Dialekt und anderes
Franz Lanthaler
siëg, tat, glaabit
Der Konjunktiv
“Weer nit mågg, deer håt khåp!”, pflegte man zu Kindern zu sagen, die
sich weigerten eine bestimmte Speise zu essen. Und dann wurde der Tisch
abgeräumt. Diese Aussage steht im Indikativ, der Form des Verbs
(Zeitwortes), die angibt, was “wirklich” ist (vom lateinischen Wort
indicare
, ‘angeben, anzeigen’). Der obige Spruch sagte etwas
unverrückbar Wahres aus, denn, wer seine Suppe nicht gegessen hatte,
ging dann ungessner in Pëtt (ohne Abendessen ins Bett). Neben dieser
Form des Verbs gibt es auch noch den Konjunktiv, der nicht aussagt, was
ist, sondern was gedacht oder behauptet wird oder was sein könnte oder
unter bestimmten Bedingungen wäre. Den Konjunktiv gibt es in zwei
Formen: den Konjunktiv I (auch Konjunktiv Präsens genannt, weil er vom
Präsensstamm des Verbs gebildet wird), z. B. bei hochdeutsch “gehen” und
“sagen”: “Sie sage
schon die Wahrheit, aber sie gehe
nicht gern zur
Schule.” Und den Konjunktiv II (der vom Präteritumstamm des Verbs
gebildet wird), wiederum Beispiele von gehen und sagen: “Es ginge
schon
gut, wenn er nur die Wahrheit sagte
.”
Diese Konjunktive gibt es auch im Dialekt, was ja für den Konjunktiv II erstaunlich ist, weil es das Präteritum oder Imperfekt, wie man es früher genannt hat, aus dessen Stamm er gebildet wird, im Dialekt nicht gibt.
Der Konjunktiv I ist für die indirekte Rede, d. h. er gibt das wieder, was jemand sagt, denkt, meint oder gesagt, gedacht hat usw., aber eben nicht in direkter Form. Wir hören ihn jeden Abend in den Nachrichten: “Der Landeshauptmann hat gesagt, ob er noch einmal kandidiere, hänge von der Aufarbeitung der SAD-Affäre ab.” So gibt der Sprecher oder die Sprecherin die direkte Rede des Betroffenen wieder. Meist werden diese Äußerungen eingleitet durch soogn, pihaupm, derzëiln. Das funktioniert natürlich nur in der zweiten und dritten Person, nicht mit der ersten, denn wenn ich etwas sage, ist es ja immer direkte Rede, z. B. Ii soog, du kimmsch zi spaat (ich sage, du kommst zu spät). Auch wenn das so ausgesprochen bedeutet “Ich wage zu behaupten, ich bin mir ziemlich sicher, dass du zu spät kommst”. Anders, wenn der Toondl sagt: Dës dertuë ii nou laicht, und die Seffe erzält dann dem Luis: Er håt ggsågg, dës dertië er nou laicht (er hat gesagt, das schaffe er zeitlich noch leicht). Der Toondl war sich sicher, dass ers dertuët; die Seffe hingegeben gibt nur wieder, was er gesagt hat, sie behauptet nicht, dass ers dertuët. So auch bei: Sii pihaupit, sii wëll fi den ålln nicht wissn (sie behauptet, sie wolle von all diesen Dingen nichts wissen), oder: Sii hoobm filaicht gimuant, es gea asou aa (sie haben vielleicht geglaubt, es gehe auch so).
Im Redezusammenhang werden Äußerungen in dieser Form nicht immer direkt mit einem der oben genannten Wörter eingeleitet, sondern es kann einfach heißen: er tië gearn a pissl trinkn (er trinke gerne etwas über den Durst), oder: sii dertroog nit ålls alluëne huëm (sie sei nicht imstande alles allein heim zu tragen). Jedoch auch in diesen Fällen muss man sich eine entsprechende Einleitung denken, wie: man heart, es wert derzëilt usw.
Redewendungen, wie sie in der Hochsprache mit dem Konjunktiv vorkommen: “Sei dem, wie dem sei; es komme, was da wolle” usw., gibt es im Dialekt nicht. Allerdings ersetzt der Konjunktiv heute den alten Imperativ (Befehlsform) pis. Während meine Eltern noch sagten pis stille! (sei still) oder pis dëcht froa (sei doch froh), hört man heute nur mehr sai stille!, sai froa usw.
Die Bildung des Konjunktiv I für die 3. Person Einzahl ist relativ einfach: man lässt das Endungs-t weg, also statt sii geat – sii gea, eer rennt – eer renn usw. Damit lautet diese Form dann gleich wie für die 1. Person: ii gea, ii renn, hat aber eine ganz andere Bedeutung. Wenn Verbstämme auf -b, -d, -g ausgehen, bilden sie den Konjunktiv der 3. Person mit dieser Endung, während sie im Indikativ dann ja auf -p, -t, -gg ausgehen: sii glap – sii glaab, er rët – er rëid, man sågg – man soog. Wie man sieht, verändert sich hier auch manchmal die Länge des Vokals vor der Endung. Etwas komplizierter wird es bei Verben, die die Stammform ändern, z.B. kemmin – ii kimm – eer kimmp. Hier richtet sich der Konjunktiv nach dem Stamm des Infinitivs kemmin: er kemm oft zi spaat (er komme oft zu spät). So bei vielen Verben: er mëig, soog, helf, geeb, piëg. Das gilt auch für die 2. Person: man heart, duu tiësch Heenig ferkaafn (man hört, du verkaufest Honig). Würde man sagen: man heart, du ferkaafsch Heenig, würde sich der Konjunktiv nicht vom Indikativ unterscheiden, und man heart, duu ferkaafisch Heenig wäre schon Konjunktiv II und würde bedeuten ‘du möchtest’ oder ‘du würdest Honig verkaufen’.
Diesen Konjunktiv gibt es auch für das Perfekt, also für Vorzeitiges. Eer pihaupit, er hoob dës nië kheart (er behauptet, er habe das nie gehört), duu håsch ggsågg, sii sai schun entn giweesn (du hast gesagt, sie sei schon drüben gewesen). Nach muën und denkn kommt der Konjunktiv nicht so häufig, weil mit diesen ja schon angedeutet wird, dass etwas nicht bestätigt, sondern nur erahnt wird.
Wenn man diese Formen im Dialekt immer seltener hört, dann zeigt sich hier dasselbe wie in der Hochsprache. Auch dort kann das obige Beispiel lauten: “Sie haben vielleicht geglaubt, es geht auch so.” Schade wärs um diesen Konjunktiv allemal, denn er schafft Klarheit darüber, ob etwas nur gedacht oder nur behauptet, aber nicht als sicher angesehen wird. Er erlaubt es uns, in der Sprache Feinheiten herauszuarbeiten, die unsere Beziehung zur Wirklichkeit viel genauer wiedergeben als es der Indikativ vermag.
Anders als der Konjunktiv I steht der Konjunktiv II für etwas, was als nicht wirklich gedacht ist. Im Standard wird dieser Konjunktiv mit dem Stamm des Präteritums gebildet und lautet bei regelmäßigen Verben dann gleich wie der Indikativ: stellte - stellte, machte – machte. Nur bei sog. starken, also unregelmäßigen Verben unterscheidet sich der Konjunktiv II vom Präteritum: nahm – nähme, zog – zöge usw. Im Dialekt nun gibt es das Präteritum wie nahm und zog nicht, sondern wir verwenden nur das Perfekt: sii håt ginåmmin, miër hoobm gizouchn. Aber den alten Stamm dieser Form gibt es auch im Dialekt Wir geben ihn in der 2. Auflage des Wörterbuches (in Vorbereitung) an: namm, zuuch, triëg. . Bei den regelmäßigen Verben ist das anders. Hier fügen wir dem Verbstamm ein -it an und haben den Konjunktiv II: stëlln – stëllit, glaabm – glaabit, muën – muënit. Zusätzlich zu diesen beiden Formen der Bildung des Konjunktivs II gibt es noch die Möglichkeit einer Mischform sowie der Umschreibung mit tat oder wuur. Bei einer Befragung Beschrieben in dem in WOZU erwähnten Artikel “Systemverändernde Tendenzen …” von 1974. , die ich 1969/70 im ganzen Tal gemacht habe, kamen bei plaibm folgende Formen dieses Konjunktivs vor: er pliib (stark oder unregelmäßig), er plaibit (schwach oder regelmäßig), er pliibit (Mischform), er tat plaibm (Umschreibung). Da die gemischte Form pliibit, bei welcher die unregelmäßige Stammform des Verbs mit der Endung der regelmäßigen Verben kombiniert wird, nur gut 1% der knapp 2.000 Fälle ausmachte und nur in der Befragung, nie bei Aufnahmen von Gesprächen vorkam, kann man sie vernachlässigen. Das ist deswegen interessant, weil im Bayerischen (also im Bundesland Bayern) dieser Konjunktiv immer mit der Endung -ad gebildet wird, auch bei den unregelmäßigen Verben: “schlogad, springad, vagessad” Zehetner, Ludwig (2010): Baßt scho! Band 2. Regensburg: vulpes, S. 140. . Bei uns – und im Ulten und gelegentlich in der Sterzinger Gegend – ist der starke oder unregelmäßige Konjunktiv erhalten geblieben, während die meisten anderen Dialekte schon bayerische (oder mittelbairische) Verhältnisse haben, mit -et oder -at auch an unregelmäßigen Verben, z.B. seechat oder saachat, wo wir sagen: wennermi grod entl saach! CD-Rom mit dem “Sprechenden Dialektatlas” in: Scheutz, Hannes (Hrsg.) (2016): Insre Sproch. Deutsche Dialekte in Südtirol. Bozen: Athesia. (wenn er mich doch endlich sähe!). Im Passeier sagen wir eben: ii saach, duu nammsch, er gang, miër prachtn, dës tat, sii wuurn (ich sähe, du nähmest, er ginge, wir brächten, ihr tätet, sie würden). Auch bei Verben, die in der Standardsprache regelmäßig sind, haben wir manchmal den unregelmäßigen Konjunktiv: wenn duu siëggsch, wenn sii friëg (wenn du sagtest, wenn sie fragte).
Dass man diese Formen mit tat umschreiben kann, haben wir schon oben gesehen: er tat plaibm. Bei regelmäßigen Verben muss man manchmal sogar die Umschreibung benutzen, denn man kann zwar sagen wenner ausstëllit (wenn er ausstellte, ausstellen würde), aber wennsis derrichtit wäre nicht als Konjunktiv erkennbar; hier müsste man sagen wennsis derrichtn tat (wenn sie es zustande brächte). Auch * Das Zeichen * steht vor ungewöhnlichen oder nicht gebräuchlichen Formen. wenner rëidit würde man bei uns nicht sagen, sondern wenner rëidn tat (wenn er redete, reden würde).
Der Gebrauch des Konjunktivs II im Dialekt ist mehr oder weniger derselbe wie der, den wir in der Schule für die Standardsprache gelernt haben.
Vor allem dient dieser Konjunktiv dazu, Unwirkliches, nur Vorgestelltes wiederzugeben. Gëschter waari påld mitn Poschtaute zåmmggfoorn (gestern wäre ich beinahe mit dem Bus zusammengestoßen). Zum Glück ist das nicht passiert. Da man sich das, was man hat, nicht zu wünschen braucht, werden vor allem Wünsche in dieser Form geäußert. Wennis lai amåll zi fåssn kriëgit! (wenn ich es doch endlich zu fassen bekäme!). Wenner entl amåll kamm! (wenn er doch endlich käme!). Sii waar ålbm gearn Pairin giwortn (Sie wäre immer gern Bäuerin geworden). Auch in Sätzen, die mit dass eingeleitet werden, kann diese Form auftreten: Er hatt gearn khåp, dass sii dës iibernammin (er hätte sich gewünscht, dass sie das übernähmen). Damit wird angedeutet, dass das, was er sich wünschte, dann nicht geschehen ist. Eer håt giwëllt, dass sii dës iibernemmin (er wollte, dass sie das übernehmen) würde dann eher heißen, dass sein Wunsch erfüllt wurde.
Am häufigsten jedoch kommt der Konjunktiv II in Bedingungssätzen vor, allerdings nur bei Bedingungen, die nicht eingetreten sind oder die nicht erfüllbar sind. Wennse kemmin waar, hattmers gëschter ålls dertoon (wenn sie gekommen wäre, hätten wir gestern alles geschafft). Ein gängiger Spruch ist: Wenn di Kåtz’a Henne waar, tats’aa Oare lëign (Wenn die Katze eine Henne wäre, würde sie auch Eier legen). Anders als in der Standardsprache kann wuur nicht im Wennsatz stehen: “Wenn sie kommen würde”, ist möglich, *wennse kemmin wuur, geht nicht. Manchmal werden auch Fragen so in der Wennform gestellt: Und wemmer frisch ggschwind ånhngangin? (und wenn wir gleich hinübergingen?). Gemeint ist: wie wäre es, wenn …?, oder: warum gehen wir nicht gleich hinüber?
Bei der Umschreibung mit wuur (würde) ist außerdem zu beachten, dass sie nicht gleichwertig mit der synthetischen Form des Konjunktivs ist, dass also sell wuur schun giën nicht einfach für sell gang schun (das ginge schon) steht, da nämlich wuur eine zusätzliche hypothetische Komponente mit ins Spiel bringt, wie das bei weern überhaupt der Fall ist. Während der synthetische Konjunktiv gang besagt, dass man, falls die Bedingungen gegeben sind, damit rechnen kann, dass “es geht”, ist bei wuur giën die Wahrscheinlichkeit noch einmal eingeschränkt, denn die Formulierung bedeutet so viel wie “es könnte gehen” oder “es ginge vielleicht”. Und so wie bei der indirekten Rede mit dem Konjunktiv I (siehe oben) ist die Umschreibung mit wuur in der 1. Person bei Verben der Wiedergabe ebenfalls ungrammatisch. Man kann sagen ii wuurs dertiën (ich würde es [vielleicht] zeitlich schaffen), aber man kann nicht sagen *ii soog, ii wuur kemmin (ich sage, ich würde kommen).
Auch höfliche Bitten oder Wünsche drückt dieser Konjunktiv aus. Kanntsch duu miër a Raindl laichn? (würdest du mir bitte eine Reine leihen?), gangschimer reasch um ar Kåndl foll Wåsser? (würdest du mir bitte schnell einen Kübel Wasser holen?), tasch duumer dës Ggfraas aweck? (würdest du mir bitte dieses Staubkorn entfernen?). Allerdings kann auch eine unwirsch geäußerte Aufforderung diese Form haben: wenn dësmer a Momentl ausstëlln tat! (wenn ihr mir einen Augenblick ausstellen würdet!).
Auch Floskeln, die eine Aussage einleiten, werden so formuliert. Ii waar der Oonsicht … ( meiner Meinung nach …). Wenn man einen Widerspruch vorsichtig formulieren will, damit er nicht zu schroff wirkt, eignet sich dazu ebenfalls der Konjunktiv: Ii siëg sell nit (das würde ich nicht so sagen) oder ii waar iënder der Muënign, dass … (ich wäre eher der Meinung, dass …). Überraschung oder Verärgerung kann dieser Konjunktiv ebenfalls ausdrücken: Iëz gangs når! (das ist doch die Höhe!). In Schilderungen dient diese Form dazu, das Geschehen als sehr intensiv zu beschreiben: Zem waars sepprat augångin! (da war erst richtig was los!); nåcher waar uënder auggfrourn (da wurde er richtig zornig).
Manchmal gibt der Konjunktiv auch Wirkliches wieder, so zu sagen erfüllte Bedingungen, die dann allerdings nicht ausgenutzt werden oder werden können. Sii waarn schun girichtit giweesn, ober s Wetter håt nit miitggspiilt (sie wären schon bereit gewesen, aber das Wetter hat nicht gepasst), eer hatt schun drau gipasst, asser zuëkam (er hätte schon darauf gewartet, dass er eine Chance bekäme). Der Konjunktiv drückt hier aus, dass da einer wirklich gewartet hat, dass das jedoch vergeblich war.
Zwischen dem einfachen Konjunktiv und dem mit tat umschriebenen gibt es meist keinen großen Unterschied, allerdings klingt miër gangin iëz entschiedener als miër tatn iëz giën. So werden auch bescheidene Wünsche eher mit tat geäußert: Ii tat iëz gearn a Spiilile måchn (ich würde jetzt gerne ein Spielchen machen) klingt bescheidener und einladender als: ii miëch iëz gearn a Spiilile, welches forscher und herausfordernder wirkt.
So wie man auf Hochdeutsch Befriedigung ausdrückt mit “das hätten wir jetzt geschafft!”, kann man das auch im Dialekt: doo auer waarmer iëz goor nit asou lång unterweegs giweesn (hier herauf waren wir jetzt doch gar nicht lange unterwegs). Der Indikativ in der Übersetzung (‘waren’) deutet an, dass der Anstieg wirklich in kurzer Zeit bewältigt wurde, der Konjunktiv im Dialekt jedoch drückt die Überraschung und Genugtuung darüber aus.
Auch wenn zu allen Zeiten ein Austausch zwischen Dialekt und Standard stattgefunden hat, wäre es irrig zu glauben, dass die Feinheiten im Gebrauch des Konjunktivs nur durch das Vorbild der Schriftsprache in den Dialekt gekommen wären.