- und Wasserrecht betrifft,
eindeutig die Satzungen übernommen, die die romanische Bevölkerung
bereits eingeführt hatte (siehe Roade und Såltner). Auch bestimmte
Formen der Bewirtschaftung müssen so kopiert worden sein, wie der
Begriff Åltfåltsch zu beweisen scheint. Und es ist wohl auch kein
Zufall, dass die Bezeichnungen für verschnittene Masttiere wie
Peatsche, Minnich und Ggstraun übernommen worden sind. Während in
alemannischen Dialekten viele Begriffe aus der Käseproduktion aus
romanischen Relikten bestehen, haben wir davon nur Tschottn und, wenn
man will, prischtig, das allerdings auf andere Objekte übertragen
wurde.
Auch Bau- und Holzarbeit gehört im weiteren Sinn zur Landwirtschaft,
denn zur Zeit, als die Integration der Relikte und Entlehnungen erfolgte
– und auch lange danach noch –, war der Bauer nicht nur
Selbstversorger, sondern er hat damals auch fast alles handwerklich
Notwendige selbst gemacht.
Sehr viel Raum nehmen Gefäße und Transportmittel ein, wohl weil in dem
meist steilen und unwegsamen Gelände der Transport von Waren und Gütern
einen eigenen Umgang erforderte, für den die romanische Bevölkerung
bereits die entsprechenden Mittel entwickelt hatte.
Nutztiere und -pflanzen
Sëile (Bohne). In einer Reihe von unseren Dialekten scheint der
Wortstamm (ebenso wie im Schweizerischen) als Fisëile auf. Es ist
allerdings fraglich, ob es sich um eine frühe Übernahme handelt oder
ob das Wort lateinischen Ursprungs (phaseolus) erst später übernommen
wurde. Allerdings scheinen die frühen Siedler schon Bohnen angebaut zu
haben und der Abfall der ersten Silbe deutet auf ein relativ hohes
Alter des Wortes hin. Und wenn im Oberinntal und Lechtal blascha
(Bohnenhülse, siehe oben Pletsche) als romanisches Relikt weiterlebt,
dürfte auch Sëile auf dieselbe Zeit zurückgehen.Sëiln Foto: Barbara Lanthaler
Gråmille (Kamille) kommt vom lat. c[h]amomilla, spätlat. camilla.
Zwar gibt es neben der mhd. camille schon eine gamille, aber wie das r
da hineinkommt, ist schwer zu sagen.
Ggimmerling (Gurke ), lat. cucumis, cucumer-, rom. cucumera.
Grischn (Kleie). Das bei Schmeller für Bayern und Tirol als
Grüschen registrierte Wort findet sich schon mhdt. als grüsch, in
Schweizer Dialekten als Grüsche (fem.) oder Grüsch (mask.) und
wird gewöhnlich auf it. crusca zurückgeführt. Die bündnerrom.
Beispiele crestga und crüs-cha jedoch legen nahe, dass es ein
romanisches Relikt ist, obwohl es im Dolomitenladinischen nicht belegt
ist und der Zingarelli es auf eine germ. Wurzel zurückführt. Bei uns
kommt es nur in der Mehrzahlform vor (Pluraletantum). Unser Spruch di
Kråft isch in di Grischn wird jetzt von immer mehr Leuten als richtig
erkannt, weshalb in den Regalen der Geschäfte so viel Vollkornmehl
steht.
Piëßl (Mangold). Lat. beta (Runkelrübe), in einigen rom. Dialekten,
u.a. friaul. bleda (Runkelrübe und genießbare Blätter), mhd. bieʒe.
Die Übertragung auf andere Objekte, die eine gewisse Ähnlichkeit
aufweisen, muss man schon fast als normal betrachten.
Åltfåltsch (das vom Vorjahr stehen gebliebene Gras in den Mähdern).
Wir hatten geglaubt, es könnte von lat. falc-, it. falce (Sense), lad.
falc herrühren, bis ich bei J. Jud (46, 95) auf das bündnerische
fadúskel, fadust, fadusch stieß, mit genau der Bedeutung von unserem
Åltfåltsch, nämlich ‘Gras, Heu auf Wiesen, wenn sie ein oder mehrere
Jahre nicht mehr gemäht werden’. Ins Bündnerdeutsch übertragen als
fadusten oder ə wīs fadúsch lān (eine Wiese nicht mähen). Man
führt es auf pratu(m) vetustu(lum) zurück, also ‘alte Wiese’. Wie aus faduschålt + fåltsch werden konnte, ist nicht schwer zu
erklären, wenn man an andere tautologische Übersetzungen und
Volksetymologien denkt (Singaisn, Speennoodl oder in anderen
Dialekten Ruipåch zu rivu ‘Bach’, den Bergnamen Hoachålt zu altu
‘hoch’). Nachdem die Lautung von vetustu(lu)m nicht mehr für alle
durchsichtig war, hat man es übersetzt, hat aber die alte Form leicht
“eingedeutscht” drangehängt.
Poufl (das 3. Gras). Das Wort ist nicht nur in Tirol, sondern in
ganz Österreich und Bayern heimisch, allerdings dort vielfach nicht in
der ursprünglichen Bedeutung, sondern für ‘minderwertige Ware’ oder
als Pouflfolk für ‘Gesindel’. Man hat es früher von lat. pabulum
(Futter) abgeleitet, und aufgrund seiner sekundären Bedeutung hat man
es auch auf jiddisch “Powel” bezogen. Inzwischen ist nicht nur die
Herkunft des Wortes über bündner. bual (man nimmt als Ausgang eine
Adjektivableitung *bovale ’etwas für das Rind’ zu lat. bos, bovis,
‘Rind, Ochse’ an) gesichert, sondern auch die Bedeutungsentwicklung
(Krefeld 1993,38). Da es in Graubünden die Gemeindesatzung gab, dass
Viehbesitzer nach dem 2. Schnitt ihr Vieh auch auf fremdem Grund frei
weiden lassen konnten, hat sich bual auch als Begriff für
‘Gemeindeweide’ und dann auch als ‘Heimweide’ für das Vieh, das nicht
auf die Alp ging, durchgesetzt. Daraus konnten sich dann auch
Geländenamen entwickeln wie die Pouflwiisn an der Grenze zwischen
Algund und Gratsch. Bei uns gilt vor allem die primäre Bedeutung des
Wortes, ‘drittes Gras’, das in niederen Lagen gemäht, in den höheren
in Hinterpasseier meist nur mehr abgeweidet wurde. Die sekundäre oder
übertragene Bedeutung von ’etwas Minderwertigem’ scheint sich je mehr
durchgesetzt zu haben, je weiter es von ihrem Ausgangspunkt und der
Sprachgrenze entfernt erscheint. Bei uns ist sie vielleicht gar aus
dem Norden erst importiert worden. Der Begriff Pouflstiër könnte
davon herrühren, dass man im Poufl, wie auch im aufkeimenden
Roggn, noch Mastvieh weiden ließ. Der auch auf Menschen angewandte
Spruch fressn wië a Pouflstiër dürfte damit zusammenhängen, dass ein
großes Tier beachtliche Mengen von dem zarten dritten Gras fressen
musste, um satt zu werden. In der östlichen Romania und in den
oberitalienischen Dialekten gibt es das Wort nicht; in Enneberg ist
“pōfl” aus dem benachbarten deutschen Dialekt entlehnt.
Palln (Heublumen). Lat. palea (Spreu, Hülse), im Engadin paglia
(Spreu). Was im Italienischen heute für ‘Stroh’ steht, sind im
Lateinischen wie in einer Reihe romanischer Sprachen von Anfang an die
kleinsten Teile desselben, eben Grannen, Getreidehülsen und die
kleinsten Dreschabfälle. Dies zeigt sich deutlich im Ennebergischen,
wo paia zwar auch für ‘Stroh’ steht, jedoch vor allem für ‘Spreu,
Dreschstroh aus der Windmühle’ sowie (mit Ergänzungen) für
‘Hobelspäne, Sägemehl, Feilspäne’. Daher wird palea fast immer mit
‘Spreu’ übersetzt, womit ja die Abfälle beim Dreschen gemeint sind.
Bei uns jedoch sind Palln in erster Linie die Abfälle, die beim
Bereiten der Futterrationen, Puschn, entstehen – die es wohl nur
noch bei Anbindehaltung gibt – und die vermischt mit Grischn oder
geschrotetem Getreide als Miëte – anderswo Lecke – einen
wichtigen Integrator bei der Fütterung ergeben. In unserem Stadel
stand immer ein Pseechkorb (großer Stehkorb ohne Wiidn) für die
Palln; anderswo hatte man eine Pallntruuche dafür und es gab eine
Pallnraiter (Sieb mit Handgriffen zum Sieben der Palln.)
Allerdings steht das Wort auch bei uns für ‘Spreu, kleinste Teilchen’
und man kann etwas zi Palln auschloogn (zu kleinsten Partikeln
zertrümmern).
Soolit (Salat). Man könnte es zu it. insalata stellen, aber
Betonung, Dehnung und Verdumpfung legen nahe, dass das Wort im Dialekt
früher eingedeutscht wurde als im Standard und eher zu lat., rom. sal,
salar (salzen) zu stellen ist.
Plentn (Buchweizen). Das Wort Plentn kommt von lat. polenda,
polenta (Brei aus Gerstengraupen). Als im Spätmittelalter der
Buchweizen aus dem Orient eingeführt wurde, wurde die Bezeichnung
darauf übertragen. Für ‘Maisbrei’ kam das Wort erst im 16. Jh. aus dem
Italienischen in Gebrauch.Plentn Foto: Franz Lanthaler
Påssl (kleine Rübe). Hängt wohl mit dem Folgenden zusammen, ueng.
passella (Rübe), grödn. pastl (vertrocknete Rübe). Das Stichwort hängt
mit dem folgenden zusammen.
påsslt (verschrumpelt). Wenn wir runzlige und verschrumpelte Früchte
als påsslt bezeichnen, so kommt das von lat. passus (verwelkt),
engad. pas (welk), impassirse, (verwelken), im Italienischen uva passa
(getrocknete Traube).
Marille (Marille, Aprikose). Es gibt dazu verschiedene Herleitungen;
mir scheint die plausibelste jene aus dem trent. armellin, armellim
(Azzolini), zu lat. armeniacum malum.
Mouseroon (Majoran). Zu lat. maiorana gibt es noch enneberg.
masaronn und gadert. mesaron, die auf unsere Lautung verweisen.
Tschottn (Topfen, Quark). Während das ital. “ricotta” auf lat.
re-cocta (nochmals aufgekocht) zurückgeführt wird, wird unser
Tschottn, als (die) Schotte im süddeutschen Raum weit verbreitet,
von einem späterem ex-cocta (ausgekocht, Molke) abgeleitet. Engad.
skötta. Die erste Bedeutung ist wohl ‘Molke’, denn diese bezeichnet es
an der romanisch-deutschen Sprachgrenze; erst in größerer Entfernung
davon steht es für die Ausfälle nach der Scheidung, also ‘Quark’.
Foochizproat (süßes Gebildebrot). Die Verschiebung der Betonung und
die Zusammensetzung mit -proat machen eine Übernahme in neuerer Zeit
aus it. focaccia unwahrscheinlich. Zu rom. focacea (eine Art Kuchen).
SpoolII (Schulter oder Widerrist größerer Tiere). Von lat. spatula,
it. spalla, lomb. spale, lad. spala, bündner. spatla. Dehnung und
Verdumpfung weisen auf sehr frühe Eindeutschung.
Happfiich (Kleinvieh). Da Ziegen und Schafe per capita, also nach
Anzahl der Köpfe verkauft wurden, hat sich aus cap(ita) das Wort hap
gebildet, so wie wir auch iiberhaps (grob geschätzt) haben, ein
komplexes Wort: deutsche Präposition, entlehntes Substantiv und
Adverbmorphem.Happfiich Foto: Florian Lanthaler
Ggstraun (Hammel). Im Ladinischen noch als castrun, castron, engad.
castrun und schon mhd. kastrûn. Es ist auffallend, dass die
Bezeichnung für kastrierte Masttiere öfter auf romanische Wörter
zurückgehen (Minnich, Peatsche, Kapaun). Das Wort geht natürlich
auf lat. castrare (kastrieren) zurück.
Minnich, Miinich (kastrierter Ziegenbock). Zu monacus, schon mhd.
münich, münech auf verschnittene Tiere angewandt.
Jarz (junger Ziegenbock). Nach Finsterwalder geht es direkt auf lat.
hircus (Bock) zurück (siehe Fink 1972). Auch herumtollende Kinder
wurden bei uns oft Jarzn genannt und für herumtollen gab es das Verb
jarzn, also ‘herumspringen wie die Böcklein’.
Muttl (hornloses Tier). Lat. mutilus (abgestumpft, geschoren), rom.
mutt-, engad. muot (hornlos), bündn. mut (stumpf). Abgerundete Kuppen
wie die Mut bei Meran haben davon ihren Namen. In Passeier haben wir
die Stuller Muute als das beste Beispiel dafür. Auf Föss steht die
Kuntner Kaser auf einer Wiese, die auch diesen Namen trägt.
Wahrscheinlich hat das Gelände den Namen von der Kuppe drüber, wo
unser Spaatlait Goodn stand, erhalten.
Poobl (Wucherungen am Maul der Ziege, Herpesblasen?). Lat. papula
(Bläschen, Pustel), am Nonsberg pabla.
Peatsche (kastriertes männliches Schwein). Das in ganz Westtirol
heimische Wort wird auf lat. porcus zurückgeführt, im
Bündnerromanischen noch als piertg oder püerch (immer mit ‑tsch
ausgesprochen) nachweisbar. Die bündnerische Diphthongierung weist auf
die rätoromanische Herkunft.
Terz (kleiner Mensch, kleines Tier). Rom. tertiu (Ochse im dritten
Jahr). Die auch im Etschtal früher gängige Bezeichnung für einen nicht
voll ausgewachsenen Ochsen wurde bei uns allgemein, eher abwertend,
auf kleine Wesen übertragen.
Glutsche (Bruthenne). Im Engadin ist das romanische Ausgangswort
noch als clucha, surselv. cluotcha erhalten.
Pulle (Huhn, weibliches Küken). Im Lateinischen wird pullus
(Jungtier) auch für das Huhn verwendet, etwas später pulla; auch
engad. pulla (Lockruf für das Huhn). Auch bei uns ist der Lockruf
Pulla-Pulla. Über das Galloromanische kommt es ins Schweizerische und
Vorarlbergische als Pullättlein, Plättlein, Plätte, während es
bei uns und im Ötztal Pulle heißt. Nach Klausmann/Krefeld
(1986,134f.) ist in unseren Randlagen die altromanische Überlieferung
erhalten geblieben, während sie näher an der Sprachgrenze von der
neueren Entlehnung, die dem frz. Typ poulette entspricht, überlagert
wurde.Pulle Foto: Florian Lanthaler
Piisile (Hühnchen). Wohl zu lat. pusillus, Dim. zu pullus
(Jungtier), welches schon früh auf das Huhn übertragen wurde; später
dafür pulla. Betonung und Umlaut stellen es zum frühen Reliktwort
Pulle.
Singaisn (gegossene Glocke für Rinder im Stall und in Hofnähe). Mhd.
singoʒ, fast im gesamten Alpenraum Singesse oder ähnlich; bei uns zu
Singaisn, also singendem Metall umgedeutet, weil es im Gegensatz zur
blechernen (eher scheppernden) Kuhschelle einen singenden Ton hat. Man
hat es von it. segnuzzo (Glöckchen) hergeleitet. Schon afrz. seing,
für ‘Glocke’ (seit Gregor v. Tours, spätes 6. Jh.). Es gab trent.
singesa und im Vicentinischen singosa (Kuhschelle) (REW), die wohl
kaum von segnuzzo kommen. Ich könnte mir, da die Glocken rund und
gegossen sind, eine Kombination aus mhd. sinwel (rund) und goʒ (Guss)
vorstellen (doch sin allein bedeutet nicht rund). Immerhin ist der
zweite Wortteil von sinwel in dem Hofnamen Sinefeld – es handelt sich
tatsächlich um ein rundes Feld um den Hof herum – ebenfalls
umgedeutet worden.Singaisn Foto: Florian Lanthaler
Aache (ein Ackermaß, 120 FußII). Vielleicht zu lat. acua, mhd. ähe.
Ålbe (Alm, Bergweide) zu lat. Alpes, ahd. Alpun. Die Almwirtschaft
geht sicher in die frühe Siedlungszeit zurück, d.h. es gab sie schon
lange, bevor die Bajuwaren hier ankamen.
aupraatschn (zerreißen, zerlegen). Das Wort hat einen sonderbaren
Ursprung. In bündnerrom. Varietäten ist es als paratscha (äußere grüne
Nussschale, Schale von Früchten) vorhanden. Im Veltlin paràscia
(Fruchthülle von Nüssen und Mandeln). Man führt es auf einen vorlat.
Stamm *parra, *barra (Hülle, Eingrenzung) zurück. Es kommt als
Brätsche ins Oberdeutsche mit derselben Bedeutung oder für die
Bohnenhülse, und als Verb brätsche(n) für die Entfernung der Hülsen
von Bohnen, Mais usw. In vielen Tiroler Dialekten sind Praatschn
auch die Hüllblätter des Maiskolbens oder Reste entsafteter Früchte,
und praatschn steht für das Entblättern der Maiskolben. Bei uns nun
ist es in der Zusammensetzung aupraatschn für ‘zerreißen, zerlegen,
in Stücke reißen’: Man kann Housn aupraatsch und der Marder kann a
Henn’aupraatschn (zerfleischen).
Plumme (Stapel von Blöchern). Finsterwalder stellt den Ortsnamen
Pille wie dieselbe Bezeichnung für die Heuhütte im Ötztal zu rom.
pileum, lat. pilum (Pfosten); demnach wäre Pille “eine auf Pfosten
gestellte Hütte”. (Finsterwalder 1990,798). REW erwähnt pila (Säule,
Pfeiler), also in derselben Bedeutung. Daher kann man Plumme sicher
als pilum oder pila + Suffix -(u/a)men deuten, also ‘Stapel von
Pfosten’ .Plumme Foto: Franz Lanthaler
gaschtern (Perlinen zusammenfügen). Bretter mit Nut und Feder
(Perlinen) zu Wandverkleidungen zusammenfügen nannten wir gaschtern
und fuëgn. Das Erstere kommt von rom. incastrare, ist in
verschiedenen Formen in rom. Sprachen vorhanden, it. incastro, engad.
enkastrer. Im Berner Oberland ist gastere ein ‘Verschlag in der
Alphütte als Lagerstatt für die Hirten’, anderswo gastera für eine
‘hohe Bettstatt’, und wieder anderswo auch dastere (Bett für die
Hirten)(Jud 1946,66). Das Wort scheint aus dem Frankoprovenzalischen
zu kommen, aber Relikte aus castra, incastra gibt es in der Ostschweiz
anscheinend nicht. Allerdings gibt es auch incastro und encastrar etc.
im Trentinischen für Holzverbindungen dieser Art.
Koondl (Holzrinne). Zu lat. canalis; engad. kānel (Dachrinne), im
Veltlin canèl (Speiseröhre), als Diminutiv zu canna (Rohr). Den
Einschub eines d zwischen n und l gibt es nicht nur bei uns,
sondern in vielen Dialekten.
Wool (Waal, Bewässerungskanal). Zu rom. aqua-le, im Bündnerischen
gibt es ovél und ual für ‘Bach, Wasserrinne, Graben’. Im Veltlin
heißen ‘Bach’ und ‘Sturzbach’ val, das von F. Prandi (2004,86)
ebenfalls auf das (substantivierte) Adjektiv aquale zurückgeführt
wird; fem. la val, nach Prandi wegen valle . Ob nun das bündnerische
ual (mit Halbvokal) oder das Veltliner val (mit Reibelaut): Man nehme
die Dehnung, mit welcher südbairische Dialekte solche Entlehnungen
gerne belegen, und die Verdumpfung bei entsprechend früher Übernahme,
und man hat Wool. Seit 2004 ist “Waal” als regionaler Standard
eingetragen.
Roade (Reihenfolge im Nutzungsrecht, Waal). Das Wort geht auf lat.
rota (Rad) zurück und ist im Büdnerland und Surselva noch als roda
erhalten. Was in anderen Dialekten Rood heißt und in einer Liste,
Roodl oder Roudl genannt, festgehalten wird, ist die Reihenfolge
und die Zeitdauer, in welcher bestimmte Gemeinschaftsrechte genutzt
werden dürfen. So wurde im Vinschgau die Nutzung des Waalwassers genau
nach Reihenfolge und Zeiten geregelt, und auch in Außerpasseier war
die Waalordnung durch die Roade bestimmt. In Vorarlberg gingen
Hirten auch auf der Rod um essen, was wir mit in der Koscht ummer
giën bezeichnen. Und wir sagen auch iëz pisch duu a der Roade
(jetzt bist du dran). Bei uns hat das Wort allerdings auch noch eine
andere Bedeutungen angenomme: Vom Recht der Wassernutzung ausgehend
wurde es dann auch auf den Waal selbst übertragen, sodass wir di
Flooner Roade haben. Und schließlich wurde es auch für eine
Mengenangabe benutzt: a Roade kann beim Wasser ein ‘Schwall’ sein
und bei zählbaren Größen wie Tiere oder Menschen, meist in Bewegung,
eine ‘größere Gruppe’. Das Diminutiv wird auch für eine Zeitangabe
benutzt: a Readl (eine kleine Weile).
Sarggl (kleine Harke). Die kleine Gartenharke geht auf lat.
sarculum, sarcellum (kleine Hacke) zurück, in Enneberg noch sē̜rkl, in
Gröden zertl.
Gråmbl, Gråmml (Gerät zum Zerkleinern des harten Brotes). Grammel
war in ganz Tirol, im Allgäu und in großen Teilen Bayerns für die
‘Flachsbreche’ in Gebrauch. Es geht auf vorrom. gramula, it. gramola,
bündner. sgrombla, enneberg. gramora (Flachsbreche, Knetmaschine)
zurück. Für Gröden führt Anderlan-Obletter beide Formen an: grambla dal lin
(Flachsbreche) und grambla dal pan (Brotgrammel). Krefeld
(93,38) meint, man könne angesichts der Verbreitung des Wortes in der
Romania nicht von einem Reliktwort sprechen, sondern es sei eine
Entlehnung anzunehmen.Gråmbl Foto: Florian Lanthaler
Råggaun (gebogenes Hackmesser). Während das Wort in einigen
Dialekten für das ‘geradschneidige Hackmesser’ verwendet wird, das wir
Praxn nennen, steht es bei uns wie in vielen anderen Mundarten für
ein ‘gebogenes Hackmesser’. Es kommt aus trent. roncola+ -one, in
unserer Bedeutung; ist somit wohl kein Reliktwort, aber eine frühe
Übernahme.
spiiglin (Nachlese halten). Lat. spica (Ähre), spicare (Ähren
bekommen). Das Recht der Armen auf Nachlese ab einem bestimmten Tag im
Herbst scheint demnach bis in die Römerzeit zurückzugehen.
Transportmittel
Protzn (zweirädriges Fahrgestell). Gallorom. birotium (zweirädriger
Karren) zu birotus (zweirädrig), trent. brots, ueng. bröts, grödn.
bruets. Protzn ist ein Fahrgestell mit zwei Rädern und zwei
Schloapfn, Stangen die nachschleifen, für steiles Gelände. Auf
weniger steilen Wegen kann, damit die Schloapfn nicht zu viel
bremsen, ein Taljaan (Radnachläufer) untergelegt werden.
Taljaan (Radnachläufer beim Protzn). Schatz zitiert B. Weber
‘Hinterteil des Lastwagens’. Am nächsten rum. taleada (leichter
Wagen), scheint allerdings weit hergeholt. Anderswo heißt das Gerät
Griggl, und hinter dem Tiroler Kreuz gibt es den Flurnamen Roller
austian. D.h., wo die Straße wieder steil abwärts ging, sollten die
Schloapfn wieder vom Radnachläufer genommen werden und am Boden
nachschleifen. Im Trentinischen steht talián, taliám einfach für
‘italienisch’: Sollte dieses Räderwerk einfach als italienisches
gerade in Passeier übernommen worden sein?
Ggraije (niedriger Schlitten mit Sprossenwänden ). Vielleicht zu
lat. carrum (vierrädriger Wagen), currum (zweirädriger Wagen),
ursprünglich wohl keltisch. Bei uns wurde die Ggraije vor allem für
den Misttransport auf die Felder benutzt.
Penne (Schlitten mit geflochtenem Aufsatz für den Transport von
Mist, Laub u. Ä.). Zu gall. benna, engad. benna (Mistschlitten),
nordital. benna, benda (Wagenkorb). Unser Nachbar hatte noch eine
Penne für den Misttransport.
Tschungl (Rohlederriemen an den Hörnern der Zugrinder). Es geht auf
lat. iungere (verbinden) zurück. Rom. iungula (Jochriemen), grödn.
jontla, enneberg. juntla, und dort auch junge (ins Joch spannen),
engad. giungla. Es dürfte also mit dem Zentralladinischen
zusammenhängen. Dazu das Adjektiv augitschunglt in der
ursprünglichen Bedeutung, also ‘ans Joch gespannt’, aber auch für
‘aufgeputzt’, auf die weibliche Frisur übertragen.
Anze (parallele Einspannstangen am Fuhrwerk, Doppeldeichsel),
lat. ansa, rom. ansa (Henkel, Griff, Öse), engad. anza (Öse), frz.
anse[tte] (Henkel, Griff, Bügel); mhd. anser (Schleife). Wir haben
dazu auch Anzriëm (Einspannriemen an der Deichsel). Siehe auch
Oonpletze.
Oonpletze (Riemen zwischen Joch und Deichsel). Das Wort gallischen
Ursprungs, seit dem 9. Jh. belegt als ambilatium, rätorom. amblaz. Jokl
(1946,99) sagt, dass die Anfangssilbe desto stärker ans Deutsche
angepasst wird, je weiter es von der romanischen Sprachgrenze entfernt
erscheint, was auf unser Wort sicher zutrifft. Siehe auch Anzriëm.
Gråttn, Grottn (dreirädriger Karren). Wir haben hier den seltenen
Fall, dass in ein und derselben Entlehnung rom. a sowohl zu å als
auch zu o verdumpft erscheint, welch Letzteres sonst nur bei
Langvokal vorkommt. Deshalb haben wir sowohl Eergråttn als auch
Eergrottn. Das Gefährt mit einem kleinen Vorderrad und zwei großen
Rädern rückwärts diente vor allem für den Erdtransport vom unteren
Ackerrand an den oberen, aber auch für den Misttransport im Acker.
Allerdings gibt es auch den Schuubgrottn, -gråttn (Schubkarre) mit
nur einem Rad. Das Wort geht auf spätlat. cratis (Gitter, Flechtwerk)
zurück und das Wort bezeichnet in den verschiedenen Dialekten meist
einen zweirädrigen Karren mit Kistenaufbau.
Traagl (Heubürde). Obwohl es vordergründig zu “tragen” zu gehören
scheint, könnte es sehr wohl von rom. tragula (Schlitten), engad.
tarlun, traglun (Heuladung auf dem Schlitten) kommen.
Pantsch (Seitenfläche des Traagls). Zur Herkunft siehe Pånzn. Es
könnte sich um eine spätere Entlehnung handeln, aber die Tatsache,
dass es nur für das Traagl verwendet wird, spricht dagegen.
Pferggl (Behelf zum Heutragen). Das Wort geht zurück auf lat.
ferculum, das Traggerät, auf welchem in Rom sakrale Bilder durch die
Stadt getragen wurden. Diese Funktion hat Ferggl heute noch in
Meran: Ferggl troogn (Statuen auf entsprechendem Gestell bei der
Prozession tragen); dazu im äußeren Ötztal Farggele (Statue auf
Gestell). Das stimmt mit dem Gebrauch des Wortes im klassischen Rom
überein, wo nicht nur die Servierplatten, sondern auch die einzelnen
Gerichte, die aufgetragen wurden, fercula genannt wurden. Im hinteren
Ötztal hingegen ist Farggla das, was bei uns die Pferggl ist. Was
in Hinterpasseier derHaizuig ist, nennt man im äußeren Tal
Ziëchpferggl (Flachschlitten mit Bindezubehör). Romanische Belege
sind buchenstein. fierkla, grödn. fiertla, fassan. fierkia. Gegen
Krefelds Behauptung, es finde sich nur im Dolomitenladinischen und
Friaulischen, spricht der Beleg fercol bei Azzolini für das
Roveretanisch-Trentinische. Mit der Ablehnung von Hornungs Theorie,
die tirolischen Belege seien aus dem Ladinischen entlehnt, hat Krefeld
sicher recht, denn es gibt hier keinen Reflex der ladinischen
Diphthongierung. Es handelt sich also sicher um ein Reliktwort.Pferggl Foto: Florian Lanthaler
SpoolI (Bindeholz für den Rohlederstrick), bei uns als Holz- und
Haispool in Gebrauch. Es gibt in den Alpen zwei romanische Wörter
für den hölzernen Bindekeil von Seilen oder Stricken für den Holz- und
Heutransport. Die in den Westalpen verbreiteten Wörter gehen auf das
griech.-lat. trochlea (Rolle, Winde, Flaschenzug) zurück, das vor
allem in der Anatomie für Gelenkteile verwendet wird. Im östlichen
Teil der Alpen, also in Graubünden und Tirol, wird dieses Gerät mit
dem rom. Wort spola, bei uns Spool, bezeichnet, das auf das
Langobardische zurückgeht, über welches es in die norditalienischen
Dialekte gekommen ist. Ausgangspunkt ist das german. Wort für Spule, ahd. spul oder spule, in
nördlicheren Varietäten spol, spöl etc. Da der Holzspool (der für
den Heutransport hat eine völlig andere Form, wird aber wegen seiner
Funktion in Analogie auch Spool genannt) dem Weberschiffchen
gleicht, wird er, da dieses ja auch eine Spule enthält, im
Italienischen auch “spola”, und im Deutschen “Spule” genannt. Ein Standardwort für dieses Gerät gibt es nicht, daher tasten sich die
Linguisten mit Gelegenheitsbezeichnungen heran. So wird es im
Italienischen mit “fibbia, anello, moschettone” bezeichnet; neuerdings
scheint sich eher “troclea” durchzusetzen (Rivoira/Genre 2011). In der
Schweiz und in Vorarlberg wird es mit “Verschlagholz” übersetzt. Moser
übersetzt es mit “Keil zum Binden des Heufuders” und auch wir
verwenden im Passeirer Wörterbuch die Umschreibungen “hölzerner
Bindekeil zum Verknüpfen der Holzstricke” und “Holzteil zum
Verknüpfen der Haistricke”. Im Trentino ist es noch als spola,
gelegentlich (mit l-r-Wechsel) als spóra, spöre erhalten. In den
ladinischen Tälern ist es wahrscheinlich aus dem deutschen Dialekt
importiert, worauf z.B. “riel” (für unser Driëlile) zum Fixieren von
Seil oder Stricke im Ennebergischen hinweist. Erstaunlich ist für
mich, dass unter den 30 bei Rivoira/Genre abgebildeten und
beschriebenen Typen des Gerätes zwar die Form unseres Holzspools,
nicht jedoch unser Haispool vertrten ist.
Maße und Gefäße
Es mag sonderbar erscheinen, dass Maße und Gefäße hier zusammen
erscheinen, aber Gefäße werden oft als Maßeinheiten für Flüssigkeiten
und Getreide genutzt.
Fraggile (kleines Flüssigkeitsmaß, (1⁄8 l). Man führt das Wort auf
das frz. flacon (Fläschchen) zurück, das seinerseits wieder auf ein
romanisiertes germ. flaska (Flasche) zurückgeht.
Zumme (hölzernes Rückentragegefäß für Flüssigkeiten oder Getreide).
Das gebinderte Gefäß wurde mehr im Weinbaugebiet verwendet, aber man
hatte es auch in Passeier. Es beruht auf dem griech.-lat. cymba (Kahn,
Trog).
Iirn (gebindertes Gefäß, Bottich). Neben dem Laagl der wichtigste
Transportbehälter für Wein auf der Kraxn, auch Flüssigkeitsmaß mit
ca. 40 l. Zu lat. urna (Krug, Kübel), rom. urna (Krug, Urne), in
älteren Dokumenten meist als Yhrn geführt.
Laagl (gebindertes Gefäß für den Flüssigkeittransport). Während die
Iirn getragen wurde, wurde das Laagl – ein flaches, bauchiges
Gefäß mit ca. 80 l Fassungsvermögen – auf Wagen und Schlitten
geliefert. Es geht auf mlat. lagena (Flasche) zurück, vielleicht
ursprünglich auf griech. lagys, eine bauchige Amphore mit Hals.
Staar (gebindertes Getreidemaß). Zu lat. sextarius (Getreidemaß),
engad., friaul. ster. Wir haben es in zwei Größen: Kournstaar, 24 l,
und Fuëterstaar, 45 l; daneben gibt es auch ein Hålpstaar, ca.
15 l.
Taufe (Daube). Unser Dialektwort hat denselben Ursprung wie das
hochdeutsche Wort, ist allerdings auf eigenem Weg zu uns gekommen. Es
geht auf mlat. doga (Graben, Damm, Fassdaube) zurück, erscheint im
Dolomitenladinischen noch als doa, engad. duva, duba. Das f deutet
auf eine frühe Entlehnung hin. Zwar hat man in Passeier kaum Fässer
hergestellt, aber man hat sie gebraucht, und die Taufn kannte man
auch, weil manche mit Dauben die ersten Ski-Erfahrungen machten.
Ziggl (Ziehbrunnen). Zu lat. situla (Eimer), rom. sitella (kleiner
Eimer), enneberg. sëdla (Schaff), engad. sadela (Eimer). Bei uns ist
die Bezeichnung für den Eimer, mit dem man das Wasser aus dem
Tiefbrunnen zieht, auf die gesamte Anlage, also den Brunnen,
übertragen worden.
Prente (Bottich). Wir haben vor allem die ovale, gebinderte
Waschprente. Das Wort Brente ist für Holzgefäße verschiedenster Art
im gesamten romanisch-deutschen Grenzgebiet den Rhein entlang, in
Vorarlberg und in der Ostschweiz verbreitet. Es handelt sich um ein
gall.. Reliktwort, das in einem Großteil der genannten Gegenden eine
zweite Bedeutung aufweist, nämlich ‘Nebel’, die wir nicht kennen. Rom.
brenta (Tragekorb für Trauben), engad. brainta, friaul. brente, auch
in oberit. Dialekten vorhanden: Im Trentino gab es nach Azzolini
brenta (kleinerer Bottich) für die Wäsche und brentom (großer Bottich,
oben enger werdend) für den Wein.
Gganter (Rückentragegefäß). Ursprünglich griechisch, lat. cantharus
(bauchiges Gefäß, Kanne, Krug). Wir hatten zwei: einen größeren, fast
runden aus Blech, und einen etwa 12 l fassenden, flachen, aus
Aluminium, den deutsche Soldaten auf dem Rückzug zurückgelassen
hatten, die beide keine Ähnlichkeit mit dem haben, was in den
Weinbaugebieten unter Ganter verstanden wird. Uns dienten sie dazu,
im Sommer die Milch von Föss, unserem Almgebiet, zum Hof zu tragen.
Pånzn (Fass). Lat. pantex, -ice (Wanst, Bauch), friaul. pantse, it.
pancia, enneberg. pantëc (Wanst der Tiere), panzüla, gadert. panzöla
(Fresswanst, Vielfraß). Sowohl die Bedeutung als auch die Form deuten
auf ein Relikt, nicht eine spätere Entlehnung.
Pippe (Fasshahn). pipa (Pfeife). Während das gesamtdeutsche “Pfeife”
schon in voralthochdeutscher Zeit entlehnt wurde, aus mlat. pipa, von
pipare (piepen, pfeifen), ist unser Wort für den Fasshahn erst nach
der Lautverschiebung in den Dialekt gekommen.
Melter (gebindertes Gefäß mit Tragdaube, Maßeinheit für Getreide und
Flüssigkeiten). Es dürfte auf lat. mulctra (Melkkübel) zu mulgere
(melken) beruhen.Melter Foto: Florian Lanthaler
Schåmmesåck (Jutesack). Rom. soma (Last des Saumtieres,
Transportbehälter zw. 66 und 143 l). Das Wort ist wahrscheinlich über
den Handel zu uns gekommen und erst später auf den aus Jute
hergestellten Kartoffelsack angewandt worden.
Gebrauchsgegenstände
Kårtn, kårtn (Kardätschen, kardätschen). Das Nomen Kårtn (Pl.) und
das Verb kårtn sind nicht über das Standardwort in den Dialekt
gekommen, denn jenes ist schon von dem romanischen Wort carduus
(Distel) + Suffix -acia, dazu it. cardeggiare, abgeleitet. In mehreren
romanischen Sprachen gibt es carder, cardar für ‘Wolle kardätschen’.
Unser Wort bezieht sich direkt auf carduus, also die ‘Distel’, die
wohl ursprünglich zum Wollekårtn gebraucht worden ist, später
bezeichnet es auch eine ‘Pferdebürste’. Allerdings gibt es auch in der
Spinnerei eine Karde zum Glätten der Wollfasern.
Gluufe (Stecknadel). Das Wort, das in vielen Tiroler Dialekten für
Stecknadel oder Sicherheitsnadel steht, dürfte auf lat. clavis (Nagel)
zurückgehen. Es ist in friaul. klav noch anzutreffen, engad. glua ist
schon nahe an der Lautung unseres Wortes.
Speennoodl (Haarnadel). Zu rom. spīnula (kleiner Dorn, kleine
Nadel), Diminutiv zu spina (Dorn, Stachel), it. spilla (Stecknadel),
im Veltlin spìla . Unser Wort besteht aus dem Original plus
Übersetzung (anstelle des Suffixes). Nachdem der erste Teil nicht mehr
verstanden wurde, hat man das Suffix durch eine Bezeichnung des
Gegenstandes in der eigenen Sprache ersetzt und das alte Wort als
Gattungsbezeichnung stehen lassen (wie bei Åltfåltsch).
Faatsche (Binde, Band). Das Wort wird oft auf it. fascia
zurückgeführt, es kommt jedoch in allen romanischen Sprachen vor und
sowohl die Lautung als auch die Verbreitung und die weit gestreute
Semantik legen eher ein Relikt oder eine sehr frühe Entlehnung nahe.
Dazu enneberg. fasc (Bündel, Büschel), fascia (Verband, Windel,
Wandleiste) sowie auch engad. fascha (Binde, Verband). Faschettn
hingegen stellt eindeutig eine rezente Entlehnung aus it. fascetta
dar. Zum Substantiv haben wir auch das Verb faatschn (binden,
wickeln).
Knoschpe (Schuh mit Holzsohle, grober, schwerer Schuh). Zu rom.
cuspu (Holzschuh), engad. cuosp, grödn. cospes noch erhalten. In
einigen Dialekten in der Bozner Gegend noch Koschpm, sonst überall
Knoschpm. Die Einfügung des n (Epenthese) ist schon früh
erfolgt.
Påss (Löffel). Der alte, runde Löffel, der ursprünglich aus
Buchsbaumholz gedrechselt oder geschnitzt war, wurde so genannt. Zu
lat. buxus, it. bosso. Zwar lautgeschichtlich nicht schlüssig wegen
des offenen o (Lautschrift ɔ), könnte jedoch durch PåssI (Pass)
und PåssII (Bass) im Passeirer Wörterbuch beeinflusst sein.
Verschiedenes
Grålle (Körnchen, Perle) bezeichnet vor allem die Perlen des
Rosenkranzes, aber auch die einer moussierenden Flüssigkeit. Es kommt
vom griechischen Wort korallion, lat. corallium, spätlat. corallum,
engad. cural.
Miigile (Kleinigkeit). lat. mica, micula (Körnchen), trent. migol,
migola (wenig, kurzer Moment). Ob amiigl nit [nur unter großen
Schwierigkeiten] von mhd. unmügelich oder von Miigile, also nit a
Miigile (nicht ein bisschen) kommt? Es könnte auch sein, dass das
eine das andere gestützt hat.
piitschn (das Totenmahl halten). Das Wort wird in Passeier
verstanden, verwendet jedoch nur bei den Nachbarn im Burggrafenamt. Da
es sich ursprünglich wohl um eine bestimmte Brotform handelte, die bei
dieser Gelegenheit gereicht wurde, könnte es auf buccella (ein kleines
Brot), zurückgehen, engad. bütschella (Ostergebäck), ueng. bitschlun
(längliches Brot).
Merende (Nachmittagsimbiss). Obwohl es auch ital. merendina (kleiner
Imbiss) gibt, ist unser Wort sicher aus dem Rätoromanischen gekommen.
In allen rom. Sprachen von Portugal bis Rumänien gibt es merenda oder
ähnliche Lautungen für das ‘Abendbrot’. Enneberg. marëna
(Mittagessen), picia marëna (Jause), trent. marenda
(Nachmittagsjause), engad. marenda; in einer Reihe roman. Sprachen
auch merendar(e) (zu Abend essen).
Flender (Staub-, Rußteilchen). Im Ötztal und Oberinntal als
Flanderle. Vielleicht zu lat. flare (wehen), wie Moser vermutet.
Ggoggn (eitrige, entzündete Stelle). Rom. coccu (Fruchtkern). In
vielen it. Dialekten, aber auch in frz. für etwas ‘Rundes, wie Beere,
Nuss, Muschel, Ei’. Wie öfter bei Entlehnungen ist die Semantik hier
in der Zielsprache auf eine Bedeutung eingeschränkt.
Mearscher (Mörser). Schon ahd. mortari und morsari von lat.
mortarium, surselv. marschlar (im Mörser zerstoßen). Unser Wort steht
sowohl für das Küchengerät ‘Mörser’ als auch für den ‘Böller’ und den
‘Granatwerfer’.
ootscheppiërn (sich davonmachen). Rom. ex-cappare (entwischen). Es
geht auf dieselbe lateinische Ableitung von cappa zurück wie das it.
Wort scappare, ist aber nicht erst von diesem übernommen worden.
Piiz (kleiner Kerl). Zu picc-, siehe unter pitschl.
pitschl (knapp). Zu rom. picc- (Schallwort für ‘klein’), enneberg.
picio, pici, bündner. pitschel. Im Ennebergischen stehen piz und pic
gleichwertig nebeneinander für ‘Winkel, Zipfel’. Sie enthalten
knapper, enger werden’, was zu unserem pitschl passt.
Pråttign (dickes Buch). Rom. practica (ursprünglich ‘Unterhandlung,
Gespräch’, später ‘Kalender’).
spuudern (prusten). Lat. sputare, engad. spüder, enneberg. spöde.
Letzteres scheint auch unsere Semantik abzudecken.
sutzlin (saugen). Rom. *suctiare und *suculare (saugen), eng.
tschütscher, gadert. ciucé. Da es im gesamten bairischen Gebiet
verbreitet ist, könnte es auch einfach lautmalerisch entstanden sein,
es kann aber auch aus den romanischen Formen entlehnt sein.
*Ruutschile (Haarkringel, Person mit krausen Haaren). Rom. ericiu.
dazu ruutschilit.
Tråchter (Trichter). Lat. trajectorium. Das Dialektwort hat
denselben Ursprung wie das Standardwort, hat jedoch eine eigene
Entwicklung durchgemacht.
Wörter, die wir nicht haben
Es gibt eine Reihe von Reliktwörtern bei unseren Nachbarn, die wir nicht
haben. Das hat einerseits damit zu tun, dass das Passeier kein
Weinbaugebiet war und daher die entsprechende Fachterminologie, die von
den Romanen übernommen worden war, hier keine Rolle spielte. So wissen
wir zwar, was Torggl und Pergl bedeuten, sie gehören zu unserem
Südtiroler Gesamtwortschatz, aber wir kennen Proofn und Pataun
nicht. So haben wir auch Pazaide, zu lat. becceda nicht, ein
Schöpfgefäß und Flüssigkeitsmaß bei den Weinbauern im Etschtal, aber
Laagl und Iiirn, die großen Transportgefäße für Flüssigkeiten, die
derselben kulturellen Nische entstammen, haben wir auch, weil sie
einerseits im Passeier auch für andere Flüssigkeiten Verwendung fanden,
und andererseits, weil die Passeirer Träger und Säumer sie für den
Weintransport über Jaufen und Brenner gebraucht haben.
Was Kühebacher (1971,75) als Kesch, Kous, Keschpinggl für
‘Engerling’ oder ’ Raupen’ im Vinschgau und im Etschtal registriert,
führt Ladurner-Parthanes (1972,11) für das Etschtal als Gossn für den
‘Traubenwickler’, zu rom. cossu, ueng. cos ‘Engerling’. Da das Passeier
vom Traubenwickler verschont war, hat unser Dialekt auch dieses Wort
nicht.
Auf der anderen Seite war bei uns die ausgeklügelte Wasserversorgung mit
den eigens dazu geschaffenen Regeln der Zuteilung, wie sie im trockenen
Vinschgau auf vorrömische Zeiten zurückging, nicht notwendig, sodass wir
zwar Roade haben, aber eben nicht Pinggeer, Puntair usw., weil wir
die entsprechenden Vorrichtungen nicht kennen.
Natürlich haben nicht alle Dialekte dieselben Reliktwörter übernommen
oder behalten, und so haben wir auch für Reliktwörter in
Nachbardialekten oft eigene Bezeichnungen. So sagen wir zu den
Hagebutten, die die Vinschger Pfrousln nennen, zu rom. frausola,
Hëtschepetsch, und zur Bergschafgarbe, die im Vinschgau Jochseefer
heißt, zu rom. iva, sagen wir Jochgråmille.
Weit verbreitet ist im westlichen Tirol, so im Vinschgau und im
Oberinntal, ramailn, gramailn für ‘wiederkäuen’. Es geht auf lat.
remagulare zurück; dafür haben wir indruckn. Während in Vorarlberg und
im Oberinntal die alte lat. Form pulla durch das galloromanische
poulette ersetzt wurde, was dann vielerorts Pullättlein, Plättlein
oder Plätte ergab, hat sich im Ötztal und bei uns die alte Form
Pulle/Pullile erhalten.
Die Ausfälle beim Buttereinkochen, bei uns Trouse, nennt man im
Vinschgau Fëile, was dem obereng. vełas, viłaunas entspricht.
Resümee
Wie E. Schneider bereits 1963 festgestellt hat, verarbeitet der Dialekt
auch Wortgut fremden Ursprungs und macht es sich so zu eigen, dass es
nicht mehr als fremd erkannt wird. Wer würde schon unter Åltfåltsch
ein romanisches Wort – oder vielmehr dessen Übersetzung – vermuten
oder gar bei Tåttermandl oder Pëiglgoaß die komplexe Mischung aus
romanischem Wortstamm und dialektaler Interpretation!
Die ursprünglichen Wortstämme erscheinen nicht nur lautlich vollkommen
angepasst, sondern auch in der Wortbildung und Formgebung (Morphologie).
So kann zu paratschaaupraatschn gebildet werden und zu hircus das
Substantiv Jarz und dazu wieder das Verb jarzn. Und die
umlautfähigen Vokale in den Wörtern nehmen den Umlaut genauso an wie
deutschstämmige Wörter, so zu Wool eben Waale und Waalile, zu
RoadeReadl und zu GgstraunGgstraine usw. Was wir bei späteren
Entlehnungen gesehen haben – z.B. Pilouber – ist im Dialekt also
schon immer passiert.
Die Vielzahl der Reliktwörter für bestimmte Lebensbereiche mag auf den
ersten Blick erstaunlich wirken, aber wenn wir an die
Besiedlungsgeschichte denken, auf die einleitend kurz verwiesen wird,
lässt sie sich gut erklären.
Und dass in Gegenden, die länger romanisch waren – wie der von Chur
beherrschte Vinschgau oder das Etschtal, das noch von den Langobarden
besetzt war, als Meran schon deutsch besiedelt war –, mehr Reliktwörter
erhalten geblieben sind, ist ebenfalls verständlich.
Wichtiger jedoch als die rein sprachliche Entwicklung dieser Wörter,
Sowohl die lautgeschichtliche Entwicklung als auch die
inhaltlichen Verschiebungen sind in der angegebenen Literatur bei
Schneider, Klausmann, Krefeld, Jud eingehend beschrieben.
ist die Geschichte, die sie uns erzählen. Um nur ein Beispiel zu nennen:
Die Namensforscher sagen uns, dass Gomion ein Prädienname sei, der auf
einen Camiu zurückgehe. Prädien sind Güter, die Beamte oder Veteranen
vom römischen Staat bekamen. Allerdings ist dieser Camiu nirgends
registriert, und unser Ggåmioon könnte auch so heißen, weil gomión in
unserer italienischen Nachbarschaft, dem Nonsberger Dialekt, ‘Ellbogen’
heißt, das wiederum für eine Kehre oder eine scharfe Wegbiegung stehen
und ein Geländename sein kann, wie durch Ellbögen an der Westseite des
Patscherkofels belegt ist –- wenn die frühen Belege nicht von Camiano sprächen. Das eine wie das andere würde beweisen, dass
der romanische Teil unserer Vorfahren diese Gegend schon zu einem Teil
urbar gemacht hatte, als unsere bajuwarischen Vorväter ins Land kamen.
Und gerade die oben angeführten Reliktwörter weisen darauf hin, dass die
einen von den anderen gelernt haben sich in dieser unwirtlichen
Bergregion auf eine Art einzurichten, die es ihnen ermöglichte hier eine
sichere Existenz aufzubauen und über Jahrhunderte zu erhalten.
Ggåmioon Foto: Florian Lanthaler
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Schneider, Elmar (1963): Romanische Entlehnungen in den
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Schöpf, Johann Baptist (1866, Reprint 1985): Tirolisches
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Schorta, Andrea (19993): Wie der Berg zu seinem Namen
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Tirolischer Sprachatlas (1965 – 1971), 3 Bde., hrsg. von
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Videsott, Paul/Plangg, Guntram A. (1998): Ennebergisches
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Vorarlberger Sprachatlas mit Einschluss des Fürstentums
Liechtenstein, Westtirols und des Allgäus, hrsg. von Eugen gabriel und
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Zingerle, Ignaz V./Inama Sternegg V. K. Teodor (Hrsg.)
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Tirolischen Weisthümer. IV. Theil: Burggrafenamt und Etschtal, Erste
Hälfte (Österreichische Weisthümer, 5. Bd.). Wien.
Abkürzungen
german. germanisch
ahd. althochdeutsch
mhd. mittelhochdeutsch
bündn. bündnerisch
engad. engadinisch
oeng. oberengadinisch
ueng. unterengadinisch
lat. lateinisch
spätlat. spätlateinisch
mlat. mittellateinisch
rom. romanisch
vorrom. vorromanisch
lad. ladinisch
gadert. gadertalisch
enneberg. ennebergisch
grödn. grödnerisch
friaul. friaulisch
trent. trentinisch
it. italienisch
frz. französisch
ON Ortsname
VALTS Vorarlberger Sprachatlas mit Einschluss des Fürstentums
Liechtenstein, Westtirols und des Allgäus
REW Romanisches etymologisches Wörterbuch von Meyer-Lübke